KAPITEL 13

Verzweiflung ist ein Detective, der das Gefühl hat, ein Mörder ist ihm durchs Netz gegangen. Fast eine ganze Woche ist seit der Pressekonferenz verstrichen, hat unsere Versuche verhöhnt, die Zeit zu verlangsamen oder verlorene Zeit aufzuholen. Die Flut von Anrufen, die wir nach der Pressekonferenz mit Priscilla Fagan hatten, ist abgeebbt.

Vielleicht war es unklug, Peter als einen möglichen Mörder darzustellen. Irgendwie ist die Botschaft bei der Öffentlichkeit anders angekommen als geplant. Mit einem solchen Menschen will offenbar niemand etwas zu tun haben. Und deshalb sind keine brauchbaren Tipps bei uns eingegangen.

Noch immer drucken die Zeitungen Fotos von dem Fall ab. Neben einem Bild von Amy Keegan unter anderem auch Eleanor Costellos Hochzeitsfoto. In diesem neuen Licht betrachtet, wirkt Peter Costello, dieser gut aussehende dunkle Typ, plötzlich bedrohlich. Die Nacht der brennenden Toten, schreien die Schlagzeilen. Der Killer lässt Messer sprechen, spekuliert eine andere sensationslüstern.

Alle wollen möglichst viel mitbekommen, aber keiner will irgendwas mit Peter Costello zu tun haben. Nach der Pressekonferenz war Mrs. Fagan fuchsteufelswild. Ihr Mann musste sie zurückhalten, während ich versuchte, ihr meine Beweggründe zu erklären. Aber in all ihrer Wut beteuerte sie immer noch, ich würde mich irren. Peter wäre viel zu krank, um diese Verbrechen zu begehen, sagte sie. Mit bebenden Händen kramte sie in ihrer Handtasche herum und holte einige Rezepte hervor, die auf ihren Bruder ausgestellt waren.

»Da«, sagte sie und hielt sie mir unter die Nase. »Diese Medikamente musste er nehmen, Antidepressiva und Schmerzmittel. Haben ihm aber auch nicht viel geholfen.«

Ich dankte ihr, und sie ließ sich von ihrem Mann wegziehen. Inmitten der vielen Menschen, die aus dem Presseraum strömten, musste ich mich einen Moment sammeln. Irgendwie hatte sich ein eigenartiges Schuldgefühl in mir breitgemacht. Ein nagender Zweifel, der mir unter die Haut ging und fragte, ob ich Peter Costello falsch eingeschätzt hatte.

»Irgendwas?«, blafft Jack.

Wir schieben uns durch die Passanten entlang der Kais. Es ist Mittagszeit, und in der eisigen Kälte sind viele Berufstätige unterwegs, die Gesichter versteinert, Kragen hochgeschlagen und Köpfe gesenkt, um rasch irgendwo etwas Warmes zu essen oder vielleicht schon erste Weihnachtseinkäufe zu tätigen.

»Zu Peter Costellos Rezepten haben wir nichts Neues«, antworte ich. »Ich find’s ja seltsam, dass sie seine Rezepte hat.«

»Sie sagt, seinem Miststück von Ehefrau konnte er sie nicht anvertrauen.« Er schielt im Gehen zu mir rüber. »Ihre Worte, nicht meine.«

»Denkst du wirklich, sie war ein Miststück?«

»Möglich. Wir müssen jedoch davon ausgehen, dass Priscilla Fagan ihrer Schwägerin gegenüber nicht wirklich objektiv ist«, sagt er mit einem kurzen, tiefen Lachen. »Aber ich würde sagen, das liegt bloß daran, dass sie eifersüchtig war.«

»Meinst du?«

Er sieht mich wieder an. »Du nicht?«

»Ich denke, Priscilla Fagan zählt zu den Frauen, die unbeirrt an ihrer Meinung festhalten, wenn sie sich erst mal eine gebildet haben. Aber ich glaube, gerade aus diesem Grund wägt sie sorgfältig ab, bevor sie sich eine Meinung bildet.«

»Acht Jahre können ihr viele Gründe geliefert haben, wenn sie glaubt, dass die Frau ihres Bruders ihn nur des Geldes wegen geheiratet hat.«

»Stimmt.«

Wir kaufen uns an einem Straßenstand zwei Kaffee und gehen zur Tiefgarage. Sobald ich hinterm Steuer sitze, lege ich beide Hände um den Styroporbecher und wärme mir die Finger. Ich trinke einen Schluck und stecke ihn dann in den Getränkehalter neben mir.

