Zweites Kapitel

Sechs Wochen waren bereits auf dem Meer vergangen. Die meisten Passagiere der «Vineta» hatten die Seekrankheit überstanden, und Annett hatte in diesen Wochen mehr erlebt, als sie sich je vorgestellt hatte. Es hatte eine Messerstecherei und mehrere Schlägereien auf dem Zwischendeck gegeben, der alte Mann im Stockbett neben ihr war gestorben und über Bord geworfen worden, Kinder waren erkrankt und wieder gesundet, Koffer und Proviant waren gestohlen worden, und alle Tage waren Flüche und Drohungen durch das Deck geflogen. Die Männer begannen sich zu langweilen. Sie spielten Karten oder Würfel, gerieten in Streit und einander in die Haare, die Weiber keiften und zeterten, die Scham verlor sich von Tag zu Tag mehr. Halbnackte Frauen verrichteten ihre Geschäfte vor aller Augen auf dem Eimer, Männer, die es nicht mehr auf das Oberdeck schafften, erleichterten sich zwischen den Stockbetten. Am schlimmsten aber trieb es der Grobian vom ersten Tag mit seiner Frau. Er riss an ihren Haaren und schlug sie, wann immer er sie sah. Es war gleichgültig, was die arme Frau tat. In der Nacht dann, wenn ein wenig Ruhe auf dem Deck eingekehrt war, legte er sich zu ihr, riss ihr die Arme über den Kopf und nahm sie, obwohl sie weinte und immer wieder flehte, er solle doch das Kind in ihrem Leib schonen. Annett hielt es nicht lange dort unten aus. Wann immer es ging, begab sie sich auf das Oberdeck, stand, in eine Decke gehüllt, an der Reling und sah auf das Wasser. Manchmal gesellte sich Gottwitha zu ihr. Dann betrachteten sie Wolken und Wellen gemeinsam. Manchmal unterhielten sie sich ein wenig.

«Warum gehen Sie nach Amerika?», wollte Gottwitha eines Tages wissen. «Müssen Sie sich auch dort verheiraten?»

Annett lachte. «Verheiraten? Oh, nein. Ich werde nicht heiraten. Ich möchte lernen. Viel lernen. Am liebsten würde ich studieren. Mathematik und Ingenieurwesen. In Deutschland geht das nicht, aber vielleicht in Amerika.»

Gottwitha wich erschrocken zurück. «Studieren? Warum in aller Welt wollen Sie das tun?» Sie klang so verblüfft, als hätte Annett gestanden, sie wolle ein Bordell eröffnen.

«Ich mag Zahlen. Und ich möchte so frei leben, wie es nur in Amerika möglich ist. Es gibt dort viele Frauen, die in Büros arbeiten, sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Da ist niemand, der ihnen sagt, was sie tun und lassen sollen. Sie können frei entscheiden, wie sie leben möchten. Na ja, zumindest freier als in Deutschland.»

«Und das wollen Sie auch?» Gottwithas Augen waren weit aufgerissen.

«Natürlich», erwiderte Annett. «Ich bin nicht dümmer als die meisten Männer. Haben Sie nie daran gedacht, ein freies Leben zu führen?»

«Ein freies Leben?» Gottwitha schüttelte den Kopf. «Aber in der Schrift steht doch …»

«Halt!» Annett hob die Hand. «Wozu brauchen Sie andauernd die Schrift, wenn Sie doch einen eigenen Kopf zum Denken haben? Und wo in der Schrift steht geschrieben, dass eine Frau nicht selbst denken darf?»

Gottwitha blickte Annett fassungslos an. Das, was sie gesagt hatte, war so ungeheuerlich, dass es Gottwitha die Sprache verschlug. Sie schluckte und schluckte, und doch übten Annetts Worte eine seltsame Faszination auf sie aus. «Eine Frau sollte allein leben wollen? Aber wie wird sie dann Kinder kriegen?»

«Muss sie denn welche haben, um glücklich zu sein?» Annett wartete Gottwithas Antwort nicht ab. «Außerdem ist ja vielleicht beides möglich: ein selbstbestimmtes Leben und eine Familie.»

