«Dr. Davis, würden Sie bitte meine Frage beantworten?»
Ich sehe Detective Thomas an und blinzle, um die Erinnerung abzuschütteln. Ich spüre noch, wie meine Hände klebten, weil ich die Arbeitsplatte dort berührt hatte, wo Getränke verschüttet worden waren, und wie meine Beine kribbelten, weil ich stundenlang reglos dagesessen hatte. In unsere Unterhaltung vertieft. Mir der Welt außerhalb der verwahrlosten Küche nicht mehr bewusst. Der Partytrubel blieb ausgeblendet, bis wir mit einem Mal die Letzten waren. Ich erinnere mich an den ruhigen Heimweg zu Fuß durch die Dunkelheit, an Ethans Finger, die meine sanft umfingen, während der Herbstwind durch die Bäume auf dem Campus wehte. An die Fürsorglichkeit, mit der er mich bis vor meine Haustür brachte und noch wartete, bis ich aufgeschlossen und ihm zum Abschied zugewinkt hatte.
«Ja», sage ich leise, und der Kloß in meinem Hals wird dicker. «Ja, ich kenne Ethan Walker. Aber es klingt, als wüssten Sie das bereits.»
«Was können Sie mir über ihn erzählen?»
«Ich war auf dem College mit ihm zusammen. Acht Monate lang.»
«Und warum haben Sie sich getrennt?»
«Wir waren auf dem College. Es war nichts Ernstes. Es hat einfach nicht funktioniert.»
«Das habe ich aber anders gehört.»
Jetzt funkle ich ihn wütend an und verspüre einen Hass, der mich kurz erschreckt. Ganz offensichtlich kennt er die Antwort schon. Er will es bloß aus meinem Mund hören.
«Erzählen Sie mir doch die ganze Geschichte, mit eigenen Worten», sagt Detective Thomas. «Von Anfang an.»
Ich seufze und blicke auf die Uhr über der Tür. In einer Viertelstunde trifft meine erste Klientin ein. Ich habe diese Geschichte schon hundertmal erzählt – und ich weiß, dass er einfach im Polizeiarchiv nachsehen und sich wahrscheinlich sogar eine Aufnahme meiner Aussage von damals anhören könnte –, aber ich will diesen Mann unbedingt aus meiner Praxis haben, bevor meine Klientin eintrifft.
«Ethan und ich waren, wie gesagt, acht Monate lang zusammen. Es war meine erste feste Beziehung, und wir kamen uns schnell sehr nahe. Zu schnell für zwei Kinder. Er war ständig in unserer Wohnung, fast jeden Abend. Aber zu Beginn des Sommers, gleich nach Ende der Vorlesungszeit, ging er immer weiter auf Distanz. Etwa um dieselbe Zeit verschwand Sarah, meine Mitbewohnerin.»
«Wurde sie als vermisst gemeldet?»
«Nein. Sarah war spontan; ein Freigeist. Sie war dafür bekannt, dass sie manchmal einfach übers Wochenende wegfuhr und dergleichen, aber irgendetwas kam mir diesmal komisch vor. Ich hatte seit drei Tagen nichts von ihr gehört, deshalb machte ich mir allmählich Sorgen.»
«Das erscheint mir normal», sagt Detective Thomas. «Sind Sie zur Polizei gegangen?»
«Nein», sage ich erneut, und mir ist klar, wie das klingt. «Sie dürfen nicht vergessen, das war 2009. Da klebten die Leute noch nicht so an ihren Mobiltelefonen wie heute. Ich sagte mir, dass sie wahrscheinlich bloß spontan verreist war und ihr Telefon vergessen hatte, aber dann fiel mir auf, dass Ethan sich merkwürdig verhielt.»
«Inwiefern merkwürdig?»
«Jedes Mal, wenn ich Sarah erwähnte, wurde er nervös. Erzählte irgendwelchen Unsinn und wechselte das Thema. Er schien sich keine Sorgen um sie zu machen, brachte vage Vermutungen vor, wo sie sein könnte. Beispielsweise sagte er: ‹Es sind Ferien, vielleicht besucht sie ihre Eltern.› Als ich sie daraufhin anrufen wollte, um mich zu vergewissern, dass sie dort war, hielt er mir vor, ich würde überreagieren und müsse aufhören, mich in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen. Aus seinem Verhalten gewann ich den Eindruck, er wollte gar nicht, dass ich sie finde.»
