Ralph Edison war Brookes neuer Detective Sergeant. Uniformierte Officers, die zur Kriminalpolizei wechselten, standen stets vor einer Herausforderung, wenn sie plötzlich in Zivil aufzutreten hatten. Der Schutz, den die Insignien, die Knöpfe, die Streifen und der Gürtel boten, fiel abrupt weg. Die meisten nahmen Zuflucht bei einer streng regulierten Version ziviler Straßenkleidung, versinnbildlicht durch weißes Hemd, schwarzer oder marineblauer Binder-Krawatte, dunklem Anzug und schwarzen Lederschuhen. (Es gab Krawatten, die einfach am Kragen festgesteckt werden konnten, was die Gefahr, im Verlauf einer Festnahme damit erdrosselt zu werden, eliminierte.)
Sergeant Ralph Edison war die Veränderung schwerer gefallen als den meisten anderen. Nach dreißig Jahren in Uniform im Borough war er zwei Jahre vor Kriegsausbruch in den Ruhestand gegangen. Eine Spendensammlung an seinem letzten Tag im Spinning House hatte genug eingebracht, dass er sich einen Satz neuer Gartenwerkzeuge hatte leisten können. Brooke erinnerte sich an seine kurze, kultivierte Dankesrede, die besonders dadurch auffiel, dass sie den deutlichen Eindruck vermittelte, er ginge nur ungern. Infolge der Einberufungen hatte man ihn aus dem Ruhestand zurückgeholt.
Der Anzug hing immer noch recht eigentümlich über seinen leicht gebeugten Schultern, die Hosenbeine waren zu kurz, die Schuhe drückten. Andererseits hatte er mit seiner ruhigen, gemütlichen Persönlichkeit etwas an sich, das die Vorstellung einer Uniform vermittelte, obwohl sie schon lange nicht mehr da war. Ein Gefühl selbstsicherer Kompetenz strahlte von seiner großen, knochigen Gestalt aus. Edison stand in dem Ruf, ehrlich und fleißig zu sein, und er hatte ein Gespür für den Umgang mit einfachen Leuten. Die letzten fünf Jahre vor seiner Pensionierung hatte er die Wache im Spinning House während der Tagesschicht bemannt; ein geduldiger Zuhörer und das Gesicht des Borough gegenüber dem Publikumsverkehr auf dem Revier.
Nun hielt er auf der Schwelle zu Brookes Büro inne.
»Setzen Sie sich nur, wenn Sie möchten, Sergeant«, sagte Brooke. »Wir legen hier nicht so viel Wert auf Förmlichkeit.«
Die Uniformierten hatten strenge Regeln zu befolgen, die eine alles beherrschende Hierarchie widerspiegelten. Edison trug erst seit genau drei Wochen Zivil, und die alten Gewohnheiten klangen noch nach.
»Ich versuche gerade, diesen Vorfall von letzter Nacht zu klären, Sergeant«, sagte Brooke. »Die Sperrballons, wissen Sie?«
»Hab davon gehört. Und ich habe das Feuer gesehen«, sagte Edison und setzte sich. »Oben am Bahnhof. Wir hatten von unserem Hinterhof einen guten Ausblick. Meine Enkelin dachte, es wäre Bonfire Night. Die verdammten Ballons sind gefährlich … über London gibt es Hunderte davon, Sir. War letzte Woche mit meinem Sohn da, um mir das anzusehen. Die sind über den ganzen Fluss verteilt. Wie Wolken in Uniform«, bemerkte er kopfschüttelnd und nippte an dem Becher Tee, den er mitgebracht hatte.
»Tja, einer davon hat letzte Nacht jemanden getötet, Sergeant. Direkt hier in Cambridge. Zeigt, dass Sie richtigliegen.«
»Gütiger Gott«, entfuhr es Edison.
»Haben wir sonst noch was im Dienstbuch?«, fragte Brooke, erpicht darauf, voranzukommen.
Edison lieferte ihm eine knappe und präzise Zusammenfassung aller weiteren Ereignisse, die über Nacht protokolliert worden waren. Abgesehen von einer Serie von Verkehrsunfällen war es während der dunklen Stunden still zugegangen.
»Ein mutmaßlicher Selbstmord war da noch«, fügte er hinzu und fuhr sich mit der Hand durch das kurze, weiße Haar. »Ein Leichnam, aufgefunden in Byron’s Pool. Männlich, in den Fünfzigern, ordentlich gekleidet, gute Schuhe. Er hatte ein paar Backsteine in den Taschen, um sicherzugehen. Ein uniformierter Constable hat die Sache übernommen, nachdem ein Anwohner Meldung gemacht hat. Armer Kerl. Da fragt man sich …«
»Beschaffen Sie mir einen Autopsietermin, ja?«, sagte Brooke. Die Vorstellung, dass der Tod an solch einem idyllischen Ort zugeschlagen hatte, behagte ihm gar nicht. Einmal war er mit seinem Sohn zum Schwimmen dorthin gegangen, sozusagen in den Fußstapfen des großen Dichters, der diesen Ort als Student häufig aufgesucht hatte. Der tiefe grüne Wehrteich vermittelte das verstörende Gefühl von Bodenlosigkeit.
Brooke stand auf und zog die Jalousien hoch. Unten im Hof standen die drei Laster vom Castle Hill mit offener Ladeklappe.
»Das ist Ihre wichtigste Aufgabe, Sergeant. Irgendetwas Neues über die Fahrer?«
Edison schüttelte den Kopf.
Die Vorhängeschlösser hatten sich endlich den Bolzenschneidern gebeugt und den Blick auf die Ladung freigegeben. Kaum war die Ladeklappe heruntergeklappt worden, da war auch schon in stetem Rinnsal das Blut geflossen. Die ersten beiden Laster waren mit frischem Fleisch beladen – Rind, Schwein, Lamm, Federvieh – das abgeladen und an Metzger im Stadtzentrum verteilt worden war, die über Kühlräume verfügten. Gebrochene Hälse beim Geflügel, saubere Kopfschüsse bei den anderen Tieren.
Das eigentliche Rätsel war Turls Truck. Der war leer.
»Was denken Sie?«, fragte Edison neben ihm.
»Schwarzmarkt«, sagte Brooke. »Wir wissen alle, dass uns eine Rationierung bevorsteht. Wenn man die Schlachthäuser und Vorschriften umgeht und genug hortet, kann man den Preis festlegen und ein Vermögen machen. Die verdienen sich eine goldene Nase.«