Jetzt lachte Gottwitha. «Da täuschen Sie sich. Es gibt kein selbstbestimmtes Leben in einer Familie. Eine Ehefrau und Mutter hat gewisse Pflichten, die sie erfüllen muss. Da ist keine Zeit für Selbstbestimmung. Außerdem, was sollte ihr das bringen, diese Selbstbestimmung?»

«Sie kann ihre Träume verwirklichen.»

Gottwitha schüttelte den Kopf. «Eine Frau träumt von einem Mann und von Kindern.»

«Nicht jede.»

«Das mag sein. Aber diese anderen, die sind verrückt. Sie sind tugendlos, halten sich nicht an die Gesetze der Natur und der Schrift.»

Gottwitha fühlte sich nun in sicherem Fahrwasser. «Für Frauen gibt es kein eigenes Leben. Das ist vorherbestimmt. Was sollten Frauen auch sonst tun? Eine Farm leiten? Oder was?»

Annett blickte Gottwitha traurig an. «Es mag sein, dass das, was Sie sagen, für die meisten Frauen gilt. Aber für mich gilt es nicht.»

Jetzt erschrak Gottwitha. «Sie sind stolz und hochmütig. Sie dünken sich mehr und besser als andere. Das ist eine große Sünde.» Sie hob sogar den Zeigefinger. Aber noch ehe Annett antworten konnte, kam die geschlagene Frau auf das Oberdeck. Sie wankte ein wenig, hielt mit den Händen ihren Bauch. Ihr linkes Auge war zugeschwollen, die Lippen spröde und rissig. Mit Mühe erreichte sie die Reling, hielt sich daran fest, schwankte und wankte dabei noch immer. Annett eilte zu ihr, fasste leicht ihren Ellenbogen. «Kann ich Ihnen helfen?» Die Frau sah sie an, und ihr Blick war so leer wie ein trockener Brunnen. Sie schüttelte leicht den Kopf, seufzte und blickte auf das Wasser, ehe sie sagte: «Mir ist ein wenig übel. Wahrscheinlich die Schwangerschaft. Ich muss nur ein bisschen frische Luft schnappen, dann geht es mir gleich besser.»

Sie atmete tief ein und aus, und Annett schien es, als nähmen ihre Wangen ein wenig Farbe an. Doch schon wurde die Klappe zum Deck erneut aufgestoßen, und der Grobian erschien. Sein Gesicht war rot vor Wut, die Augen blitzten, und Speichel stand in seinen Mundwinkeln. «Du elendes Aas», brüllte er. «Ich habe dir gesagt, dass ich Hunger habe. Und was machst du? Gehst auf dem Deck spazieren. Komm her, damit ich dir eine runterhauen kann. Und dann koche etwas für mich!»

Annett drehte sich um. «Sie werden Ihre Frau nicht anrühren», erklärte sie streng. «Ihr ist ein wenig unwohl. Wie das so ist, wenn eine Frau schwanger ist. Sie sollten sie schonen.» Aber die Frau riss sich von Annett los, duckte die Schultern und ging zurück zu ihrem Mann, der auf der Stelle ihren Arm packte und ihr rechts und links ein paar Maulschellen gab, dass der Kopf der armen Frau hin und her flog. Dann war wieder Ruhe auf dem Deck.

Gottwitha klammerte sich an die Reling. Ihr Gesicht war bleich, die Bänder ihrer Haube flatterten im Wind.

«Da sehen Sie es!», rief Annett erzürnt. «Diese Frau ist die Magd ihres Mannes. Kann das richtig sein? Er wird ihr noch das Kind aus dem Leib prügeln, wenn er so weitermacht.»

Sie war so empört, dass sie den Kopf schüttelte und mit schnellen Schritten das Deck überquerte, als könnte ihr die Bewegung helfen, den Ärger zu verdauen.

In der Nacht wachte sie auf, weil Gottwitha, die es sich zur Angewohnheit gemacht hatte, bei Annett im Bett zu schlafen, an ihrem Arm zupfte. «Hören Sie das?», fragte sie leise.

«Was denn?», fragte Annett zurück.

«Sie weint. Sie schluchzt ganz gottserbärmlich.»

«Die Schwangere?»

«Ja.»

«Was ist passiert?»

«Er hat mit ihr … hat sie …»

«Er hat sie wieder einmal vergewaltigt?»

