Ich nahm Besitz von einem im Muster einer indianischen Decke gepolsterten Stuhl, etwas schräg nach hinten geneigt und an drei Seiten wie eine Kiste von glatten Holzleisten umgeben. Dem Stuhl und seinem Pendant gegenüber, jenseits einer Wells-Fargo-Geldkassette, die als Teetisch eine neue Verwendung gefunden hatte, stand eine nach demselben Prinzip angefertigte Couch, auf deren Kante sich Leola DeLancey niederließ. Clague blieb hinter der Couch stehen.
Ich fragte, ob es gestattet sei zu rauchen.
»Mir wäre lieber, Sie verzichten darauf, Mr. Walker. Nach meinem Mann hat in diesem Haus niemand mehr Tabak benützt. Ich verabscheue diese Angewohnheit.«
Ich hatte bereits eine Zigarette aus dem Päckchen gezogen und schob sie nun wieder hinein. Es war ein Jammer. Wenn je ein Raum dazu geeignet gewesen war, darin zu rauchen, dann dieser.
»Nun dann«, begann Mrs. DeLancey, »worin besteht also Ihr Interesse an der Beziehung des verstorbenen Mr. DeLancey zu dieser Whiting? Am Telefon erwähnten Sie etwas von einem Mord.« Sie bemerkte, daß ich dem Anwalt einen Blick zuwarf. »Sie können vor Daniel ungehemmt reden. Ich habe ihn extra hergebeten.«
»Tatsache ist, daß ich selbst darauf bestanden habe«, warf Clague ein. Seine Redeweise war monoton und langsam, wie eine Schallplatte, die nicht mit der richtigen Geschwindigkeit abläuft. »Es war eine Konzession von Seiten Mrs. DeLanceys, nachdem sie sich geweigert hat, meinen Rat zu befolgen und dieses ganze Gespräch abzusagen. Als ihr Anwalt bin ich der Auffassung, daß jeder Kontakt mit dieser Frau oder deren Vertretern Mrs. DeLanceys Interessen diametral entgegensteht. Besonders im Augenblick.«
»Wobei Mrs. DeLanceys Interessen als der Versuch zu verstehen sind, ihren Mann gerichtlich für tot erklären zu lassen«, versetzte ich.
Er sah überrascht aus. Jedenfalls senkte sich seine Unterlippe einen Zentimeter, so daß in seiner unteren Gesichtshälfte ein U entstand. Es verlieh ihm das Aussehen eines frisch gefangenen Barsches. »Wo haben Sie das erfahren?«
»Tu nicht so, als seist du schockiert«, befahl seine Klientin. »Wir sind jetzt ein volles Jahr darum bemüht. Da mußte etwas durchsikkern.« Ihr Blick richtete sich wieder auf mich. »Ich erwarte eine Beantwortung meiner Frage.«
Das Mädchen kam mit drei weißen Porzellantassen auf einem silbernen Tablett herein, stellte es auf die Geldkassette und begann weiße Leinenservietten, silberne Teelöffel und eine spiegelblank geputzte antike Zuckerdose, die mindestens so viel wert war wie mein Auto, vor uns zu verteilen. Ich wartete, daß sie wieder verschwinden würde, aber die Dame des Hauses starrte mich ungeduldig an. Dann probierte ich meinen Tee, stellte die Tasse auf die Untertasse zurück und rührte sie nicht mehr an. Selbst damit hatte ich den beiden anderen gegenüber jedoch einen Vorsprung gewonnen.
»Zuerst möchte ich klarstellen, daß ich nie behauptet habe, Miss Whiting oder irgend jemand anders in dieser Angelegenheit zu vertreten.«
»Wollen Sie sagen, daß Sie in eigener Sache hier sind?« fragte Clague.
