Kapitel Neunzehn

«Die Todesursache war Strangulation.»

Ich stehe über Laceys Leiche gebeugt. Ihr bleiches Gesicht hat einen eisigen Blauton angenommen. Der Rechtsmediziner steht links von mir und hält ein Klemmbrett in der Hand; Detective Thomas zu meiner Rechten ist mir zu nahe. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, also sage ich nichts, sondern lasse den Blick über dieses Mädchen wandern, das ich kaum kannte. Das Mädchen, das vor einer Woche in meine Praxis kam und mir von seinen Problemen erzählte. Und darauf vertraute, dass ich eine Lösung dafür finde.

«Man erkennt es an den Hämatomen, genau dort», fährt der Rechtsmediziner fort und deutet mit einem Stift auf Laceys Hals. «Man kann die Fingerabdrücke sehen. Die gleiche Größe und der gleiche Abstand wie bei denen an Aubreys Hals. Auch die gleichen Fesselspuren an Hand- und Fußgelenken.»

Ich sehe ihn an und schlucke.

«Dann meinen Sie, es gibt da einen Zusammenhang? Es ist derselbe Täter?»

«Damit befassen wir uns ein andermal», mischt sich Detective Thomas ein. «Im Moment konzentrieren wir uns auf Lacey. Wie gesagt, sie wurde in der Gasse hinter Ihrer Praxis gefunden. Gehen Sie da manchmal hin?»

«Nein», sage ich und betrachte die Leiche vor mir. Ihr blondes Haar ist nass vom Regen und klebt an ihrem Gesicht; es sieht aus wie ein Netz aus Besenreisern. Ihre Haut ist jetzt noch bleicher, wodurch ihre zahllosen Narben, diese schmalen roten Striche kreuz und quer auf ihren Armen, ihrer Brust, ihren Beinen, noch deutlicher hervortreten. «Nein, da gehe ich so gut wie nie hin. Die ist eigentlich nur für die Müllwagen, um den Container zu leeren. Alle parken vorn.»

Er nickt und atmet geräuschvoll aus. Etwa eine Minute stehen wir schweigend da, während er mir Gelegenheit gibt, das alles auf mich wirken zu lassen, den grausigen Anblick zu verdauen. In diesem Augenblick wird mir klar, dass mein Leben zwar massiv vom Tod beeinflusst ist, ich aber zum ersten Mal eine echte Leiche sehe. Zum ersten Mal wirklich einer ins Auge sehe. Vermutlich soll das jetzt meine Erinnerung beflügeln – an Laceys Gesicht, wie es vorher aussah, an jenem Nachmittag in meiner Praxis –, aber in meinem Kopf herrscht Leere. Ich kann kein Bild der rosigen Lacey mit den ruhelosen Fingern und den Tränen in den Augen heraufbeschwören, die auf meinem Sessel saß und über ihren Vater sprach. Ich sehe nur diese Lacey. Die tote Lacey. Lacey auf einem Metalltisch, Lacey, die von Fremden betastet wird.

«Erscheint Ihnen irgendetwas anders?», souffliert Detective Thomas schließlich. «Fehlen Kleidungsstücke?»

«Das kann ich wirklich nicht sagen», erwidere ich und lasse den Blick erneut über die Leiche wandern. Sie trägt ein schwarzes T-Shirt, ausgeblichene Jeans-Shorts und schmutzige Converse-Sneakers mit Kritzeleien an den Seiten. Ich versuche, mir vorzustellen, wie sie die Schuhe in der Schule mit einem Kugelschreiber bemalt hat, um sich die Zeit zu vertreiben. Aber ich kann es nicht. «Wie gesagt, ich habe eigentlich nicht darauf geachtet, was sie trug.»

«Okay. Macht nichts. Versuchen Sie es weiter. Lassen Sie sich Zeit.»

Ich nicke und frage mich, ob auch Lena eine Woche nach ihrem Tod so aussah. Als sie irgendwo auf einem Feld oder in einem flachen Grab lag. Bevor ihre Haut sich ablöste und ihre Kleidung vermoderte. Ich frage mich, ob sie so aussah. Wie Lacey. Bleich und aufgedunsen in der schwül-heißen Luft.

«Hat sie mit Ihnen darüber gesprochen?»

Detective Thomas deutet mit dem Kinn auf ihre Arme, auf die winzigen Schnitte. Ich nicke.

«Ein bisschen.»

«Was ist damit?»

Er blickt auf die größere Narbe an ihrem Handgelenk, diesen dicken, wulstigen, violetten Blitz, der auch mir bei unserer Sitzung aufgefallen war.

«Nein.» Ich schüttle den Kopf. «Nein, dazu sind wir nicht gekommen.»

«Eine verdammte Schande», sagt er leise. «Sie war zu jung, um solchen Kummer zu haben.»

«Ja.» Ich nicke. «Ja, das war sie.»

Eine Weile ist es still im Raum. Alle drei nehmen wir uns einen Moment Zeit, um nicht nur den gewaltsamen Tod dieses Mädchens, sondern auch die Gewalt in ihrem Leben zu betrauern.

«Haben Sie denn nicht gleich in der Gasse gesucht?», frage ich schließlich. «Ich meine, gleich nachdem sie als vermisst gemeldet worden war?»

Detective Thomas sieht mich an, und Verärgerung huscht über sein Gesicht. Dass dieses Mädchen nur wenige Schritte von dort entfernt lag, wo sie zuletzt gesehen worden war, und sie beinahe eine Woche gebraucht haben, um sie zu finden, macht keinen guten Eindruck, und er weiß es.

