KAPITEL FÜNFUNDSECHZIG

Brooke traf als Erster am Mill Road Cemetery ein. Der Nebel, der in der Dämmerung aufgezogen war, war inzwischen dicht genug, die Sicht auf wenige Meter einzuschränken, sodass Kreuze und Statuen, Grabmäler und Steinsärge sich erst grau, dann schwarz abzeichneten, schließlich deutlich zutage traten und dann wieder im Weiß verschwanden. Jenseits des kaputten Eisentors schlängelte sich der Weg an einer Kapelle mit einem kleinen schmalen Turm entlang und verzweigte sich dann in drei Richtungen. Brooke bog nach rechts ab in Richtung der baufälligen Friedhofsmauer und umrundete das Gräberfeld, bis er eine Bank vor einem flach in den Boden eingelassenen Grabstein erreicht hatte, der durch eine Polizeilaterne und einen einzelnen Blumenstrauß gekennzeichnet war. In den Stein war das militärische Wappen des Machine Gun Corps graviert worden.

Neben der Bank stand eine alte Gaslampe, ein viktorianisches Eisenmonstrum in Schwarz und Gold, in die ein grobes Abbild des Stadtwappens eingearbeitet war: drei Boote unter einer goldenen Brücke, die links und rechts von Hippokampen gehalten wurde – Neptuns Rösser, halb Pferd, halb Fisch. Die Heraldik harmonierte gut mit dem feuchten Morgen, dem dichter und dichter werdenden Nebel, der eine Million Miniaturgloben aus Wasser auf Brookes Mantel und Haut ablegte. Er stellte sich winzige Seepferdchen in jedem dieser Tropfen vor.

Der Friedhof, weitläufig genug, um ein Dutzend Fußballfelder zu schlucken, wirkte nun so intim wie ein Dampfbad. Ganz in der Nähe konnte er die Busse auf der Mill Road im Leerlauf tuckern hören, das nasse Brausen von Wagen, die durch das Zwielicht krochen, und das Läuten der Glocken, die die Stunde schlugen. Chris Childe war an diesem Ort gestorben, sein Leichnam auf den Grabstein seiner Eltern gesunken.

Brooke schauderte, schlug den Kragen hoch und zündete sich eine Zigarette an.

Aus dem Nebel kam mit militärischen Zuchtmeisterschritten Colonel Swift-Lane hervor. Er setzte sich auf dieselbe Bank, aber an das andere Ende, lehnte sich gegen die eiserne Armlehne, sodass er seinen schmalen drahtigen Oberkörper Brooke zuwenden konnte, und streifte ein paar lederne Autofahrerhandschuhe ab.

»Bentley?«, fragte Brooke.

Swift-Lane ignorierte die Frage und zog ein silbernes Zigarettenetui hervor. Wahrscheinlich lag es nur am Nebel, aber im Profil sah das Gesicht des Colonels aus wie in Schweiß gebadet.

»Was machen wir hier, Brooke? Ich bin ein viel beschäftigter Mann. Gibt es irgendwelche Neuigkeiten?«

Brooke ließ nicht locker. »Ihre Leidenschaft für Fahrzeuge fasziniert mich«, sagte er, legte seinen Hut auf die Sitzfläche und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Hat das in Russland beim ACEF angefangen? Ich habe mir Ihren Eintrag bei Who’s Who angesehen. Sie hatten eine recht abenteuerliche Laufbahn. Eine ganze Armee von gepanzerten Fahrzeugen, die ihrem Befehl unterstanden – das muss der Himmel gewesen sein. Oder war der Reiz der Expedition das, was Sie nach Russland gelockt hat? Oder vielleicht die Politik? Und dann, als sie nach Hause zurückgekommen sind, ab zum Militärgeheimdienst, wirklich verwegen. Das verlangt nach etwas mit Stil, gewiss, aber ist der Bentley nicht ein bisschen übertrieben?«

»Der Bentley ist neu, aber lassen Sie sich von mir nicht aufhalten. Sie haben offensichtlich Ihren Spaß. Haben Sie mich deswegen hergerufen? Um mit mir über die Auswahl von Fahrzeugen zu reden?« Diese einfache Reihe aus vier Sätzen schien zu reichen, um ihn außer Atem zu bringen.

»Nein, ich wollte mit Ihnen darüber reden, warum Sie Chris Childe getötet haben, gleich hier an dieser Stelle.«

Ungefähr eine halbe Minute lang starrte der Colonel schweigend geradeaus in den Nebel.