»Nein, auch das nicht. Ich werde jetzt versuchen, mich einigermaßen verständlich zu machen.« Ich holte tief Luft und erzählte so viel, wie ich für die Ohren der beiden geeignet hielt: Von dem Anruf einer Frau, die sich Ann Maringer genannt hatte, und deren Gründen, mich zu engagieren. Von meiner Entdeckung des Toten in ihrer Wohnung, von meiner Unterhaltung mit Phil Montana, der mich darüber aufgeklärt hatte, daß Ann Maringer in Wirklichkeit Janet Whiting hieß und im vergangenen Jahr, als die Erben Richter DeLanceys das Verfahren eingeleitet hatten, den Richter für tot erklären zu lassen, von der Bildfläche verschwunden war. Ich hatte noch nicht geendet, als Mrs. DeLancey mich unterbrach.
»Sie sagen das, als glaubten Sie, dies beides stünde in einem Zusammenhang.«
»Tut es das?«
»Beantworte das nicht, Leola.«
Sie gönnte dem Anwalt keinen Blick. Das Mädchen trat vorsichtig von einem Fuß auf den anderen, um ihre Herrin darauf aufmerksam zu machen, daß sie noch anwesend war. Mrs. DeLancey gab ihr Anweisung, die Vorhänge zurückzuziehen. Lake St. Clair erschien vor meinen Blicken, so blau, daß es fast den Augen weh tat.
»Falls da eine Verbindung besteht, weiß ich jedenfalls nichts davon.« Sie ging zur Offensive über. »Was hat Sie zu Phil Montana geführt?«
»Habe ich nicht erwähnt, daß es sich bei dem Ermordeten in der Wohnung um Montanas Leibwächter handelte?« Ich rekapitulierte im Geiste noch einmal, was ich erzählt hatte. Ich hatte es sehr wohl erwähnt. Sie schüttelte den Kopf.
»Das ist zu dünn. Hätte es sich bloß um den Toten gehandelt, wären Sie sofort zu Montana gegangen und hätten sich auch von der Palastwache nicht daran hindern lassen. Ihrer eigenen Aussage nach warteten Sie jedoch mehr als zwölf Stunden. Es muß noch etwas anderes passiert sein, was Sie zu der Überzeugung gelangen ließ, er hätte irgendwie damit zu tun. Was war das?«
Ich hielt ihrem unbewegten Blick stand. Die Polizei konnte von der Witwe DeLancey noch etwas lernen. Dann holte ich die Schachtel aus meiner Tasche, öffnete sie und hielt sie ihr entgegen. Ihr Blick blieb noch eine Sekunde an dem meinen haften, dann senkte sie ihn, um das Schmuckstück zu betrachten. Clague beugte sich über ihre Schulter und rückte sich die Brille zurecht.
»Ann Maringer – um der Klarheit willen werde ich sie von jetzt an Janet Whiting nennen – gab mir diesen Ring als Honorarzahlung«, erläuterte ich. »Ein Experte, zu dem ich ihn brachte, identifizierte ihn als Arbeit eines Juweliers und Goldschmieds, den ausschließlich Montana beschäftigt. Montana sagte mir, er habe den Ring als ein Geschenk an den Richter für Miss Whiting anfertigen lassen. Erkennen Sie ihn, Mrs. DeLancey?«
»Nein«, antwortete sie trocken. »Aber normalerweise holt ja ein Ehemann auch nicht die Meinung seiner Frau über ein Geschenk für seine Geliebte ein, nicht wahr?«
»Das hängt von dem Mann ab. Oder von der Ehefrau.«
»Oder der Geliebten.«
»Die Welt lebt von Gegensätzen.« Ich machte die Schachtel zu und steckte sie weg. »Haben Sie Miss Whiting je kennengelernt?«
»Vorsichtig.« Clague legte seine fleischige, gefleckte Hand auf ihre Schulter. Sie schüttelte sie nicht sofort ab. Nun ja, sie waren alte Freunde. Sie öffnete den Mund, schloß ihn dann jedoch wieder. Als sie ihn erneut öffnete, sagte sie:
»Ich hätte beinahe verneint. Aber ich gewinne nichts durch Lügen. Ich bin ihr zweimal begegnet. Das erste Mal auf der Station der Küstenwache an dem Tag, als Arthurs Flugzeug über dem Lake Superior als vermißt gemeldet wurde. Ich erinnere mich nicht, was gesprochen wurde. Wir standen beide unter zu großer Schockwirkung wegen des schrecklichen Geschehens. Natürlich erkannte ich sie von ihren Fotos. Das zweite Mal war voriges Jahr auf dem Nachlaßgericht. Daniel und ich befanden uns im Zimmer des Richters, um die Prozedur zu besprechen, die eingeleitet werden mußte, um Arthur für tot erklären zu lassen. Jack war auch dabei. Mein Sohn. Sie platzte unangemeldet herein und verlangte gehört zu werden. Faselte etwas von einem späteren Testament, in dem Arthur sie als Haupterbin eingesetzt habe. Als der Richter den Gerichtsdiener aufforderte, sie hinauszuführen, wurde sie hysterisch. Sie mußte buchstäblich hinausgetragen werden und stieß dabei Flüche und Verwünschungen aus.«
»Flüche und Verwünschungen?«
»Gegen mich, gegen den Richter, gegen all. Nicht wahr, Daniel?«
Clague nickte ernst. »Eine übergeschnappte junge Dame. Ein tragischer Fall.«
»Glauben Sie, es war irgendetwas dran an ihren Behauptungen?«
»Reine Effekthascherei!« rief der Anwalt aus.
