Kapitel 32

»Schau, da ist das Meer, rechts.«

Sally nickte und sparte sich den Atem. Mona war inzwischen fitter als sie. Sie hatte ihre Tochter auf ihre neue Strecke mitgenommen, die eine stattliche Länge hatte.

»Nach einer halben Meile kommen wir an die Canyons.«

»Perfekt«, erwiderte Sally knapp. Zähneknirschend stellte sie fest, dass ihr Körper zwar noch schlank und straff war, ihre Ausdauer aber zum Teufel war.

»Hier links, durch den Wald.« Mona bog auf einen Pfad ein, der steil hinaufführte, und Sally konnte sich nur knapp das Japsen verkneifen. Verdammt und zugenäht, ihre Mutter war zu einem echten Muskelpaket geworden ...

»Komm schon, Liebes!«, rief Mona.

Sally rang nach Luft. »Mach ich ja.«

Und plötzlich geschah es. Mona stolperte, knickte um, und Sally hörte ein hässliches Knirschen, als ihre Mutter auch schon zu Boden ging. Verzweifelt tasteten ihre manikürten Hände nach Halt, doch es war zu spät: Sie rutschte und rollte den steilen Hang hinunter, durch die Büsche, über die Steine und immer weiter abwärts, ohne dass Sally etwas hätte unternehmen können.

Entsetzt starrte Sally ihrer schreienden Mutter nach, hilflos, unfähig, sich zu bewegen. Mit einem dumpfen Laut und einem tiefen Stöhnen schlug ihre Mutter auf einem Felsabsatz auf und blieb reglos liegen. Sie war offenbar bewusstlos. Voller Angst wollte sich Sally an den Abstieg machen, doch Schwindel überkam sie, und kleine Pünktchen tanzten vor ihren Augen. Die Anstrengung des Laufs und der plötzliche Stopp forderten ihren Tribut, aber Sally biss die Zähne zusammen. Sie konnte es sich nicht leisten, ohnmächtig zu werden.

Aber selbst, wenn sie ihre Mutter dort unten erreichte – wie sollte sie sie wieder auf den Weg bringen?

»Hilfe!«, schrie sie. »Gott – ich brauche Hilfe!«

»Was ist passiert?«

Sally fuhr erschreckt zusammen. Eine Männerstimme aus der Ferne.

»Bitte helfen Sie mir. Meine Mutter ist gestürzt.«

»Ich komme«, rief er. »Bin gleich da.«

Sie hörte rennende Schritte, und dann tauchte er auf dem Pfad auf, ein braungebrannter, sportlich wirkender Mann mit verspiegelter Sonnenbrille, einer Baseball-Kappe der Dodgers und einem Sport-T-Shirt. Ein gutgelaunter Labrador sprang neben ihm her.

»Worum geht’s?«

Sie packte seinen Arm. »Gott sei Dank. Meine Mutter. Sie hat sich beim Laufen den Knöchel umgeknickt und ist dann den Abhang hinuntergerutscht. Dort unten liegt sie ...«

Er warf einen knappen Blick hinunter und richtete sich wieder auf. »Sie bleiben hier. Ich habe ein Telefon im Auto. Ich rufe die 911.«

»Vielen Dank ...«

Schon rannte er wieder los. Sally blickte in die Tiefe; ihre Mutter regte sich noch immer nicht. Was, wenn sie tot war? Nein, nur nicht daran denken. Die Minuten verstrichen in quälender Langsamkeit.

Endlich kam er zurück. »Die Highway Patrol schickt einen Streifenwagen. Ich habe gesagt, wir bräuchten eher die Küstenwache und einen Hubschrauber. Aber sie meinten nur, sie würden sich beeilen ...«

Ein Vibrieren lief durch den Fels; Steine, die sich durch Monas Sturz gelöst hatten, plumpsten auf ihre zusammengesunkene Gestalt. Einer traf ihren Knöchel. Ohne das Bewusstsein wiederzuerlangen, regte sie sich, und ihr Körper rutschte ein Stück weiter über die Felskante und blieb am Abgrund liegen.

