»Wo bleibt Dominique denn?« Lizzy schaut auf ihre Uhr. Der starke Wind bläst ihre Haare in alle Richtungen, und sie streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Wir warten schon seit fast einer Viertelstunde.«
»Keine Ahnung«, sage ich. Und denke: Von mir aus kann sie ruhig zu Hause bleiben.
»Ich fliege hier weg. Wenn das noch lange dauert, dann ...«
»Hallo ihr!«, höre ich Dominique rufen. »Wie findet ihr mein neues Outfit?«
In einer langen weißen Jacke steht sie auf der Türschwelle.
»Was hast du denn da an?«, fragt Lizzy. »Die kenne ich ja gar nicht.«
»Stimmt, das ist die Daunenjacke aus der Küche.« Dominique dreht sich einmal um ihre Achse. »Steht mir doch ganz gut, oder?«
»Du siehst aus wie ein Eisbär«, sagt Lizzy und lacht. »Oder wie ein riesiges Marshmallow.«
Dominique wirft ihr eine Kusshand zu. »Ganz reizend, danke, das hebt mein Selbstvertrauen wirklich sehr.«
»Wem ... wem gehörte diese Jacke?«, frage ich.
»Oh, keine Ahnung.« Dominique zuckt mit den Schultern. »Vielleicht ja einem der vier Mädchen.«
Sie sieht meinen Schrecken.
»Wäre doch witzig, oder? Wer weiß, vielleicht sieht uns der Mörder und vertut sich.« Sie lächelt mich an, so nach dem Motto: Das wäre echt ein doofes Ende.
»Haha«, sage ich, aber ich finde es vor allem geschmacklos, dass sie schon wieder davon anfängt.
Ich schaue zu Lizzy. Die lacht Dominique an, als wäre das alles sehr lustig.
»Wollen wir los?« Dominique geht auf den Wald zu.
»Woher weißt du, in welche Richtung wir müssen?«, fragt Lizzy.
»Oh, ich habe eben auf meinem Handy eine schöne Wanderstrecke ausgesucht«, sagt Dominique. »Vertraut mir.«
Wir sind schon seit einer guten halben Stunde unterwegs. Dominique entscheidet bei jeder Abzweigung, welche wir nehmen. Ich hoffe, sie weiß, was sie tut, denn sie schaut kaum auf ihr Handy. Im Augenblick sind wir auf einem schmalen Pfad, der sich steil nach oben schlängelt. Die dicken Baumstämme stehen so dicht, dass man meinen könnte, die Dämmerung sei schon fast angebrochen.
»Schöne Strecke, Do«, sagt Lizzy keuchend. »Bist du sicher, dass wir hier noch richtig sind?«
»Ja, aber wenn ihr mal kurz hierbleibt, checke ich es sicherheitshalber – bin gleich zurück!«
»Aber ...«, stammelt Lizzy.
Doch Dominique ist schon losgerannt. Schnell wird sie kleiner, und dann ist sie hinter den Bäumen verschwunden.
»Ich hoffe, wir haben uns nicht verlaufen.« Lizzy seufzt. »Allmählich habe ich genug vom Wandern.«
»Wenn ich mich richtig erinnere, war das deine Idee«, sage ich und lächele.
»Sorry ... nächstes Mal schlage ich vor, dass wir den ganzen Tag im Bett bleiben.«
Wir kichern.
Dann tritt Stille ein. Doch diesmal ist es eine, die sich vertraut anfühlt.
Lizzy nimmt meine Hand. »Wie läuft es denn zu Hause so, Mel?«
»Oh, normal, alles soweit okay«, sage ich leise.
Sie schaut mich skeptisch an. »Nicht lügen. Wie ist es wirklich?«
Ich beiße mir auf die Lippe. »Nicht so gut. Meine Eltern haben sich diese Woche wieder furchtbar gestritten.«
»Shit.« Sanft drückt sie meine Hand.
