Susanne war verzweifelt. Jetzt war sie in Amerika, in New York, und ersehnte nichts mehr als die Rückkehr in ihre Heimat. Aber die Heimat war verloren. Für immer. Sie konnte sich keine Schiffspassage kaufen, den nächsten Dampfer besteigen und zurückkehren in ihr altes Leben. Zum Ersten hatte sie das Geld für die Rückreise nicht. Und zum Zweiten hätte sie nicht gewusst, wohin in Deutschland. Ihre Eltern waren froh gewesen, ein Maul weniger stopfen zu müssen, und hatten sie freudig an den Erstbesten verschachert. An den Erstbesten. Susanne dachte nicht oft an ihren Mann. Sie verdrängte sogar meist erfolgreich jeden Gedanken an ihn. Denn wenn sie über seinen Tod grübelte, so musste sie sich der Tatsache stellen, dass sie eine Mörderin war. Sie war schuld an seinem Tod. Sie hatte Hand angelegt. Gut, nicht allein, aber die beiden anderen Frauen hatten ihr nur geholfen. Es war nicht so, dass Susanne nicht ab und zu davon geträumt hätte, wie es wäre, wenn ihr Mann plötzlich stürbe. Schließlich war sie kurz davor gewesen, ihrem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Doch in der Nacht auf dem Schiffsdeck, da war ein so unstillbarer Hass, eine so riesige Wut über sie gekommen, dass sie ihn mit Freude ins Meer gestoßen hatte. Und hinterher hatte sie eine ungeheure Erleichterung verspürt. Eine Erleichterung, die bis heute anhielt, aber zugleich von einer solch großen dunklen Schuld begleitet war, dass sie nicht wusste, ob und wie sie damit würde leben können. Sie strich mit der Hand über ihren gewölbten Bauch. In den letzten drei Monaten war das Kind gewachsen, war nun schon so groß, dass sie es nicht mehr unter ihren weiten Kleidern verbergen konnte. In diesem Zustand würde sie keine Anstellung finden. Wo sollte sie nur hin? Wo wohnen? Von was leben? Susanne hatte keine Ahnung. Am besten wäre es, dachte sie, wenn auch ich stürbe. Dann käme ich zusammen mit meinem Kind in den Himmel. Aber nein. Der Himmel war für sie verschlossen. Sie war schließlich eine Mörderin. Sie würde in die Hölle kommen. Wohin sonst? Und ihr Kind? Sie würde es alleinlassen müssen.
Sie wanderte durch die Straßen New Yorks, blicklos für all das Neue und Wunderbare hier. Sie hatte Hunger, hatte Durst und war unsagbar müde, aber sie konnte einfach nicht anhalten. Stillstand hieße, dass sie eine Entscheidung treffen müsste, aber so weit war sie noch nicht. Ohne dass sie es bemerkt hatte, war sie in ein Viertel gelangt, das so ärmlich war wie seine Bewohner. Auf den Straßen türmte sich der Abfall. Ratten huschten umher, schmutzige Kinder spielten mit den Abfällen im Rinnstein. Die Häuser hatten weder Türen noch Fenster, sondern waren oft nur mit Brettern vernagelt. Abgehärmte Frauen mit geduckten Schultern zogen magere Kinder hinter sich her. Aus den Schänken drangen rohe Gesänge. Hier riefen keine Zeitungsjungs ihre Nachrichten aus, hier warteten keine kleinen Schuhputzer auf ihre Kunden. Hier war alles grau und erbärmlich, stinkend und arm. Es gab keine Straßenlaternen wie auf den großen Avenues, keine Polizisten waren zu sehen, nur ein Labyrinth aus dreckigen Gassen, grauen Mietskasernen und heruntergekommenen Hurenhäusern. Dafür verschwand die Sonne hinter dem einzigen riesigen Gebäude, das wie ein Koloss über das triste Viertel ragte und aus dem es nach Hopfen und Malz stank, auf dessen Hof unzählige Bierfässer gestapelt und dickärschige Pferde vor Fuhrwerke gespannt waren. Die Dämmerung strich das öde Viertel in den düstersten grauen Farben an. Es war Abend geworden. Fahlgesichtige junge Männer tauchten aus Hausnischen auf, flüsterten Susanne zu, dass es gleich einen Hahnenkampf gäbe oder einen Kampf, bei dem Hunde Ratten totbissen und sie auf den Sieger wetten