Prolog

Ein Mann, ein Traum

New York, 1867. Es war tollkühn. Unfassbar. Auf jeden Fall beinahe wahnsinnig. Größenwahnsinnig. Eine Brücke über den East River, eine Brücke, die Brooklyn und Manhattan verbinden sollte. Eine Hängebrücke, eine Brücke ohne Zwischenpfeiler, um den Schiffsverkehr nicht zu behindern. Die größte der Welt. So etwas hatte es noch nie gegeben. Würde es auch nie geben, da waren sich die Skeptiker einig. Die Zeitungsjungs, die Newsboys, schrien sich die Kehlen heiser. Millionen von Dollar würde die Brücke verschlingen, hieß es. Millionen, während ein einfacher Arbeiter in der Woche nur 20 Dollar verdiente. Hunderte, wenn nicht gar Tausende, würden dank dieser Brücke Arbeit finden. Aus allen Teilen der Vereinigten Staaten würden sie kommen. Iren, Deutsche, Italiener, Polen, Russen, Franzosen, Dänen, Holländer, Chinesen. Stahlwerke im ganzen Land würden Stahl kochen, Schraubenfabriken würden Nachtschichten einlegen, Draht- und Seilwerke ebenso. Die größte Baustelle Amerikas. Die fortschrittlichste Baustelle Amerikas. Das tollkühnste Bauwerk im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

Wer war der Mann, der diesen wahnwitzigen Plan gefasst hatte? War er verrückt? Ein Träumer? Ein Visionär gar? Was hatte er vorzuweisen, dass doch so viele an ihn glauben wollten?

Der Mann, der diese 1834 m lange und 25,91 m breite Brücke bauen wollte, hieß Johann August Roebling. Und er war kein Träumer. Im Gegenteil. In seinen mittlerweile 61 Lebensjahren hatte er gelernt, was möglich war und was nicht. Er ging an Grenzen. Immer. Bei seinem Tempo konnte längst nicht jeder mithalten. Er war Ingenieur, Brückenbauer, Seilwerksbesitzer, und er hatte schon etliche Brücken gebaut. Auch Hängebrücken. Er wusste, dass es ging. Dass es gehen konnte. Die Zeitungen machten ihn lächerlich, nannten ihn einen Schwindler und Scharlatan, die Leute, denen er in den Straßen von New York begegnete, zeigten ihm einen Vogel, tuschelten hinter seinem Rücken oder lachten ihm gar ins Gesicht. Aber er wusste, dass er es schaffen konnte. Alles, was er für seine Brücke brauchte, war Geld. Für den Anfang mussten fünf Millionen Dollar reichen. Die Stadt New York City gab ihm eineinhalb Millionen, Brooklyn drei Millionen. Der Rest wurde von privaten Investoren bereitgestellt. Es konnte klappen. Es musste klappen. Er hatte Helfer. Die besten, die sich denken ließen. Sein Sohn Washington würde einmal ein ebenso guter Brückenbauer werden, wie er selbst es war. Und dann war da noch Emily, die Schwiegertochter. Noch nie hatte er eine Frau getroffen, die mit einem so großen Verständnis für Mathematik, Statik und allem, was es sonst noch über den Brückenbau zu wissen gab, gesegnet war. Wenn ihm etwas passierte, würden Emily und Washington tun, was getan werden musste. Und wenn alle Stricke rissen, nun, vielleicht würde Emily es sogar allein schaffen: eine Brücke bauen. Keiner Frau auf der Welt traute er so etwas zu. Keiner Frau – außer Emily.