Zweiunddreißigstes Kapitel

«Du musst ins deutsche Viertel gehen, nach Germantown, dort findest du die Deutschen, die, die deine Sprache verstehen. Und ich wette, dort findest du auch Arbeit.» Das waren Danas Abschiedsworte gewesen. Nun stand Gottwitha in ebendiesem Viertel und sah sich um. Es war ordentlich. Fast so ordentlich wie ein amisches Dorf und kein Vergleich zu den Vierteln der ehemaligen Sklaven, durch die sie auf der Herfahrt gekommen waren. Die Fenster blinkten sauber gewienert, die Straßen waren gründlich gekehrt, die Kinder trugen saubere und sorgsam geflickte Sachen, die Männer hatten frischgestutzte Bärte, und die Frauen hielten ihre rosigen Gesichter in die Sonne. Gottwitha musste beinahe lächeln. Warum sind sie fortgegangen, wenn sie doch die Heimat nicht lassen können, dachte sie. Dann fasste sie sich ein Herz und trat auf die nächstbeste Tür zu. Hier betrachtete man sie von oben bis unten. Zuerst gelangweilt, dann interessiert. «Du suchst Arbeit, ja?»

«Ja. Genau. Deshalb bin ich hier. Ich kann kochen, backen, kann gut mit Kindern umgehen.»

«Lesen und Schreiben?»

Gottwitha nickte. Sie konnte nicht besonders gut lesen und schreiben, denn wann schon brauchte sie diese Fähigkeiten? Aber immerhin hatte sie es einmal gelernt.

«Woher kommst du?»

Gottwitha schluckte. «Aus Deutschlands Süden. Aus Württemberg.»

«Nein, woher kommst du jetzt?»

Sie strich ihr Kleid glatt, hatte befürchtet, man würde sie auf hundert Meter als die erkennen, die sie war, aber so war es anscheinend doch nicht. «Aus einem amischen Dorf. Lancaster County.»

Auf der Stelle wurde ihr die Tür vor der Nase zugeknallt, und Gottwitha verstand nicht, warum. Sie ging zum nächsten Haus, beantwortete fast die gleichen Fragen wie zuvor, nur auf die Frage, woher sie käme, ließ sie das Amische weg.

«Wie ist dein Name?», wurde sie weiter gefragt, und im Stillen seufzte sie auf, denn ihr schien, sie habe eine Hürde genommen, an der sie vorher gescheitert war.

«Gottwitha.»

«Gottwitha? Was ist das für ein Name?»

«Er … es ist ein christlicher Name. So wie Roswitha, nur statt Ros eben Gott.»

Wieder wurde ihr die Tür vor der Nase zugeknallt. Und wieder verstand sie es nicht, doch sie lernte dazu. Sie studierte die Namensschilder, die über den Läden hingen. «Lindeman’s Laundry», «Ebel’s Drugstore», «Eisenbletter’s Library» usw. – nirgendwo standen die Vornamen. Dann fielen ihr die Gefährtinnen der Schiffsreise ein: Susanne und Annett. Ihr wurde warm ums Herz, trotz der Angst und der Verzweiflung, die sie fühlte, und sie beschloss, sich Susett zu nennen, eine Mischung aus Annett und Susanne.

«Guten Tag, ich heiße Susett und möchte nach einer Arbeit fragen. Ich kann kochen, backen, putzen, nähen, Kinder versorgen und auch sonst alle Tätigkeiten ausführen, die in einem Haushalt anfallen.» Sie stieß die Worte so schnell hervor, als fürchte sie, mitten im Satz durch die zuschlagende Tür unterbrochen zu werden. Sie hatte die Hände ordentlich vor ihrem Schoß gefaltet und die Augen beim Sprechen gesenkt.

«Warum siehst du mich nicht an?» Die Stimme klang barsch. Gottwitha, also Susett, hob den Kopf. Vor ihr stand ein Mann, der ganz sicher nicht als Bediensteter hier arbeitete. Er war jung und sah wohlhabend aus. Groß, dichtes Haar, lange, buschige Koteletten, die einen schmalen Mund einrahmten. Aus ebenfalls schmalen, engstehenden Augen blickte er sie prüfend an, die langen Arme an den Seiten, die ebenfalls langen, schmalen Beine in gutes Tuch und gutes Leder gehüllt. «Ver… Verzeihung … ich dachte … wollte die Haushälterin sprechen.»

«Nun, das bin ich nicht. Sag noch einmal, was du kannst.»

«Ich kann kochen, backen, putzen, nähen und Kinder versorgen.»

«Woher kommst du, und wie heißt du?»

«Mein Name ist Susett Stolze.» Zum Glück dachte sie im letzten Augenblick daran, nicht ihren amischen Namen zu nennen, denn die Namen «Stoltzfuß» und «Yoder» waren unter den Amischen so verbreitet wie andernorts Müller und Schulze. «Ich komme ursprünglich aus Württemberg, habe zuletzt aber im Lancaster County gelebt und gearbeitet.»

«Gearbeitet? Als was?»

Gottwitha schluckte, rang einen Augenblick lang die Hände. So weit war sie bisher nie gekommen; sie wollte dem Mann auf gar keinen Fall eine falsche Antwort geben, aber lügen wollte sie eigentlich auch nicht.

«Ich habe einen Haushalt geführt.»

«Ah!» Der Mann beäugte sie aufmerksam von oben bis unten.

«Wie viel?», fragte er dann.

«Wie bitte?»

