Peter Aldiss befand sich in einem Raum, den er als Kakerlakenkammer bezeichnete, und überwachte Veränderungen im Verhalten in Abhängigkeit von Licht unter den mehreren Hundert Arten Blattodea. Das Studium des zirkadianen Rhythmus war eine endlose Aufgabe. Brooke hatte es quasi aufgegeben, ihn persönlich zu treffen. Sogar hier, in dem kalten Licht des Labors, glaubte er, die Insekten durch die Tür hören zu können, das sonderbare, beinahe metallische Rascheln ihrer Panzer auf dem Betonboden, wenn sie schattengleich in die Ecken flüchteten. Die Glühwürmchen verhielten sich still hinter ihrer Tür.
Aldiss kehrte mit einer einzelnen Schabe in einem Becherglas zurück, das er auf dem Labortisch abstellte, ehe er seine Hände an einem Tuch abwischte.
»Hast du die Kletterer gefunden?«, fragte er.
»Ich bin nahe dran, dank dir.« Brooke saß auf einem der robusten Labortische. »Du hast gesagt, du würdest versuchen, mehr über Lux’ Arbeit herauszufinden …?«, fragte er.
Die Art, wie der Amerikaner zu Tode gekommen war, besonders aber die mysteriöse Verschleierung, beunruhigten Brooke. Er wollte mehr wissen, ehe er mit Marcus Ashmore sprach. Hatte er den Leichnam des Wissenschaftlers einfach von den College-Gebäuden weggebracht, um seine eigene akademische Laufbahn zu schützen? Was ihn wurmte, war das Zusammentreffen mit Childes Ableben. Lux war an diesem Abend im Galen gewesen und hatte den Film ebenfalls gesehen. Brooke war einem Motiv auf der Spur, das finsterer war als ein Unfall. Ob es etwas mit der Arbeit des Amerikaners zu tun hatte?
»Ich habe mich erkundigt«, sagte Aldiss. »Die höheren Mächte sind ein bisschen nervös. Die professorale Klasse neigt nicht gerade zu müßigem Geplauder. Am Ende war ich ehrlich, oftmals eine desaströse Taktik, aber dieses Mal hat es funktioniert. Ich habe gesagt, du möchtest etwas über Lux’ Forschungsgebiet erfahren. Der Name hilft. Deinem Vater wird immer noch … wie lautet der Begriff gleich, Brooke? Gehuldigt! Jedenfalls habe ich auf diese Weise so etwas wie eine Antwort erhalten. Lass es mich dir zeigen«, sagte Aldiss, ging zum Lichtschalter und stürzte sie zurück in tiefe Finsternis.
»Siehst du?«, erklang Aldiss’ Stimme aus der Ecke.
Das Einzige, was Brooke jetzt noch sah, war das leuchtende Ziffernblatt der Uhr des Wissenschaftlers, das wie ein Pendel von einer Seite zur anderen schwang.
Als das Licht wieder aufflammte, offenbarte es die ganze Uhr, die nun wie ein Ausstellungsobjekt auf dem Tisch lag.
»Sie lassen Frauen die Zahlen auf diese Ziffernblätter schreiben. Da gibt es eine große Fabrik in den Staaten. United Radium. Die sind Marktführer. Nun stell dir vor, ich bin so eine Frau in so einer Fabrik …«
Er stellte seinen leeren Becher auf die Seite und holte einen Satz extrem feiner Pinsel aus der Tischschublade.
»Hiermit tupfe ich die Leuchtpunkte auf die Rücken der Kakerlaken. Auf diese Weise kann ich bestimmte Tiere im Dunkeln ausmachen. Stell dir vor, in meinem Becher wäre Farbe.«
Er nahm den Pinsel, steckte ihn in den Mund und zog ihn zwischen den Lippen wieder heraus. Dann tat er, als würde er ihn in Farbe tunken und imitierte die präzise Kunst, winzige Zahlen auf ein Ziffernblatt zu malen. Anschließend leckte er erneut den Pinsel ab und wiederholte den Vorgang.
»Mach das jedes Mal so, und du kannst dir vorstellen, was passiert. Sie nennen sie die Radium-Girls, die Opfer. Man hat ihnen gesagt, die Farbe wäre unbedenklich, also haben sie sich damit zum Spaß Nägel und Lippen bemalt. Natürlich wurden sie per Stück bezahlt, eineinhalb Cent pro Ziffernblatt. Hunderte haben sich eine Radiumvergiftung zugezogen. Die Symptome sind mehr als nur unangenehm, und das Schlimmste dürfte die Kiefernekrose sein. Die Firma hat behauptet, diejenigen, die das Radium verantwortlich machten, hätten sich in Wirklichkeit mit Syphilis angesteckt. Fünf sind vor Gericht gegangen und haben Gott sei Dank auch gewonnen, also kennen wir nun die Wahrheit.«
»Und Lux?«
»Ein Experte für Biolumineszenz. Die natürliche Elektrizität der Natur. Stell dir vor, wir könnten herausfinden, wie das funktioniert. Dafür wäre sogar ich dankbar; dann würde ich wissen, wie Glühwürmchen glühen, Brooke. Und es gäbe keine schrecklichen Todesfälle mehr bei United Radium …« Er überdachte die Idee noch einmal. »Besser noch: Es gäbe überhaupt kein United Radium.
Also, das fiel in sein Forschungsgebiet, und ich bin überzeugt, ihm wurden großzügige Mittel geboten, ganz besonders von den USA. Aber die besten Chemiker sind hier. Das ist die Verbindung. Als dann der Krieg ausgebrochen ist, hat er sich breitschlagen lassen, seine Fähigkeiten in den Dienst eines anderen Kollektivs zu stellen und sie den Kriegsanstrengungen zu widmen. Wie er das getan hat, weiß ich nicht. Ich bin nur dankbar, dass er einen Teil der Ergebnisse seiner Forschung mit dem Rest von uns geteilt hat. Letztes Jahr hat er ein Rundschreiben über die Risiken an alle Labore rausgegeben. Ich lecke niemals einen Pinsel ab.«