»Er hat Neil Doyle als Referenz genannt«, sage ich halb zu ihm, halb vor mich hin.

»Wie bitte?«

»Der Nachbar, Neil Doyle. Peter Costello hat ihn in seinem letzten Bewerbungsschreiben als Referenz genannt. Der Mann war auf der Pressekonferenz. Ich hab ihn gesehen. Hat sich hinten reingeschlichen.«

»Neugier? Sensationslust?«

Ich schüttele den Kopf. »Glaub ich nicht. Ich glaube, er könnte tatsächlich ein Freund von Peter sein.«

»Willst du noch mal zu ihm? Oder ihn zu einer offiziellen Vernehmung einbestellen?«

Ich lege den Rückwärtsgang ein, setze vorsichtig aus der Parklücke und beschleunige dann die Rampe hoch in das graue Licht Dublins.

»Nein. Ich überlege, ihn beschatten zu lassen. An dem Tag, als Eleanor gefunden wurde, hat er erwähnt, dass er als Berater arbeitet, ist aber nicht genauer geworden. Mal angenommen, er ist Finanzberater, prima, das würde Sinn ergeben, aber falls nicht, wieso um alles in der Welt sollte Peter ihn dann als Referenz angeben?«

Jack hält den Kaffee wie eine Waffe in einer Hand vor sich, stützt sich mit der anderen am Armaturenbrett ab.

»Costello ist ja wohl kaum Everybody’s Darling, oder? Und jeder, der in der Rezession irgendwie sozial abgestürzt ist, gerät schnell in die Isolation.«

»Ja. Aber wie sich herausgestellt hat, stimmt Priscilla Fagans Darstellung, wie Peter seinen Job verloren hat, zumindest teilweise, nämlich wegen der verlustreichen Investition in Eleanors Medikament.«

Jack nickt. »Das könnte erklären, warum sie trotz seiner Arbeitslosigkeit so lange bei ihm geblieben ist.«

»Tja, Liebe scheint jedenfalls nicht der Grund gewesen zu sein.«

Er trinkt geräuschvoll einen Schluck Kaffee und wischt ein paar unsichtbare Flecken von seinem Hemd. »So viel scheint klar.« Er seufzt. »Worauf willst du hinaus, Frankie, ich fühle mich nämlich allmählich wie Alice im Wunderland, als hätte ich ein weißes Kaninchen gesehen und fiele in ein dunkles Loch.«

Ich schneide eine Grimasse. »Haha. Ich will auf gute alte Polizeiarbeit hinaus. Vielleicht ist es ja Zeitverschwendung, aber ich möchte gern genau wissen, welche tolle Empfehlung Neil Doyle einem möglichen neuen Arbeitgeber gegeben hätte. Er behauptet, nur eine Firma hätte ihn wegen dieser Referenz angerufen.«

»Meinst du, Doyle hatte keinen Grund, Costello wärmstens zu empfehlen?«

Ich werfe ihm einen zynischen Blick zu. »Ich bitte dich. Neil Doyle kennt seine Nachbarn längst nicht so gut, wie er glaubt.«

Jack prustet los. »Zweifelsohne.«

»Du weißt, was ich meine. Nicht bloß wegen Eleanor Costellos Tod, sondern auch, weil er so wenig über die Persönlichkeiten der beiden sagen konnte und weil er nie mal auf einen Drink oder zum Essen bei ihnen war. Was an sich schon eigenartig ist. Und jetzt, wo Eleanor tot ist und Peter vermisst wird, ist er auf einmal ein Leumundszeuge? Außerdem war er auf der Pressekonferenz total fasziniert. Entweder er ist krankhaft neugierig, oder er weiß, wo Peter ist.«

Ich halte vor unserem Gebäude, und wir steigen beide aus, sehen uns über das Autodach hinweg an.

