Rose Kings Hütte auf dem Market Hill war gut besucht; eine Schar junger Verkäuferinnen drängelte sich vor dem Tresen und konkurrierte um eine Gelegenheit, Zucker in den Tee zu schütten.
Als Brooke sich näherte, sagte eine: »Das ist wohl Ihr Glückstag, Rose.« Daraufhin brachen alle Frauen in Gelächter aus.
»Groß, dunkel und attraktiv«, bemerkte eine andere Stimme. »Genau richtig.«
Brookes knappe Schritte führten ihn in den Lichtschein, der sich aus dem Stand ergoss. Er schob sich den Hut in den Nacken, und die Mädchen stoben kichernd davon.
»Ihr Mann ist da drüben«, sagte Rose, wobei eine halbe Zigarette zwischen ihren roten Lippen tanzte. »Der macht mir eine Gänsehaut. Ölig ist das passende Wort, und ich weiß, er ist ein Freund … ich glaube nicht, dass mein Tee ihn in die Stadt lockt, Sie etwa? Die glasigen Augen verraten, was los ist.«
Brooke sah sich auf dem Markt um. Die meisten Buden standen unter Markisen, auf denen die ersten Spuren von Frost schimmerten; kahl, ohne Besucher, ein Netzwerk aus Schatten.
»Beim Brunnen«, sagte Rose und deutete mit ihrem Blick in die passende Richtung.
Captain Richard Kerridge saß am Rand des Brunnens. Zigarettenrauch stieg zwischen seinen Fingerspitzen empor. Ohne seine Uniform sah er wüst aus, beinahe verlottert. Er lockerte die rote Seidenkrawatte an seiner Kehle und fegte etwas Asche von seinem Jackenaufschlag.
»Rich, danke für die Nachricht«, sagte Brooke.
Kerridge nickte. »Wenn der Held der Wüste ruft, wie könnte ich mich da verweigern?«
»Tu mir einen Gefallen, wenn du kannst, Rich«, sagte Brooke. »Ich muss die Geschichte eines Soldaten aus dem letzten Krieg überprüfen, dem ein Orden verliehen wurde. Könntest du dem nachspüren? Der Name ist Corporal Harry Staunton.« Brooke buchstabierte den Nachnamen. »Das war doch deine Aufgabe im Nahen Osten, nicht wahr? Ordensverleihungen? Hast du noch Kontakte?«
Kerridge salutierte nachlässig und taumelte beinahe in den Brunnen.
»Gab’s was zu feiern?«, fragte Brooke.
»Informationen sammeln«, erwiderte Kerridge und schüttete einen Becher mit Roses Tee in den Brunnen. »Und ich muss zurück. Meine Pflicht endet nie.«
Die Mädchenhorde war mittlerweile außer Sicht, aber sie hörten eine Woge entzückter Aufschreie, die durch die angrenzenden Straßen hallten.
»Erzähl mir von Swift-Lane«, bat Brooke.
Kerridge seufzte. »Was soll ich dir da erzählen? Ein Soldat, der versucht, mit den Großtaten seiner älteren Brüder gleichzuziehen. Sagte ich, er versucht gleichzuziehen? Er versucht es verzweifelt, wäre vielleicht treffender.«
Er sah Brooke in die Augen. »Ich habe dir das Folgende nicht erzählt, Brooke. Du hast es durch die Gerüchteküche erfahren. Swift-Lane steht in dem Ruf, unzuverlässig und exzentrisch zu sein. Vor dem Großen Krieg hat er eine Expedition zur Kartografierung der Baffininsel oben in der Arktis geführt. Die war so schlecht organisiert, dass er und seine Männer von der kanadischen Marine gerettet werden mussten. Die haben sich unmöglich gemacht. Im Krieg war er in Gallipoli dabei – desgleichen –, dann an diversen anderen Kriegsschauplätzen, alle sehr entlegen. Nach dem Waffenstillstand ist er als einer von Churchills antikommunistischen Freiwilligen nach Russland gegangen. Danach war er eine Weile beim Militärgeheimdienst und anschließend im Kriegsministerium. Seine Ehe endete mit einer Scheidung. Noch ein dunkler Fleck in seinem Lebenslauf. Dies hier ist seine letzte Chance, Brooke. Aber das ist das große Ding bei einem Krieg, wenn man Soldat ist. Sitzt man zur rechten Zeit am rechten Ort, kann man Karriere machen. Zur falschen Zeit am falschen Ort, und man wird erschossen. Madingley ist ein kleiner Hexenkessel der Intriganten, das kannst du mir glauben.«
»Also traut man ihm nicht?«
»Gemeingefährlich, der Mann, Brooke. Im Kampf tödlich, aber nur für seine eigenen Männer. Es gibt nichts, was ein Soldat mehr verachtet, als einen unbesonnenen Helden. Kein Wunder, dass er Major Stone hasst. Der mag nur stellvertretender Kommandant sein, aber der trifft wenigstens, wenn er einen Stein auf den Boden wirft. Wie Tag und Nacht, die zwei.«
»Hass ist ein starkes Wort.«
»Die kommunizieren schriftlich. Die hassen sich wie die Pest, Brooke, glaub mir.«
»Warum hat Swift-Lane so ein großes Interesse am Schicksal von Chris Childe?«
Kerridge strich seinen Mantel glatt und knöpfte den Kragen unter dem Kinn zu. Dabei fing sich das wenige Licht der Umgebung in seinem Profil, und Brooke bekam eine Ahnung, was Alkohol diesem Gesicht in den nächsten zehn Jahren antun würde.
»Swift-Lane interessiert sich für Childe, weil es ihn seine Karriere kosten würde, sollten heikle Informationen nach draußen dringen. Dieser Einsatz am Flussufer, die Vorlesung im Galen, das ist alles Teil einer militärischen Waffenforschung unter Swift-Lanes Aufsicht. Die Nacht der Großen Verdunkelung war ein erstklassiger Schlamassel. Die zivile Einheit hätte diese Gruben nie ausheben dürfen, aber Corporal Currie wollte seinen Jungs eine Pause gönnen. Currie kennt Swift-Lane übrigens von früher – bei Gallipoli war er sein Fahrer. Wie auch immer, er geht zu Swift-Lane und trägt ihm sein Anliegen vor, und der Colonel kommt seinem Wunsch nach und unterschreibt den Befehl. Ein schwerer Fehler, aber es kam noch schlimmer. Major Stone hat Wind davon bekommen und etwas unternommen. Currie musste zum Galen rennen und den Leuten die Leviten lesen. Nicht, dass die irgendwas gesehen hätten. Aber sie konnten kein Risiko eingehen. Und es hätte sogar funktionieren können, aber Childe war, wie du selbst festgestellt hast, beharrlich und hat einen Blick auf den als geheim eingestuften Film geworfen.«
Kerridge warf seine Kippe in den Brunnen. »Wenn es zu einem ernsten Sicherheitsversagen kommt, wenn der Inhalt des Briefes von diesem Kriegsdienstverweigerer Moskau erreicht, dann wird Swift-Lane das ausbaden. Dafür wird Stone schon sorgen.«