Detective Thomas nickt. Ich frage mich, ob er das alles wirklich schon aus der Tonaufzeichnung im Polizeiarchiv weiß, aber seiner Miene ist nichts zu entnehmen.
«Eines Tages ging ich in ihr Zimmer und sah mich dort um. Ich suchte nach einem Hinweis darauf, wo sie sein könnte. Zum Beispiel eine Nachricht oder so. Ich weiß auch nicht.»
Die Erinnerung daran ist so lebendig: Mit einem Finger stieß ich ihre Zimmertür auf und lauschte deren Quietschen. Dann trat ich leise ein, so als verstieße ich damit gegen eine unausgesprochene Regel. Als könnte sie jeden Augenblick hereinstürmen und mich dabei erwischen, dass ich ihre Wäsche durchsuchte oder in ihrem Tagebuch las.
«Als ich die Bettdecke herunterriss, entdeckte ich auf der Matratze einen Blutfleck», fahre ich fort. «Einen großen.»
Ich sehe es immer noch deutlich vor mir. Das Blut. Sarahs Blut. Der Fleck nahm fast die gesamte untere Betthälfte ein, nicht mehr leuchtend rot, sondern eher rostbraun. Ich weiß noch, dass ich die Hand darauf drückte und spürte, dass die Matratze regelrecht blutgetränkt war. Danach hatte ich leuchtend rote Flecken auf den Fingerkuppen. Feucht. Noch frisch.
«Und ich weiß, es klingt komisch, aber ich konnte Ethan an ihrem Bett riechen», ergänze ich. «Er hatte einen ganz … unverkennbaren Geruch.»
«Okay», sagt er. «An diesem Punkt sind Sie sicher zur Polizei gegangen.»
«Nein. Nein, bin ich nicht. Ich weiß, das hätte ich tun müssen, aber –» Ich breche ab, sammle mich. Ich muss das richtig formulieren. «Ich wollte absolut sicher sein, dass da ein Verbrechen vorlag, bevor ich zur Polizei ging. Ich war gerade erst nach Baton Rouge gezogen, um meinen Namen, meine Vergangenheit hinter mir zu lassen. Ich wollte nicht, dass die Polizei das wieder hervorzerrte. Ich wollte die Normalität, die sich allmählich einstellte, nicht einbüßen.»
Er nickt. Sein Blick ist kritisch.
«Aber allmählich kam es mir so vor, dass es mit Sarah und Ethan genauso gelaufen war wie damals, als ich Lena zu uns nach Hause eingeladen und meinem Vater vorgestellt hatte», erzähle ich weiter. «Ich hatte ihm einen Schlüssel zu unserer Wohnung gegeben. Und nun war sie verschwunden, und ich befürchtete allmählich, sie könnte in Schwierigkeiten sein, und falls Ethan etwas damit zu tun hatte, fühlte ich mich verpflichtet, alles zu tun, um das herauszufinden. Allmählich fühlte ich mich verantwortlich.»
«Okay. Was passierte dann?»
«Ethan trennte sich am Wochenende von mir. Es kam aus heiterem Himmel. Ich war völlig überrumpelt, aber dass es in etwa um die Zeit geschah, als Sarah verschwand, schien mir ein Beweis zu sein. Ein Beweis dafür, dass er etwas zu verbergen hatte. Er erzählte mir, er wolle für ein paar Tage wegfahren, zu seinen Eltern, um sich über alles klar zu werden. Also beschloss ich, bei ihm einzubrechen.»
Detective Thomas hebt die Augenbrauen, und ich zwinge mich, weiterzusprechen, fortzufahren, bevor er mich unterbrechen kann.
«Ich hoffte, irgendeinen Beweis zu finden, mit dem ich zur Polizei gehen könnte», sage ich, in Gedanken bei der Schmuckschatulle im Schrank meines Vaters, dem Inbegriff des unwiderlegbaren Beweises. «Aus der Erfahrung mit meinem Vater wusste ich, dass Beweise wichtig waren – ohne sie wäre es nur ein Verdacht. Nicht genug, um eine Verhaftung vorzunehmen oder einen Vorwurf auch nur ernst zu nehmen. Ich weiß nicht, was genau ich zu finden hoffte. Einfach etwas Handfestes. Etwas, das mir zeigen würde, dass ich nicht verrückt wurde.»
Meine Wortwahl – verrückt – lässt mich selbst zusammenzucken. Ich setze meinen Bericht fort.
