8. Kapitel

Inhaltsverzeichnis


„Nun zu anderen Dingen mehr persönlicher Natur,“ fuhr er fort, und auf seiner Stirn erschienen über der Nasenwurzel drei tiefe Falten. Auch seine Stimme klang schärfer. –

Er schilderte seinen Besuch bei Katzenstein, sprach auch von der blonden Madonna.

„Ich wette,“ sagte er, „mein Herr Stiefvater und der würdige Pinkemüller gehen mit der Absicht um, mich entmündigen zu lassen. Mögen Sie …! Sie werden dabei den kürzeren ziehen. –

Kein Pfandleiher nahm mir die Ringe ab. Überall war der einflußreiche Herr Konsul persönlich gewesen. Aber – Geld habe ich mir doch beschafft. – Katzenstein hat es mir geliehen, das Geld – aus Freundschaft! Wir sind auf dem besten Wege, sehr intim zu werden. Nebenbei, ein hochanständiger Charakter, der Isidor. – Diese Freundschaft hat die blonde Madonna vermittelt. – Komisch, wie …?!“

„Allerdings – sehr komisch. Du kennst sie doch erst seit gestern.“

„Und nur vom Ansehen! Trotzdem – ohne sie hätte Katzenstein seinen Geldschrank nicht geöffnet und mir kaum tausend Mark gepumpt.“

„Donnerwetter! Tausend Mark!“

„Ja, da staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich! – Die Sache hängt so zusammen. Die blonde Madonna, die ich gestern vormittag zufällig traf, die mir gefiel und der ich dann nachstieg, um mit ihr dann bei Katzenstein ein unerwartetes Wiedersehen zu feiern, hat bei dem braven Isidor eine größere Finanzoperation mit Hilfe eines Brillanthalsbandes vorgenommen, auf das sie zweitausend Mark erhielt. Sie legitimierte sich durch eine an Fräulein Erna Link adressierte Mitteilung der Steuerbehörde. Der gute Katzenstein hielt das Papier für genügend. Leider ist er so der Hereingefallene. Ich schmeichelte ihm Namen und Adresse meines verschleierten Engels ab und begab mich dann nach Nr. 7, vierten Damm. Unten wohnte ein Schneider. Ich habe mir bei ihm eine helle Sommerweste bestellt, und die Weste öffnete ihm den Mund. Im ganzen Hause gibt es kein junges Mädchen, und Erna Link ist eine alte, grämliche Kartenlegerin. Als ich mit dieser Neuigkeit zu Katzenstein kam, fiel er aus allen Wolken, nahm mich dann mit in seine Privatwohnung, die unmittelbar an den Geschäftsraum anstößt, und erzählte mir folgendes: Vor etwa acht Jahren ist er in Berlin, wo er damals einen Leihhaus für Schmucksachen besaß, am hellen lichten Tage beraubt worden. Die Berliner Kriminalpolizei hat festgestellt, daß zwei Leute ‚das Ding gedreht haben‘. Mehr konnte sie nicht ermitteln. Jedenfalls war der arme Katzenstein so gut wie ruiniert, da die Kerle gerade die kostbarsten Stücke sich aus dem großen Panzerschrank herausgesucht hatten, darunter auch ein Brillanthalsband – dasselbe, das gestern die blonde Madonna versetzt hat. –

Katzenstein hatte es sofort wiedererkannt, drang daher auch auf eine Legitimation. Nun hat er mich damit beauftragt, diese Geschichte aufzuklären. –

Über das Halsband selbst noch folgendes. Es stammt fraglos aus Indien, wie Katzenstein mir näher erklärte. Die Goldfassung und der Schliff der Steine beweisen es. Hier hat er mir eine Abbildung davon mitgegeben, die auch die Polizei damals mitbenutzte bei ihren Nachforschungen nach den Verbrechern.“

Die Zeichnung, eine Vervielfältigung, war ziemlich undeutlich. Trotzdem sah ich, daß jeder Stein in einen goldenen Schlangenkopf eingelassen war. Im ganzen waren es zweiundvierzig Steine, sämtlich scheinbar von gleicher Größe und in zwei Reihen angeordnet. Das Schloß war sehr eigenartig, – ein großer Schlangenkopf, dicht mit kleineren Brillanten verzierte.