Endlich lachte er und sah auf seine Armbanduhr. »Ich gebe Ihnen fünf Minuten, Brooke. Danach ist es, denke ich, an der Zeit, den Chief Constable persönlich aufzusuchen. Ich fürchte, Ihre Karriere ist im Begriff, ein vorzeitiges Ende zu finden.«

»Das alles geht zurück auf Corporal Harry Staunton«, sagte Brooke. »Seine Geschichte führt uns hierher, an diese Stelle. Die Fakten sprechen für sich. Sie waren sein Oberbefehlshaber in Russland, auch wenn Sie an dem Tag, an dem er starb, mehrere Hundert Meilen entfernt waren. Er starb einen heldenhaften Tod, und dann war da das Versprechen seiner Kameraden, seiner Witwe die Waffe zu bringen. Es fiel Ihnen zu, diese Ehre zu erweisen, denn Sie kommen aus Cambridge, und Sie kehrten nach Hause zurück. Unterbrechen Sie mich, wenn ich mich irre … aber so haben Sie Vera Staunton kennengelernt.«

In diesem Moment schien Swift-Lane eine Entscheidung zu treffen, denn er entspannte sich sichtlich und lehnte sich auf seinem Platz zurück.

»Also gut, spielen wir es auf Ihre Art«, sagte er. »Ich werde Ihnen erzählen, was passiert ist, Brooke, und dann ist Schluss.«

Er fasste sich kurz und blieb dabei brutal sachlich.

Ja, er hatte Stauntons Witwe ausfindig gemacht und ihr die Pistole ihres verstorbenen Gatten überreicht. Und da war auch noch ein kleiner Geldbetrag, gesammelt vom ganzen Bataillon, der ihre Pension ein wenig aufstocken sollte.

»Mir war sofort klar, dass Mrs Staunton schon allein wieder Fuß gefasst hatte.«

»Sie war bereits in der Babylon Street?«, fiel Brooke ihm ins Wort.

»Ja. Sie befand sich nicht in einer drängenden Notlage. Ich überreichte ihr die hundert Pfund. Es gab noch andere Offiziere, die sich … wie sollen wir es nennen, Brooke? Sich nach weiblicher Gesellschaft sehnten? Ich habe sie bekannt gemacht, so weit reicht unsere Beziehung.«

»Ich verstehe«, sagte Brooke.

»Das bezweifle ich sehr. Mir ging es darum, den Toten zu ehren. Ihr Gemahl war ein tapferer Mann.«

»Ein sehr tapferer Mann sogar. Aber er war nicht der Vater von Frederick. Die Zeiten passen nicht. Ich war in seiner Schule. Sie gehören zum Beirat, soweit ich herausfinden konnte. Sie sind der Betreuer des Jungen. Tatsächlich halte ich es für möglich, dass Sie sein Vater sind. Haben Sie sich auch nach weiblicher Gesellschaft gesehnt? Sie waren gewiss in einer Position, dafür zu bezahlen.«

Swift-Lane legte den Kopf in den Nacken und ließ zu, dass sich die Feuchtigkeit des Nebels auf seinem Gesicht niederschlug.

Brooke hielt inne, denn er hörte näher kommende Schritte. Dann tauchte an einer Biegung des Weges Vera Staunton im Schutz eines Schirms auf. Der Colonel stand halb auf, streckte eine Hand aus und setzte sich wieder, sank auf eigenartige Weise wie in Zeitlupe zurück auf die Bank.

»Ist das wirklich nötig, Brooke?« Die schmalen, militärisch strengen Lippen bildeten eine mörderisch gerade Linie.

Staunton setzte sich auf eine gegenüberstehende Bank. »Sie sagten, Sie wären allein«, wandte sie sich direkt an Brooke. »Warum wurden wir hergerufen?«

Sie fummelte an einem losen Faden an ihrem Saum herum, und Brooke staunte einmal mehr darüber, wie eigenartig sie außerhalb der weichen, geordneten Welt ihrer Räumlichkeiten wirkte. Der sie umschließende Nebel schien sie nervös zu machen.

»Ich habe Ihnen beiden zwei Dinge zu zeigen«, sagte Brooke, zog die Pistole hervor, die Chris Childe getötet hatte, und legte sie auf dem grünen Filzbeutel auf die Sitzfläche neben Swift-Lane. Das polierte Metall hatte einen Glanz, der, verstärkt durch die Wassertröpfchen in der Luft, beinahe aus sich heraus zu leuchten schien.

