Kapitel 3

»I'm a dancing queen, young and sweet, only seventeen«, singen wir zur Musik aus Dominiques Smartphone.

In einem engen Top tanzt Dominique auf einem der Ledersessel vor dem Kamin. Ihren Rollkragenpullover hat sie in eine Ecke geworfen. Ich sehe ihren BH, der unter dem Top hervorlugt: rot mit Spitze und ganz anders als meine Baumwollteile.

»Ich höre euch nicht!«, ruft sie. »Da geht noch was!«

»You can dance, you can jive, having the time of your life!«, brüllen wir aus voller Kehle. Als die letzten Töne des ABBA-Songs verklingen, klatschen wir uns kreischend vor Lachen mit einem High five ab.

»OMG, I love the seventies«, sagt Dominique. »Das war wirklich so retro.«

Ich lasse mich auf einen Sessel plumpsen. »Ich kann nicht mehr!«, keuche ich, während ich mir die Locken aus dem verschwitzten Gesicht wische. »Es ist so irre warm!«

»Das kannst du laut sagen«, sagt Lizzy und windet sich mit rotem Kopf aus ihrem Kapuzenpullover. Mit einem Seufzer lässt sie sich rücklings auf das Sofa fallen. »Wie in der Sauna!«

Das nächste Stück läuft.

»Das ist wieder so ein fetter Song!«, schreit Dominique. »Solo von Clean Bandit und Demi Lovato!« Sie springt vom Sessel und stellt sich neben Lizzy. »Komm schon, Lizzylove, wir tanzen weiter!«

»Ich bin fix und fertig«, stöhnt Lizzy. »Pause, bitte!«

Ich warte, dass Dominique zu mir kommt, um mich zu überreden, aber es passiert nichts.

»Ich bin auch erledigt«, sage ich nur.

Dominique tut so, als würde sie es nicht hören, und lässt sich neben Lizzy aufs Sofa fallen. »Aber was machen wir denn dann? Nichts tun ist langweilig!«

Sie klingt wie ein verwöhntes Kind.

»Ein Spiel?«, schlägt Lizzy vor. »Etwas, bei dem man sich nicht bewegen muss? Wahrheit oder Pflicht?«

»Jaaaaa, das wird wunderbaaar!«, sagt Dominique und trinkt einen großen Schluck Wodka-Cola. »Machst du auch mit, Mel?«

Ich finde das Spiel blöd, aber ich habe auch keine Lust, zuzugucken, wie Lizzy und Dominique zusammen Spaß haben, also stimme ich zu.

»Wer fängt an?«, fragt Lizzy.

»Ich!«, ruft Dominique. »Aber ich muss kurz noch etwas Wichtiges holen.« Sie springt vom Sofa auf und verschwindet in der Küche. Kaum eine halbe Minute später ist sie mit einer Tüte Paprikachips zurück. »Snack Time!«

Wir stürzen uns darauf, als hätten wir eine Woche lang nichts gegessen.

»Okay, die erste Frage ...«, murmelt Dominique, den Mund voller Chips, »ist für Lizzy. Wahrheit oder Pflicht?«

»Wahrheit.« Lizzy kichert. »Aber bitte eine normale Frage, ja?«

»Natürlich, du kennst mich doch«, sagt Dominique und grinst. »Wie groß ist Vincents ... Du weißt schon?«

Kreischend vor Lachen wirft Lizzy sich rücklings in die Sofakissen. »Was für eine idiotische Frage. Keine Ahnung. Zehn Zentimeter?«

Dominique streckt beide Zeigefinger in die Luft und schaut bedenklich auf den Zwischenraum. »Das sind zehn Zentimeter, Liz ... Jetzt verstehe ich, weshalb du den Schlumpf in die Wüste geschickt hast.«

»Haha, sehr witzig.« Lizzy wirft Dominique ein Kissen an den Kopf. »Ich habe es wirklich nicht mit ihm getan, klar?«

Dominique hebt eine Augenbraue, als würde sie ihr kein Wort glauben. »Jaja, und was habt ihr dann zusammen unter der Dusche gemacht, als deine Eltern letzten Monat ein Wochenende weg waren?«

»Das war, äh, nur ein kleines Bisschen«, sagt sie mit feuerroten Wangen.

»Halber Sex ist auch Sex«, sagt Dominique.

Ich versuche, Lizzys Blick einzufangen. Sie starrt auf den Teppich und tut so, als würde sie mich nicht sehen. Ich habe keine Ahnung, was mit ihr und Vincent unter der Dusche passiert ist. Und das weiß Lizzy auch. Warum hat sie mir nichts erzählt? Plötzlich fühle ich mich komplett ausgeschlossen.

