Kapitel 41

»Ich kann einfach nicht glauben, dass wir das ausgerechnet an einem gemeinsamen freien Tag machen.« Chris war immer noch extrem wütend. Dennoch gab er sich Mühe, seinen Unmut nicht zu laut zu äußern. »Es ist höllisch heiß hier draußen.«

»Sch«, zischte Sally wütend. »Wir sind jetzt hier, also mach das Beste draus. Du kannst auf dem Rückflug schlafen.«

»Zwei Tage Pause vor Boston, und ich verbringe den größten Teil davon dreißigtausend Fuß in der Luft.«

»Ach, und zu wie vielen königlichen Hochzeiten wirst du normalerweise eingeladen?«

Er drückte ihren Arm. »Okay, du hast recht. Aber du wirst immer meine Prinzessin bleiben.«

Vor ihnen beugte sich Haya über die Schriftrolle. Sie senkte den Kopf und unterzeichnete.

Sally musterte ihre Freundin mit gemischten Gefühlen. Sicher, es war etwas dabei, das an Ehrfurcht grenzte, aber sie empfand auch Neid, Trauer und einen Hauch von Zorn. Mit dieser Unterschrift verschwand die Haya, die sie gekannt hatte, und anders als beim ersten Mal würde nichts sie wieder zurückbringen.

Sie stieg aus dem Unternehmen aus. Sie stieg auch aus ihrer Freundschaft aus. Da stand sie, von Kopf bis Fuß in fließende, goldene Seide gehüllt, die mit Zuchtperlen und glänzenden Steinchen bestickt war, und sah mit ihren durchsichtigen Chiffonschleiern, die sich bei jeder Bewegung leicht bewegten, ganz wie die Märchenprinzessinnen aus Sallys Kinderbüchern aus. Was für ein Kleid. Haya wirkte auf Sally nicht mehr real. Ihr Mann trug einen halblangen, traditionellen Mantel aus weißem Satin. Auch seine Kleidung war bestickt und mit Steinen besetzt.

Er hatte zuerst unterschrieben. Der Imam sagte etwas auf Arabisch. Die Wachen präsentierten die Gewehre und feuerten dann gleichzeitig Salutschüsse ab.

Chris riss Sally instinktiv in die Arme.

»Schon gut«, murmelte sie. »Das gehört zur Zeremonie.«

Er grinste verlegen. »Ich habe mich trotzdem zu Tode erschreckt.«

Aber Sally sah nur ihre Freundin. Andere Frauen trugen ein ähnliches Kleid wie sie, aber keines war so prächtig wie Hayas. Sally vermutete, dass diese Frauen eine Art Brautjungfern darstellten, falls es so etwas in dieser Religion gab. Nun traten sie vor und nahmen Haya den Kopfschmuck ab, Jaber die runde weiße Kappe. Schließlich führten sie die beiden am König vorbei, vor dem er sich verbeugte und sie knickste, dann weiter zu zwei prächtigen Stühlen. Der König sagte etwas, und die beiden setzten sich.

Zwei Soldaten traten mit weißen Kissen in den Händen vor.

»Was ist das denn?«, flüsterte Sally.

Chris beugte sich vor, kniff die Augen zusammen und brachte seinen Mund an ihr Ohr.

»Kronen«, flüsterte er. »Kleine Kronen.«

Mit offenem Mund sah Sally zu, wie man die glänzenden goldenen Schmuckstücke zuerst auf Jabers, dann auf Hayas Kopf setzte. Die Kronen, die mit Edelsteinen besetzt waren, funkelten in der Sonne.

Schließlich erscholl eine Trompetenfanfare, und Jaber und Haya standen wieder auf. Er bot ihr seinen Arm, und gemeinsam schritten sie über den roten Teppich an den Angehörigen des Hofes von Ghada vorbei. Die Menschen, die sie passierten, verneigten sich oder sanken in einen Knicks. Die Miene von Hayas Mutter war fassungslos vor Glück, und als ihre Tochter an ihr vorüberging, knickste sie so tief, dass ihr Knie beinahe den Boden berührte.

Das königliche Paar näherte sich ihnen nun. Chris richtete sich kerzengerade auf und lächelte Haya anerkennend zu. Sally, die sich bewusst war, dass sie die einzigen geladenen Freunde waren, wurde tiefrot und versuchte sich an einem ungeschickten Knicks.