»Du könntest recht haben. Mal sehen, was diese Firma dazu meint, falls sie überhaupt reagiert.«

»Fragen hat noch nie geschadet.«

Als ich mich umdrehe, sehe ich Steve am Eingang. Sein Gesichtsausdruck beschwört uns, endlich reinzukommen. Ich werfe Jack einen Blick zu und haste los.

»Was ist? Haben wir ihn gefunden?«

Steve geht mit raschen Schritten den Flur entlang Richtung Soko-Raum. »Nein. Aber wir haben was über Tom Quinn rausgefunden. Was Wichtiges.«

Ich folge Steve zu den Aufzügen. Er redet im Gehen über die Schulter.

»Tom?«

»Ich fürchte, Sie werden ihn wieder herbestellen müssen, Chief.«

Clancy drängt sich neben uns in den Aufzug. »Tom Quinn? Der für die Keegans arbeitet?«

»Ja«, sage ich. »Was habt ihr rausgefunden?«

Clancy redet mir dazwischen. »Hast du nicht gesagt, der wäre sauber, Frankie?«

»Er hat seit einem Jahr Geld auf Amys Konto überwiesen«, antworte ich. Der Aufzug hält, und ich trete hinaus auf den Flur.

»Was? Seit wann weißt du das? Wieso hast du ihn nicht wieder herkommen lassen?«, will Clancy wissen.

Ich bleibe vor der Bürotür stehen. »Ich fand, das reichte nicht aus, um ein ganzes Leben als Musterbürger zunichtezumachen, deshalb lasse ich ihn seit gestern beschatten.«

Clancy sinkt ein bisschen in sich zusammen. »Du kannst einen potenziellen Verdächtigen nicht mit Samthandschuhen anfassen, nur weil er in denselben Pub geht wie deine Eltern. Hol ihn zur Vernehmung. Hör auf rumzuhampeln. Ist verdammt noch mal besser für unser Budget.«

Ich presse die Lippen zusammen, aber ich nicke.

Er zieht seinen Mantelärmel zurück, späht auf die Uhr. »Ich muss los. Behalt die Kontrolle, Detective.«

Er marschiert den Gang hinunter, und ich starre ihm wütend nach.

Ich folge Steve ins Büro, ziehe den Mantel aus, streiche meinen Blazer glatt.

»Was haben wir?«

»Gestern Abend um neun ist er in die Stadt gefahren und hat auf der Drury Street geparkt. Unsere Leute sind ihm zu Fuß zu einem Underground-Club im Keller einer Bar gefolgt. Der Club heiß Rialú und veranstaltet seit fünf Jahren BDSM-Partys für Mitglieder.«

»BDSM? Sadomasochismus?«

»Genau. Normalerweise würde ich ja sagen, jeder hat das Recht, sich die Kicks zu holen, die er will. Aber angesichts von Amys und Eleanors Vorlieben und Neigungen könnte das eine Verbindung sein.«

Ich stoße einen langen Seufzer aus. Schließe die Augen. »Okay. Holt ihn her. Schaffen wir Klarheit. Tom Quinn ist nicht unser Mann.«

»Ich hab noch was«, sagt Steve schnell. »Unsere Leute haben mit einem von den Türstehern geredet.« Er reibt Daumen und Zeigefinger aneinander, deutet an, dass sie für diese Information bezahlt haben. »Das Event gestern Abend wurde von einer Underground-Sadomaso-Website namens Black Widow gesponsert.«

Er macht einen Schritt nach hinten, breitet die Arme aus.

Ich spüre den Moment, in dem mir das Blut aus dem Gesicht weicht. Das Bild des jungen Kaninchens regt sich in meinem Kopf: Ohren angelegt, flatterndes Herz unter braunem Fell.

Ich hole tief Luft. »Danke. Sie wissen, was zu tun ist.«