5. Kapitel

Inhaltsverzeichnis


Unbemerkt kamen wir wieder in meiner Wohnung an.

Tory stellte die Vase auf den Sofatisch und trocknete sich dann den Schweiß von der Stirn.

Ich holte die Kognakflasche. Wir tranken jeder schweigend zwei Gläschen. Dann ließ ich mich total erschöpft in die Sofaecke fallen. Auch Tory setzte sich in den Plüschsessel neben mich. Seine Augen waren auf unseren Raub gerichtet.

„Was willst du eigentlich mit dem plumpen Ding!“ fragte ich ärgerlich. „Es ist Diebstahl – sogar mittels Einbruchs, da wir Nachschlüssel gebraucht haben.“

„Sehr richtig …!“ Es klang zerstreut. Und ebenso zerstreut langte er nach einer Zigarette und zündete sie sich an.

Der Kognak wirkte. Die unerträgliche Nervenanspannung ließ nach.

„Möchtest du mir nicht erklären, wozu du das Ding mitgenommen hast?“ fragte ich streng. Ich markierte den um fünf Jahre älteren.

Er blies den Rauch wie aus einem Ventil von sich.

Dann: „Weil der Mörder die Vase gleichfalls stehlen wollte und weil ich dachte, er könnte nochmals zurückkehren und sie sich holen.“

Ich wurde ganz steif vor Staunen. Und die Worte kamen nur ruckweise über meine Lippen:

„Mörder – Mörder, – – was – soll – das – heißen?!“

„Nichts anderes, als daß rechts neben dem Ungeheuer von Kachelofen eine Leiche an der Wand hing, die ich dir wohl besser nicht zeigte … Du bist zu nervös, Karl.“

Eine Weile tiefe Stille. Nur meine Wanduhr tickte langsam und bedächtig.

Dann begann Tory ganz von selbst: „Der Mensch war tot. Es hätte keinen Zweck gehabt, ihn von dem Haken herabzunehmen. Er hing in einer Drahtschlinge, die eine Schlagader halb durchschnitten hatte infolge der Schwere des Körpers. Unter dem Toten auf dem Boden lag eine Menge Blut. Und – er war nicht mehr zu retten.“

Ich hörte zu, hörte die Worte. Aber sie kamen wie aus weiter Ferne …

Endlich raffte ich mich auf:

„Tory, ist das alles denn wahr?“ fragte ich und beleckte mir die trockenen Lippen.

„So sehr wahr, daß ich sofort die Polizei hinschicken werde!“ erwiderte er. „Kannst du Rundschrift schreiben, Karl?“

Ich nickte nur.

Dann suchte er aus einer Lage Papier einen der mittleren Bogen heraus, und ich mußte folgendes schreiben:

‚Pfeffergang 9, zwei Treppen vorn ist soeben ein Mord verübt worden. Habe meine Gründe, meinen Namen zu verheimlichen, werde aber helfen, Täter zu finden. – Polizeiarzt mitnehmen!‘

Der Bogen wurde in Briefform zusammengefaltet und mit Lichttalg versiegelt, wobei Tory als Petschaft ein Zehnpfennigstück benutzte.

Dann schlichen wir abermals zum Hause hinaus. In der Nähe der Polizeiwache meines Distrikts blieb ich zurück.

Tory, der sich einen alten Pelerinenmantel von mir übergezogen und einen schwarzen Schlapphut tief in die Stirn gedrückt hatte, während sein Gesicht durch künstliche Falten und Schatten mit Hilfe eines angebrannten Korkes recht geschickt unkenntlich gemacht worden war, öffnete dann keck die Tür des Wachtlokals und warf den Brief einem verschlafen am Tisch sitzenden Schutzmann zu, worauf er schleunigst zu mir zurückkehrte.

Er wischte sich die billige Schminke ab, half mit dem angefeuchteten Zeigefinger nach und sah daher, als wir in den Pfeffergang einbogen, ganz harmlos aus.

Oben in meinem behaglichen Arbeitszimmer mußte die Kognakflasche zum zweiten Male heute helfen, meinen inneren Menschen in Ordnung zu bringen.

Bisher hatte Tory mir noch nicht auseinandergesetzt, wie er über ‚unseren Fall‘ dächte. Als ich ihn nun bat, mir seine Ansicht über dieses Verbrechen mitzuteilen, meinte er:

„Wir gehen jetzt besser schlafen! Morgen ist auch noch ein Tag!“

Eigentlich hatte er recht.

