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FINN

„Hier, bitte.“ Ich reichte Kane sein Bier und hielt den Becher so, dass unsere Finger ganz zufällig aneinanderstießen.

Kane schaute zu mir hoch, als wir uns berührten, und dann nach unten, wo meine Finger den Becher immer noch fest umklammerten, teilweise verdeckt von seinen. „Äh … ich habe es?“ Er nickte nach unten.

„Ich bin sicher, dass du es hast.“ Mit einem Grinsen, das weniger starke Männer in die Knie gezwungen hätte, gab ich schließlich den Becher frei. Aber Kane, wie ich durch einen schnellen Blick durch meine Wimpern feststellte, schien nicht einmal zu reagieren. Verdammt noch mal. Er sah nicht so aus, als wäre er auch nur im Geringsten davon beeindruckt. Ich wandte mich dem Weg zu und begann zu gehen.

War er so hetero? Nein, verdammt. Das konnte er nicht sein. Nicht, wenn man bedachte, wie er in meiner Gegenwart manchmal errötete und stotterte. Aber da er nicht auf mein Flirten reagierte, musste sein Pokerface viel besser sein, als ich erwartet hatte.

Oder vielleicht war er einfach nur so unaufmerksam.

Ich verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Niemand konnte so unaufmerksam sein.

Er warf mir einen seltsamen Blick zu, als wir gingen, und räusperte sich dann. „Hast du … Spaß?“, fragte er lahm.

Wie bitte? Spaß? Wovon sprach er?

Ich fand mich wieder in der Gegenwart wieder, wo ich nicht drauf und dran war, mit ihm in die Kiste zu springen. „Äh, ja. Sicher. Es ist …“ Ich stoppte mich und versuchte, die richtigen Worte zu finden. „Schön?“

Kane schnaubte. „Highschool-Kids beim Saufen zuzusehen ist schön?“ Ein Grinsen zuckte um seine Mundwinkel, gerade so sehr, dass ich es bemerkte, bevor es wieder verschwand. Er schien sich nicht wirklich sicher zu sein, wie er auf mich reagieren sollte, nicht einmal auf seinen eigenen trockenen Scherz.

„Da ich nicht derjenige bin, der sich auskotzt, und ich es nicht wegmachen muss, ja. Manchmal. Ich liebe es zu sehen, wie dumm sie sind.“ Ich hielt inne. „Dann freue ich mich, dass ich es nicht bin.“

„Was, dumm?“, fragte er mit einem Stirnrunzeln.

„Nein, dass ich nicht derjenige bin, der sich die Eingeweide auskotzt. Meine Toleranz ist definitiv höher als damals.“

Kanes Lippen zuckten wieder, aber ob es nun aus Belustigung oder Missbilligung war – verdammt, war er wirklich so langweilig? Das konnte er eigentlich nicht sein, mit Sam als Bruder – aber ich war mir nicht sicher.

„Sicher, dass das ein Lebensziel ist, auf das du stolz sein kannst?“

Wollte er mich aufziehen oder verurteilen? Fuck, ich konnte es nicht sagen.

Wir entfernten uns langsam vom Lagerfeuer und ließen uns treiben, ohne Ziel oder ähnliches, und bewegten uns nur, um dem Lärm zu entkommen.

„Das kommt auf die Sichtweise an.“ Ich drehte mich zu ihm um. „Wenn es nicht dein Ziel ist, nach ein paar Bier nicht zu kotzen, was machst du dann mit deinem Leben?“

Dieses Mal lachte er tatsächlich. „Nicht aktiv versuchen, Gehirnzellen zu töten, zumindest. Ich trinke natürlich ein bisschen“, sagte er und hielt den Becher etwas hoch. „Aber nicht genug, um einen Kater zu haben.“

„Ich weiß nicht. Ich finde schon, dass es sich ein bisschen verlockend anhört. Manchmal wäre es schön, einfach zu saufen und ein paar von den Gehirnzellen umzubringen. Vorzugsweise die mit schlechten Erinnerungen, wie wenn man zu viele Cookies gesessen hat.“

Zu viele Cookies? Was zum Teufel sollte das? Ich redete ernsthaft von Cookies?