Sally schluchzte auf. »Mom, mein Gott. Sie werden es nicht mehr rechtzeitig schaffen. Sie wird stürzen. Sie wird sterben.« Ohne es zu merken, klammerte sie sich an den Fremden. Seit Leo war Sally jedem Mann aus dem Weg gegangen. Sie hatte sich davor gegraut, einen Mann zu berühren. Aber im Augenblick kümmerte sie das nicht. Dieser Fremde war vielleicht der Einzige, der ihr helfen konnte.

Monas Körper rutschte noch ein Stück. Sally schrie. Die Schwerkraft würde sie über die Kante ziehen.

»Warten Sie hier«, sagte er.

»Nein, gehen Sie nicht!«, rief Sally verzweifelt. Aber er war verschwunden. Sie rückte näher an den steilen Hang heran. Ihre Mutter war alles, was sie auf dieser Welt noch hatte. Und was bedeutete Karriere im Vergleich zu ihrer Mutter? Ohne Mona stand Sally ganz allein da. Hatte sie sie von ihrer Sucht befreit, nur um nun zusehen zu müssen, wie ihre Mutter in das Meer hinabstürzte und ertrank?

Aber es gab keine Chance, nach unten zu klettern. Die Felskante war zu schmal, um beiden Platz zu bieten. Und da Mona bewusstlos war, würde sie sie auch nicht hinaufziehen können. Wenn Sally nun hinabkletterte, würden sie vermutlich beide sterben ...

»Okay, Sie passen auf meinen Hund auf.«

Der Mann war zurück. Er hatte ein Seil dabei und trug Schuhe mit Stollen. Er lief zum nächsten Baum, zurrte das Seil um den Stamm fest und knotete das andere Ende geschickt um seine Taille.

»Was haben Sie vor?«, fragte Sally, obwohl sie es wusste.

»Kein Geschirr. Aber ich muss da runter.«

Sie biss sich auf die Lippe. Er hatte nicht die richtige Ausrüstung. Was, wenn er ausrutschte und ebenfalls stürzte? Aber Sally konnte ihn nicht daran hindern, sein Vorhaben auszuführen. Hier ging es um ihre Mutter!

»Passen Sie auf Felix auf«, sagte er wieder, dann ließ er das Seil durch seine Finger gleiten und begann den Abstieg.

Sally presste die Faust auf die Lippen. Die Ulme war nicht besonders dick, und sie bog sich unter dem Gewicht des Fremden nach vorn. Er war groß und stark, zwar schlank, doch extrem muskulös. Sie sah, wie sich seine Schultermuskeln bewegten, als er sich rasch und effizient abseilte. Felsbrocken und Pflanzen gaben unter seinen Füßen nach, aber er verlagerte nur sein Gewicht. Sie wäre beeindruckt gewesen, wenn sie nicht solche Angst gehabt hätte.

Mona rutschte wieder ein Stück.

»Bitte beeilen Sie sich!«, schrie sie. Er ignorierte sie, blickte nicht einmal auf, bewegte sich stattdessen konzentriert weiter abwärts, weiter, immer weiter, hatte sie fast erreicht ...

Und dann ein lautes Knacksen. Die Felskante brach, neigte sich. Mona Lassiter rutschte unaufhaltsam abwärts.

Und sein massiger Gewichtheberarm schoss vor und packte sie am Handgelenk.

Aus dem Augenwinkel sah Sally eine Bewegung: Die zarte Ulme bog sich gefährlich nach vorn, das Seil gab nach. Der Mann keuchte und grunzte, seine Füße rutschten ab, aber er schaffte es, fand wieder Halt, zog ihre Mutter zurück über die Kante und zerrte sie wie ein Beutestück auf seine Schulter.

Sally rannte zum Baum und versuchte, ihn zu stützen, aber sie hatte nicht genug Kraft; das Gewicht der zwei Menschen am Seil zogen das Bäumchen nach vorn, und sie konnte nur beten, dass es halten würde.

Sie warf einen Blick über die Klippe. Er kletterte langsam, viel zu langsam aufwärts. Sie hörte sein Keuchen, das Stöhnen der Anstrengung, als er sich Zentimeter für Zentimeter hinaufarbeitete, während ihre Mutter leblos über seiner Schulter hing. Gott, lieber Gott, ich weiß, dass ich sonst nie bete, aber bitte, bitte gib ihm die Kraft ...

Nach einer Ewigkeit erschien sein Kopf über dem Rand. Sein Gesicht war knallrot und schweißüberströmt. »Nehmen Sie sie«, keuchte er.