»Joelyn Stone wurde aus dem Gewahrsam entlassen«, sagte Brooke. »Er hat Chris Childe nicht getötet. Ich nehme an, all seine Laster sind recht stumpfsinnig. Er ist definitiv kein kaltblütiger Mörder. Der Versuch, ihm die Tat durch die Platzierung der Mordwaffe oben auf Madingley Hall anzuhängen, war ein entscheidender Fehler.«

Vera Stauntons Mund stand offen, und sie machte Anstalten, etwas zu sagen, hielt sich aber dann zurück, eingeschüchtert durch einen finsteren Blick von Swift-Lane.

Aus seinem Mantel zog Brooke nun eine zerfledderte Aktenmappe hervor, verschnürt mit einem Band, von dessen ursprünglicher Farbe nicht viel geblieben war.

»Der zweite Gegenstand. Ein umfassender – und offizieller – Bericht über den Heldentod von Harry Staunton. Mit dem Inhalt werden Sie beide vertraut sein. Betrachten wir einmal den schreienden Widerspruch, der all dem zugrunde liegt: Eine Frau, von der Roten Armee zur Witwe gemacht, nachdem ihr Gatte sich freiwillig zum Kampf gegen die Kommunisten gemeldet hatte, findet sich inmitten des innersten Kreises der örtlichen kommunistischen Partei wieder. Wie können wir diese Fakten unter einen Hut bringen? Versuchen wir es.«

»Das ist eine Farce«, protestierte der Colonel. »Dafür werden Sie bezahlen, Inspector.«

Brooke lächelte Staunton an.

»Ich glaube, als der Colonel Ihnen die Pistole Ihres Ehemannes gebracht hat, da hat es angefangen. Was? Eine Beziehung, zweifellos. Frederick kam zur Welt, und seine Schulgebühren wurden bezahlt. Aber Ihr neuer Mentor wollte mehr, nicht wahr? Inzwischen hat er beim Militärgeheimdienst gearbeitet. Sie, nehme ich an, haben einen glühenden Hass gegenüber dem Regime erkennen lassen, das sie zur Witwe gemacht hat. Die Strategie ist klassisch, wenngleich sie Geduld erfordert. Der Schlüssel dabei ist, niemals selbst in Aktion zu treten, sondern stets abzuwarten, bis man an Sie herantritt. Auf diese Weise regt sich nie irgendein Verdacht. Sie haben sich also zunächst der Peace Pledge Union angeschlossen; ein absolut respektabler Protest gegen die Schrecken des Krieges, der umso überzeugender wurde durch die Geschichte, die Sie sich ausgedacht haben. Um ihrer Haltung mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen erzählten Sie nämlich, dass Ihr Gatte das Opfer der Gräuel an der Westfront geworden sei. Sie haben sich nützlich gemacht; zweifellos haben Sie Wohlwollen gegenüber der größeren politischen Sache zum Ausdruck gebracht: Durchsetzung des internationalen Sozialismus und ein Ende aller Kriege auf globaler Ebene. Aber vor allem waren Sie tüchtig, eine wertvolle Hilfe im Büro. Zwangsläufig ist man irgendwann an Sie herangetreten. Und damit gelangten Sie in eine bedeutende Position, wurden zu einer unbezahlbaren Agentin für jeden Geheimdienstoffizier. Und sicher hat man von Ihnen erwartet, dass Sie auch über Ihre Kunden berichten, über all diese Militäroffiziere, die sich nach weiblicher Gesellschaft sehnen. Dass Sie all das indiskrete Bettgeflüster weitertragen. Was auch der Grund dafür ist, dass Sie, als Ihnen Chris Childes Brief in die Hände fiel, gedacht haben, es könnte opportun sein, ihn sicher zu verwahren. Er wurde nie abgeschickt. Ich glaube, Sie haben an diesem Morgen Idas Telefon benutzt, um den Colonel anzurufen und über Childe zu informieren; darüber, dass er ein Zeuge war und fest entschlossen, seine Informationen nach London weiterzuleiten. Hat Ida das Gespräch übrigens mit angehört?«

»Was hat Ida mit all dem zu tun?«, fragte Staunton.