Als sie sich aufrichtete, sah Chris sie verärgert an.

»Was sollte denn das? Du bist Amerikanerin, verdammt noch mal.« Er gab sich Mühe, leise zu sprechen.

»Wir sind hier die einzigen Gäste aus dem Westen, und ich wollte ihr meinen Respekt erweisen. Und sie außerdem nicht bloßstellen, indem ich mich nicht an die hiesigen Sitten halte.«

Er schnaubte. »Ich verbeuge mich vor niemandem. Und ich hätte auch nicht geglaubt, dass du das je machen würdest.« »Noch ein Grund, warum ich dich liebe«, sagte Sally aufrichtig.

Sie war neidisch, da gab es nichts zu leugnen. Welches westliche Mädchen träumt nicht davon, eine Prinzessin zu sein? Und Haya war nun eine; hier war nicht einmal eine Metapher nötig.

Die Kapelle spielte einen Debussy-Walzer an, und die offizielle Zeremonie war vorbei. Ein uniformierter Offizier des Palastes kam auf sie zu. »Mr. Nelson, Miss Lassiter?«

»Ertappt«, sagte Chris, und Sally stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen.

»Ihre Königliche Hoheit, Prinzessin Haya al-Jaber, bittet Sie an ihren Tisch. Darf ich Sie hinbringen?«

»Ah, ja«, sagte Sally.

Was für ein Augenblick. Wenn ihre Mutter sie sehen könnte. Wenn ihr Vater sie sehen könnte ...

Doch mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass Haya definitiv nicht zu GLAMOUR zurückkommen würde. Was, wenn Sally ihre Anteile übernähme? Vielleicht würde sie sich dann nicht mehr so verdammt unzureichend vorkommen, als die Dumme im Trio. Jane marschierte zielstrebig voran, ohne sie jemals um Rat oder auch nur um ihre Meinung zu fragen, und Haya war seit Monaten außer Reichweite gewesen. Doch sie, Sally Lassiter, war die treibende Kraft im Laden. Wer promotete GLAMOUR denn, wer inspirierte die Mode, wer war auf den Magazinen auf der ganzen Welt zu sehen?

Haya hatte das große Los gezogen. Und Sally wünschte ihr von Herzen Glück. GLAMOUR würde für Haya ab jetzt höchstens noch eine Spielerei sein. Aber nicht für Sally.

»Ich würde zu gerne neben der Prinzessin sitzen«, sagte sie selbstbewusst.

Haya lief durch die Hintertür in die Villa, um nach Noor zu sehen. Mrs. Doughty wartete bereits auf sie.

»Ihr geht’s gut. Sie ist gerade eingeschlafen.« Die ältere Frau lächelte und knickste. »Herzlichen Glückwunsch, Königliche Hoheit.«

Haya sah sie entsetzt an. »Lassen Sie das.«

»Oh, das kann ich nicht. Die Leute hier beobachten uns genau. Sie werden sich wohl daran gewöhnen müssen, zumindest in der Öffentlichkeit, Ma’am. Stellen Sie Prinz Jaber nicht bloß. Er ist eine unkonventionelle Ehe eingegangen.

Sie müssen ihm helfen, andere davon zu überzeugen, dass er keine schlechte Wahl getroffen hat.«

Haya trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Sie haben ja recht. Aber es ist dennoch ein eigenartiges Gefühl.«

»Unter den anderen Kindermädchen wird eifrig geklatscht«, sagte Mrs. Doughty mit gesenkter Stimme. »Über die Stellung Ihres Mannes am Hof. Es heißt, er steht sehr hoch in der Gunst des Königs. Also – ruinieren Sie es nicht. Lassen Sie niemanden sehen, dass Sie gegen das Protokoll verstoßen.«

»Okay.« Auch Haya hatte die Gerüchte gehört. Sie errötete. »Ich bin nicht besonders gut in solchen politischen Dingen.«

»Das lernen Sie schon noch. Denken Sie immer daran, dass Sie jetzt eine Prinzessin sind. Und noch einmal herzlichen Glückwunsch, meine Liebe.« Emily Doughty küsste sie auf beide Wangen. »Sie werden ein glückliches Leben führen.«

Auf dem Weg zurück ging Haya langsam und würdevoll, und die Dienerschaft verbeugte sich, als sie an ihr vorbeischritt. Sie wusste, dass das Kindermädchen recht hatte. Man munkelte, dass Jaber vielleicht weiter aufsteigen und zum Premierminister ernannt werden würde, was nach dem König das höchste Amt im Staat bedeutete. Und wenn das geschah ...