«Wie viel willst du verdienen? Was verlangst du pro Woche?»

Gottwitha hatte keine Ahnung. Nicht die geringste. Was sollte sie sagen? Bekam man einen Dollar oder zehn oder hundert für das, was sie vorhatte? Sie wusste es nicht.

«Es kommt darauf an», erklärte sie schließlich.

«Worauf?»

«Wie viele Leute in dem Haushalt versorgt werden müssen und ob Kost und Logis eingeschlossen sind.»

«Wir sind zu zweit. Meine Frau und ich. Es gibt noch ein Mädchen für die groben Arbeiten. Du könntest den gesamten Haushalt führen. Und eine Kammer für dich haben wir natürlich auch, schließlich kann es sein, dass wir dich am späten Abend oder gar in der Nacht noch brauchen.»

«Das wäre mir recht.» Gottwitha wusste noch immer nicht, was sie sagen sollte, schließlich sprach der Mann: «Ich zahle dir fünf Dollar die Woche, Kost und Logis sind dafür frei. Wenn du deine Sache gut machst, erhöhe ich deinen Lohn auf fünf Dollar fünfundzwanzig. Bist du damit einverstanden?»

Gottwitha nickte, nicht sicher, ob sie hier eine anständige und angemessen bezahlte Anstellung bekam, aber doch froh, erst einmal untergebracht zu sein.

«Du arbeitest an sechseinhalb Tagen die Woche. Ein halber Tag ist frei. Du kannst ihn am Sonntag nehmen, um in die Kirche zu gehen. Du bist doch protestantisch, oder?» Er kniff die Augen zusammen, und Gottwitha erkannte, dass ihm das wichtig war.

«Ja, ich bin protestantisch.» Das war nicht einmal eine Lüge, denn schließlich entstammten die Amischen der protestantischen Kirche, auch wenn sie jetzt nicht mehr dazugehörten.

«Gut, dann zeige ich dir dein Zimmer. Wo ist dein Gepäck?»

Sollte sie sagen, dass sie nichts bei sich hatte? Nur gerade das, was sie auf dem Leib trug? Würde er sie dann noch einstellen? «Meine Sachen habe ich bei einer Verwandten untergestellt. Ich bekomme sie am Ende der Woche.»

«Am Ende der Woche? Nun, ich schicke dir die Magd. Soll sie dir zeigen, wo du das Nötige findest, und dir geben, was du brauchst. Auch der gnädigen Frau soll sie dich vorstellen.»

Er schüttelte den Kopf, als könne er es nicht fassen, eigenhändig ein Dienstmädchen eingestellt zu haben. Es schien beinahe, als fürchte er deswegen um seine Männlichkeit. Er trat einen Schritt zurück und ließ sie eintreten, dann verschwand er in der Weite des Flures, und Gottwitha blieb allein zurück. Sie sah sich um, entdeckte, dass der rote Läufer an manchen Stellen verschmutzt war, dass die Türknäufe aus Messing matt waren und die Luft ein wenig abgestanden roch. Die Wohnung wirkte wahrhaftig so, als bräuchte sie dringend eine Haushälterin. Am liebsten hätte Gottwitha gleich mit der Arbeit begonnen. Es juckte sie richtig in den Fingern, Luft und Licht und Sauberkeit in die Düsternis zu bringen. Aber zunächst stand sie einfach nur da und wartete. Als eine Weile vergangen war, wurde ihr klar, dass der Hausherr, der noch nicht einmal seinen Namen preisgegeben hatte, von ihr erwartete, dass sie sich allein zurechtfand. Also betrachtete sie die Türknäufe noch einmal genau, und als sie den fand, der am abgegriffensten aussah, klopfte sie und öffnete die Tür. Und tatsächlich, sie landete in der Küche, in der eine unfassbar dicke Frau die frischgewaschene Wäsche aus einem Korb nahm und nach kaputten Stellen und fehlenden Knöpfen durchsah. Als Gottwitha eintrat, schrak sie zusammen. «Wer sind Sie denn?»

Gottwitha trat zu ihr, reichte ihr die Hand. «Ich bin die neue Haushälterin», sagte sie. «Und mein Name ist Gottwitha.» Ihr war klar geworden, dass es ihrem neuen Arbeitgeber wahrscheinlich vollkommen gleichgültig war, wie sie hieß. Es war sogar anzunehmen, dass er sich ihren Namen nicht merken wollte und sie einfach so nennen würde, wie es ihm gerade in den Sinn kam. Warum also sollte sie dann ihren Namen verleugnen?

«Aha.» Die dicke Frau besah sie von oben bis unten. «Und welcher Verbrecher hat dich hierhergeschickt?»

«Verbrecher? Wieso?»

Die dicke Frau schürzte die Lippen, dann wischte sie sich die Hand an der Schürze ab und sagte: «Mein Name ist Edda. Und wäre ich nicht schon seit der Geburt der gnädigen Frau bei ihr, so – dem Herrn sei es geklagt – wäre ich schon längst über alle sieben Berge.»

«Es gefällt Ihnen hier also nicht?» Gottwitha sah sich um, fand, dass auch die Küche einen gründlichen Putz vertragen könnte, war aber ansonsten zufrieden mit den Dingen, die sie alle am richtigen Platz fand. «Er ist wohl sehr anspruchsvoll, der Herr?»

«Ich wünschte, er wäre es», gab Edda enigmatisch zurück. «Aber jetzt werde ich dich erst einmal der gnädigen Frau vorstellen.»