«Also stieg ich durch ein Fenster ein, von dem ich wusste, dass er es unverschlossen ließ, und sah mich um. Aber nach kurzer Zeit hörte ich ein Geräusch aus seinem Schlafzimmer und begriff, dass er zu Hause war.»
«Und was fanden Sie, als Sie in sein Schlafzimmer gingen?»
«Er war dort», sage ich, und bei dieser Erinnerung werden meine Wangen heiß. «Und Sarah ebenfalls.»
In diesem Augenblick – als ich an der Tür von Ethans Schlafzimmer stand und ihn und Sarah ineinander verschlungen in seinem fadenscheinigen Bettzeug sah – erinnerte ich mich an ihre Umarmung auf der Party an dem Abend, an dem wir uns kennenlernten. Ich erinnerte mich daran, wie sie die Hand vor den Mund gehalten, sich dicht zu ihm gebeugt und ihm etwas ins Ohr geflüstert hatte. Ethan und Sarah kannten sich aus einem Seminar – das entsprach der Wahrheit. Später sollte ich jedoch herausfinden, dass ihre Beziehung sich nicht darauf beschränkte. Im Jahr zuvor hatten sie etwas miteinander gehabt, und ein paar Monate nachdem Ethan und ich zusammengekommen waren, fingen sie wieder damit an, hinter meinem Rücken. Ich hatte Sarah doch richtig eingeschätzt. Sie nahm sich immer, was sie wollte. Uns miteinander bekannt zu machen, war ein Spiel für sie gewesen, eine Möglichkeit, sich vor Ethan zur Schau zu stellen und ihn sich dann zurückzuholen, um wieder einmal zu demonstrieren, dass sie besser war als ich.
«Und wie hat er darauf reagiert, dass Sie einfach da hineingeplatzt sind? Bei ihm eingebrochen sind?»
«Nicht gut, logisch. Er schrie mich an, er hätte schon seit Monaten versucht, mit mir Schluss zu machen, aber ich hätte mich an ihn geklammert. Ich hätte es nicht hören wollen. Er stellte mich als die verrückte Ex dar, die bei ihm einbricht … und erwirkte ein Kontaktverbot.»
«Und das Blut in Sarahs Bett?»
«Offenbar war sie ungewollt schwanger geworden», erzähle ich mechanisch und wie betäubt. «Doch sie hatte eine Fehlgeburt. Das hat sie sehr aufgeregt, aber sie wollte nicht, dass jemand davon erfährt. Zunächst einmal wollte sie nicht, dass jemand von ihrer Schwangerschaft erfährt, doch vor allem sollte niemand wissen, dass sie vom Freund ihrer Mitbewohnerin schwanger war. Sie hatte sich die Woche über in Ethans Wohnung verkrochen, um sich über alles klar zu werden. Darum wollte Ethan nicht, dass ich deswegen ausflippe und ihre Eltern anrufe – oder, Gott bewahre, sie als vermisst melde.»
Detective Thomas seufzt, und unwillkürlich komme ich mir albern vor, wie ein Teenager, der dafür gescholten wird, dass er sich mit Mundwasser betrinkt. Ich bin nicht böse, ich bin enttäuscht. Ich warte darauf, dass er etwas sagt, egal was, aber er sieht mich nur prüfend an.
«Warum lassen Sie mich diese Geschichte erzählen?», frage ich schließlich, und meine Verärgerung kehrt allmählich zurück. «Sie wissen das offensichtlich schon alles. Inwiefern ist das für diesen Fall relevant?»
«Weil ich gehofft hatte, wenn Sie das noch einmal erzählen, sehen Sie, was ich sehe.» Er kommt noch einen Schritt näher. «Sie sind in Ihrem Leben von geliebten Menschen verletzt worden. Von Menschen, denen Sie vertraut haben. Sie hegen Männern gegenüber ein tiefsitzendes Misstrauen, das ist offensichtlich – und wer könnte es Ihnen verdenken nach dem, was Ihr Vater getan hat? Aber bloß, weil Sie nicht immer ganz genau wissen, wo Ihr Freund ist, heißt das noch lange nicht, dass er ein Mörder ist. Das haben Sie auf die harte Tour gelernt.»
