Drei Tage zuvor …
G ibst du mir mal die Sonnencreme?«, bat Liv Beaufont unter ihrem überdimensionalen Sonnenhut. Mit ihrer übergroßen Sonnenbrille sah sie aus wie ein Filmstar, der unerkannt bleiben wollte. Sie versteckte sich sozusagen, ohne ein Filmstar zu sein.
In aller Ruhe riss Plato, der schwarz-weiße amerikanische Kurzhaarkater, seinen Blick vom smaragdblauen Meer los und grinste sie an. »Ich kann nicht.«
»Nur, weil ich wieder nicht ›bitte‹ gesagt habe?« Verärgerung machte sich auf Livs Gesicht breit.
»Nein, das liegt daran, dass ich keine Hände habe.«
Selbst verborgen hinter der großen Sonnenbrille wusste Plato, dass die Kriegerin des Hauses der Vierzehn mit den Augen rollte. Mit einem Stöhnen stand sie auf und holte die Strandtasche, die auf der anderen Seite von Platos Liegestuhl stand.
Die beiden hatten den perfekten Platz am Strand von Tortugas Locas, einem beliebten Touristenziel im Süden Mexikos. Zum Glück hatten sie dank Livs Vermögen das ganze Resort für sich allein. Ihr Ruf, für Vater Zeit zu arbeiten, schadete in diesem Zusammenhang auch nicht. Urlaub war für Liv und Plato längst überfällig, nachdem sie mehr als nur einmal buchstäblich den Planeten gerettet hatten.
Jetzt konnten sich Liv und Plato vor potenziellen Feinden verstecken und ein wenig entspannen. Das Einzige, was fehlte, waren die anderen Beaufonts und Stefan, Livs Mann. Da sie aber wichtige Aufgaben hatten, konnten sie sich nicht alle gleichzeitig loseisen.
Liv ließ sich wieder in ihren Liegestuhl fallen, schmierte sich Sonnencreme auf Arme und Beine und schaute sich in der touristenfreien Anlage um. Der Infinity-Pool hinter ihnen spiegelte das Sonnenlicht, sodass sie ihre Augen zusammenkneifen musste. »Man sollte annehmen, dass ich einen unglaublichen Service genieße, seit ich die komplette Anlage gemietet habe.«
»Du machst ihnen Angst«, stellte Plato sachlich fest.
Liv grinste verschmitzt. »Weil ich ein Schwert beim Essen trage?«
»Das ist nur zum Teil der Grund.«
Liv richtete sich wieder auf und zerrte ein Strandtuch aus der Tasche. »Auch wenn ich im Urlaub bin, heißt das nicht, dass ich unvorsichtig werden darf. In meinem letzten Urlaub haben Piraten das Resort angegriffen. Sie stürmten herein, plünderten die Anlage und stellten unzumutbare Forderungen.«
Plato schüttelte den Kopf. »Das waren Touristen aus dem Norden.«
Liv zitterte. »Ihre Haut war so weiß, dass es mir in den Augen brannte. Ernsthaft, Socken in Sandalen?! Das war alles zu viel.«
»Ich glaube, wenn du etwas trinken möchtest, musst du es dir selbst holen«, merkte Plato an, während sein Blick über das Wasser vor ihnen glitt und ein Schiff in der Ferne entdeckte.
»Das ist mir bewusst.« Liv rückte ihren Bikini zurecht und wickelte sich das Strandtuch um. »Willst du auch etwas?«
»Weltfrieden«, antwortete er.
»Ist da eine Olive drin oder zwei?«, scherzte Liv.
»Ich glaube, es braucht ein Wunder.«
»Ich hole dir stattdessen einen Whiskey.« Liv ging zur Bar des Resorts.
»Beeil dich«, rief Plato ihr hinterher.
Er verengte seine Augen und starrte auf das Schiff, das in weiter Ferne durch das schäumende Gewässer fuhr. Er glaubte zu ahnen, wer sich an Bord des Schiffes befand und war sich fast sicher, dass er wusste, weswegen sie nach Tortugas Locas kamen. Umso wichtiger war, dass er so schnell wie möglich in Aktion trat und sie aufhielt.
Er warf einen Blick auf das Handy, das auf dem kleinen Tisch zwischen den Stühlen lag und tippte es zweimal mit der Pfote an. Einen Moment später klingelte es und eine Textnachricht von einem der wichtigsten Wesen auf dem Planeten erschien auf dem Display.
Plato wusste, dass Liv den Urlaub verdient hatte, aber den würde sie nicht bekommen, wenn sie an diesem Ort herumhing. Nein, Plato und ein paar seiner Freunde konnten mit den bevorstehenden Ereignissen umgehen. Liv brauchte sich nicht einzumischen. Zum Glück wusste Vater Zeit das und holte sie deshalb an seine Seite.
