WIE EIN ABEND ALLES VERÄNDERTE

Es ist irgendwann im Herbst 2015, Donnerstagabend gegen 21:30 Uhr. Ich steige aus meinem alten Golf IV aus und sprinte durch den Regen zur Hauseingangstür. Nicht meiner eigenen, sondern der eines potenziellen Kunden. Wir haben einen Termin für eine Versicherungsanalyse vereinbart. Ich klingele. Es ertönt ein typischer Haustür-Klingelton. Durch das Fenster neben der Tür kann ich sehen, dass Licht brennt und jemand zu Hause ist. Ich klingele erneut. Und dann noch mal. Die Haustür bleibt allerdings weiterhin verschlossen. Kurz überlege ich, ob ich an das Fenster klopfen sollte, um zusätzlich auf mich aufmerksam zu machen, lasse es aber dann sein. Denn das wäre zum einen dann doch irgendwie komisch und zum anderen ist es leider auch nicht das erste Mal, dass ich trotz Termin vor einer verschlossenen Tür zurückbleibe.

Ich blicke nach unten und sehe den nassen Fußabstreifer. Irgendwie unterscheidet uns beide in diesem Moment nicht wirklich viel, denke ich. Zumindest fühlt sich meine Magengegend genauso an, als hätte mich jemand genau dort mit seinen Füßen getreten. Als ich trotz Regen sehr langsam zum Auto zurücklaufe, überlege ich fieberhaft, wie ich dem potenziellen Kunden diese Respektlosigkeit zurückzahlen könnte. Sein Haus abzufackeln wäre wohl zu heftig gewesen, schien mir in diesem Moment allerdings mehr als gerechtfertigt. Natürlich würde ich vorher noch irgendwie checken, dass er keine entsprechende Versicherung dafür hat, damit es sich auch richtig lohnt. Dann erinnerte ich mich aber direkt an die Worte meiner Mutter, dass Rache nie ein gutes Motiv ist. Und das stimmt auch. Schließlich kannte ich auch nicht den exakten Grund, warum die Tür verschlossen blieb, sondern konnte nur mutmaßen.

Im Auto angekommen saß ich erst mal noch eine ganze Weile einfach so da. »Wieso passiert ausgerechnet mir so was?«, fragte ich mich. »Ich mache doch einen richtig guten Job, habe top Fachwissen, kümmere mich um die Wünsche meiner Kunden, nehme mir viel Zeit und bin nach eigener Einschätzung auch halbwegs sympathisch. Woran liegt es also?« Wenn ein Termin nicht stattfinden kann, dann ist das ja kein Problem. Dann sagt man diesen im Vorfeld rechtzeitig ab. So wie es jeder auch bei einem Arzttermin macht, wenn er oder sie diesen nicht wahrnehmen kann.

Aber warum sagen Menschen tendenziell Arzttermine rechtzeitig ab und den Termin mit dem Versicherungsmenschen nicht oder nur sehr kurzfristig? Warum macht man sich hier oft nicht mal die Mühe, den Hörer in die Hand zu nehmen und einfach Bescheid zu geben? Oder warum werden viele Termine einfach kurzfristig abgesagt oder man bekommt erst gar keinen Termin mit dem Kunden?

Vielleicht fühlst du dich gerade ein wenig ertappt. Möglicherweise hast du auch mal einen Versicherungstermin einfach platzen lassen oder hast nur sehr kurzfristig abgesagt und somit die komplette Tagesplanung deines Beraters über den Haufen geschmissen.

Die Frage ist nun: Warum ist das so? Die Antwort hierzu kam mir ebenfalls in meinem Golf, als ich so langsam anfing, wieder zu trocknen: fehlendes Vertrauen.

Die Menschen vertrauen mir einfach nicht oder nicht genug. Das ist der Grund! Es fiel mir wirklich wie Schuppen von den Augen. Die ganze Zeit war ich der Meinung, dass das halt einfach »doofe Kunden« sind, die einfach nicht richtig erzogen wurden von ihren Eltern. Gewisse Tugenden wurden denen einfach nicht beigebracht. Und auch wenn ich Letzteres nicht komplett ausschließen möchte, so war mir doch klar, dass es in den meisten Fällen nicht daran lag. Es lag schlichtweg am fehlenden Vertrauen in mich. In mich als Person. In mein Berufsbild. Versicherungsvermittler. Klinkenputzer. Abzocker. Provisionsgeier. Menschen, die andere Menschen andauernd über den Tisch ziehen.

Seit Jahren führen wir die Liste der beliebtesten und am meisten geschätzten Berufe in Deutschland an.3 Von hinten. Ab und an werden wir vom Beruf des Politikers als Schlusslicht abgelöst. Das sagt eigentlich schon alles aus. Wie du im weiteren Verlauf des Buches erfahren wirst, stehen wir aber nicht ganz unverdient auf diesem Platz. Zwar nicht wegen mir und auch nicht wegen vieler Kollegen und Kolleginnen, die heute als Versicherungsvermittler tätig sind, sondern vielmehr wegen ein paar »schwarzer Schafe«, die in der Vergangenheit wirklich ganze Arbeit geleistet und einer kompletten Branche auf Jahrzehnte einen Bärendienst erwiesen haben. Aber auch davon gibt es heute noch einige. Auch dazu wirst du im weiteren Verlauf noch ein paar »Seitenhiebe« von mir lesen.

Als ich an diesem besagten Abend nach Hause zu meiner Verlobten (heute meine Frau) fuhr, war mir eine Sache glasklar: So geht es nicht weiter! Ich muss hier einiges ändern. Ich muss es schaffen, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Denn jeder hat Versicherungen. Jeder braucht Versicherungen. Und wenn es da draußen jemanden gibt, der wirklich das Wohl der Kunden in den Fokus stellt, dann muss er doch auch die Wertschätzung und den Respekt bekommen, den er verdient. Eben wie ein Arzt, der sich um die Gesundheit seiner Patienten kümmert und alles andere dem unterordnet. Es wird nicht danach beraten, wo man am meisten Provision bekommt, sondern immer so, dass der Kunde genau das bekommt, was er braucht und auch möchte. Und wenn man so arbeitet, dann muss man schlussendlich auch erfolgreich sein und ich muss mir eben auch um meinen eigenen Lebensunterhalt keine Sorgen machen – was ich 2015 durchaus des Öfteren tat.

»Verdienen« kommt ja schließlich von »DIENEN«! Zumindest habe ich das in irgendeinem schlauen Buch mal gelesen und es klang sehr logisch für mich. In den nächsten Jahren kamen übrigens noch viele weitere schlaue Bücher dazu, die mich in meiner Persönlichkeit und als Mensch und Unternehmer weitergebracht haben. Vor allem das Buch Dein Ego ist dein Feind von Ryan Holiday hat einen entscheidenden Teil dazu beigetragen. Dieses Buch lese ich jedes Jahr mindestens ein Mal.

Gegen 22:30 Uhr kam ich zu Hause an. Es regnete immer noch.

Eine Stunde zum Kunden gefahren und wieder eine Stunde zurück. Komplett sinnlos. Zumindest half mir die eine Stunde Fahrtzeit, dass ich ein wenig runterkommen konnte und nicht mit aufgeladenen Emotionen durch die Wohnungstür einfiel. So was ist nie gut. Denn hier bekommt dann meist die Person alles ab, die überhaupt nichts dafürkann.

»Das war das letzte Mal, dass ich vor einer verschlossenen Kundentür gestanden habe«, schwor ich mir, als ich den Schlüssel in der Tür zu unserer Wohnung umdrehte.

Und das war es auch.