Dominique hat es auch kapiert. »Du hast recht, Liz, es ist nichts passiert, tut mir leid, dass ich davon angefangen habe«, sagt sie, aber ihr Blick ist alles andere als schuldbewusst.

Stille tritt ein.

Lizzy räuspert sich. »Du bist an der Reihe, Mel, du musst Do eine Frage stellen.«

»Was? Oh, äh, ja«, sage ich heiser. »Wahrheit oder Pflicht?«

»Wahrheit«, sagt Dominique langsam.

Warum bist du so ein Riesenmiststück?, würde ich am liebsten fragen. Aber ich lächele verkrampft und frage: »Bist du zurzeit in jemanden verliebt?«

Dominique tut so, als müsste sie ganz intensiv nachdenken. »Hmm«, fängt sie an, »jetzt, da du fragst ... Es gibt tatsächlich jemanden. Ich mag die Person, aber sie weiß noch nichts davon.«

»Im Ernst?« Lizzy federt aus den Sofakissen hoch. »Wer ist es denn? Jemand, den wir auch kennen? Please, please, please, erzähl es.«

Sie sieht Dominique so flehend an, als ginge es um etwas Lebenswichtiges.

»Ich kann leider nichts darüber rausrücken«, sagt sie, ohne eine Miene zu verziehen. »Du darfst nur eine Frage stellen.«

»Das ist gemein!«, ruft Lizzy.

»Nein, das sind die Spielregeln«, sagt Dominique und grinst. »Ich werde es schon noch irgendwann erzählen.«

»Versprochen?«

»Versprochen.«

Typisch Dominique, denke ich. Immer eine große Klappe, aber nichts dahinter. Ich glaube nicht, dass sie in jemanden verliebt ist, aber ich werde nichts sagen. Ich habe keine Lust auf Streit.

Lizzy und Dominique starren einander ein paar Sekunden an, bis Lizzy den Kopf abwendet. Warum sind ihre Wangen so rot? Aber noch bevor ich Zeit habe, darüber nachzudenken, sagt Dominique: »Jetzt bin ich an der Reihe. Okay, Mel, Wahrheit oder Pflicht?«

Sie lächelt mich an. Aber ich traue ihr nicht über den Weg. Wenn ich Wahrheit wähle, wird sie wahrscheinlich etwas über meine Eltern fragen. Sie weiß, dass ich dieses Thema hasse.

»Ich nehme Pflicht«, sage ich in einem Ton, als würde mich das alles nicht interessieren. »Und danach gehe ich schlafen, ich bin müde.«

»Prima«, antwortet Dominique im selben uninteressierten Ton. »Warte, kurz nachdenken. Ich will ... ich will, dass du–«

Päng!

Draußen knallt etwas so fest gegen das Haus, dass der Boden zittert.

Erschrocken schauen wir uns an.

»Der Wind ist noch stärker geworden«, sagt Lizzy und macht ein beklommenes Gesicht. »Dieser Fensterladen ... gleich geht noch die Scheibe kaputt.«

»Shit«, seufzt Dominique und beißt sich auf die Lippe. »Ich habe überhaupt keine Lust, rauszugehen.«

Plötzlich sehe ich, wie sich Dominiques Gesichtsausdruck verwandelt.

»Oooooh, aber ich habe eine supergute Pflicht für Mel«, sagt sie mit zusammengekniffenen Augen.

»So«, sage ich.

Dominiques Augen werden noch kleiner. »Die Pflicht ist ... geh nach draußen und mach den Fensterladen zu.«

Ich starre sie überrumpelt an.

»Scherz«, sage ich.

»Aber nein«, antwortet sie zuckersüß. »Wie kommst du denn darauf?«

»Weil das wirklich ein gemeiner Auftrag ist!«, rufe ich. »Du hast doch gerade selbst gesagt, dass du auch nicht raus willst.«

»Ja, weil ich hier im Hemdchen hocke«, sagt Dominique. »Komm schon, so schlimm ist das doch auch nicht, in einer Minute bist du wieder drin.«

»Wir können auch zu dritt gehen?«, versucht Lizzy mir zu helfen.

»Klar, wir können auch das ganze Dorf anrufen, ob sie uns helfen, weil Mel im Dunkeln Angst hat.« Der Blick, den Dominique mir zuwirft, sagt: Was bist du nur für ein Schisser.

»Lass nur«, sage ich. »Ich mache es schon. Dominique hat recht, es ist ein Klacks.« Steif stehe ich auf. »Bis gleich.« Ohne mich umzuschauen, gehe ich in Richtung Flur.

»Los, Mel!«, ruft Lizzy mir noch nach. »Du kannst es!«