Liv kam einen Moment später mit einem bunten Cocktail zurück, der zweifellos hauptsächlich aus Wodka bestand und einem Whiskey, der pur serviert wurde.
»Davon würde ich noch keinen Schluck nehmen«, meinte Plato und wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Sie seufzte laut, bevor sie den Strohhalm an ihre Lippen führte.
Sie hielt inne und zog eine Augenbraue hinter ihrer Sonnenbrille hoch. »Warum sollte ich nicht?«
»Weil du eine Nachricht von Papa Creola bekommen hast.« Er verwendete den Namen, mit dem ihn nur diejenigen bezeichneten, die Vater Zeit persönlich kannten.
Sie seufzte erneut, stellte das Glas ab und griff mit der anderen Hand nach ihrem Handy. Einen Moment später stöhnte Liv frustriert auf und warf Plato einen verärgerten Blick zu. »Papa sagt …«
»Dass er dich sofort braucht«, unterbrach Plato.
»Ja und dass …«
»Er einen streng geheimen Fall hat, für den Bellator benötigt wird, also nimm dein Schwert mit«, mischte sich Plato wieder ein.
»Als ob ich jemals ohne irgendwo hingehen würde«, murmelte Liv und spähte zu ihrem Getränk hinüber. »Er hat auch geschrieben …«
»Dass du nicht einmal einen Schluck von deinem Cocktail trinken darfst, weil du deinen Verstand für den Fall brauchst und du den Barkeeper gebeten hast, viel Wodka hineinzugeben«, unterbrach Plato erneut.
Liv schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich mich mehr darüber ärgern soll, dass Papa Creola weiß, was ich an einer Resort-Bar bestelle, obwohl er Tausende von Meilen entfernt ist oder dass du den Inhalt seiner ungelesenen SMS kennst.«
Plato zuckte mit den Schultern. »Oder du könntest beeindruckt sein.«
Liv sammelte ihre Tasche und ihr Handy ein und stand vom Liegestuhl auf. »Dann lass uns mal sehen, was der Mann will. Ich hätte wissen müssen, dass diese ganze Urlaubssache nicht von Dauer sein konnte. Vielleicht hätte ich Papa Creola nicht verraten sollen, was ich vorhabe.«
»Es ist nicht so, dass es etwas geändert hätte.« Plato beobachtete, wie sich das Schiff in der Ferne dem Ufer näherte.
»Ja, du und er, ihr seid allwissend und voller Geheimnisse, wie auch immer.« Liv winkte Plato, aufzustehen. »Komm schon. Wir müssen los.«
Er schüttelte den Kopf, beugte sich vor und nippte an seinem Getränk. »Ich bleibe.«
Livs Mund klappte auf. »Ich darf nicht trinken und mich entspannen, aber du darfst es?«
»Ich glaube, laut Papas Nachricht ist deine sofortige Hilfe erforderlich, nicht meine.«
Sie starrte ihn weiter an. »Du willst also hierbleiben und am Strand faulenzen, während ich losziehe und die Welt rette? Das erscheint mir nicht fair.«
Plato nahm einen weiteren Schluck, den Blick auf das Boot gerichtet. »Ich schicke dir eine Postkarte.«
Liv atmete aus und nahm ihren Hut ab, sodass ihr langes, blondes Haar zum Vorschein kam. Sie folgte seinem Blick, schaute über die Schulter auf das Boot und dann zurück zu ihm. »Irgendetwas sagt mir, dass du dich nicht betrinken und ein Nickerchen machen wirst.«
»Ich mache nie Nickerchen«, erwiderte er schlicht und einfach.
»Na gut, du geheimnisvoller Lynx.« Liv öffnete ein Portal zur Roya Lane, wo Papa Creola auf sie wartete. »Du bleibst hier und tust so, als würdest du keinen Plan zur Rettung von … nun ja, was auch immer du retten willst, schmieden.«
»Okay und viel Glück bei der Reparatur des Zeitraffers.« Er wandte seinen Blick nicht vom Boot ab.
»Zeitraffer? Wie machst du … ist das … vergiss es. Ich gehe zu Papa und finde heraus, was ich tun muss.«
»Mehr darf ich dir sowieso nicht sagen«, sang Plato, hob seine Pfote und begann sie lässig zu lecken.
»Nicht, dass du das jemals würdest. Du und Papa liebt es, zu wissen, was passieren wird, aber dem Rest von uns nicht allzu viele Details preiszugeben. Ihr heimtückischen kleinen Superhirne.«
Sie winkte, als sie durch das Portal trat und verschwand einen Moment später.
Plato atmete erleichtert aus und war froh, dass Liv aus dem Weg war. Es war nicht so, dass sie nicht mit den Ereignissen in Tortugas Locas umgehen konnte. Es war schlicht nicht ihre Aufgabe. Wenn Plato die beste Lösung finden wollte, musste er sich auf magische Kreaturen verlassen, nicht auf Magier.