»Wie bitte?«
»Effekthascherei.«
»Vielen Dank. Ich glaubte, nicht richtig verstanden zu haben.«
»So ein Testament existiert nicht«, fuhr er fort. »Ich war siebzehn Jahre lang Arthurs Anwalt. Hätte es so ein Dokument gegeben, wäre mir das bekannt gewesen, weil ich es aufgesetzt hätte. Nicht ohne vorher versucht zu haben, ihn von einem so aberwitzigen Plan abzubringen, selbstverständlich.«
»Haben Anwälte gewöhnlich Anwälte?«
Er verzog das Gesicht zu einer Miene, die er vermutlich für ironisch hielt. »Natürlich. Ein Chirurg schneidet sich auch nicht seinen eigenen Blinddarm heraus.«
»Es sei denn, er hat mit dem Blauen Kreuz zu tun«, riskierte ich einen Kalauer.
»Wenn Sie meine Fähigkeiten bezweifeln, verweise ich Sie an die Firma Burlingame und Briggs in Toledo, Ohia. Ich war dort acht Jahre lang Syndikus, bevor ich für Richter DeLancey zu arbeiten anfing.«
»Ich war nur neugierig.« Ich wandte mich wieder an die Frau. »Was genau hat Miss Whiting gesagt, als sie aus dem Richterzimmer hinausgetragen wurde?«
»Leola«, warnte Clague. »Ich rate dir, nicht darauf zu antworten.«
»Schon gut.« Ihr Gesicht war eine getünchte Maske. »Sie beschuldigte mich, Arthurs Tod arrangiert zu haben.«
Auf der Suche nach meinem Notizbuch hatte ich meine Taschen abgetastet. Jetzt hielt ich damit inne. Ich glaubte kaum, daß ich Schwierigkeiten haben würde, mich an dieses Gespräch zu erinnern.
Sie lächelte ihr angestrengtes Lächeln, das, wie ich allmählich begriff, in keiner Weise mit ihren wahren Empfindungen zu tun hatte. »Ihre nächste Frage wird sein, ob irgendein Grund für diese Unterstellung bestand. Nein. Bei Ihrer Art von Tätigkeit, Mr. Walker, werden Sie vermutlich oft genug gelangweilten Hausfrauen begegnen, denen ihre Männer gleichgültig geworden sind. Geldgierige Weiber, die vielleicht von Anfang an nur auf Versorgung aus waren. Eifersüchtige Furien, die lieber töten würden, als die Demütigung zu ertragen, verlassen zu werden. Ich gehöre zu keiner dieser Kategorien. Ich habe meinen Mann sehr geliebt. Und merkwürdig genug, ich glaube auch er hat nicht aufgehört, mich zu lieben. Er fand etwas bei dieser Whiting, was ich ihm nicht zu geben vermochte, aber er bewahrte sich seine Zuneigung für mich. Ich kenne die Qual, die er durchlitt, als seine Affäre mit dieser Frau öffentlich bekannt wurde und unsere Ehe in den Augen der Welt nur noch als Farce galt. Er machte sich meinetwegen Gedanken, sorgte sich um meinen Seelenfrieden. Ich hätte jedes Recht gehabt, ihn zu verlassen. Aber wie Sie sich erinnern werden, tat ich es nicht.«
»Ich erinnere mich.« Die Frage, warum sie nicht bereit gewesen war sich scheiden zu lassen, auch nicht als er sie darum gebeten hatte, war Anlaß unzähliger Spekulationen gewesen.