Was immer sie mit fairem Handel getan hatte, war nichts gegen die Möglichkeiten, die sich in einer solchen Position eröffneten. Mit dem aus Öl gewonnenen Reichtum dieses Landes konnten sie Schulen für die Armen bauen, kulturelle Ereignisse organisieren, den Grundstein für eine Demokratie legen, die Beziehungen zum Westen ausbauen, Kunst und Handwerk fördern. Sie konnten Großes bewirken und das Leben von Hunderttausenden verbessern.

Jaber hatte sein Amt immer ernst genommen. Und er hatte eine königliche Cousine zu ihren Gunsten zurückgewiesen. Sie musste dem Hof beweisen, dass er mit dem ungeschliffenen amerikanischen Mädchen keinen Fehler gemacht hatte. Ein Uniformierter hielt ihr einen Flügel des Zeltes auf, und alle Menschen grüßten ehrerbietig, als sie eintrat.

Haya hob den Kopf, spürte die Krone auf dem Haar und lächelte anmutig. Als sie am alten König und seiner Frau vorbeischritt, sank sie selbst in einen tiefen Knicks. Jaber lächelte ihr entgegen und streckte die Hand aus, als sie sich näherte. »Hier sind deine Freunde«, sagte er. »Mr. Nelson und Miss Lassiter.«

»Wie schön«, murmelte Haya. Sie trat auf die beiden zu und spürte, wie die Blicke aller Anwesenden sich auf sie richteten.

»Hallo«, sagte sie zurückhaltend. »Ich freue mich sehr, dass ihr kommen konntet.«

Chris Nelson, im leichten Anzug, wirkte, als fühle er sich vollkommen fehl am Platz. Er schüttelte ihr die Hand. »Haya, toll, dass wir hier sein dürfen.«

Sie unterdrückte eine Grimasse. Haya? Konnte er sich nicht zusammenreißen und in der Öffentlichkeit ein paar Manieren an den Tag legen? Sie hatte ihn bisher nicht einmal persönlich kennengelernt.

Sie wandte sich an ihre Freundin. »Sally. Du siehst wunderschön aus.« Sally knickste immerhin und senkte den Kopf, aber als sie ihn wieder hob, glühten ihre Wangen tiefrot. Haya unterzog ihre Freundin einer raschen Musterung. Sally trug zwar ein langes Abendkleid aus blauem Samt, aber es war schulterfrei und so tief ausgeschnitten, dass man die Ansätze ihrer beeindruckenden Brüste sehen konnte. Auf jedem Ball in Kalifornien wäre die Menge hingerissen gewesen, aber Ghada war sehr viel konservativer. »Ich freue mich so sehr, dass du gekommen bist«, sagte sie hastig.

»Herzlichen Glückwunsch.« Sally umarmte sie ungeschickt.

»Dir muss doch kühl sein«, sagte Haya diplomatisch. »Ich lasse dir eine Stola bringen. Nachts wird es in der Wüste sehr kalt.«

»Danke, aber das ist nicht nötig«, erwiderte Sally.

Haya zögerte. Sollte sie ihr sagen, dass sie zu viel nackte Haut zeigte? Aber die Leute starrten sie noch immer an. Also drückte sie ihrer Freundin nur die Hand. »Ich hoffe, dass wir noch Zeit zum Reden haben. Die Wache wird euch zu euren Plätzen führen.«

»Kann ich neben dir sitzen? Ich kenne doch sonst keinen hier«, wisperte Sally verunsichert.

»Mein Vater sitzt neben mir, aber du mir gegenüber, ist das in Ordnung?«

»Fein«, gab Sally nervös zurück. »Solange Chris an meiner Seite bleibt. Damit ich jemanden zum Reden habe.«

Während man die beiden zu ihren Plätzen führte, winkte Haya einer Dienerin. »Holen Sie meiner Freundin eine Stola und legen Sie sie um ihre Schultern. Schnell, bitte.«

»Ja, Hoheit«, antwortete die Frau und warf Sally einen verächtlichen Blick zu.

Chris zog seine Verlobte fest an sich.