„Katzenstein hat mir den Schmuck, auf den er zweitausend Mark gegeben und der einen Wert von achtzehn bis zwanzigtausend hat, wie er versichert, gezeigt,“ fuhr Tory fort. „Ich sage dir, Trommler – mir gingen die Augen über! Meine Mutter besitzt doch auch ein Kollier – aber das der blonden Madonna dagegen gehalten – wie Tag und Nacht! – Der brave Alte wußte mir noch zu berichten, daß der Eigentümer des Halsbandes, der es in Berlin damals bei ihm versetzte, ein Herr war, der, wie nachher festgestellt wurde, einen falschen Namen angegeben hatte und nicht aufzufinden war. – –

Du siehst, ich habe jetzt eine doppelte Aufgabe vor mir. Einmal will ich – aus Sport! – den Mörder Tompsons ermitteln, dann – kraft Auftrags und gegen Honorar! – meiner verschleierten Schönen nachspüren, die mir dann wird sagen müssen, wie sie zu dem indischen Schmuck gekommen ist.“

Er warf den Zigarettenrest in den Aschbecher.

Ich aber sagte: „Ich halte die zweite Aufgabe für schwieriger. Das junge Mädchen kann von auswärts nur zu dem Zweck nach Danzig gekommen sein, um das Halsband zu versetzen. – Wie willst du ihre Spur finden …?!“

„Weiß ich noch nicht!“ Er lächelte dabei und kniff das monokelfreie Auge zu.

„Ah – du hast schon einen Feldzugsplan?! Dein Gesicht verrät dich!“

„Hm – wie wär’s, wenn man mal bei der alten Jungfer Erna Link sich erkundigte, wie die Madonna wohl zu dem Schreiben der Steuerbehörde gekommen sein mag?“

„Sehr gut, sehr gut! – Tory, du bist wirklich der reine Kriminalbeamte! – Nun laß mich aber bitte mal so einiges fragen, was mir auf der Seele brennt. – – Die Madonna war hübsch?“

„Hübsch?! – Das Wort ist eine Entweihung für sie! Engelhaft schön – sündhaft schön! Du kennst mich, ich begeistere mich nicht so leicht!“

„Und doch wandelt der Engel auf faulen Pfaden, mein Lieber!“

„Vielleicht aus bitterster Not oder gezwungen. Die Kleidung war sauber, geschmackvoll – aber ärmlich. Die Handschuhe gestopft. Der Strohhut durch die lange Nadel mit dem Bernsteinknopf sehr zerstochen. Und die Schuhe hatten einen Weg hinter sich, der keine Bürgersteige kannte. An den Hacken saßen Lehmreste. Ich möchte beinahe behaupten, die Madonna wohnt außerhalb der Stadt in einem entlegenen Hause.“

„Bißchen schnell kombiniert, Tory! Nur der Lehm – das genügt nicht! – Nun aber Frage Nummer zwei! Glaubst du, daß der Mord der Lahore-Vase wegen verübt worden ist?“

Er hob die Schultern sehr hoch. „Möglich! – Wer will das jetzt schon sagen! Aber – ausgeschlossen ist es nicht.“

„Bringst du den leuchtenden Frauenkopf in irgendwelche Beziehung zu dem Verbrechen?“

„Darauf kann ich dir nur dieselbe Antwort erteilen. Möglich!“

„Hast du einer Erklärung für die Erscheinung gefunden?“

„Hör’ mal, Trommler, – du quetscht mich aus wie eine Zitrone!!“ lachte er. „Die Frage hast du ja gestern im übrigen schon erläutert: Laterna Magika! – Ganz hübsch ausgedacht, wirklich! – Stellen wir zum Beispiel folgende Theorie auf: Tompson ist ein Todfeind des Mörders, verfolgt ihn heimlich. Der Mörder merkt das und lockt ihn mit Hilfe der Laterna Magika gestern Nacht in das Zimmer, wo der strahlende Weiberkopf durch den Apparat auf die Wand geworfen wird, so daß er freizuschweben scheint. – – Na, was meinst du hierzu, he?!“

Ich fühlte den Spott nur zu gut heraus.

„Ich finde,“ sagte ich eifrig, „daß diese Theorie trotz deines beißenden Spöttelns, gar nicht so unsinnig ist!“

„Sie ist mir zu gekünstelt, offen gestanden, erinnert zu sehr an Detektivgeschichten. – Doch – lassen wir das Thema jetzt. Draußen ist so prachtvolles Wetter. Gehen wir daher etwas an die Luft.“

„Bewilligt! – Nur noch eine Frage. Wie bist du heute früh aus dem Hause gelangt?“

Tory musterte mich kühl.

