„Trommler, du hättest die Vase hier nicht so offen auf dem Tisch stehen lassen sollen …!!“ sagte Victor zu mir, als er gegen elf Uhr vormittags nach Hause kam.
Ich hatte gearbeitet, legte nun aber mein Manuskript weg, um mich Tory zu widmen.
Der sah sehr ernst, fast finster aus. Und der Vorwurf der Vase wegen hatte recht scharf geklungen.
„Wie hast du denn der Meller das Auftauchen der Vase hier bei dir eigentlich erklärt?“ fragte er weiter, indem er die Diebesbeute beklopfte, was Töne hervorrief, als sei das plumpe Ding aus Metall.
„Ich sagte, sie gehöre dir,“ meinte ich und stellte mich neben ihn.
„Gut. Das wird sie glauben.“ – Er kippte die Vase jetzt um und betrachtete den runden Boden. Dort waren allerhand seltsame Zeichen eingegraben. – „Ich dachte es mir schon,“ fuhr er fort. „Es ist eine Lahore-Vase, also altindischen Ursprungs. Die Lahore-Vasen sind berühmt. Man findet sie sehr selten, da die Priester des großen Brahmatempels in Lahore sie freiwillig nie herausgegeben. Anderswo existieren fast nur Nachahmungen. Was an echten Lahore-Vasen in den Handel kommt, ist aus dem Tempel gestohlen worden, mithin auch dieses Stück.“ – –
Es ist Zeit, daß ich die Vase ein wenig beschreibe.
Sie war fünfundfünfzig Zentimeter hoch. Der Vasenhals hatte einen Durchmesser von achtzehn Zentimeter, war nur sieben Zentimeter lang. Dann rundete sich der Vasenkörper zur Form einer länglichen Zwiebel, deren größte Breite der Höhle des Ganzen entsprach.
Der Vasenhals war innen drei Zentimeter unter dem Rande zugegossen und zwar bildete dieser Stöpsel, wenn man so sagen will, mit der Halswandung ein Stück. Die Vase war also fest verschlossen, hatte keine Öffnung. Als Verzierung dienten schwach erhabene Stellen, die wie ein Netz aussahen. In jeder Masche dieses Netzes waren altindische Schriftzeichen und je eine Tierfigur eingegraben.
Das Gewicht – ich habe sie gewogen – betrug sechsundvierzig Pfund. –
Die Gußmasse mag hier nachher mit Viktors eigenen Worten beschrieben werden. – –
Auf Torys Ausführungen hinsichtlich der Herkunft der Vase äußerte ich meine Zweifel an der Echtheit. – Wie sollte gerade eine echte, doch so überaus wertvolle Seltenheit in das leere Haus hineingeraten sein?!
„Sie ist echt!“ erklärte Tory bestimmt. „Ich habe im Britischen Museum in London vor zwei Jahren einen Vortrag über die einzige dort vorhandene echte Lahore-Vase mitangehört. Damals ahnte ich nicht, daß ich die Einzelheiten jenes Vortrags einmal bei solcher Gelegenheit würde verwerten können. – Bei allen Imitationen ist der Deckel oder Stöpsel des Vasenhalses nachträglich eingegossen, das heißt, die Vase besteht nicht aus einem Stück. Unsere hier – das sieht man schon mit bloßem Auge! – hält jeder Prüfung in dieser Beziehung stand. – Dann die Masse! Sie war und ist noch heute ein Geheimnis der Priester des Tempels in Lahore. Sie ist Metall, und ist es nicht. Es ist eben ein Gemenge, dessen Zusammensetzung selbst unsere heutige Chemie nicht gelöst hat. Von der Vase im Britischen Museum hat man nämlich ein kleines Stück losgesprengt und den ersten Chemikern vorgelegt. Keiner hat mit zufriedenstellender Genauigkeit die Frage beantwortet, welche Stoffe die Gußmasse der Lahore-Vasen enthält. Diese wurden seiner Zeit dazu benutzt, die Seelen berühmter indischer Fürsten darin einzuschließen. Dies soll der Art gemacht worden sein, daß, sobald ein einer Vase für würdig befundener Fürst auf dem Sterbebett lag, Priester aus Lahore mit ihren Werkzeugen und so weiter erschienen und den Guß unter genau vorgeschriebenen Gebeten und Zeremonien im Sterbezimmer selbst vornahmen und zwar genau im Augenblick des Ablebens. –
Mit allen Einzelheiten kann ich dir diesen wunderbaren Brauch nicht mehr schildern. Ich habe von dem Vortrag damals doch schon manches vergessen. Ja – doch weiß ich noch, daß die aus einem Stück gegossenen Vasen dann in einem besonderen Raume des Brahmatempels in Lahore aufbewahrt wurden und als große Heiligtümer galten, denen man allerlei geheimnisvolle und auch wundertätige Eigenschaften andichtete.“
„Sehr interessant,“ meinte ich. „Aber, mein lieber Tory, den Beweis für die Echtheit bist du mir doch noch schuldig geblieben. Ich gebe zu, der Stöpsel scheint nicht nachträglich eingegossen zu sein. Doch – das könnte mit aller Sicherheit nur eine ganz genaue Untersuchung feststellen. – Beweismittel Nummer zwei, chemische Untersuchung der Gußmasse, kommt für uns nicht in Frage. Also …?!“
Tory schwieg und starrte auf das plumpe, bräunlich metallisch schimmernde Ding, indem er unzufrieden den Kopf hin und her wiegte.