»Es hatte nichts mit seinem Geld zu tun, wie die Zeitungen andeuteten. Unter den obwaltenden Umständen wäre meine finanzielle Abfindung fürstlich gewesen. Wenn ich es recht bedenke, bezweifle ich sogar, daß ich verurteilt worden wäre, wenn ich ihn tatsächlich ermordet hätte, so viel öffentliche Sympathie wurde der Frau entgegengebracht, der ›seit Desdemona das schlimmste Unrecht zugefügt worden ist‹. Das sind die Worte der Zeitung, nicht meine. Ganz gewiß wäre ich leicht davongekommen. Aber ich konnte den Gedanken an ein Leben ohne ihn nicht ertragen.« Sie schwieg einen Augenblick, bevor sie weitersprach.
»Ich möchte nicht behaupten, daß ich mich mit Gleichmut in die Situation fand. Von der Affäre hatte ich schon ziemlich zu Anfang erfahren. Sie haben keine Ahnung, Mr. Walker, mit welcher Wonne manche Freundinnen und Freunde einer Ehefrau die Seitensprünge ihres Mannes zutragen. Ich reagierte mit den üblichen Drohungen, ich würde ihn verlassen und mich scheiden lassen, was er zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht zu akzeptieren bereit war. Ich merkte aber, wie tief ihn meine Reaktion schmerzte. Er war ein Mann im Zwiespalt zwischen seiner Lust und seiner Loyalität gegenüber seiner Frau. Deshalb tat er mir leid. Vielleicht ist das der wahre Grund, warum ich geblieben bin, und ich verwechsle das nur mit Liebe. Nach dieser ganzen Zeit bin ich nicht mehr in der Lage zu sagen, was es war, Liebe oder Zuneigung. Aber ich habe ihn nie gehaßt und nie das Bedürfnis gehabt, ihn umzubringen.«
»Was brachten Sie Janet Whiting für Gefühle entgegen?«
Daniel Clague straffte sich mit einem langen, zischenden Einatmen, als pumpe er sich auf. »Ich muß Sie vor der Leichtfertigkeit warnen, Mr. Walker, eine Dame von untadeligem Ruf Mrs. DeLanceys in ihrem eigenen Haus und noch dazu vor Zeugen zu diffamieren.«
»Und ich muß dich warnen, Daniel, daß dein Hemd platzen wird, wenn du dich noch weiter aufplusterst.« In den Augen seiner Klientin zeigte sich ein belustigtes Funkeln. »Hör auf, wie ein Jurist zu reden und laß diesen Mann seine Arbeit erledigen.«
»Wirklich, Leola, ich kann nicht ganz begreifen, warum du mich hierhaben wolltest, wenn du doch nicht auf meinen Rat hörst.« Wenn er ärgerlich war, sahen seine Wangen weniger teigig aus.