»Was ist denn los? Du und Haya habt euch gerade aber nicht wie beste Freundinnen benommen.«

Sally seufzte und nickte. »Aber sie ist schon eine Weile nicht mehr in den Staaten gewesen«, versuchte sie ihre Freundin in Schutz zu nehmen. »Kulturelle Unterschiede hat es schon immer gegeben, und jetzt diese formelle Hochzeit mit all den fremden Sitten, der strengen Etikette und so weiter ...«

»Aber Freunden das Gefühl zu geben, dass sie willkommen sind, scheint mir eine ziemlich verbreitete Tradition zu sein«, gab Chris wenig beeindruckt zurück. »Sie hat kaum zwei Worte mit mir gewechselt. Und hast du gesehen, wie herablassend sie mich gemustert hat, als ich ihren Vornamen benutzt habe? Sag mal, weiß sie eigentlich, was die World Series ist? Dass ich meine Trainingspause aufgegeben habe, um mich wegen ihr mit einem fetten Jetlag rumzuschlagen?«

Sally fühlte sich immer elender. Sie schämte sich für die Unfreundlichkeit ihrer Freundin, und ihr schlechtes Gewissen, dass sie Chris, der die nächsten Tage unbedingt fit sein musste, quasi hierher geschleift hatte, wuchs.

»Ach, das sind wahrscheinlich nur die Nerven. Sie hat uns an ihren Tisch gesetzt. Bestimmt taut sie gleich auf, Chris. Haya würde mir niemals so auf die Zehen treten. Wir haben schon zu viel gemeinsam durchgemacht.«

Und sie wollte glauben, was sie da sagte. Aber die uniformierten Wachen, die vielen Bediensteten, die Fanfaren, die formell gekleideten Gäste und die Mauern des Palastes ...

All das sprach von etwas anderem.

Haya ist jetzt eine Prinzessin. Du hast sie verloren. Sie hat dich verlassen.

Die Wachen führten Chris und Sally zu ihren Plätzen, die denen von Jaber und Haya gegenüberlagen. Jaber, der in ein Gespräch mit einem Emir zu seiner Rechten vertieft war, blickte kurz auf und nickte lächelnd, sagte aber nichts. Chris stellte sich in einem tapferen Vorstoß der Höflichkeit seiner Nachbarin vor, einer stämmigen Frau, die ihren Haarknoten mit Juwelen geschmückt hatte.

Sie antwortete auf Arabisch.

Chris warf Sally einen Blick zu. Die Gedankenlosigkeit ihrer Gastgeber verletzte sie. Hätte man Chris nicht an die Seite einer Person setzen können, die Englisch sprach? So konnte ihr Verlobter sich den ganzen Abend ausschließlich mit ihr unterhalten.

In ihrer Verzweiflung wandte Sally sich an Haya. Vielleicht konnte sie sie von der steifen Etikette ablenken und endlich so etwas wie ein normales Gespräch beginnen.

»Also, Haya, du verlässt unser Unternehmen?«

»Das Tagesgeschäft, ja. Aber ich bleibe Teilhaberin. Und wie laufen deine Hochzeitsvorbereitungen?« Haya versuchte, das Thema zu wechseln; sie wollte nicht, dass Jabers Verwandte mitbekamen, dass sie am Tag der Hochzeit über geschäftliche Dinge redete. Seine Mutter, Prinzessin Aziza, sah sie bereits missbilligend an. Mit Blicken versuchte sie Sally Signale zu senden. Verflixt. Waren ihre Freunde denn wirklich so ungehobelt, dass sie sich nicht auf andere Kulturen einstellen konnten?

Sie wusste, dass Jaber Sally insgeheim für ein hübsches, etwas dummes Mädchen hielt, das sich von Janes und Hayas Erfolgen tragen ließ. Natürlich entsprach das nicht der Wahrheit. Aber warum hatte sie ausgerechnet dieses Kleid wählen müssen?

»Oh, es läuft prima.« Sally wandte sich strahlend an Jaber.

»Sie werden bestimmt Ihren Spaß haben. Es wird ähnlich wie hier, aber natürlich mit anderem Essen. Ich hoffe, Sie mögen Amerikanisches.«

»Aber ja«, erwiderte er, ebenfalls lächelnd.

»Es wird bestimmt großartig. Und ich lasse Sie sogar mal an den Grill«, versprach Chris dem Prinzen. »Ich mache meine eigene Marinade. Die ist bei meinen Kumpels berühmt.« Haya starb tausend Tode.