konnte. Männer schlichen vorbei, hatten abgerissene Frauen am Arm, deren grelle Aufmachung vor den grauen Häusern noch billiger wirkte. Susanne blickte sich angstvoll um. Sie hatte so ein Viertel noch nie gesehen. Wer wohnt hier?, fragte sie sich. Hier war Amerika so ganz und gar anders, als sie es sich in ihren Träumen ausgemalt hatte, dass es ihr kalt über den Rücken lief. Sie las deutsche Schilder, die an im Wind leise rasselnden Ketten vor Läden hingen, hörte irische Rufe, italienische Flüche, polnische Lieder und russische Tiraden. Ein paar Frauen mit verhärmten Mienen liefen mit kleinen Bündeln hastig die Straße entlang auf ein großes Gebäude zu, das mit seinen herrschaftlichen Fensterumrahmungen und dicken steinernen Säulen aus dem Viertel herausragte wie eine Königin unter Bettlern. Susanne blieb stehen, beschirmte die Augen mit den Händen und betrachtete das Gebäude. Eine Frau stieß sie an. «Versperr uns nicht den Weg!», blaffte sie auf Deutsch. Susanne wich erschrocken zur Seite. «Was ist das für ein Haus?», fragte sie. Die Deutsche lachte scheppernd. «Gefällt es dir? Da kannst du schneller einziehen, als es dir lieb ist. Es ist das Stadtgefängnis, the Tombs, die Gräber.» Die Frau rannte weiter, überließ Susanne diesem Viertel, das schrecklicher nicht sein konnte. Wo sollte sie hin? Was sollte sie tun? Sie stand an einer Straßenecke, um sie herum waberte der Geruch angebrannten Kohls und des Abfalls auf der Straße, und Susanne hatte absolut keinen Einfall, was jetzt geschehen sollte. Die Leute eilten an ihr vorüber, ohne ihr auch nur den geringsten Blick zu schenken. Bloß ein einbeiniger Bettler, der nur wenige Meter neben ihr auf der Gasse saß, sah wütend zu ihr herüber, als hätte sie vor, ihn um seine Einkünfte zu betrügen. Gegenüber, auf der anderen Straßenseite, ragte die Ruine eines abgebrannten Gebäudes auf, und sie konnte sehen, dass einige zerlumpte Gestalten sich darin zur Ruhe begaben. Sollte sie ebenfalls in dieser Ruine übernachten? Nein, das ging nicht, auf gar keinen Fall. Eher würde sie sich in den Hudson River stürzen. Sie sah sich gehetzt nach allen Seiten um, in der Hoffnung auf eine Errettung. Aber da war niemand. Sie stand ganz allein auf der Straße und hatte nichts mehr. Nicht einmal mehr Hoffnung. Ihre Füße wurden kalt, der Hunger zwickte in ihren Eingeweiden. Ich kann hier nicht stehen bleiben, dachte sie, aber ihr fehlte die Kraft für den nächsten Schritt. Wieder kam eine Frau an ihr vorüber, und Susanne sprach sie an: «Entschuldigen Sie bitte …», aber die Frau schüttelte den Kopf und eilte weiter. Die nächste schenkte Susanne nicht einmal einen Blick. Nur ein betrunkener alter Ire blieb vor ihr stehen, nahm einen Schluck aus seiner Flasche, besah sie triefäugig und kicherte. «Weißt nicht, wohin, was?», fragte er. Susanne sprach nicht gut Englisch. Sie kannte nur die Vokabeln, die Annett ihr auf dem Schiff beigebracht hatte. «Ja», erwiderte sie. «Ich weiß nicht, wohin.»
«Kann ich mir vorstellen», erwiderte der Betrunkene. Dann aber zeigte er mit dem Finger in die Richtung, aus der er gekommen war. «Dort war einmal ein ordentliches Bordell. Vor einer Woche ist es abgebrannt, aber ein paar der Huren sind noch da. Vielleicht geben sie dir ein Plätzchen ab.»
Susanne nickte. Früher hätte der Hinweis auf die Huren sie vielleicht abgeschreckt, aber sie fühlte sich gerade, als wäre sie schon seit Jahrhunderten in New York und für immer an diese trübe Straßenecke gebunden. Sie würde alles tun, um hier wegzukommen. Sie würde sich sogar umbringen dafür. Warum sollte sie da vor Huren zurückschrecken? Sie hatte keine Scham mehr, keine Tugend. Nichts. Sie war eine Mörderin. Das war weitaus schlimmer, als eine Hure zu sein.
