DENN DU WEISST NICHT, WAS DU NICHT WEISST

Möglicherweise hast du die Überschrift dieses Kapitels zwei- oder dreimal lesen müssen. Diese Aussage ist zugegebenermaßen etwas verschachtelt und man muss doch ein paar Sekunden drüber nachdenken. Als ich diesen Satz das erste Mal vor vielen Jahren gelesen habe, hat es in meinem Kopf richtig laut »klick« gemacht. Als hätte sich ein Schalter, der jahrelang nur darauf gewartet hatte, betätigt zu werden, endlich umgelegt. Und ich bin wirklich unglaublich dankbar, dass dieser Schalter bei mir im Kopf betätigt wurde. Denn bei fast jeder wichtigen Entscheidung rufe ich mir seitdem diese »Entscheidungshilfe« hervor.

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In diesem Buch geht es – wie du bereits gemerkt hast – sehr viel um Entscheidungshilfen.

Um einfache und sinnvolle Prinzipien, die du praktisch anwenden kannst. Zu wissen, dass du schlichtweg niemals wissen kannst, was du nicht weißt, also welche Information dir möglicherweise gerade fehlt und deine Entscheidung maßgeblich beeinflussen kann, ist unglaublich mächtig und demütig zugleich. Niemand weiß alles. Du weißt in vielen Lebensbereichen mehr als ich. Und umgekehrt. Und wenn man genau dies nun weiß, wäre es doch maximal fahrlässig, vor allem (finanziell) wichtige Entscheidungen nur auf Basis des eigenen Wissens oder vielmehr der eigenen Annahmen und Vermutungen zu treffen.

Mal wieder ein Beispiel aus meinem Leben: Natürlich könnte ich meine Steuererklärung selbst machen, auch als Selbstständiger und Unternehmer. In meinem Studium hatte ich tatsächlich auch Steuerrecht. An der Stelle sei direkt erwähnt, dass ich damals an der Uni wohl kein Fach mehr gehasst habe als Steuerrecht. Aber damit bin ich vermutlich nicht allein. Und ich habe auch zu Beginn meiner Selbstständigkeit meine Steuererklärung weiter selbst gemacht. Und zwar aus zwei Gründen. Einmal, weil ich einfach keine Lust hatte, Geld für einen Steuerberater auszugeben. Und zum Zweiten, weil ich der festen Überzeugung war, dass ich das selbst hinbekommen kann. Gute Steuersoftwares gibt es genügend im Internet und dann noch ein wenig Einlesen in ein paar Steuerratgeber für Selbstständige und Unternehmer – fertig. Wer braucht denn schon teure Steuerberater? Ich auf alle Fälle nicht.

Und als ich dann so dasaß und meine Steuererklärung nach und nach bearbeitet habe, fiel mir wieder der obige Satz ein: »Du weißt nicht, was du nicht weißt …«. Angewandt auf meine Steuererklärung hieß das, dass ich – egal wie viele Ratgeber ich gelesen habe und wie viele YouTube-Videos ich angeschaut habe – nie zu 100 Prozent ausschließen konnte, doch etwas vergessen zu haben. Denn jede steuerliche Situation ist anders. Eventuell müsste ich noch etwas Spezielles beachten, das in meiner Situation sehr wichtig ist.

Aber ich weiß es einfach nicht. Weil ich eben nicht weiß, was ich nicht weiß. Verflixt. Das ist aber auch eine Zwickmühle. Mir war sofort klar, dass ich nie wieder eine Steuererklärung selbst machen würde. Es war einfach so offensichtlich, dass es fast wehtat. Aber ich wollte es einfach nicht sehen. Ich wollte nicht wahrhaben, dass es gewisse Lebensbereiche gibt, die einfach zu wichtig sind, als dass man sie auf eigene Faust angehen sollte. Vor allem, wenn es um Geld geht. Mein Geld.

Exakt das Gleiche gilt für mich auch in vielen anderen Lebensbereichen. Wenn ich ein gesundheitliches Problem habe, dann kann ich zwar stundenlang »Dr. Google« fragen und habe dann entweder einen einfachen Husten oder halt Lungenkrebs. Oder ich gehe zu jemandem, der wirklich Ahnung von meinem Körper hat und mir exakt sagen kann, was los ist und was ich brauche. Läuft mein Auto nicht mehr rund, dann kann ich auch hier direkt auf YouTube nach einer Lösung suchen und anschließend mit dem 13,99-Euro-do-it-yourself-Kit aus China selbst loslegen. Oder ich gehe halt einfach zu einer Fachwerkstatt und lasse es dort machen. Das kostet mehr, aber dann ist es richtig gemacht, und falls nicht, dann habe ich gewisse rechtliche Möglichkeiten, dass das Problem nochmals angegangen wird.

Und wie du dir schon denken kannst, gilt all dies natürlich ebenfalls oder sogar vor allem für Versicherungen. Auch hier ist es kein Problem, sich im Internet über Versicherungen schlauzumachen. Allein meine Videos auf YouTube machen hier einen Großteil des verfügbaren Versicherungswissens in Deutschland aus. Und ich würde dir niemals sagen, dass es schlecht ist, sich ein wenig im Vorfeld »aufzuschlauen«. Im Gegenteil. Nur hast du auch hier an einem gewissen Punkt, beziehungsweise bei diversen, vor allem komplexen Versicherungen, das Problem, dass du nicht weißt, ob du nun wirklich alles bedacht hast. Deckt diese Versicherung tatsächlich alles ab, das für mich wichtig und relevant ist? Oder fehlt doch ein wichtiger Baustein? Habe ich die Gesundheitsfragen im Antrag korrekt ausgefüllt oder mache ich hier gerade einen ganz großen Fehler? Diese Fragen kann ich nahezu endlos fortsetzen.