Durch das Fenster, das gleichzeitig Balkontür war, fiel die Sonne in breitem Strahl auf den Sofatisch und beschien auch den Fuß der Vase etwa in Handtellergröße.
Dieser weiße Fleck des Sonnenlichtes war es, den Torys Augen sich zum Ruhepunkt ausgesucht hatten.
Ich trat hinter den Freund und klopfte ihn im Gefühl meines eben errungenen kleinen Sieges auf die Schulter.
„Alter Tory – nicht wahr, du gibst mir doch recht? – Es kann ebenso gut eine Imitation sein. Das alles ist ja schließlich auch gleichgültig. Wir haben die Vase gestohlen und …“
„Halt!“ rief er da und sein gesenkter Kopf schnellte hoch. „Halt! Bleib’ stehen, wo du stehst! – Es ist keine Imitation! – Hier der Beweis!“
Er gab mir die Aussicht nach der Vase frei. Ich sperrte jetzt, da ich zwischen ihr und dem Fenster vor dem Tische stand, das Sonnenlicht ab.
Tory zeigt auf den Fuß der Vase …
Dort, wo der weiße Fleck der Sonnenstrahlen auf der braunen Masse geruht hatte, hätte jetzt dem natürlichen Lauf der Dinge nach nichts Besonderes mehr zu sehen gewesen sein dürfen … Aber – seltsam und unerklärlich, dieser handtellergroße Fleck war geblieben, obwohl die Ursache, die Sonnenstrahlen, nur mehr meinen Rücken trafen, – – war geblieben und dehnte sich nun langsam, dabei immer mehr an Helle einbüßend, nach allen Seiten hin. –
Es war dies eine so merkwürdige Erscheinung, daß wir beide ganz regungslos dastanden und mit aufmerksamen Augen die weitere Entwicklung des Phänomens abwarteten.
Der helle Schimmer kroch höher und höher, floß nach allen Seiten hin. Es war, als ob ein geheimnisvolles Glühen durch die Masse ging, aus der die Vase hergestellt war.
Jetzt begann dieses schwache Leuchten zu erblassen, nachdem es beinahe die ganze uns zugekehrten Seite sozusagen durchtränkt hatte. Von oben her verschwand es, so etwa, wie ein weißglühendes Metallstück die Farbe an freier Luft wechselt.
Nun war alles vorüber. –
Torys Hand legte sich auf die Vase mit etwas theatralischer Geste.
„Karl, glaubst du nun, daß sie echt ist? Sie hat soeben eine ihrer geheimnisvollen Eigenschaften bewiesen!“ sagte er fast feierlich. Und fügte nach kurzer Pause hinzu: „Im übrigen war ich von Anfang an von ihrer Echtheit überzeugt. Weswegen – das erkläre ich dir später!“
Ich betrachtete unsere Diebesbeute jetzt mit einem gewissen Gefühl des Unbehagens.
Indien ist nun einmal das Land der Geheimnisse! Ich hatte mal ein Buch eines englischen Arztes gelesen, der in Indien zwanzig Jahre lang weit ab von aller Kultur auf einer einsamen Militärstation gehaust hatte. Ich entsann mich jetzt gerade auf den Schlußsatz dieses hochinteressanten Werkes mit dem Titel ‚Was wir in Indien nicht begreifen‘. Dieser Satz lautete: ‚Die Sehnsucht wird selbst in mir altem Manne nicht geringer nach all dem Rätselhaften, das mich einst dort drüben umgab und das dem über den farbigen Mitmenschen erhabenen Europäer allen Rassendünkel nahm, – denn die da drüben, die an Brahma glauben, wissen und können mehr als wir, belächeln uns und … schweigen.‘
Ja – es war ein unbehagliches Gefühl! Wer weiß, was die Vase noch sonst an seltsamen Eigenschaften stumm bewahrte …! Eine Menschenseele sollte darin eingeschlossen sein …! Hoffentlich fiel es diesem indischen Fürsten nicht einmal ein, als Gespenst seine Urne zu verlassen …!! –
Tory hatte es sich in einem der Sessel bequem gemacht, qualmte seine geliebten Zigaretten und schien über irgend etwas nachzugrübeln.