»Übrigens, Haya«, wagte Sally den Vorstoß »wenn du von nun an die Vollzeitprinzessin mimst, dann könntest du mir eigentlich deine Anteile verkaufen.«

Jetzt reichte es Haya – das ging nun wirklich zu weit. Und das an ihrem Hochzeitstag!

»Komisch, aber Jane hat sofort das Gleiche vorgeschlagen«, erwiderte sie eisig. »Ich verkaufe nicht. Es wundert mich, dass sie dir das nicht gesagt hat.«

Sally trat schockiert den Rückzug an. Jane hatte die Anteile kaufen wollen? Jane Morgan? Hatte sie nicht längst genug mit all ihren Aktien und dem Millardär, mit dem sie ins Bett ging? GLAMOUR war Sallys Baby, sie hatte doch sonst nichts.

Und – nein, Jane hatte ihr nichts gesagt. Versuchte sie, sie aus dem Unternehmen zu drängen? Den ganzen Laden zu übernehmen?

»Aber wieso nicht? Du brauchst GLAMOUR doch nicht mehr.«

»GLAMOUR gehört mir«, sagte Haya knapp.

Sallys Augen blitzten auf. Hayas Gedankenlosigkeit in Bezug auf ihre Freunde war schlimm genug, aber das hier übertraf alles. Jetzt ging es nicht mehr nur um Freundschaft, sondern um Sallys Alltag, ihre Arbeit, ihr Dasein. Verdammt, Haya benahm sich nicht wie eine Prinzessin; sie benahm sich wie ein zickiges Miststück.

Auch Haya hatte inzwischen die Nase voll. »Übrigens sprechen wir bei privaten Feierlichkeiten nicht über das Geschäft.« Andeutungen schienen bei Sally nichts zu nützen.

»Das ist hier so Sitte.«

»Madam ...« Die Dienerin war hinter Sally getreten und versuchte nun, ihr die Stola um die Schultern zu legen.

Doch Sally war nun wirklich wütend; sie hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um hier sein zu können, hatte Chris seine einzigen zwei freien Tage während der wichtigsten Saison seines Lebens gestohlen, und was hatte nun sie davon? Haya – Prinzessin Haya – behandelte sie mit einer Arroganz, die einer Julie Manners zu Ehren gereicht hätte. Sally nahm die Stola ab und reichte sie der Frau zurück.

»Nein, vielen Dank«, sagte sie. »Mir ist nicht kalt. Und mir wird auch nicht kalt.«

Die Frau murmelte etwas auf Arabisch und deutete mit dem Kopf auf Haya. Sally hörte das Wort Emira heraus, das Einzige, das sie verstand: Prinzessin.

»Schon gut«, sagte Haya, erst auf Arabisch, dann auf Englisch. Aber ihr Gesicht hatte eine rötliche Färbung angenommen.

Haya schämte sich ihrer. Oh, aber sie hatte sich ihrer nicht geschämt, als Sally sie damals auf dem Schulhof vor den anderen Mädchen beschützt hatte. Chris spürte ihren Zorn und nahm ihre Hand.

»Sollen wir abhauen?«, flüsterte er.

Sie schüttelte den Kopf und biss sich auf die Lippe. »Noch nicht.« Haya wandte sich mit gerunzelter Stirn an ihren Vater. »Ich brauche Ghada für unsere Firma«, fügte Sally leise hinzu. Sie würde ihrer Freundin keine Szene machen. Aber sie sah auch nicht ein, dass man sie wie schlecht erzogene Banausen behandelte. Sie würde eine Weile bleiben, um den Schein zu wahren, aber dann war Schluss.

Chris und sie unterhielten sich gezwungen und überstanden so den ersten und den zweiten Gang, doch dann warf sie ihrem Verlobten einen knappen Blick zu, und er räusperte sich.

»Haya«, begann er, »es war wunderschön, aber Sally und ich sind vollkommen erschöpft, und wir müssen gleich zum Flughafen zurück. Ich kann das Training nicht länger als nötig ausfallen lassen. Jaber, noch einmal herzlichen Glückwunsch. Wir wünschen euch beiden alles Gute.«

Er bot Sally seinen Arm, und sie nahm ihn, dankbar, dass sie einen Mann hatte, der sich durch nichts und niemand beirren ließ.

