Die Opferschutzbeamtin kommt morgen, um noch mal den Fall Tracy Ward mit mir durchzugehen. Sie hat vorgeschlagen, dass wir das zu Hause bei meinen Eltern machen sollen, damit auch sie beide darauf vorbereitet sind, was im Prozess alles zur Sprache kommen kann. Es ist eine Gelegenheit, wieder Kontakt zu ihnen aufzunehmen, und mir graut davor.
Mittlerweile schlafe ich fast nur noch auf dem Sofa. Abends bin ich auf der Black-Widow-Website unterwegs, strecke die Fühler in andere Chatrooms aus und starre die Akten von Amy Keegan und Eleanor Costello an, hoffe inständig, dass mir etwas, irgendetwas Neues ins Auge springt. Wochen sind vergangen, und Zeugen und Spuren so selten wie warme Tage. Wir stecken in einem dunklen Loch fest, ohne den kleinsten Lichtstrahl, der uns einen Ausweg weisen könnte.
Clancy hat zwar noch nichts gesagt, aber ich merke ihm an, dass der Commissioner allmählich darüber nachdenkt, ob der Fall weiterhin den hohen Einsatz von Ressourcen rechtfertigt. Was natürlich bedeutet: Geld. Ich seufze, ziehe die Füße unter den Körper und checke mein Handy. Es hat keine weiteren wortlosen Anrufe mehr gegeben. Steve ist immer noch wachsam, aber Peter Costellos Handy war nicht mehr aktiv.
Ich starre lethargisch auf die Unordnung in meiner Wohnung. Schmutziges Geschirr stapelt sich in der Spüle. Mein Mantel hängt noch immer über dem Sessel, wo ich ihn gestern Abend hingeworfen habe.
Dennoch, trotz des Chaos scheint der Bonsai zu gedeihen. Es ist gar nicht so schwer, wie ich dachte, das Leben in einem Bereich des Baums zu unterdrücken und in einem anderen zu fördern. Seine Blätter heben sich trotzig dunkelgrün vor dem eisig grauen Dezemberhimmel ab.
Es ist einer dieser Tage, an denen die Sonne nie richtig hinter den Wolken hervorkommt und es sich schon dunkel anfühlt, obwohl es noch hell ist. Noch keine sechzehn Uhr, aber die Lampe neben mir brennt schon seit zwei Stunden. Der Fernseher flackert stumm vor sich hin. Ein Wetteransager schwenkt die Hände fächerförmig über Dublin, und auf ein Fingerschnippen von ihm erscheint ein Schneeflocke-Icon. Für die nächsten zwei Nächte ist Frost angesagt, und nur am frühen Nachmittag soll die Temperatur über null steigen. Obwohl ich in eine Decke eingewickelt bin, fröstele ich unwillkürlich.
Ich gehe meine Kontakte durch und rufe Baz an.
Er meldet sich nach dem ersten Klingeln. »Hallo!«
»Hey. Irgendwas Neues?« Er ist dabei, sich systematisch durch Eleanor Costellos Patientenakte von ihrem Psychiater zu arbeiten, und inzwischen können wir davon ausgehen, dass Burke sie stellenweise abgeändert hat, vermutlich, um seine eigenen beruflichen Fehler zu vertuschen.
»Ich dachte, du wärst bei deinen Eltern?«
»Morgen erst.«
»Ich kann die Begeisterung in deiner Stimme hören«, sagt er lachend. »Familie, he?«
»Kennst du ja selbst.«
»Und ob.« Ich höre Papier rascheln und stelle mir vor, dass er Burkes Notizen aufschlägt. »Bislang nichts Auffälliges in den Notizen, wie schon vermutet. Es wäre besser, wenn wir seinen Kalender hätten, dann könnten wir abgleichen, ob auch wirklich alle Termine hier ausgewiesen sind. Es ist fast unmöglich festzustellen, ob er Unterlagen hat verschwinden lassen.«
Ich strecke die Beine, stehe auf und gehe vom Sofa weg. Das Telefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt, setze ich Wasser für Tee auf.
»Kannst du dir den Kalender nicht besorgen?«
»Das stand nicht in der richterlichen Anordnung. Der Richter meinte, das könnte er nicht genehmigen, weil es die Privatsphäre der anderen Patienten verletzen würde.«
»Irgendwas musst du doch gefunden haben, das uns weiterbringt.«
»Hier gibt’s zum Beispiel rein gar nichts über ihre Eltern. Ich meine, falls dieser Psychotyp nicht auf eine andere Denkschule gegangen ist, als die übrige Mischpoke seines Berufsstands, muss das doch was bedeuten. Meiner wollte praktisch über nichts anderes reden als über meine Eltern.«
Meine Mundwinkel heben sich zu einem Lächeln. »Vielleicht bist du ja viel kaputter als die meisten Menschen.«
»Sehr lustig. Ich finde auch keine Erwähnung von Missbrauch oder Misshandlungen in ihrer Kindheit.«
»Na ja, vielleicht gab’s das ja auch nicht. Und selbst wenn, über so etwas spricht man nicht so einfach. Vielleicht konnte sie mit ihm nicht darüber reden.«
»Wahrscheinlich hast du recht. Ich bin einfach kein Fan von diesem Kerl, das ist alles. Ich glaube, der wird es uns so schwer machen, wie er nur kann.«
»Dann wird er in dir eben seinen Meister finden. Gibt’s sonst noch was?«
Ein zischender kurzer Seufzer am anderen Ende. »Die endgültigen Obduktionsergebnisse für beide Fälle liegen jetzt vor.«
»Irgendwas Neues?«
»Mir ist nichts aufgefallen. Aber vielleicht solltest du auch mal drüberschauen.«
»Irgendwas zu Lorcan Murphy?«
»Ich hab mit ihm gesprochen. Er konnte sich an den Abend erinnern. Hat gesagt, einige Studenten mit schwachen Leistungen haben Seminararbeiten mit ihm besprochen. Amy war eine von ihnen. Er hat mir ein paar andere Namen genannt. Die haben das bestätigt.«
Das Wasser kocht. Dampf steigt mir ins Gesicht.