«Doch», sagt er schließlich und seufzt laut. «Doch, das haben wir. Entweder wurde sie irgendwie übersehen oder erst später an der Stelle abgelegt. An einem anderen Ort getötet und dann erst dort hingebracht.»

«Es ist ein ziemlich kleiner Bereich», sage ich. «Eng. Der Müllcontainer nimmt den größten Teil der Gasse ein. Ich verstehe nicht, wie Sie sie übersehen konnten, wenn Sie dort gesucht haben. Da gibt es nicht viele Verstecke –»

«Woher wissen Sie das, wenn Sie kaum da hingehen?»

«Ich kann die Gasse von meinem Empfangsraum aus sehen. Das Fenster geht in diese Richtung.»

Er mustert mich, und ich sehe ihm an, dass er versucht, sich darüber klar zu werden, ob er mich gerade bei einer Lüge ertappt hat.

«Offensichtlich habe ich nicht gerade eine tolle Aussicht», füge ich hinzu und versuche zu lächeln.

Er nickt. Entweder hat meine Antwort ihn zufriedengestellt, oder er legt sich die Frage auf Wiedervorlage.

«Da wurde sie auch gefunden», sagt er schließlich. «Von den Müllmännern. Sie war hinter dem Müllcontainer eingeklemmt. Als der Container zum Leeren angehoben wurde, fiel die Leiche zu Boden.»

«Dann wurde sie auf jeden Fall bewegt», wirft der Rechtsmediziner ein und klopft auf die Rückseite von Laceys Armen. «Das da sind Leichenflecke. Die Häufung dort weist darauf hin, dass sie auf dem Rücken lag, als sie starb, dass sie also nicht saß. Oder irgendwo eingeklemmt war.»

Mir dreht sich der Magen um, und ich versuche, den Blick abzuwenden, doch ich kann es nicht, ich muss ihre Leiche nach Verletzungen absuchen. Hauptsächlich hat sie Hämatome. Stellenweise wirkt ihre Haut dort marmoriert, wo die Schwerkraft das Blut hat zusammenfließen lassen. Der Rechtsmediziner sprach von Fesselspuren, und ich mustere ihre Arme von den Schultern bis zu den Fingerspitzen.

«Was wissen Sie sonst noch?», frage ich.

«Sie wurde betäubt», sagt der Rechtsmediziner. «Wir haben eine hohe Konzentration von Diazepam in ihrem Haar gefunden.»

«Diazepam. Das ist Valium, ja?», fragt Detective Thomas. Ich nicke. «Hat Lacey angstlösende Medikamente genommen? Oder etwas gegen Depressionen?»

«Nein.» Ich schüttle den Kopf. «Nein, ich habe ihr eines verschrieben. Aber sie hatte noch nicht damit angefangen.»

«Dem Haarwachstum zufolge wurde das Medikament etwa vor einer Woche eingenommen», fügt der Rechtsmediziner hinzu. «Also zum Zeitpunkt ihrer Ermordung.»

Auf diese neue Enthüllung hin sieht Detective Thomas den Rechtsmediziner an, und mit einem Mal kann ich Ungeduld im Raum spüren.

«Wann können wir den vollständigen Autopsiebericht haben?»

Der Mann sieht zuerst den Detective an, dann mich.

«Je eher ich anfangen kann, desto eher habe ich ihn für Sie fertig.»

Ich spüre, dass beide Männer mich ansehen, ein nonverbaler Hinweis darauf, dass ich alles andere als hilfreich war. Aber ich betrachte noch immer Laceys Arm. Die winzigen Narben, mit denen die Haut übersät ist, die Fesselspuren und die gezackte rote Quernarbe am Handgelenk.

«Tja, nichts für ungut, Dr. Davis, aber ich habe Sie eigentlich nicht zum Plaudern hergeholt», sagt Detective Thomas. «Wenn Sie sich sonst an nichts erinnern, können Sie gehen.»

Ich schüttle den Kopf, ohne den Blick von Laceys Handgelenk abzuwenden.

«Doch, mir ist noch etwas aufgefallen», sage ich und stelle mir vor, wie sie die Rasierklinge geführt haben muss, um eine solch krumme Narbe zu hinterlassen. Es muss eine ziemliche Sauerei gewesen sein. «Etwas, das anders ist als an dem Tag, an dem Lacey ihre Sitzung bei mir hatte.»

«Okay.» Er verlagert das Gewicht auf den anderen Fuß und mustert mich aufmerksam. «Lassen Sie hören.»

«Diese Narbe. Die ist mir am Freitag auch aufgefallen. Sie hat versucht, sie unter einem Armband zu verstecken. Holzperlen mit einem kleinen Silberkreuz daran.»

Jetzt betrachtet Detective Thomas Laceys Arm, ihr nunmehr nacktes Handgelenk. Ich sehe diesen Rosenkranz vor mir, über der Narbe, vielleicht eine Mahnung für den Fall, dass sie noch einmal das Bedürfnis verspürte, sich zu ritzen. Sie trug dieses Armband definitiv, als sie in meinem Sprechzimmer saß und auf meinem Ledersessel herumrutschte. Und es lag noch um ihren Arm, als sie aufstand und ging. Als sie draußen vor der Tür von jemandem überfallen wurde. Als sie betäubt wurde. Und als sie getötet wurde.

Aber jetzt ist es nicht mehr da.

«Jemand hat es an sich genommen.»