»Ja, und dann brüllte meine Mutter, sie würde vielleicht ein paar Tage weggehen. Oder noch länger.«
»Das meint sie nicht wirklich.«
»Ich hoffe es, aber ich habe so große Angst, dass ... dass sie ...« Ich zucke mit den Schultern.
Lizzy nickt nachdenklich. Der Wind zerzaust ihre blonden Locken, und ihr Blick ist freundlich. »Du kannst mir immer alles erzählen«, sagt sie.
Ich schlucke und spüre einen dicken Kloß in meinem Hals. »Wirklich?«
Als Antwort streichelt sie mir mit dem Daumen über die Hand.
»Gestern Abend ...« Ich starre auf meine Schuhe, als würden dort die richtigen Worte liegen. »Ich ... ich habe euch gestern Abend gesehen.«
Sie muss lachen. »Hä? Was meinst du?«
»Dich und Do ... Im Wohnzimmer ... Als ich den Fensterladen zumachen sollte.«
Es bleibt einen Augenblick still. Dann gibt Lizzy ein gleichgültiges »Mhmm« von sich.
Meine Wangen werden rot. »Es sah aus ... es sah so aus, als würdet ihr euch küssen ...« Ich versuche, ihren Blick einzufangen. Aber sie kickt mit einem Tannenzapfen herum, damit sie mich nicht ansehen muss. Das hasse ich!
»Lizzy!«, sage ich.
»Ja, ich höre dich«, sagt sie kühl. »Das hatte nichts zu bedeuten, das war nur Spaß. Aber warum hast du uns eigentlich beobachtet?«
»W-was?«
Lizzy sieht mich kopfschüttelnd an. »Das macht man nicht. Heimlich Leute beobachten.«
Es fühlt sich an, als würde sie mir einen Schlag in den Magen versetzen. Ich kann kaum noch atmen. »D-du verstehst das nicht«, stammele ich. »Ich bin am Fenster vorbeigegangen, und da habe ich euch zufällig ...«
Lizzy seufzt tief, als ginge ich ihr gewaltig auf die Nerven. »Ich verstehe das sehr gut, du bist einfach eifersüchtig auf Dominique.«
Einen Moment lang starre ich sie an. Ihr Gesicht wirkt hart und ist mir vollkommen neu. Das hier geht so richtig schief.
»A-aber ich finde es wirklich nicht schlimm, dass ihr euch geküsst habt«, versuche ich, das Gespräch zu retten. »Ich meine, ihr müsst das selbst ...«
»Hör zu, Mel, es geht hier gar nicht ums Küssen«, unterbricht sie mich. »Du erträgst es einfach nicht, dass ich in letzter Zeit immer mehr mit Dominique zusammen bin.« Lizzy lässt meine Hand los. »Genau davor hat Dominique mich gewarnt. Und ich habe noch gesagt, dass du nicht so bist.« Sie schnaubt. »Dumm von mir .... Weißt du, was dein Problem ist?« Sie stemmt die Hände in die Hüften. »Du denkst nur an dich. Ich soll mir immer deine Geschichten anhören, über deine Eltern und wie bedauernswert du doch bist. Dominique hört wenigstens auch mal mir zu.«
»Lizzy, bitte!«, sage ich heiser.
»Juhu!«, ertönt plötzlich Dominiques Stimme. Sie taucht oben auf dem Hügel auf. »Hier entlang!«
Lizzy fängt an zu lachen. »Da bist du ja! Wir hatten schon Sorge, du hättest dich verirrt.«
»Ich bin doch nicht blöd.« Sie kichert. »Kommt ihr noch, oder bleibt ihr ewig dort stehen?«
Lizzy dreht sich um und läuft in Dominiques Richtung.
»Warte auf mich!«, rufe ich.
Aber das tut sie nicht. Sie schaut sich auch nicht nach mir um. Ich renne hinter ihr her und versuche, das Gefühl zu ignorieren, dass etwas zwischen uns unwiederbringlich anders geworden ist.