Dann sagte er: „Dort unten in deinem Bücherschrank ist noch Platz. Stelle die Vase dorthin und bedecke sie.“
Ich tat’s. Aber ich mußte auf dem mittelsten Brett erst Platz schaffen. Unten war der Raum zu niedrig. Als ich sie in den Händen hielt, schüttelte ich sie unwillkürlich und lauschte, ob sie vielleicht etwas enthielt in ihrem hohlen Inneren.
Tory lachte. „Die Fürstenseele soll wohl klappern, wie?!“
Ich lachte auch. Da war das Unbehagen verschwunden.
„Setz’ dich gleichfalls, Karl,“ meinte Tory nun. „Ich habe dir viel zu erzählen.“
Zunächst sprach er von seinem Besuch im Nebenhause bei der Frau Oberkontrolleur Schmitz.
„Du darfst mit vollem Recht fragen, was ich dort eigentlich wollte,“ sagte er jetzt, nach einer neuen Zigarette greifend. „Ich erzähle dir von dem Manne, der in der Dachluke saß und dessen Interesse für das Zimmer drüben mich dann den leuchtenden Kopf entdecken ließ. Die Vermutung lag nahe, daß dieser gelbgesichtige Herr auch im Nebenhause wohnte. Daher also meine Visite bei der liebebedürftigen Wirtin.“
„Aha – du wolltest ihn fragen, ob auch er vielleicht den Kopf bemerkt hätte?“
„Fragen? – Das wäre unmöglich gewesen. Ich wollte nur feststellen, ob er in der verflossenen Nacht sein Bett benutzt hatte, – also so eine Art Nachprüfung, ob nicht eine Verwechslung vorlag.“
Ich verstand ihn nicht. „Drücke dich deutlicher aus, Tory!“ meinte ich achselzuckend und ohne besondere Teilnahme für den Mansardennachbarn.
„Gern, lieber Trommler!“ Kleinen Pause, sein Monokel blitzte mich scharf an. – „Der Mann in der Dachluke ist nämlich der Ermordete!“ fügte er hinzu.
Ich ruckte zusammen, beugte mich vor.
„Wirklich?“ stotterte ich.
„Er ist’s, Karl! Und er nennt sich wie gesagt Tompson. Die Polizei wird vielleicht einige Zeit brauchen, ehe sie dies feststellt. Wir wissen jedenfalls weit mehr als die Behörden. Und wir allein werden diesen Mord aufklären können – wir allein! Der Polizei fehlen zu viele Einzelheiten, um eine Spur aufzunehmen: daß der Tote das Zimmer vom Dache aus beobachtet hat, in dem er nachher ermordet wurde, daß dort eine wertvolle Vase gestanden hat, die wir jetzt haben, daß der Mann vor seinem Ende noch zwei gellende Angstschreie ausgestoßen hat, daß der Mörder noch im Hause war, als wir dort eindrangen – wir hörten ja eine Tür klappen! – und daß der Täter die Vase mitnehmen wollte!“
Ich gebe zu, daß ich in diesem Augenblick meine Ansicht über Tory gründlich änderte. Ich glaubte ihm mit einem Male seine Neigung für alles Ungewöhnliche, sah auch ein, daß er bei seinem Freunde, dem Berliner Kriminalkommissar, eine gute Schule durchgemacht haben mußte.
Ich nickte jetzt eifrig. „Freilich, wir sind der Polizei gegenüber sehr im Vorteil. – Was gedenkst du nun weiter zu tun.“
„Dir erzählen, was ich aus der Witwe Schmitz weiter noch herausgelockt habe. – Tompson spricht sehr schlecht Deutsch. Polizeilich gemeldet ist er als in London ansässig. Grund des hiesigen Aufenthaltes: Geschäfte. – –
Das ist vorläufig alles, was mir die Schmitz berichten mußte, weil sie meinem Ausfragesystem nicht gewachsen war. Nachmittags wird sie noch mehr hergeben. Ich werde sie zum Kaffee besuchen. – Warum soll man ihr nicht eine kleine Freude machen? Sie schwatzt so gern …“