Susanne nickte dem Mann zu und begab sich in die Richtung, die der Betrunkene ihr gewiesen hatte. Ihre Füße waren schwer, sie konnte sie kaum noch heben. Endlos schien es zu dauern, bis sie an dem beschriebenen Haus angekommen war. Die Fenster waren geschwärzt, es stank nach kaltem Rauch. Einzelne Fetzen von Dingen, die einmal brauchbar gewesen waren, waren über die Straße verstreut. Vor dem Eingang lag ein rotes Plüschsofa, angekohlt und triefend vor Nässe. Susanne stieß mit dem Fuß gegen einen verkohlten Blecheimer, der scheppernd vor ihr herrollte. In der unteren Etage flackerte ein Talglicht. Das scheibenlose Fenster war mit einer Decke verhangen, doch durch einen winzigen Spalt konnte Susanne ein paar Frauen sehen, die auf Decken um das Talglicht herumsaßen. Sie klopfte an die Tür, die schief und schwarzgebrannt an nur einer Angel hing, doch niemand hörte das Klopfen. Also trat sie ein und blieb einfach in der Zimmertür stehen, besah die Frauen, die stumm, aber nicht unfreundlich da saßen und einer dicken Matrone zuhörten, die es sich auf dem einzigen Polster weit und breit bequem gemacht hatte. Es dauerte einen Moment, bis die dicke Frau auf Susanne aufmerksam wurde. Sie drehte sich zu ihr. «Ja?», fragte sie. Und noch ehe Susanne antworten konnte, wurde ihr schwarz vor Augen. Das Talglicht drehte sich, schnell und immer schneller, dann sank Susanne um, schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf, doch das spürte sie schon nicht mehr.
Sie kam wieder zu sich, als ihr jemand einen kalten Lappen auf die Stirn legte. «Wo bin ich?», fragte sie auf Deutsch, und für den Moment war es ihr tatsächlich entfallen. Sie wähnte sich in Deutschland, im Haus ihrer Eltern. «Mama?», rief sie, doch dann berührte eine Hand ihre Wange.
«Du bist nicht zu Hause, meine Kleine. Du bist in New York, im Viertel Five Points.» Susanne begriff, dass man Englisch mit ihr sprach, und zwinkerte so lange, bis sie endlich eine geschwärzte Decke und das Flackern eines Talglichtes erkennen konnte. Sie richtete sich auf, stöhnte, weil ihr der Kopf schmerzte. Zugleich presste sie eine Hand auf ihren Bauch, um nach dem Kind zu fühlen. Verwirrt blickte sie um sich, aber dann kamen die Erinnerungen wieder. Sie war in das abgebrannte Haus der Nutten gegangen. Dann war ihr schwarz vor Augen geworden.
Eine warme Hand strich über ihre Wange. «Kannst erst einmal hierbleiben diese Nacht», sprach eine mütterliche Stimme, und Susanne erkannte die Matrone, die auf dem Polster gesessen hatte. «Los, Cherry, gib dem Mädchen einen Schluck Whiskey.» Und schon wurde eine Flasche gereicht, Susanne an die Lippen gesetzt. Der Whiskey schoss als roter glühender Strom durch ihre Kehle, in den Magen hinab und wärmte sie auf der Stelle. Doch ihre Augen konnte sie einfach nicht mehr offen halten. Sie ließ den Kopf zurücksinken und schlief auf der Stelle wieder ein.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, waren die bunten Frauen verschwunden, nur die Matrone war noch da. «Na? Ausgeschlafen?», fragte sie freundlich.
Susanne nickte, blickte sich um. Von den Wänden troff stinkendes Wasser, in der Mitte des Raumes stapelten sich ein paar Reisetruhen, Decken waren ordentlich zusammengelegt.
«Tja, wir verlassen heute New York», erzählte die Matrone. «Wir ziehen in den Westen, weißt du? Dorthin, wo das Gold gefunden wurde.» Sie lachte. «Goldgräber arbeiten hart und verdienen viel Geld. Für ein bisschen Spaß sind sie immer zu haben. Du kannst hierbleiben, wenn du willst. Aber empfehlen kann ich es dir nicht. Du bist hier genau in der Mitte zwischen den beiden schlimmsten Stadtteilen, zwischen Bowery und den Five Points. Wir werden kaum weg sein, da kommen bestimmt schon die nächsten. Wenn du Pech hast, raue Männer, die dich hier nicht dulden werden. Wenn du also meinen Rat hören willst, sieh dich nach einer anderen Bleibe um.»