Kane sah mich an, als wäre ich verrückt geworden. „Ich … Was?“

Ich trat ein Stück vor ihn, nicht, um ihn wirklich aufzuhalten, sondern um sicherzustellen, dass er langsamer werden musste. „Hast du noch nie zu viele Cookies gegessen? Was bist du, ein Alien?“ Ich hob eine Augenbraue.

„Ich glaube nicht, dass ich trinken muss, um die Erinnerungen an das Essen von zu vielen Cookies loszuwerden“, sagte er immer noch völlig verwirrt.

Fuck.

Ich hatte noch nie Probleme mit dem Flirten gehabt, aber bei ihm schien das alles nicht zu klappen. Nach ein paar Witzen, ein paar frechen Bemerkungen und ein paar Wimpernaufschlägen fraßen sie mir normalerweise aus der Hand.

Kane anscheinend nicht. Das machte ihn interessant. Er war … genug an mir interessiert, um mir Gesellschaft zu leisten, während Sam sich zum Idioten machte, aber darüber hinaus war ich wirklich ratlos. War er doch heterosexuell? Verleugnete er es so sehr?

Wollte er mich nur verarschen?

„Also kein exzessiver Alkoholkonsum für dich. Was machst du sonst so zum Spaß? Abgesehen davon, Sam zu ärgern, meine ich.“

„Wer sagt denn, dass ich derjenige bin, der ihn ärgert?“ Er grinste.

„Weil das irgendwie in der Jobbeschreibung eines älteren Bruders steht?“, wagte ich zu behaupten.

Diesmal lachte er. „Ah, aber wir wollten doch nicht darüber reden, dass ich ihn ärgere. Wir wollten über die Dinge reden, die er über mich gesagt hat, weißt du noch?“

Ich schnaufte. „Gut, wenn du es hören willst …“ Jetzt, wo ich darüber nachdachte, hatten Sam und ich nicht viel über seinen Bruder gesprochen, aber das brauchte Kane nicht zu wissen. Oder?

„Oh, das will ich. Vor allem, wenn ich angeblich derjenige bin, der ihn ärgert. Ich brauche gute Munition, um seine jämmerlichen Angriffe abzuwehren“, antwortete Kane.

„Na dann.“ Ich versuchte, mir eine Antwort einfallen zu lassen, die sich einerseits gut anhörte, andererseits aber auch nicht dazu führte, dass Sam wütend auf mich wurde. „Er ist … ähm … na ja …“ Verdammt, jetzt hatte er es geschafft, mich um eine Antwort verlegen zu machen – was war heute Abend nur los mit mir? „Okay, er spricht also nicht schlecht über dich.“

Lahm. So verdammt lahm.

„Nicht? Warum wolltest du es mir dann nicht sagen? Vorhin klang es so, als hättet ihr über mich getratscht.“ Er nahm einen Schluck von seinem Bier, aber seine Augen waren auf mich gerichtet.

War er neugierig? Interessiert? Irritiert? Ich konnte es nicht sagen.

Ich schnaubte. „Würde ich jemals über den Bruder meines Freundes tratschen? Bitte.“

Jetzt war es an Kane, mich anzusehen, als hätte ich ihn gerade glatt angelogen. „Ähm.“

„Na schön. Wir haben nicht viel über dich geredet. Na, zufrieden?“

„Na ja … Nein.“ Kane lachte laut auf. „Jetzt habe ich nichts mehr, was ich gegen ihn verwenden kann. Du hättest dir wenigstens etwas ausdenken können.“

„Du weißt schon, dass ich die nächsten Wochen hier festsitze und er so ziemlich der Einzige von allen ist, die den Sommer hier verbringen, den ich über längere Zeit ertragen kann, oder?“, sagte ich trocken.

Er sah mich etwas ernsthafter an. „Na ja, trotzdem.“

„Äh, nö. Außerdem, was denkst du, worüber wir tratschen sollten? Im Ernst, Mann.“ Ich trat näher an ihn heran und atmete den Geruch seiner Seife ein.

„Keine Ahnung?“ Kane wich nicht zurück, und seine Augen verließen meine nicht.

Der Moment wurde ernsthaft intensiv, und eigentlich hätte ich wissen sollen, wie ich das am besten handhabte, aber mein Kopf war wie leer gefegt.