»Darf ich dich erinnern, daß du selbst auf deiner Anwesenheit bestanden hast.« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder mir zu. »Was ich Janet Whiting für Gefühle entgegenbrachte? Gar keine. Oh, anfangs war ich neugierig auf sie – das ist wohl natürlich –, aber nachdem ich erst einmal alles rausbekommrn hatte, was zu wissen war, reagierte ich völlig gleichgültig. Sie war eine farblose Person, die ein mieses Leben lebte, ohne Ambitionen und irgendwelche höhere Ziele, nur mit dem Wunsch, einen törichten alten Mann mit Geld an die Angel zu kriegen. Und das, Mr. Walker, ist so ziemlich das langweiligste, was man sich denken kann.«
»Wie fanden Sie alles heraus, was zu wissen war?«
»Ausgerechnet Sie sollten sich das eigentlich denken können.« Sie sah noch immer amüsiert aus. »Ich beauftragte eine Detektei.«
In meinem Hinterkopf schlug eine Alarmglocke an. »Welche?«
»An den Namen erinnere ich mich nicht mehr. Das liegt schon so lange zurück. Ein ziemlich großes Unternehmen mit Hauptsitz in Lansing. Es wurde mir empfohlen.«
»Reliance?«
»Genau. Wie haben Sie das erraten?«
»Reiner Zufall. Gestern ist mir gerade einer der Reliance-Leute über den Weg gelaufen. Er sagte, die Agentur habe den Auftrag, Phil Montana zu überwachen.«
»Das ist interessant. Aber eigentlich kein so erstaunliches Zusammentreffen, nicht wahr? Die Agentur ist sehr groß. Sie muß Hunderte von Klienten haben.«
»Sie haben wahrscheinlich recht.« Ich verfolgte das nicht weiter. »Können Sie mir sagen, was den Bruch zwischen Montana und Ihrem Mann bewirkt hat?«
Mrs. DeLancey bemerkte, daß sich Carmen noch immer in dem Raum zu schaffen machte, und schickte sie hinaus. Nachdem das Mädchen den Gang hinunter verschwunden war, sagte sie:
»Ich weiß nicht, was zu dem Zerwürfnis geführt hat. Konnten Sie es nicht von Phil erfahren?«
»Er sagte, es sei wegen eines schlechten Rates gewesen, den ihm Richter DeLancey gegeben hat. Ich habe nicht weiter gebohrt, weil ich es nicht für so wichtig hielt.«
»Und jetzt halten Sie es für wichtig?«
»Ich weiß nicht. Im Augenblick bin ich an einem Punkt angekommen, wo ich alles zusammenfege, was ich erwischen kann, um es später auszusortieren. Vielleicht weiß Mr. Clague Genaueres.« Ich sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.
Clague schüttelte bedächtig den Kopf. Alles, was er tat, geschah bedächtig. »Arthur hat mir nie etwas anvertraut, was über Rechtsfragen hinausging. Das lag in der Natur unserer Beziehung.«
Ich nickte ebenfalls bedächtig. Jetzt hatte er mich schon angesteckt. »Hat er ein beträchtliches Erbe hinterlassen?«
Sie lachte, bevor Clague eine Chance hatte, sich wieder aufzublasen. Diesmal war aber nicht die Spur von Belustigung dabei. »Bis auf einen Treuhandfonds und dieses Haus«, antwortete sie, »könnten Sie alles in einem Eierbecher unterbringen. Das übrige hat das Finanzamt geschluckt. Es scheint, daß Arthur nicht die Angewohnheit hatte, sein tatsächliches Einkommen zu versteuern. Es wäre noch schlimmer gewesen, hätte er nicht kurz vor seinem Tod durch falsche Investitionen einen größeren Verlust erlitten. So wie die Dinge liegen, zahlen wir noch immer an den Schulden und der Geldstrafe, und das wird auch noch weitergehen, wenn ich schon unter der Erde liege.«
Ich erinnerte mich, davon gelesen zu haben. Das Flugzeugunglück hatte die Meldungen dann schnell aus den Schlagzeilen verdrängt.
»Wir?« fragte ich.