Susanne schluckte. Sie griff nach dem Kuchenrand, den die Matrone ihr reichte, und kaute gierig. Als sie den letzten Bissen geschluckt hatte, sagte sie: «Ich weiß nicht, wo ich hin soll.»
Die Matrone nickte. «Das habe ich mir schon gedacht. Bist auch eine von denen, die dachten, in Amerika hängen die gebratenen Tauben an den Bäumen.»
Susanne schüttelte den Kopf. «Nein, so ist es nicht. Ich bin aus Deutschland gekommen, gestern erst. Auf der Überfahrt ist mir der Mann gestorben. Hier!» Sie zeigte auf den schmalen Silberring, den sie zu ihrer Hochzeit bekommen hatte. «Mein Mann und ich wollten auch zu den Goldgräbern. Er sagte, dort gäbe es Arbeit für alle und jeden.»
Die Matrone schürzte die Lippen. «Recht hat er, dein seliger Mann. Aber was willst du dort tun? Du, mit deinem schweren Leib?»
Susanne schüttelte den Kopf. Ohne, dass sie es wollte, stiegen ihr die Tränen in die Augen. «Na, na, na», hörte sie die Matrone sagen, doch dann weinte sie, weinte alles aus sich heraus, was sich seit langem angesammelt hatte, weinte über sich und ihr Schicksal, weinte um ihr ungeborenes Kind, weinte um ein vergeudetes Leben. Ihre Schultern bebten, ja, der ganze Leib zitterte. Und als die Matrone ihren Kopf an ihren schweren Busen zog, da weinte Susanne noch viel mehr, weil sie wusste, dass niemals wieder jemand ihren Kopf so zu sich ziehen und sie trösten würde. Eine ganze Weile saßen sie so, und Susanne ergoss ein Meer aus Tränen auf das Kleid der Matrone, aber endlich konnte sie sich ein wenig beruhigen. Sie wischte sich das Gesicht mit ihrem Kleid trocken und stand auf. «Vielen Dank, Sie waren sehr freundlich.»
Die Matrone nickte. «Gern geschehen. Was hast du jetzt vor?»
Und Susanne schüttelte den Kopf und dachte dabei an den Hudson River, dachte an das Meer bei Batterfield Park, malte sich aus, wie sie dort hineingehen würde, die Kleider schon bald schwer vom Wasser. Sie würde gehen und gehen, und das Wasser würde ihr von den Knien bis zu den Hüften und weiter bis zur Brust, bis zum Hals steigen, bis das Meer sie endlich ganz verschluckte. Sie würde enden wie ihr Mann, sie würde sich auf die gleiche Art richten, wie er gerichtet worden war. Wie sie es in jener Nacht ursprünglich vorgehabt hatte. Es schien ihr die beste Lösung, schien ihr sogar eine Erlösung zu sein. Susanne wollte den Kopf schütteln, doch sie vermochte es nicht. Sie konnte die Frau mit dem mütterlichen Busen und der warmen Stimme nur anstarren. Sie wusste nicht, dass die gesamte Verzweiflung eines Menschen in ihrem Blick lag. Die Matrone strich ihr sanft über das Haar. «Schau doch nicht so verzagt. Weißt du, meine Kleine», sagte sie warm, «Amerika ist vielleicht nicht das Land, in dem die gebratenen Tauben von den Bäumen herabhängen, aber es ist doch das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Jede Frau und jeder Mann haben ein Anrecht auf ihr Glück, aber es fällt dir nicht in den Schoß, du musst es schon suchen. Ich gebe zu, deine Ausgangsbasis» – sie deutete auf Susannes schwangeren Leib – «ist nicht die beste, aber auch ich habe schon schwere Zeiten hinter mir, das kannst du mir glauben. Erst letzte Woche ist mein schönes Haus hier abgebrannt, meine Mädchen haben ihr Obdach verloren, aber ich gebe mich nicht verloren. Und das solltest du auch nicht tun. Gib dir und deinem Kind eine Chance. Gib nicht auf, bevor du alles versucht hast.»
Susanne nickte. Die Worte der Matrone machten ihr ein wenig Mut. Nicht viel, aber wenigstens so viel, dass sie heute den ganzen Tag nach Arbeit Ausschau halten wollte, auch wenn sie wusste, dass ihre Anstrengungen umsonst sein würden. Und wenn der Abend kam, nun, dann konnte sie noch immer in den Fluss gehen.