Ich räusperte mich. „Siehst du, ich auch nicht. Außerdem ist es viel lustiger, ihn über das Mädchen auszufragen, dem er schöne Augen gemacht hat.“ Noch näher. Er musste näher kommen. Nur noch ein bisschen, und dann könnte aus diesem intimen Moment mehr werden.

Die Anziehungskraft war definitiv da. Da war ich mir jetzt sicher. Aber ob er es zugeben würde? Das war eine andere Geschichte.

Ich hob den Kopf und sah ihn genauer an. Verdammt, er war groß, mit starken Muskeln … Ich wette, er könnte mich einfach hochheben und tragen. Yummy.

„Du kannst das gerne machen. Ich bin nicht so scharf darauf, die Details zu hören.“

Ich spürte, wie ich in mir zusammensank. Das war die perfekte Gelegenheit für eine kokette Erwiderung gewesen, aber nein. Nichts. Er brachte aber immer noch keinen Abstand zwischen uns, also … war es ihm nicht unangenehm? Verdammt noch mal, dieser Mann machte mich wahnsinnig. Seine Signale waren nicht nur gemischt, sie waren durch den Mixer gejagt worden, und ich versuchte, herauszufinden, was überhaupt in den Mixer geworfen worden war.

Ich nahm einen großen Schluck von meinem Bier. „Also, keine Gespräche darüber, wie dein Bruder versucht, jemanden abzuschleppen, kein Abtöten deiner Gehirnzellen … Was machst du dann zum Spaß?“

Außer, mich verrückt zu machen, so wie er es jetzt tat.

„Trainieren. Bedienungsanleitungen lesen“, antwortete er, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob er einen Scherz machte oder nicht. Wie ich ihn und seine verworrenen Signale einschätzte, war das wahrscheinlich nicht der Fall.

„Bedienungsanleitungen …“ Wohl doch kein Flirt. „Das klingt … interessant.“

Kane grinste wieder, verbarg es aber, indem er einen Schluck Bier nahm. „Manchmal ist es gar nicht so schlecht, aber nicht immer. Früher bin ich gern gewandert, aber das habe ich schon lange nicht mehr gemacht.“

Ach, komm schon. Outdoor-Aktivitäten? Echt jetzt? Warum konnte er nicht etwas drinnen mögen, wozu ich ihn verführen konnte? Wie … Sex?

„Also das ist etwas, was ich nicht im Traum versuchen würde.“

„Hast du zu viel Angst, dein perfektes Make-up durch Schwitzen zu ruinieren?“, stichelte er.

Perfekt im Sinne von gut aussehend, oder machte er sich deswegen über mich lustig? „Zu viel Angst, immer noch perfekt auszusehen, wenn wir an unserem Ziel ankommen und die anderen vor Neid auf mein makelloses Aussehen erblassen.“

Kane lachte. „In deinen Träumen, Pretty Boy.“

„Ich würde das als Herausforderung annehmen, aber ich und draußen passen nicht gut zusammen“, informierte ich ihn hochmütig.

„Du bist jetzt draußen.“ Er grinste.

„Ach, leck mich doch.“ Ich schlug ihm gegen den Arm, wobei ich mir des Gefühls seiner muskulösen Haut unter meiner Hand nur allzu bewusst war. „Du weißt, was ich meine. Oder ist das eine Herausforderung?“

„Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst“, antwortete er scherzend. Er verzog zwar keine Miene, aber seine Augen verrieten ihn selbst in der relativen Dunkelheit. Mir wurde klar, dass ich ihn zum ersten Mal entspannt sah, und das war schön zu sehen. Vielleicht musste er sich erst entspannen, bevor er seine Zurückhaltung fallen lassen und mit mir scherzen konnte?

Oder flirtete er tatsächlich zurück, auf seine eigene unbeholfene Art? Ich war im Moment auch nicht gerade ein Meister im Flirten. Ich wünschte, ich könnte ihn besser lesen – oder überhaupt lesen, was das anging. Normalerweise hätte eine solche Bemerkung irgendeine Reaktion hervorgerufen. Aber bei ihm? Nichts.