»Haya. Von mir auch alles Gute. Ich hoffe, wir sehen uns bald in den Staaten. Es war eine wunderschöne Hochzeit.« Sally musste sich zwingen, höflich zu bleiben. »Genießt euren besonderen Tag.«

Haya blinzelte. Die beiden verließen tatsächlich mitten während des Essens den Tisch, so dass zwei leere Plätze zurückblieben!

»Guten Flug«, sagte sie eisig.

Sally nickte, lächelte gezwungen und ging.

In den Augen beider Frauen brannten Tränen der Wut und der Demütigung.

Jaber küsste seine Frau auf die Wange.

»Es ist nicht deine Schuld.« Er wandte sich um und sagte etwas zu einem Uniformierten, der nickte. Einen Moment später wurde ein hoher Beamter aus der Protokollabteilung mit seiner Frau, die über diese Ehre überglücklich war, zu den leeren Plätzen geführt.

Chris wartete, während Sally ihre Sachen packte: Zornig, wie sie war, warf sie alles einfach nur in den Koffer und war in fünf Minuten fertig. Dann ließ er um einen Wagen bitten, der sie zum Flughafen brachte. Während Sally noch immer kochte, holte er seine Kreditkarte hervor und buchte ihnen Erste-Klasse-Tickets nach New York.

Er war auch der Erste, der das Thema ansprach, als das Flugzeug bereits in der Luft war.

»Nimm es nicht so schwer. Sie hat sich wirklich unmöglich benommen. Prinzessin? Ich habe Barmädchen mit besseren Manieren kennengelernt. Wenn das die sprichwörtliche orientalische Gastfreundschaft sein soll ...«

»Ich weiß nicht.« Sally schüttelte den Kopf. »Seit sie nach Ghada gegangen ist, sogar noch bevor Noor geboren worden ist, hat sie sich von uns entfernt. Sie hat die Sache mit ihren ollen Teppichen und Lampen so ernst genommen, dass ich manchmal ein schlechtes Gewissen hatte, weil ich Spaß haben wollte.«

»Aber das ist es nicht eigentlich, richtig?« Chris kannte seine zukünftige Frau gut.

Sally kaute an ihrer Unterlippe. »Nein.« Sie hatte sich immer noch nicht beruhigt. »Sie wollte mir ihre Anteile nicht verkaufen. Und sie hat mir erzählt, dass Jane sie auch gefragt hat. Aber Jane hat mir nichts davon gesagt.«

»Hast du denn mit Jane geredet?«

»Nein, weil ich erst vorhin auf die Idee gekommen bin. Aber ich hätte es.« Sally war sich nicht hundertprozentig sicher, ob das der Wahrheit entsprach, aber das spielte jetzt keine Rolle. »Fakt ist aber doch, dass keine von beiden fair spielt. Haya ist jetzt Prinzessin. Sie ist reicher, als wir alle jemals sein werden. Wozu braucht sie noch GLAMOUR? Das ist mein Unternehmen.«

»Und Jane?«

»Dasselbe. Ihr ist der Laden selbst nicht wichtig; für sie zählt nur das Geschäft. Sie entwirft nichts, sie interessiert sich nicht für die Ware oder für das Einkaufserlebnis. Wenn es nach ihr ginge, könnte GLAMOUR auch eine Konservenfabrik sein. Sie will nur das Geld. Aber ich, Chris, ich lebe GLAMOUR. Ich entwerfe die Mode, den Schmuck, ich gebe weltweit Interviews. Ich habe Fans.«

»Der größte sitzt hier neben dir«, sagte er und wollte sie am liebsten für den klassischen Quickie in die Toilette zerren.

Aber Sally war noch viel zu wütend.

»Wenn die Kundinnen in den Laden kommen, dann nicht, weil eine verdammte Jane Morgan weiß, wie man bei einem Lkw-Unternehmen einen guten Preis rausschlägt, oder weil Haya al-Yanna mal wieder einen hübschen Teppich besorgt hat. Sie kommen, weil sie das Brutzeln mögen. Den Stil. Mich.« Sie ballte die Faust. »Weißt du, die beiden werden immer meine Freundinnen bleiben – hoffe ich wenigstens.« Sie klang nicht überzeugt. »Aber ich kann nicht zulassen, dass man mir GLAMOUR wegnimmt. Es ist mein Geschäft. Es bedeutet mir mehr als den anderen beiden. Und wenn wir wieder zu Hause sind, werde ich eine Möglichkeit finden, es zu übernehmen.«