Und jetzt kommt die alles entscheidende Frage: Wirst du dieses Mindset annehmen und akzeptieren, dass du nicht weißt, was du nicht weißt, oder wird dir dein Ego hier einen Strich durch die Rechnung machen? Ganz genau. Unser menschliches Ego führt dazu, dass wir – meist unbewusst – heftige (finanzielle) Fehlentscheidungen treffen. Meist merken wir das auch gar nicht sofort, sondern erst viel später. Wenn es zu spät ist. Wenn du wirklich mal tiefer in das Thema Ego einsteigen willst, dann empfehle ich dir (nochmals) das Buch Dein Ego ist dein Feind von Ryan Holiday. Eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe, da sich mein Leben und die Entscheidungen, die ich in meinem Leben treffe, danach extrem verbessert haben. Einfach weil ich danach in der Lage war, bewusst bessere Entscheidungen für mich zu treffen. Entscheidungen, die nicht von meinem Ego geleitet wurden. Und vor Letzterem ist absolut niemand geschützt. Man muss nur einmal kurz die Demut haben, dies zu akzeptieren. Ein wirklich ganz großer Wendepunkt in meinem Leben.

Kommen wir noch mal konkret auf Versicherungen zurück und was dies nun für dich und deine (künftigen) Versicherungsentscheidungen bedeutet. Es bedeutet, dass du niemals – außer du bist selbst gelernter oder studierter Versicherungsexperte – wichtige Versicherungsentscheidungen allein treffen solltest.

Moment! Aha! Weißt du, wer sich gerade in dieser Sekunde gemeldet hat, als du den letzten Satz gelesen hast? DEIN EGO! Es hat dir nämlich gesagt, dass das alles nicht sein kann.

Und dass der »Versicherungs-Heini«, der dieses Buch schreibt, das so schreiben muss, weil ja sonst irgendwann sein Berufsstand überflüssig wird, und er will ja nur Kohle verdienen ... und, und, und. Wen lässt du gewinnen? Dein Ego oder deinen rationalen Verstand?

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Du kennst bestimmt die Geschichte mit den zwei Wölfen. Falls nicht, habe ich sie dir hier mal kurz aufgeschrieben:20

Eines Abends erzählte ein alter Cherokee-Indianer seinem Enkelsohn am Lagerfeuer von einem Kampf, der in jedem Menschen tobt.

Er sagte: »Mein Sohn, der Kampf wird von zwei Wölfen ausgefochten, die in jedem von uns wohnen.

Einer ist böse. Er ist der Zorn, der Neid, die Eifersucht, die Sorgen, der Schmerz, die Gier, die Arroganz, das Selbstmitleid, die Schuld, die Vorurteile, die Minderwertigkeitsgefühle, die Lügen, der falsche Stolz und das Ego.

Der andere ist gut. Er ist die Freude, der Friede, die Liebe, die Hoffnung, die Heiterkeit, die Demut, die Güte, das Wohlwollen, die Zuneigung, die Großzügigkeit, die Aufrichtigkeit, das Mitgefühl und der Glaube.«

Der Enkel dachte einige Zeit über die Worte seines Großvaters nach und fragte dann: »Welcher der beiden Wölfe gewinnt?«

Der alte Cherokee antwortete: »Der, den du fütterst.«

Dem ist wirklich nichts mehr hinzuzufügen. Außer vielleicht eine Sache: Ein Steuerberater kostet dich Geld, wenn du ihn mit deiner Steuererklärung beauftragst. Ein Arzt ebenfalls, auch wenn dies in den meisten Fällen deine Krankenversicherung bezahlen wird. Und für das Reparieren deines Autos in der Werkstatt musst du ebenfalls Geld für Material und Arbeitsstunden bezahlen. Das ist ja dann eben sehr oft der Anreiz, es doch selbst zu versuchen, um sich das Geld zu sparen.

Und bei Versicherungen gibt es ja auch noch den Trick, diese einfach online abzuschließen. Denn online kaufen ist ja immer billiger – oder?

Was wäre aber, wenn es bei Versicherungen tatsächlich ein wenig anders aussähe? Was wäre, wenn du – egal ob du eine Versicherung selbst im Internet abschließt oder mit einem Versicherungsexperten zusammen – fast immer das Gleiche zahlen müsstest?

Dann wäre es doch in der Tat komplett sinnfrei, eine komplexe Versicherung auf eigene Faust abzuschließen, richtig? So viel schon mal vorab: Das Konzept, Schuhe im Schuhladen auszuprobieren, die Beratung dort durchführen zu lassen und dann den Schuh für 10 Euro günstiger im Internet zu bestellen, funktioniert bei Versicherungen nicht. Zumindest in den meisten Fällen nicht. Über dieses Thema, verschiedene Beratungsformen und auch die »schwarzen Schafe« der Branche sprechen wir nun im zweiten Teil dieses Buches.