Weinend und lachend, nahezu hysterisch, zerrte Sally an Monas Armen. Ihre Mutter löste sich vom Rücken ihres Retters und sank ins Gras. Sie war am ganzen Körper voller Schrammen und blauer Flecken und noch immer bewusstlos, aber sie atmete. Während Sally sie rasch untersuchte, hievte der Mann sich ebenfalls ins Gras und rollte sich keuchend auf den Rücken.

Sally warf ihm einen dankbaren Blick zu, fuhr aber zusammen, als sie seine aufgeschürften und blutigen Handinnenflächen sah. Seine Brust hob und senkte sich schwer, als er versuchte, wieder zu Atem zu kommen.

»Sie haben ihr das Leben gerettet«, sagte Sally. Natürlich wusste er das selbst, aber sie musste es aussprechen. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.«

»Wo ist mein Hund?«

Sally durchfuhr der nächste Schreck; sie hatte das Tier vollkommen vergessen. Dieser Mann hatte sie um eine winzige Kleinigkeit gebeten, während er ihre Mutter rettete, und sie hatte nicht einmal das getan. Wild sah sie sich um und hätte vor Erleichterung fast geseufzt: Der Hund saß schwanzwedelnd hinter ihr, als sei sein Besitzer nur eben Brötchen holen gewesen.

»Da ist er«, murmelte sie schuldbewusst.

Er wandte ihr das Gesicht zu. »Sie haben ihn vergessen. Na ja, verständlich in der Situation. Und es ist nicht schlimm. Felix ist recht gut abgerichtet.«

In der Ferne war eine Sirene zu hören, die sich näherte. Er stemmte sich mühsam in eine sitzende Position.

»Endlich, die Polizei kommt.« Jetzt begannen die Tränen der Erleichterung zu fließen. »Sie müssen Sie beide ins Krankenhaus bringen. Auch Sie brauchen medizinische Versorgung.« Zum ersten Mal sah er sie an. Sie konnte seine Augen hinter der Sonnenbrille nicht erkennen, aber sie wusste, dass er sie aufmerksam musterte. Sie hasste es, angestarrt zu werden, aber hier war es irgendwie anders. Und zu ihrem Entsetzen stellte sie fest, dass ihr Körper reagierte.

Ein Schauder ließ sie erzittern, und sie senkte hastig den Blick. Eine instinktive Reaktion, versicherte sie sich. Der Mann hatte gerade ihre Mutter gerettet. Sie hatte Angst gehabt. Und schließlich wusste man ja, welche Reaktionen Adrenalin im Körper bewirkte.

Dennoch wünschte sie sich plötzlich, sie sähe nicht so grausig aus: das Haar ungewaschen und vom Laufen zerzaust, die Augen rot vom Weinen, das Gesicht frei von Make-up, gerötet und verschwitzt.

»Ich verschwinde lieber.« Er stand auf. »Ihre Mutter wird wieder in Ordnung kommen.«

»Sind Sie Arzt?« Sie hatte keine Ahnung, warum sie ihn das gefragt hatte – vielleicht wollte sie einfach, dass er bliebe.

»Nein. Aber ich habe schon viele Sportverletzungen gesehen.« Nun endlich nahm er die Sonnenbrille ab, und Sally, deren Gesicht bereits rot war, nahm eine noch dunklere Farbe an.

Sie kannte diese ungewöhnlich hellgrauen Augen. Und als sie nun sein kantiges Kinn und seinen muskelbepackten Körper betrachtete, fragte sie sich, warum sie ihn nicht gleich erkannt hatte.

»Ah, wie ich sehe, wissen Sie nun Bescheid«, sagte er ohne falsche Bescheidenheit.

»Ich ... ja.« Sally versuchte, ihre Verwirrung zu unterdrücken.

»Neulich – auf dem Titel von dieser Zeitschrift.« Seit wann stammelte sie wie ein schüchternes Mauerblümchen? Verdammt, sie klang wie ein überforderter Fan.