Brooke ließ ein paar Augenblicke schweigend vergehen. »Zunächst gab es keinen Grund, wegen des Briefs in Panik zu geraten. Chris hatte einen Durchschlag, aber er hatte nicht vor, den Inhalt preiszugeben, solange London ihm keine Anweisung dazu erteilte. Aber dann hat sich alles geändert. Nach dem Erfolg beim Tribunal war er optimistisch gestimmt und vielleicht ein bisschen besorgt, sein Brief könne im Parteiapparat verloren gehen. Also beschloss er, London einfach zu umgehen.«

Der noch immer zunehmende Nebel schlug sich auf den Bäumen nieder, von denen er in Form von Wasser heruntertropfte.

»Ich glaube, Childe ist nach dem Tribunal in die Babylon Street zurückgekommen und hat Ihnen gesagt, er würde seinen Kameraden beim nächsten Treffen erzählen, was er gesehen hatte, und er würde damit auch zur Presse gehen. Wie dem auch sei, die Katze war beinahe aus dem Sack. Er musste aufgehalten werden. Also haben Sie erneut den Colonel angerufen. Oder ist er vorbeigekommen? Ja, um den Brief abzuholen? Während er dort war, haben Sie sich die Zeit genommen, ihn auch gleich in Hinblick auf Joelyn Stone auf den neuesten Stand zu bringen, seinen ehrgeizigen Stellvertreter, der selbst entschlossen war, Childe zum Schweigen zu bringen, wenn auch aus einem ganz anderen Grund. Ich glaube, der Colonel hat seine Chance erkannt. Ich glaube, er hat sich die Waffe und die Munition beschafft, und dann ist er nach Midsummer Common gegangen. Von dort aus ist er Childe nach der Arbeit zum Friedhof gefolgt, wo er ihm eine Kugel ins Hirn gejagt hat. Falls Childe einen Durchschlag dabei hatte, so hat er ihn dem Leichnam abgenommen.«

»Du warst das?«, fragte sie.

»Genug, Vera. Vergiss den Jungen nicht«, sagte Swift-Lane.

Brooke nickte. »Sie haben die ganze Zeit gedacht, Stone wäre der Täter, Mrs Staunton, auch wenn ich den Verdacht hege, dass man Sie schlussendlich dazu ermuntert hat, Ihre hilfreiche und belastende Aussage zu machen. Der Colonel hier hat die Waffe gestohlen, nicht Major Stone.«

»Hätte ich Childe aufhalten wollen, dann hätte ich eine Jedermannfestnahme durchgeführt«, sagte Swift-Lane. »Warum hätte ich ihn töten sollen? Er war unverkennbar im Begriff, zu einer Gefahr für die nationale Sicherheit zu werden. Ich hätte ihn im Handumdrehen auf die Burg schaffen können …« Er schnippte mit den Fingern. »Wo ich auch seine Kameraden verklappt habe. Mord ist Mord, Brooke. Ich genieße keine Sonderprivilegien vor Gericht. Warum hätte ich den Halunken umbringen sollen?«

Staunton war auf ihren Platz zurückgesunken.

»Richtig, das ist die Frage«, sagte Brooke. »Ganz sicher nicht um der nationalen Sicherheit willen, obwohl ich überzeugt bin, dass Sie das zu Ihrer Verteidigung vorbringen werden. Nein, Sie haben die Gelegenheit beim Schopf ergriffen, weil Sie eine Möglichkeit gesehen haben, einen weitaus glanzvolleren Gewinn einzustreichen: ein heroisches, ja, ein historisches Kommando. Sehen Sie, ich habe im Kriegsministerium angerufen, um mich nach Stones neuer Position zu erkundigen. Eine überraschende und außergewöhnliche Ernennung insofern, als dass man den eigentlichen Favoriten für den Posten übergangen hat, einen Offizier von höherem Rang, einen gewissen George Swift-Lane. Ihr Ruf, ein sprunghafter Kommandant zu sein, war nicht so leicht zu verwerfen. Man hat Sie telefonisch über die schlechten Neuigkeiten informiert, an dem Tag, an dem Childe gestorben ist …«

Brooke machte eine Pause.