Gottwitha schluchzte und nickte. «Und dann hat sie sich übergeben müssen. Daraufhin hat er sie gepackt und ihren Kopf so lange in das Wasserfass gesteckt, dass sie beinahe ertrunken wäre.»

Annett richtete sich auf. «Wo ist er jetzt?»

«Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich gibt es hier irgendwo noch eine Würfelrunde.»

Annett stand auf, begab sich barfuß zur Liegestatt der schwangeren Frau. «Wie geht es Ihnen?», fragte sie.

«Mir ist so übel», erwiderte die Frau und übergab sich erneut. Danach sah sie sich entsetzt um. «Ist er hier irgendwo?»

«Nein, Ihr Mann ist nicht in der Nähe.» Annett strich der Frau beruhigend über den Rücken. Die Frau aber schien Annetts Hand gar nicht zu spüren. Sie beugte sich nach vorn und – Annett traute ihren Augen kaum – schaufelte das Erbrochene mit beiden Händen hastig unter das Bett, beschmierte sich die Finger, die Handgelenke, wischte sich dann über das Gesicht, doch sie hörte nicht auf.

Annett griff nach ihren Unterarmen und hielt sie fest. «Um Gottes willen, was machen Sie da?»

«Er bringt mich um, hat er gesagt, wenn ich noch einmal das Bett beschmutze.» Die Frau blickte gehetzt den Gang entlang und schaufelte dabei weiter mit den Händen das stinkende Erbrochene unter die Liegestatt.

«Hören Sie auf!» Annett herrschte die Frau regelrecht an. «Hören Sie auf damit, Sie sind doch kein Tier.»

Die Frau hielt kurz inne, blickte auf und fragte: «Bin ich das nicht?» Da hielt es Annett nicht länger aus. Sie riss die Frau von ihrer Bettstatt, legte ihr das eigene Umschlagtuch um die Schultern und zog sie zu ihrer Liege. Mit einem Taschentuch wischte sie der Frau das Gesicht und die Hände sauber, aber schon wieder würgte die Schwangere.

«Kommen Sie, helfen Sie mir. Wir müssen sie an die frische Luft bringen.» Annett deutete auf Gottwitha. Die gehorchte, sprang von ihrem Bett, stützte die Schwangere auf der linken Seite, während Annett sie auf der rechten Seite stützte.

An Deck holte sie tief Luft, strich ihr Haar glatt und seufzte. «Danke, es geht schon», erklärte sie ihren beiden Helferinnen. «Ich kann gut allein hierbleiben. Nur noch für ein paar Minuten.»

Sie hielt sich an der Reling fest, sog die Luft in tiefen Zügen ein, doch dabei liefen ihr die Tränen über die Wangen. «Ich lasse Sie jetzt nicht allein», stellte Annett fest und strich der Frau behutsam über den Rücken. Ihr Blick war so voller Mitleid, dass die Frau sich darunter regelrecht krümmte. «Er ist sonst nicht so», versuchte sie zu erklären. «Er hat es schwergehabt. In Amerika wird alles besser, das weiß ich.»

Gottwitha nickte, während Annett zitternd vor Kälte danebenstand und ungläubig den Mund verzog.

«Wie heißen Sie? Und was haben Sie vor in Amerika?», fragte sie.

Die Schwangere lächelte nicht. Ihre Augen blieben stumpf und leer. «Ich bin Susanne. Mein Mann, er will nach Westen gehen. Er hat von den Goldgräbern gehört. Wenn man Glück hat, dann schürft man an einem Tag Goldstaub im Werte von 100 Dollar. Das hat er gesagt. Und er muss es wissen. Sein Bruder ist schon in Amerika. Er hat es ihm geschrieben.»

Natürlich hatte auch Annett von den mächtigen Goldfunden gehört. Sie wusste, dass sich Tausende auf den Weg in den Westen gemacht hatten, um dort ihr Glück zu finden. «Der Weg von New York bis in den Westen ist lang und gefährlich», sagte sie. «Und das Leben in den Goldgräberlagern rau.»

Die Schwangere winkte mit der Hand ab. «Alles wird besser sein als das, was wir in Deutschland hatten.»