Ich spüre, wie sich mir die Kehle zuschnürt, und denke sofort an Daniel – meinen anderen Freund (nein, meinen Verlobten ), über den ich jetzt aus eigenem Antrieb Nachforschungen anstelle. An die Verdachtsmomente, die sich meiner Meinung nach häufen, an meine Pläne für dieses Wochenende. Pläne, die eigentlich auch nicht anders sind, als in Ethans Wohnung einzusteigen. Es ist eine Verletzung seiner Privatsphäre. Das sprichwörtliche Lesen im Tagebuch. Mein Blick zuckt zu der Reisetasche, die verschlossen und bereit zu meinen Füßen steht.
«Und nur, weil Sie Bert Rhodes misstrauen, heißt das eben auch nicht, dass er zu einem Mord fähig wäre», fährt er fort. «Das scheint ein Muster bei Ihnen zu sein – dass Sie sich in Konflikte einmischen, die Sie nichts angehen, dass Sie versuchen, das Rätsel zu lösen und die Heldin zu sein. Ich verstehe, warum Sie das tun. Sie waren die Heldin, die Ihren Vater hinter Gitter gebracht hat. Sie haben das Gefühl, das sei Ihre Pflicht. Aber ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass das aufhören muss.»
Das ist das zweite Mal in einer Woche, dass mir jemand so etwas sagt. Beim letzten Mal war es Cooper, in meiner Küche, mit Blick auf meine Tabletten.
Ich weiß, warum du das tust. Ich wünschte bloß, du würdest damit aufhören.
«Ich mische mich in gar nichts ein», sage ich und bohre mir die Fingernägel in die Handflächen. «Ich versuche nicht, die Heldin zu sein , was auch immer das heißen soll. Ich versuche zu helfen. Ich versuche, Ihnen einen Hinweis zu geben.»
«Falsche Hinweise sind schlimmer als gar keine», sagt Detective Thomas. «Wir haben uns fast eine Woche mit diesem Mann befasst. Eine Woche, in der wir uns mit jemand anderem hätten befassen können. Ich glaube zwar nicht unbedingt, dass Sie es in böser Absicht getan haben – ich glaube durchaus, dass Sie getan haben, was Sie für das Beste hielten –, aber wenn Sie mich fragen: Ich finde, Sie sollten erwägen, sich Hilfe zu suchen.»
Coopers Stimme, eindringlich.
Such dir Hilfe.
«Ich bin Psychologin», sage ich und sehe ihm in die Augen, während ich wiederkäue, was ich schon Cooper an den Kopf geworfen habe; genau das, was ich mir schon mein gesamtes Erwachsenenleben sage. «Ich kann mir selbst helfen.»
Schweigen senkt sich herab, und ich kann Melissa draußen förmlich atmen hören, mit dem Ohr an der Tür. Sicher hat sie die gesamte Unterhaltung mit angehört. Wie auch meine nächste Klientin, die wahrscheinlich mittlerweile im Wartebereich sitzt. Ich stelle mir vor, wie ihre Augen sich weiten, wenn sie hört, dass ein Polizist ihrer Psychologin sagt, sie solle sich Hilfe suchen.
«In dem Antrag auf ein Kontaktverbot, den Ethan Walker stellte, nachdem Sie in seine Wohnung eingebrochen waren, stand auch, Sie hätten auf dem College Probleme mit Substanzmissbrauch gehabt. Sie seien leichtsinnig mit dem Ihnen verschriebenen Diazepam umgegangen und hätten es mit Alkohol gemischt.»
«Das mache ich nicht mehr», erkläre ich, während mir meine Schublade mit den Tabletten fast das Bein versengt.
Wir haben eine hohe Konzentration von Diazepam in ihrem Haar gefunden.
«Sie wissen sicher, dass diese Medikamente einige ziemlich ernste Nebenwirkungen haben können. Paranoia, Verwirrtheit. Es kann schwer sein, Realität von Einbildung zu trennen.»
Manchmal fällt es mir schwer, zu unterscheiden, was real ist und was nicht.
«Ich bekomme keine Medikamente mehr verschrieben», sage ich – keine direkte Lüge. «Ich bin nicht paranoid, ich bin nicht verwirrt. Ich will nur helfen.»
«Okay.» Detective Thomas nickt. Ich merke, dass ich ihm leidtue. Er bemitleidet mich, was bedeutet, dass er mich nie mehr ernst nehmen wird. Ich hätte nicht gedacht, dass man sich noch einsamer fühlen kann, als ich mich vorher schon gefühlt habe, aber im Moment ist das so. Ich fühle mich vollständig allein. «Okay. Tja, ich denke, dann sind wir hier fertig.»