»Wie haben Sie am Telefon reagiert? Gewiss, Sir, absolut verständlich, jüngerer Mann, volle Unterstützung et cetera et cetera … Aber wie haben Sie sich gefühlt, nachdem das Gespräch beendet war? Das war nicht nur irgendeine Beförderung, nicht wahr? Das Kabinett hat hinter dem Vorhaben gesteckt, sogar der Premierminister selbst. Was beinhaltete das? Einen Titel, Ehren. Zumindest hätten Sie mit Ihren schillernden älteren Brüdern gleichziehen können. Sie haben zusammen mit Ihrem fleißigen Sohnemann daran gearbeitet, den Plan zu perfektionieren, und nun hatte man Ihnen all das aus den Händen gerissen. Und dann taucht die Gelegenheit auf, Childe zu töten, den Sicherheitsbruch zu kitten, den Ihre lasche Amtsführung ermöglicht hatte, und Stone hinter Schloss und Riegel zu bringen. Unwiderstehlich für einen Mann der Tat.«

Swift-Lane drehte sich auf seinem Platz um. »Beweise, Inspector? Oder sollen wir das alles basierend auf Ihrer moralischen Kompetenz für bare Münze nehmen? Der Held der Wüste ist im Besitz der göttlichen Wahrheit, also muss das reichen?«

»Dann haben Sie Ida Trew getötet«, sagte Brooke.

Staunton erhob sich halb, das Gesicht auf sonderbare Weise nach unten gewandt, sodass sie auf gleicher Höhe mit dem Vater ihres Kindes war, als sie ihn aus ihren braunen Augen fixierte.

»Vera. Die Zukunft des Jungen liegt in meinen Händen«, sagte Swift-Lane warnend.

Sie setzte sich wieder und wandte sich dann endlich Brooke zu. »Ida war eine gute Freundin. Wir wollten nur dafür sorgen, dass sie Georges Namen nicht ausplaudert. Ich …«

»Aber sie hatte zu viel gesehen und zu viel gehört, nicht wahr, Colonel? Childes zweiter Besuch, dann Stones Besuch und nicht zuletzt Ihr eigener. Die Telefonanrufe. Vielleicht haben Sie zuerst versucht, sie um Diskretion zu bitten. Ich kann mir schwer vorstellen, dass Sie die Gewalt in Gang gesetzt haben. Allerdings hatte sie Stone ziemlich gern. Die Geschenke, seine freundlichen Aufmerksamkeiten.«

»Sie hatte ein schwaches Herz«, sagte Staunton. »Du hast gesagt, sie sei zusammengebrochen, George.«

»Halt den Rand«, fuhr Swift-Lane sie an und wischte sich den Speichel von der Unterlippe. Für einen Moment schien er um Atem zu ringen, und er presste sich ein Taschentuch an den Mund.

»Vielleicht ist sie gestürzt«, sagte Brooke. »Es gibt Blutspuren an der Herdklappe. Wie dem auch sei, Sie mussten die Leiche loswerden. Der Bentley, nehme ich an, nach Einbruch der Dunkelheit über die Hintergasse. Ich kann nur annehmen, dass sie tot zu sein schien. Oder war es Ihnen einfach egal? Als beide tot waren, mussten Sie nur noch Ihre Spuren verwischen. Die misslichen Zeugen waren bereits aus dem Weg; Childes Kameraden saßen da schon im Castle Gaol, und die Soldaten, die die Gruben ausgehoben haben, waren nach Schottland versetzt worden. Aber auch der geflüchtete Corporal Currie musste aufgespürt und zum Schweigen gebracht werden. Als Sie ihn nicht finden konnten, haben Sie meine Hilfe beansprucht. Wirklich dreist und ausgeklügelt.«

»Irgendwelche Beweise, die Ihre Fantasiegebilde stützen könnten?«, fragte der Colonel. »Das geht nie vor Gericht, Brooke. Überlegen Sie doch mal, Mann. Die Implikationen …«

»Es geht vor Gericht, wenn ich die Wahrheit sage«, erklärte Staunton, die inzwischen ganz aufgestanden war. »Du hast mich veranlasst, ihnen von Joelyn zu erzählen. Du hast wegen Ida gelogen. Du hast mich benutzt, George. Du hast mich benutzt

Endlich kämpfte sich tief am Horizont die Sonne durch den Nebel, ein fahles, aber erstarkendes goldenes Licht.

»Ich glaube, Frederick ist alt genug, um von nun an auf eigenen Beinen zu stehen, George«, fügte sie hinzu. »Er ist ein ziemlich bemerkenswerter junger Mann. Du wirst eines Tages stolz auf ihn sein. Aber er wird niemals stolz auf dich sein.«