Susanne blickte über das Meer und dachte an die Heimat zurück, der sie wahrhaftig keine Träne nachweinte. Sie dachte an ihr Elternhaus, das mehr einer windschiefen Hütte glich. Ihr Vater war Bäcker, und sie lebten mitten in einem winzigen Weiler. Jeden Tag stand Susanne vor Tau und Tag auf, rührte die Brotteige an und schob die Laibe in den Ofen. Später verkaufte sie das Brot, reinigte die Backstube und trug sogar die Waren aus, doch Geld war niemals im Hause. Der Vater vertrank alles, was sie bekamen, und Susanne musste öfter ein wenig Geld verstecken, damit es wenigstens für ein paar Säcke Mehl aus der Mühle reichte. Die Mutter, die jüngere Schwester und sie ernährten sich oft von dem, was der Wald hergab. Brot aßen sie nur, wenn es bereits verdorben war, an den süßen Kuchen durften sie höchstens riechen. Sie sammelten Pilze und Kräuter, brannten aus Eicheln ein dunkles Getränk. Susanne selbst konnte sehr gut mit einem Katapult umgehen. Sie schoss Hasen und Eichhörnchen, zog ihnen das Fell ab und briet sie über der Feuerstelle. Manchmal fing sie auch ein paar Bachforellen. Damals, im Weiler, als Tochter des versoffenen Bäckers, da hatte sie vor nichts Angst gehabt, war selbst in der schwärzesten Nacht auf Jagd gegangen. Im Sommer war das Leben im Wald einigermaßen angenehm. Aber im Winter, wenn es nicht richtig hell wurde und die Nadelbäume voller Schnee hingen, da saßen sie im Dunkeln beisammen und schwiegen, weil das Geld nicht einmal für ein paar stinkende Talglichter reichte. Sie schwiegen auch, weil es nichts zu sagen gab. Sie wussten nichts von der Welt, hatten weder Träume noch Wünsche. Wozu sich also unterhalten? Eines Tages fand der Vater, dass er es leid sei, Susannes Mund zu stopfen, und vergaß dabei ganz, dass sie es war, die das meiste Essen zur kläglichen Tafel beitrug. Er nahm sie mit in das Dorf und übergab sie einem armen Knecht. Der Knecht war roh und verbittert. Verbittert darüber, dass er als zweiter Sohn eines Bauern mit kleinem Hof geboren war, nichts von diesem Segen abbekommen hatte und sich als Knecht verdingen musste. Er nahm Susanne und schlug sie, wann immer ihm der Sinn danach stand. Er schlug sie, weil die Sonne schien oder weil es regnete. Er schlug sie, weil Montag war oder Sonntag, er schlug all seinen Ärger in den zarten Rücken der jungen Frau. Und in der Nacht tat er mit ihr, was er wollte. Oft blutete Susanne, doch sie wehrte sich nie, weil auch die Mutter sich nie gegen den Vater gewehrt hatte. Und dann beschloss der Knecht, dass er in Amerika sein Glück machen würde. Und Susanne, inzwischen schwanger, schnürte die wenigen Sachen in ein Bündel und betete, dass in Amerika alles besser werden würde. Doch nun stand sie hier, war zerschlagen am ganzen Leib, hatte kaum noch die Kraft, das Leben in ihr zu schützen, und sie wusste, dass nichts besser werden würde. Früher, im Wald, da war sie stolz und frei gewesen, jetzt aber war sie gebrochen und ängstlich. Sie verbot es sich, an ihre Zeit im Weiler zurückzudenken, weil sie fürchtete, ihr jetziges Leben nicht mehr auszuhalten. Am Anfang ihrer Ehe hatte Susanne sich öfter überlegt, einmal zurückzuschlagen, jetzt hoffte sie nur noch, dass der Ihre sie nicht totschlug. Sie und das Kind in ihrem Leib.