«Ja, das denke ich auch.»
«Danke für Ihre Zeit», sagt er und geht zur Tür. Er streckt die Hand nach dem Türgriff aus, zögert und dreht sich noch einmal um. «Ach, eins noch.»
Ich hebe die Augenbrauen, eine stumme Aufforderung an ihn, fortzufahren.
«Wenn ich Sie noch einmal an einem Tatort sehe, werden wir entsprechende Maßnahmen ergreifen. Beweise zu manipulieren, ist eine strafbare Handlung.»
«Was?», frage ich aufrichtig verblüfft. «Was meinen Sie mit –»
Ich breche ab, als mir klar wird, wovon er spricht. Der Cypress Cemetery. Aubreys Ohrring. Der Polizist, der ihn mir aus der Hand nahm.
Sie kommen mir sehr bekannt vor, aber ich kann Sie nicht einordnen. Sind wir uns schon einmal begegnet?
«Officer Doyle hat Sie am Tatort des Mordes an Aubrey Gravino gesehen. Er hat Sie wiedererkannt, sobald wir Ihre Praxis betraten. Wir haben abgewartet, ob Sie etwas dazu sagen. Ob Sie erwähnen, dass Sie dort waren. Das ist ein ziemlich großer Zufall.»
Ich schlucke, zu benommen, um zu reagieren.
«Aber Sie haben nichts gesagt. Als Sie dann auf die Wache kamen, weil Ihnen etwas eingefallen war, dachte ich, das sei es, was Sie mir erzählen wollten», fährt er fort und verlagert das Gewicht auf das andere Bein. «Aber stattdessen kamen Sie mit einer Theorie über einen Nachahmungstäter. Gestohlenen Schmuck. Bert Rhodes. Nur haben Sie mir erzählt, der Anblick von Laceys Leiche sei der Auslöser dieser Theorie gewesen. Aber das konnte ich einfach nicht nachvollziehen, weil Officer Doyle da schon den Ohrring in Ihrer Hand gesehen hatte. Es ergab keinen Sinn.»
Ich denke zurück an diesen Nachmittag in Detective Thomas’ Büro, an seinen Blick. Voller Unbehagen. Ungläubig.
«Woher sollte ich Aubreys Ohrring haben?», frage ich. «Wenn Sie wirklich glauben, dass ich ihn dort platziert habe, dann muss das bedeuten, dass Sie glauben, ich –»
Ich breche ab, kann es nicht aussprechen. Er kann unmöglich glauben, dass ich etwas mit alldem zu tun habe … oder?
«Es stehen verschiedene Theorien im Raum.» Er steckt den Nagel des kleinen Fingers zwischen die Zähne und betrachtet ihn dann. «Aber ich kann Ihnen sagen, dass Aubreys DNA nicht auf dem Ohrring war. Nirgends. Nur Ihre.»
«Was wollen Sie damit sagen?»
«Ich sage, wir können nicht beweisen, wie oder warum dieser Ohrring dorthin kam. Aber der rote Faden, der das alles verbindet, scheinen Sie zu sein. Also machen Sie sich nicht verdächtiger, als Sie es jetzt schon sind.»
Selbst wenn ich Aubreys Halskette noch irgendwo bei uns zu Hause finden sollte, wird mir die Polizei niemals glauben, so viel ist jetzt klar. Detective Thomas denkt eindeutig, dass ich Beweise manipuliere, um die Polizei in eine bestimmte Richtung zu lenken. Ein verzweifelter Versuch, eine weitere meiner haltlosen Theorien zu beweisen und die Schuld einem weiteren nicht vertrauenswürdigen Mann in meinem Leben in die Schuhe zu schieben. Oder, schlimmer noch, sie glauben, ich hätte etwas damit zu tun. Ich, der letzte Mensch, der Lacey noch lebend gesehen hat. Ich, die Person, die Aubreys Ohrring gefunden hat. Ich, Dick Davis’ lebende DNA . Die Brut eines Ungeheuers.
«Okay», sage ich. Es hat keinen Sinn, in diesem Punkt mit ihm zu streiten. Sinnlos der Versuch, es ihm zu erklären. Ich beobachte, wie Detective Thomas zu meiner Antwort nickt, sich zufrieden umdreht und hinausgeht.