»Sport Illustrated«, half er ihr grinsend aus. »Sie hatten eben wirklich keine Ahnung, was?«

»Nein, wirklich nicht. Sie sind Chris Nelson. Der Baseball-Spieler.«

Sally war kein Sportfan, aber sie hatte natürlich schon von Chris Nelson, dem Shortstop der Dodgers, gehört. Er war gut, nein, großartig, und er war ein Star. In dieser Stadt ein Megastar. Selbst die Filmleute aus Hollywood hofierten ihn. »Ja. Hören Sie, erzählen Sie niemandem von dieser Sache, ja? Ich brauche die Publicity nicht; die Presse wird mich wochenlang jagen.«

»Okay. Ich sage nichts.«

»Ich würde ja bleiben und mir Ihre Mutter ansehen, aber ich bin sicher, dass sie schon wieder wird.«

»Noch mal – vielen, vielen Dank.« Sally biss sich auf die Lippe. Sie konnte nicht mehr von diesem Burschen verlangen. Sie würde wirken wie ein Groupie. »Die Cops sind ja gleich hier. Und ... Sie sind wirklich ein Held, Mr. Nelson.« Sie wusste, wie dämlich das klang, aber sie konnte es nicht ändern.

»Süß. Danke.« Er zwinkerte ihr zu, und in Sallys Bauch flatterte ein Schwarm Schmetterlinge auf. »Ist lange her, dass ich ein Mädchen hab rot werden sehen.«

»Ihre Hände sehen schlimm aus.«

»Ja – na ja. Meine Schulter ist praktisch ausgekugelt.«

»Ich nehme an, Ihr Arzt wird mich sofort verklagen«, versuchte sie zu scherzen.

»John Tepes wird Sie garantiert einen Kopf kürzer machen, wenn ich gegen die Yankees nicht fit bin.« Tepes war der Manager der Dodgers. »Aber keine Angst. Dann komme ich vorbei und rette Sie vor ihm.«

Die Sirene war nun schon sehr nah. Er wandte sich zum Gehen, und Sally schämte sich, weil es ihr so viel ausmachte, dass er nun wieder aus ihrem Leben verschwinden würde, obwohl ihre Mutter bewusstlos und verletzt neben ihr lag.

»Sie heißen Sally Lassiter, richtig?«

Sie fuhr erschreckt zusammen. »Woher, zum Teufel, wissen Sie das denn?«

Ihr Staunen schien ihn zu amüsieren. »Aus den Zeitungen. Meine Freundin hat mir ein Foto von Ihnen gezeigt. Sie hat ein paar T-Shirts in Ihrem Laden gekauft. Standen ihr extrem gut.«

Freundin. Natürlich. Als wäre ein Topsportler wie er Single.

»Danke, Mr. Nelson.«

»Ich denke, nach allem ist Chris angebrachter. Wiedersehen, Herzchen. Felix, komm.«

Er pfiff, und der Hund, der brav gewartet hatte, sprang auf und lief freudig neben ihm her.

Sally blickte immer noch in die Richtung, in der er verschwunden war, als die Polizei eintraf. Es waren stämmige Männer, aber mit Bäuchen, die dem Weihnachtsmann Konkurrenz gemacht hätten. Keine Chance, dass sie Mona hätten heraufschaffen können.

»Sie kommt wieder in Ordnung. Wir bringen sie ins Krankenhaus nach Malibu. Was ist passiert, Ma’am? Und wie haben Sie sie hier heraufgebracht?«

Sally erzählte die Geschichte, ohne jedoch Nelsons Namen zu nennen, während sie Mona an Schultern und Beinen packten und hochhievten.

»Was für ’ne Story«, murmelte der eine. »Und was für’n Kerl.«

Ja, dachte Sally sehnsüchtig. Was für ein Kerl.

Mona war zum Glück nicht schwer verletzt; sie hatte sich den Arm gebrochen, jede Menge Prellungen erlitten und hatte natürlich eine Gehirnerschütterung. Sally war beinahe erleichtert, dass sie ein paar Tage im Krankenhaus bleiben musste, und hatte ein mächtig schlechtes Gewissen deswegen. Sie stürzte sich auf die Arbeit, aber der Baseballer wollte ihr nicht aus dem Kopf. Morgens wachte sie unruhig auf, noch erregt von halb vergessenen erotischen Träumen.