„Natürlich durch das Loch, das der Maurer für deine Flurtür in der Wand gelassen hat, und dann die Treppe hinunter durch den Hauseingang.“

Jetzt lächelte ich ironisch. „Gestatte, daß ich zu behaupten wage ‚Du hast soeben gelogen!‘ – Ich habe dir nämlich eine Falle gestellt, lieber Tory, indem ich meine Flurtür abgeschlossen und den Schlüssel abgezogen habe, bevor wir zu Bett gingen. Der Schlüssel lag unter meinem Kopfkissen.“

Tory zuckte die Achseln und sagte nur: „Nachschlüssel, bester Trommler!!“

„Schwindle nicht, du …!! Mein Türschloß hat eine Schloßsicherung. Kein gelernter Einbrecher kriegt es mit einem Dietrich auf – keiner! Wozu diese Ausflüchte?! Ich weiß jetzt bestimmt, daß du noch einen zweiten Ausgang aus meiner Wohnung entdeckt hast. – Heraus mit dem Geheimnis, auf das ich ein gutes Recht habe!“

„Gut denn – komm’!“

Wir gingen in die Dachkammer, deren Außenwand zwei Meter über dem Boden das Dach trug, das schräg nach oben zu verlief, mit Holz verschalt und wie der ganze Raum mit einer häßlichen, billigen Tapete beklebt war, die jedoch im Laufe der Jahre sich größtenteils losgelöst hatte, so daß überall der Mauerputz und die Bretter der Verschalung hindurchgrinsten.

Gerade in der Mitte der Außenwand ragten drei dicke, dicht nebeneinander liegende Balken aus der Mauer hervor. Auch sie waren mit Tapete bekleidet oder besser bekleidet gewesen.

Tory zeigte auf die drei Balken, die bis dorthin reichten, wo das Dach begann.

„Fällt dir daran nichts auf?“ meinte er.

„Nein.“

„Hm! Merkwürdiger Holzverschlag!! Was sollen drei Balken, die zusammen etwa eineinviertel Meter breit sind, an dieser Stelle? Gleich drei!! Einer hätte genügt! Wer baut in das Gerüst eines Fachwerkhauses drei solche Riesenbalken ein …?!“

„Allerdings …“

„Na also! – Sieh mal, diese Balken kamen mir gleich merkwürdig vor, als ich mich beim Auspacken meiner Sachen hier ein wenig genauer umschaute. – Nun paß mal auf!!“

Er hob ein herabhängendes Stück Tapete an dem rechten Balken hoch … Darunter wurde ein eingelassener Ring sichtbar. Nun drehte er den Eisenring nach links, zog daran, und – die Balkenstücke, die ein Ganzes bildeten, bewegten sich …! – Es war nichts als eine schlau angebrachte Tür! Dahinter gähnte jetzt ein schwarzes Loch. Immerhin aber erkannte ich noch den Anfang einer rußgeschwärzten, schmalen Holztreppe, die sehr steil abwärts führte.

„Die Treppe mündete unten vor einer zweiten, ähnlichen Geheimtür, die sich in der Kellerwand des Nebenhauses befindet,“ sagte Tory jetzt und drückte die drei Balkenstücke wieder zu. „Als ich gestern auf diesem verborgenen Wege deine Wohnung verließ, gelangte ich in den Vorkeller des Nebengebäudes und von da in den Hausflur. –

Ganz günstig für uns, daß wir dies Geheimnis aufgedeckt haben. – Doch – gehen wir jetzt. Ich sehne mich nach frischer Luft!“

Gleich darauf standen wir auf der Straße.

Tory blieb vor meiner Haustür stehen, bat um ein Streichholz, zündete sich sehr bedächtig eine Zigarette an, benahm sich dabei sehr ungeschickt und verbrauchte fünf Zündhölzchen, bevor sie ‚brannte‘.

Wir schritten der nahen Breitgasse zu.

„Die Bande läßt mich wirklich beobachten!“ begann Tory dann die Unterhaltung.

„Wer – – Bande?! – Beobachten?!“

„Na, der Herr Konsul und der Pinkemüller, – wer sonst?! Sie wollen weiteres Material für den Antrag auf Entmündigung sammeln. –

Der Kerl schlich mir schon morgens nach. Aber ich habe ihn abgeschüttelt, als ich zu Meister Bunke ging. Bunke heißt mein Westenschneider auf dem vierten Damm. –

Dreh’ dich nicht um, Trommler! Mensch – du schreibst doch Kriminalromane! Benimm dich doch begabter! Der Bursche hinter uns darf doch nicht merken, daß wir ihn entdeckt haben und ihn uns merken werden – merkst de …!!“

Gleich darauf sprangen wir an einer Haltestelle in eine bereits in Fahrt befindliche Elektrische. –

Der Streich gelang. Der Spion war abgeschüttelt. Tory hatte ihn mir noch gezeigt, wie er dreißig Schritt hinter uns der Straßenbahn wütend nachstierte.

Wir stiegen bald wieder aus, und Tory meinte nun. „Wir können mal nachsehen, ob Fräulein Erna Lind daheim ist.“