Schließlich machte ich ihm den Weg frei und wir gingen schweigend weiter. Ich hatte keine Ahnung, was ich noch sagen sollte. Weiter flirten? Ganz aufhören? Es sein lassen? Er hatte mir nicht gesagt, ich solle das Flirten aufhören, aber … Hatte ich eine Chance?

Ich wusste es wirklich nicht.

Aber ich wusste, dass ich es genoss, mit ihm zusammen zu sein, trotz der gemischten Signale, die er aussandte. Er war nett, es war locker, mit ihm zusammen zu sein. Und obwohl ich Kane immer nur als potenzielle Urlaubsunterhaltung betrachtet hatte, wollte ich ihn kennenlernen. Ich wollte wissen, warum er vorhin so traurig gewirkt hatte.

Nein, nicht traurig … aber als hätte er eine schwere Last zu tragen.

Ich verdrängte den Gedanken. Dafür würde er mich nicht brauchen. Aber ich könnte mehr Zeit mit ihm verbringen, ihn besser kennenlernen. Oder nicht?

Abgesehen von Sam hatte ich niemanden, mit dem ich in den nächsten Monaten etwas unternehmen konnte. Kane schien es wert zu sein ihn kennenzulernen, auch wenn das die Freundschaft mit Sam vielleicht ein wenig unangenehm machen würde.

Andererseits würde sich Sam wahrscheinlich mit jedem Mädchen amüsieren, das ihn auch nur ansah.

„Wenn ich dich nicht zum Wandern überreden kann, was machst du sonst so zum Spaß?“

Ficken. Es lag mir auf der Zunge, aber ausnahmsweise konnte ich mich zurückhalten. „Ich … Äh, ich mache eine Menge Dinge. Make-up, Shoppen, Bloggen …“

Hörte ich mich immer so oberflächlich an?

„Bloggen?“, unterbrach er mich.

Ich nickte. Normalerweise behielt ich das eher für mich, aber bei ihm platzte ich einfach damit heraus. „Ja, über … Make-up.“ Ich gluckste. „Ziemlich vorhersehbar, oder?“

„Das hätte ich nicht erwartet, um ehrlich zu sein. Bist du auf YouTube? Ich schaue mir das mal an.“

Mein Gesicht wurde rot, obwohl ich schon ziemlich viele Videos gemacht hatte und eine anständige Anzahl von Followern hatte. Irgendwie machte es mir nichts aus, wenn Fremde meine Videos sahen, aber es war mir verdammt peinlich, wenn jemand, der mich kannte, das tat. „Ich … Gib mir deine Nummer. Ich schicke dir den Link.“

Hinterhältig, das war ich. Aber wenigstens hatte ich in dieser Nacht etwas erreicht.

„Klar.“ Kane reichte mir sein Telefon, und ich speicherte meine Nummer ein. Als ich es ihm zurückgab, nahm er es in die Hand, schaute auf das Display und rief dann mein Handy an, damit ich auch seine Nummer hatte.

„Danke.“ Ich lächelte ihn an, obwohl es inzwischen so dunkel war, dass er es wahrscheinlich nicht einmal richtig sehen konnte. Wir hatten uns so weit von der Menge und dem Lagerfeuer entfernt, dass wir völlig allein und in Dunkelheit getaucht waren. Bei jedem anderen Kerl wäre ich zu diesem Zeitpunkt schon tief in ihm drin, aber bei Kane …

Ich war nicht so dumm zu glauben, dass er für einen schnellen Fick im Wald zu haben wäre.

Ich konnte es kaum erkennen, aber ich glaubte, Kane lächelte zurück.

Nach einem Moment gingen wir schweigend weiter. Ich hatte nicht das Bedürfnis zu reden, und Kane offenbar auch nicht. Es war … schön. Entspannend. Als würde sich eine Freundschaft entwickeln. Es war seltsam, weil ich ihn nicht wirklich kannte, aber ich konnte nicht ändern, was geschah. Ich glaubte auch nicht, dass ich es wollte.

Ein paar Meter weiter sah ich einen umgestürzten Baum und setzte mich hin, wobei ich meinen Becher auf der Rinde neben mir balancierte. Kane ließ sich neben mir nieder und streckte seine Beine aus.

Das war … Ich hatte so etwas noch nie gemacht, aber ich hätte es unbedingt tun sollen. Denn das hier, genau das hier, war perfekt.