Sie versuchte, Chris Nelson zu vergessen. Er war kein echter Mensch, er war eine Ikone. Mit einer Freundin. Und vielleicht spielten bei ihr bloß spätpubertäre Hormone verrückt. Seit Leo hatte sie keinen Mann auch nur küssen wollen. Sie wusste, dass sie eine ganz normale Heterofrau war; vielleicht war Chris einfach nur der erste Mann, den zu begehren sie eine Chance gehabt hatte. Reiner Zufall, entschied sie.

Aber da Sally ihm nun einmal begegnet war, wurde sie überall an ihn erinnert: in den Nachrichten, wann immer sie in einer Fernsehsendung zufällig ein Banner der Dodgers oder Fans auf der Straße sah. Und ein paar Tage später die Neuigkeit: Wegen einer nicht näher bestimmten Verletzung musste er einen Monat aussetzen. Es wurde zum Gesprächsthema in ganz LA.

Angstvoll wartete Sally, dass alles herauskommen würde. Und wenn das der Fall wäre, würden die Sportfans ihren Laden gewiss stürmen.

Doch natürlich geschah nichts. Im Radio hörte sie, dass er zur Physiotherapie ging, und die Rettung ihrer Mutter blieb ein Geheimnis.

Also kümmerte sich Sally wieder um ihren Job. Einkaufen. Entwerfen. GLAMOUR zu einer Marke, einer Haltung entwickeln. Zu einem Erlebnis, das begann, sobald der Kunde seinen Wagen abgab, damit er für ihn geparkt wurde. Wer hier kaufte, so musste es nach Sallys Vorstellung sein, sollte nicht einfach ein Kleid oder einen Teppich erwerben; er sollte ein kleines Stück vom Traum Hollywoods mit nach Hause nehmen.

Sally hatte die Vision, und die anderen beiden folgten ihr bereitwillig. GLAMOUR. Der Name sagte alles. Jeder Einkauf ein kleiner Urlaub. Etwas, das ihre enorm hohen Preise rechtfertigte.

Vielleicht würde Laetitia Berry ja auch einmal hier einkaufen. Nelsons Freundin.

Laetitia, oder Letty, wie die Presse sie nannte. Ehemalige Miss Minnesota und nun Sitcom-Star. Groß, schlank, Afroamerikanerin mit makelloser ebenholzfarbener Haut, blendend weißen Zähnen, leichter Stupsnase. Sie kaufte nur in den edelsten Geschäften ein, fuhr einen Ferrari und war, wie Sally in Erfahrung brachte, seit einem Jahr mit Chris Nelson zusammen. Es gab Gerüchte um eine Schwangerschaft. Es hieß, sie wollten heiraten.

So war es eben. Natürlich war er liiert. Sally war unendlich dankbar, dass Nelson ihre Mutter gerettet hatte, also versuchte sie, sich für ihn zu freuen.

Aber es klappte nicht.

Herrgott. Sally versuchte sich klarzumachen, dass er nicht der einzige Mann auf der Welt war. Schließlich hatte sie festgestellt, dass sie sich wieder für Männer interessierte. Ja, sie würde losziehen und in die richtigen Clubs gehen.

Aber auch das klappte nicht.

Nach der Vergewaltigung hatte sie sich allem verschlossen, war wie Jane geworden, besessen von ihrer Arbeit und immer beschäftigt, um ja nichts zu spüren. Wenn jemand sie anstarrte, fühlte sie nichts als Verachtung, manchmal auch Furcht. Aber Verlangen hatte sie seit einer Ewigkeit nicht empfunden.

Chris Nelson hatte sein Leben riskiert, um eine Fremde zu retten. Wie es schien, nutzte er seine körperliche Überlegenheit, um andere zu schützen, nicht um Frauen zu vergewaltigen wie Leo Fisk. War es da ein Wunder, dass Sally ihn wollte? Sie träumte von ihm, malte sich aus, mit ihm zu schlafen, und sah sich in ihrer Phantasie bereits als seine Ehefrau, die eine Schar kleiner Jungs zum Softball brachte.

Nur konnte die Realität leider nicht mit ihrer Phantasie mithalten. In der wirklichen Welt existierten andere Frauen. Also gut. Sie hatte zu arbeiten. GLAMOUR segelte auf seine Eröffnung zu. Sie musste noch die PR-Kampagne organisieren und zahlreiche andere Dinge in die Wege leiten. Sie machte weiter. Was sollte sie auch sonst tun?