«Ist Ihnen nicht kalt? Wollen wir wieder unter Deck gehen?», fragte Annett. Doch Susanne schüttelte den Kopf. «Ich wäre gern ein wenig allein hier», sagte sie und drängte Annett beinah von ihrer Seite. Sie hatte einen Entschluss gefasst. Gerade eben in diesem Augenblick. Und sie hatte gemerkt, dass sie sich eigentlich schon seit Monaten mit dem Gedanken trug, ihrem elenden Leben ein Ende zu bereiten. Es gab nichts, das sie auf der Welt hielt. Ihre Eltern und die Schwester waren weit fort, hatten sie wahrscheinlich schon vergessen. Das Kind in ihrem Leib hätte sie auf der Erde halten können, aber wenn sie daran dachte, welches Schicksal den Wurm erwartete, dann war sie noch fester entschlossen. Heute Abend würde es passieren. Heute Abend würde sie sich über die Reling stürzen, würde eintauchen in das schwarze Wasser, würde sich sinken lassen, immer weiter nach unten, und wäre bestimmt schon tot, bevor ihr Körper den Grund erreichte. Sie freute sich auf die Stille unter der dunklen Oberfläche, freute sich darauf, vom Meer in die Arme genommen und gewiegt zu werden. Sie würde sich an den Tod schmiegen, wenn er kam, würde sich ihm an die Brust werfen und dann alles vergessen können. Ihre Schmerzen hätten ein Ende, ihre Angst ebenso. Ja, Susanne freute sich auf den Tod. Alles war besser als auch nur ein weiterer Tag an der Seite ihres prügelnden Mannes. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie bereits spüren, wie das Wasser sie umschloss, sie schützte und niemals wieder hergab. Ein glückliches Lächeln blühte in ihrem Gesicht.

«Sie wollen wirklich allein sein?», fragte Annett. Und Susanne blickte sie an, legte ihr kurz eine Hand auf den Arm. «Ja, das möchte ich. Aber ich danke Ihnen für alles, was Sie für mich getan haben.»

Da nickte Annett, nahm Gottwitha beim Arm und tat einige Schritte, als die Klappe des Zwischendecks heftig aufschwang. Der Grobian stolperte heraus und schrie: «Du Drecksmensch, du elendes Aas, komm sofort zurück nach unten!»

Und Susanne drehte sich um, blickte ihrem Mann stolz und mit erhobenem Kopf entgegen und sagte mit fester Stimme: «Ich gehe nirgendwohin mit dir. Nicht mehr. Meinen letzten Weg werde ich alleine gehen.»

Der Wüterich taumelte auf sie zu, erwischte ihre Kehle mit der einen Hand, zog mit der anderen Hand an ihrem Haar, zischte dabei wie eine Schlange, die Augen traten ihm aus dem Kopf, das Haar sträubte sich. «Ich bringe dich um, du Sau!», rief er. «Ich werde dich lehren, mir zu widersprechen.» Und er ließ ihr Haar los, packte die zarte Kehle mit beiden Händen und drückte so fest zu, dass der leise Schrei Susannes erstickt wurde.

Gottwitha hielt Annett am Arm und zitterte wie Espenlaub. Sie standen links von der Luke zum Zwischendeck, sodass der Wüterich sie nicht gesehen hatte. «Er bringt sie um», flüsterte Gottwitha. «Wir müssen etwas tun, er bringt sie um.» Da riss sich Annett von Gottwitha los, stürzte zu dem Mann, sprang von hinten in seinen Rücken und trat ihm mit ihren Stiefelspitzen in die Seite. Der Mann ließ vor Schreck seine Frau los, griff sich an den Hals, den Annetts Arme fest umschlungen hielten. Dann holte er tief Luft, brüllte wie ein Bär und schleuderte Annett von sich, sodass sie hart auf die Planken schlug. Schwankend erhob er sich, stand mit dem Rücken zum Deck, wollte nach der Reling greifen, doch in diesem Augenblick kam Gottwitha herbei, stieß ihn so heftig gegen die Schultern, dass er haltlos taumelte. Und schon war Susanne, noch immer heftig keuchend, auf den Beinen, und auch Annett hatte sich hochgerappelt. Und die drei Frauen standen hinter dem Mann, drückten mit aller Kraft gegen seinen Körper, drückten seinen Leib über die Reling, sodass er aufschrie, die Arme nach oben riss und ins Wasser stürzte.

Nebeneinander standen sie da, schauten auf das schwarze Meer, doch der Mann, der Grobian, tauchte nicht mehr auf. Er war fort, verschwunden wie ein vorübergehender Spuk. Sprachlos standen die drei Frauen da, konnten den Blick nicht vom alles verschlingenden Meer lösen.

Sie sahen nicht, wie sich hinter ihnen ein Schatten regte, und hörten nicht, wie kurz darauf die Decksluke leise geöffnet und wieder geschlossen wurde. Sie wähnten sich allein mit dem Meer und dem von Sternen übersäten Himmel.