»Mein Sohn Jack und ich. Jack Billings. Das einzig Gute, das aus einer ersten, kurzen Ehe herausgekommen ist, als ich noch Studentin war. Er ist auch der Grund, warum ich dieses Haus nicht habe umgestalten lassen. Jack ist ein genauso begeisterter Liebhaber des Wilden Westens wie es Arthur war. Ich persönlich ziehe den modernen skandinavischen Stil vor. Aber wir sind eben alle Sklaven unserer Kinder.«
»Etwas ist mir noch unklar«, sagte ich. »Wenn zu erwarten war, daß der Nachlaß beschlagnahmt werden würde, warum war Janet Whiting dann so erpicht darauf zu beweisen, daß ein anderes Testament existierte, das ihr den überwiegenden Teil zusprach?«
»Das habe ich ihr, um sie zu beruhigen, schon an jenem Tag auf dem Nachlaßgericht auseinandergesetzt. Sie erklärte, es ginge ihr nicht um das Geld, sondern um die Tatsache, daß Arthur es ihr zugedacht habe. Der letzte Wille eines Menschen müsse respektiert werden, auch wenn finanziell nichts dabei herauskommt.«
»Haben Sie ihr geglaubt?«
»Hätten Sie das getan? Vergessen Sie nicht den Fonds und dieses Haus. Für ein kleines Nuttchen, das den größten Teil seines Lebens in billigen Hotelzimmern verbracht hat, lohnte schon das die Anstrengung.«
Ich nickte wieder, etwas apathisch. Seit meiner letzten Zigarette schien ein Jahr vergangen zu sein. »Und Miss Whiting hat Sie seit dieser Begegnung auf dem Nachlaß-Gericht nicht wieder zu erreichen versucht?«
»Das hat Ihnen Mrs. DeLancey doch bereits gesagt, Walker.« Der Ton des Anwalts enthielt jetzt eine gewisse Schärfe.
»Nicht genau, Herr Verteidiger.« Am liebsten hätte ich mir mit einem Hämmerchen Gehör verschafft. »Sie sagte, sie habe Miss Whiting vor einem Jahr zuletzt gesehen. Das ist nicht dasselbe.«
»Einspruch abgelehnt.« Sie lächelte wieder mit dem ganzen Charme eines Eisschranks. »So viel ich weiß, Mr. Walker, hat sie nach dieser Konfrontation zu existieren aufgehört.«
»Nur noch eine Frage«, sagte ich.
»Das möchte ich stark hoffen«, fauchte Clague.
Ich ignorierte ihn. »Lee Collins, der Pilot, der mit Ihrem Mann und dessen Assistenten umgekommen ist. Können Sie mir etwas über ihn sagen?«
Sie krauste überrascht die Stirn. »Lee Collins. Es tut mir leid, aber dieser Name sagt mir gar nichts. Ich fürchte, ich bin eines von diesen Luxusgeschöpfen gewesen, die sich nicht um die Geschäfte ihrer Ehemänner kümmern. Es hat mich ziemlich viel Mühe gekostet, sie weiterzuführen, nachdem Arthur nicht mehr da war. Ich muß Daniel dankbar sein, Ordnung in das Chaos gebracht zu haben.«
»Darauf möchte ich wetten.«
»Was soll das heißen?« fuhr der Anwalt hoch.
»Gar nichts.« Ich stand auf. »Weiter fällt mir nichts ein. Es sei denn, Sie könnten etwas Licht in den Mordfall Bingo Jefferson bringen. Oder in den Mordfall Krim. Ich nehme an, daß Sie inzwischen auch davon gehört haben werden.«
»So weit ich verstanden habe, verneint die Polizei, daß zwischen beiden Morden irgendeine Verbindung besteht«, sagte Clague.
»Es gibt kein Gesetz, das einen Polizeibeamten dazu zwingt, die Wahrheit zu sprechen, Mr. Clague. Oder begebe ich mich damit auf Ihr Fachgebiet?«
Seine verwaschenen Augen zogen sich hinter dem dicken Brillengestell zusammen. »Sie sind ein Mann, der sich offenbar gern unbeliebt macht, Mr. Walker.«
»Der Gedanke daran läßt mich nachts nicht schlafen.« Ich schaute hinunter auf Mrs. DeLancey. »Falls Sie die Informationen noch haben, die Reliance über Janet Whiting zusammengetragen hat, würde ich sie mir gern ausleihen.«
»Ich habe sie nach Arthurs Tod verbrannt. Ich dachte nicht, daß sie noch einmal von Nutzen sein könnten. Tut mir leid.«
»Nicht so schlimm. Sie waren eine große Hilfe. Und vielen Dank für die Gastfreundschaft. So etwas erlebe ich nicht oft in meinem Beruf.«
»Ich auch nicht.« Sie hob eine Hand. »Auf Wiedersehen. Ich hoffe, Sie finden, wonach Sie auf der Suche sind.«
»Das wünsche ich Ihnen auch.«