Wir ließen die Verbindungstür zwischen unseren Schlafräumen offen und stellten allerlei Vermutungen an, ob die Polizei auf unseren Brief hin wohl erscheinen würde. Vorher hatten wir noch festgestellt, daß der leuchtende Frauenkopf drüben verschwunden war.

Dieses unheimliche, phantastische Bild des frei in der Luft schwebenden Hauptes reizte meine Phantasie weit mehr zu den verschiedensten Kombinationen über dessen Entstehungsursache als der grausige Mord.

Tory ließ mich ruhig reden, als ich recht verzwickte Theorien über diesen Gegenstand erfand, darunter auch die, daß doch fraglos eine Laterna Magika dabei mitgewirkt haben müsse.

Mein Freund war schon in sein Kofferbett gestiegen und rief mir jetzt zu:

„Trommler, wenn du diesem Weiberkopf mit so einfachen Deutungen beikommen willst, wirst du nie ans Ziel gelangen. Glaube mir! – Da – horch, ein Auto!!“

Ich hörte seine Lagerstatt knacken und sprang gleichfalls aus dem Bett. Im dunklen standen wir am Fenster und beobachteten, wie die Polizei nun tatsächlich in das leere Haus eindrang.

Dann wurden auch die beiden Fenster des Mordzimmers hell. Was sich in dessen vorderem Teile abspielte, sahen wir ganz genau. Der Ofen lag jedoch zu weit nach hinten, um ihn von hier in den Gesichtskreis zu bekommen. Immerhin war es recht aufregend, gerade für uns, die Kriminalpolizei bei der Arbeit zu belauschen.

Tory gab allerlei Erläuterungen dazu: „Jetzt zeichnen sie die Spuren im Staub ab, jetzt photographieren sie soeben den Toten und das Zimmer mit Blitzlicht, jetzt heben sie die Leiche vom Haken …“

Als ich ihn fragte, woher er denn all das so genau wisse, meinte er:

„Die Methode, nach der sie arbeiten, ist bei einem im geschlossenen Raume verübten Morde stets dieselbe. Ich war oder bin noch mit dem Berliner Kriminalkommissar Haßfeld eng befreundet, einem Verbindungsbruder von mir und früheren Juristen, der mich in die Geheimnisse seines Berufs recht genau eingeführt hat. Ich habe ja stets für alles das Interesse gehabt, was ein wenig über den Rahmen des Alltäglichen hinauslugte.“

Ich hätte am liebsten laut ein doppeltes ‚Na!‘ als Ausdruck meiner Zweifel an diesem Interesse ausgestoßen. Aber Tory war mein Gast. – Wo sollte er, der doch nur allzu sehr in Äußerlichkeiten aufging, für Dinge sich erwärmen können, die so ganz außerhalb des Kreises seiner wahren Neigungen lagen?! Denn Neigungen hatte er, abgesehen von seinem Streben, stets in allem den tadellos erzogenen und angezogenen Sohn einer alten Patrizierfamilie hervorzukehren, tatsächlich und zwar mancherlei: Musik, Theater, überhaupt schöne Künste! Und hier verachtete er alles Oberflächliche, Seichte. Ein Beweis, daß er durchaus nicht das war, was man als ersten Eindruck von ihm empfing: blasiert, übersättigt!

Wie gesagt, ich machte also hinter seine Behauptung, daß alles Außergewöhnliche, auch die praktische kriminalistische Tätigkeit, ihn interessiere, ein großes Fragezeichen. – –

Als wir dann wieder unsere Lagerstätten aufgesucht hatten, überlegte ich mir so verschiedenes, woran ich jetzt erst dachte.

Tory hatte in diesen letzten Stunden doch eigentlich bewiesen, daß er nicht nur schnell und scharf mit seinen Gedanken das Richtige traf, sondern hatte auch eine Unternehmungslust und Kaltblütigkeit gezeigt, um die er zu beneiden war. Schon allein die Vorbereitungen zu unserem Eindringen in das leere Haus verrieten genug, mehr noch aber sein Verhalten im Wohnzimmer selbst und die Art, wie er dann die Polizei herbeirief.

Rundschrift hatte ich schreiben müssen! Diese Schriftart war ganz unpersönlich. Dann hatte er auch aus einer Lage Papier einen ganz neuen Bogen herausgenommen, hatte mich gewarnt, ja nicht mit den Fingerspitzen beim Schreiben das Papier zu berühren! Er fürchtete eben, daß die Fingerabdrücke mich und uns beide verraten könnten. –

Ich schlief schwer ein über all diesen Gedanken, zumal ich den Morgen herbeisehnte, wo ich Tory noch so allerlei fragen wollte.