«Ich danke Ihnen», sagte sie und hätte die Matrone liebend gern umarmt. Einmal noch die mütterliche Wärme spüren, sich für einen einzigen Augenblick noch einmal geborgen fühlen. Aber sie wagte es nicht. Und die Matrone stand da, als warte sie auf etwas.
«Nun?», fragte sie da auch schon.
Susanne kniff die Augen zusammen. Was wollte die Frau? Was meinte sie? Die Matrone stand wartend vor ihr, noch immer freundlich, aber mit einer leisen Spur von Ungeduld. Und plötzlich verstand Susanne. Sie wollte Geld. Natürlich. Was denn sonst? Wie hatte sie glauben können, dass es Freundlichkeit und Wärme umsonst gab.
«Ich habe nicht viel», erwiderte sie, plötzlich wieder traurig und mutlos. Sie kramte in der Tasche ihres Kleides nach dem Zwanzigdollarschein, den Annett ihr gegeben hatte, und hielt ihn schließlich der Matrone hin. «Das ist alles, was ich besitze», sagte sie. Aber die Matrone nahm das Geld nicht. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte: «Siehst du, das ist besser als nichts. Aber ich warte noch immer.»
«Worauf denn?» Susanne hatte wirklich keine Ahnung.
Die Frau lächelte. «Dass du mich fragst. Du darfst nicht darauf warten, dass dir jemand hilft. Du musst dir selbst helfen.»
Jetzt war Susanne verwirrt. «Ich verstehe nicht. Was meinen Sie?»
Die Matrone stieß einen Seufzer aus. «Ich warte darauf, dass du mich fragst, ob du mit uns kommen kannst.»
Nein, daran hatte Susanne nicht gedacht. Nicht einen Augenblick lang. Jetzt aber schien ihr diese Möglichkeit so wundervoll, dass sie sich leicht wie ein Vogel fühlte. «Sie würden mich mitnehmen?», fragte sie ungläubig.
«Es kommt darauf an, was du kannst. Meine Mädchen arbeiten alle schwer für ihr Geld.»
Susanne schluckte. «Ich kann kochen und backen, kann alles verwerten, was Wald und Flur hergeben. Ich kann einen Haushalt gut führen. Selbst meine Mutter sagte immer, dass dies das Einzige wäre, was ich einigermaßen beherrsche. Ich kann Kleider waschen und so glätten, als kämen sie frisch vom Schneider. Und ein wenig nähen kann ich auch.»
«Zeig mir mal deine Hände.» Die Matrone hatte noch immer die Arme vor der Brust verschränkt. «Reden kann jede, aber ich muss schon sicher sein, dass du hältst, was du versprichst.»
Gehorsam streckte Susanne ihre Hände vor. Die Fingerkuppen waren zerstochen, auf den Handrücken hatte sie einige Brandblasen. Andere Stellen waren verhornt.
«Hm. Nicht schlecht. Kannst du auch schreiben und lesen?»
«Ich habe es von meiner Mutter gelernt. Sie war die Tochter des Dorfschullehrers.»
«Sieben mal sieben?»
Susanne dachte kurz nach. «Neunundvierzig.»
Die Matrone lächelte jetzt so breit, dass man ihre Zähne sehen konnte. «Das ist gut. Ich nehme dich mit. Du wirst für meine Mädchen sorgen, wirst kochen, waschen und alle anderen Aufgaben erfüllen, die auf der langen Reise anfallen. Ich kann dir keinen Lohn zahlen, aber du bekommst die Unterkunft und die Logis von mir. Wenn du den Mädchen kleine Gefälligkeiten erweist, wirst du von ihnen Geld dafür fordern. Zum Beispiel, wenn du ihre Kleider ausbesserst.» Sie wedelte mit der Hand. «Und deine zwanzig Dollar wirst du brauchen, um dir ein wenig Reiseausstattung zu kaufen. Willst du?»
Wieder fühlte sich Susanne leicht. «Natürlich möchte ich. Danke.» Sie griff nach der Hand der Matrone und wollte sie küssen, weil sie davon überzeugt war, dass diese ihr gerade das Leben gerettet hatte, doch die Frau entzog ihr die Hand.
«Nun, die Mädchen untereinander duzen sich alle. Wie du das hältst, ist deine Sache. Ich bin für alle Madame Joyce, und ich erwarte, dass du deine Aufgaben gut erfüllst. Jetzt aber kaufen wir noch ein paar Dinge, die du auf der langen Reise brauchen kannst.»