»Stimmt, ja. Die waren am selben Institut.«
»Hab ich doch gleich gesagt.«
»Ich kann förmlich sehen, wie du selbstzufrieden grinst.«
»Genialität ist eine Bürde, Sheehan, kein Geschenk.«
Meine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. »Kann ich nicht beurteilen.«
Er lacht. »Helen hat was zu dem Job in Erfahrung gebracht, auf den Peter Aussichten hatte, nachdem Doyle ihn empfohlen hat.«
»Die Firma, bei der er sich beworben hat?«
»Ja«, sagt er. »Und jetzt halt dich fest: Er hatte einen Termin für ein Vorstellungsgespräch und ist nicht erschienen.«
»Vielleicht war er ja mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Zum Beispiel damit, seine Frau umzubringen.«
»Das könnte zeitlich sogar genau hinkommen. Der Termin für das Vorstellungsgespräch war der 19. Oktober.«
»Wir müssen ihn finden.«
»Hör mal, ich bin hier fast fertig. Was hältst du davon, wenn ich unsere gute Abigail aufspüre und mit beiden Obduktionsberichten zu dir rüberkomme, anstatt sie mit irgendeinem unzuverlässigen Boten zu schicken.«
Ich rühre den Tee in der Tasse um und trage sie zum Tisch. Der Sprecher der Lokalnachrichten macht ein ernstes Gesicht. Seine Mundwinkel sind nach unten gezogen, während er irgendwas kommentiert, das sich gerade im Hintergrund abspielt.
Am unteren Bildschirmrand verkündet ein Ticker: Live-Bericht. Auf der gesamten Ha’Penny Bridge über der Liffey stehen Einsatzfahrzeuge mit kreisenden Blaulichtern, und Massen von Schaulustigen halten ihre Handys hoch, fotografieren irgendetwas im Wasser.
»Frankie?«
»Ja, klingt gut. Mach das.« Ich lege auf und greife nach der Fernbedienung. Ich habe den Fernseher gerade erst lauter gestellt, als mein Handy schon wieder klingelt.
»Sheehan«, melde ich mich.
»Frankie, Clancy hier.«
Ich entdecke Clancy im Fernsehen, ein großer, grauhaariger Mann, der sich von der Menge wegbewegt, eine Hand am Ohr. Gardaí drängen die Leute vom Rand der Brücke, stellen Metallgitter auf, um die wachsende Menschenansammlung zurückzuhalten. Die Ebbe hat den Fluss mitgezogen, und die grün verfärbten Mauern des Betonkanals liegen frei. Auf der linken Seite des Bildschirms klettern zwei Taucher die Treppe hoch, die vom Fluss hinauf zur Straße führt. Sie haben die Köpfe gesenkt, auf ihren Neoprenanzügen glänzt das dunkle, dreckige Wasser der Liffey.
»Was ist da los, Jack?«
»Schon wieder eine Leiche.«
Ich schmecke Angst auf der Zunge, bitter, säuerlich, klebrig. Ein Mundvoll Tee, ein kümmerliches Stärkungsmittel.
»Weiblich?«
Er dreht sich um, scheint über das Brückengeländer zu spähen. »Schwer zu sagen, aber anhand der Kleidung tippe ich auf männlich.«
Ich brauche einen Moment, um das zu verarbeiten. So viel Tod. So viel Versagen unsererseits.
»Sieht nach Selbstmord aus«, erklärt Jack.
Ich wundere mich, dass er das von seinem Standort aus beurteilen kann.
»Wie kommst du darauf?«
»Er könnte seine Kleidung beschwert haben. Die gute alte ›Stopf dir Steine in die Taschen und spring in einen Fluss‹-Nummer.«
»Okay. Soll ich hinkommen?«
»Noch nicht. Aber halte dich bereit. Ich warte noch auf die Rechtsmedizin. Falls sie Fremdeinwirkung vermutet –«
»Komme ich sofort.« Ich kann die Schwäche in meiner Stimme hören. Eine Welle Niedergeschlagenheit brandet über mich hinweg.
Eine halbe Stunde später ist Baz da. »Sorry, der Verkehr war mörderisch.« Er grinst über seinen eigenen Witz.
»Gerade wird eine Leiche aus der Liffey gezogen. Kann sein, dass Clancy noch anruft und wir hinmüssen«, sage ich.
»Dann lass uns direkt anfangen.« Er setzt sich und reicht mir die Berichte. »Das wird dich mit Sicherheit interessieren. Ich hätte Eleanors toxikologische Enthüllung fast übersehen, weil ja schon Preußischblau auf ihrer Haut festgestellt worden war, aber das hier ist bedeutsamer. Eine echte Spur.«
Ich schlage die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchung auf. Lese sie überrascht, aber nicht völlig fassungslos. Systemische Dosen des Wirkstoffs Eisenhexacyanoferrat, auch bekannt als Preußischblau.
»Und das kann nicht von ihrem Arm gekommen sein?« Ich blicke auf.
Baz schüttelt den Kopf. »Laut Abigail kann die kleine Menge in der Schnittwunde an Eleanors Arm diese Testergebnisse unmöglich erklären.«
Ich nehme den Bericht von Amys Obduktion, denke daran, was Abigail mir über den Farbstoff in Amys Mund gesagt hat. »In Amys Blut wurde das Zeug nicht festgestellt.«
»Ich denke, wir haben hier einen gewissen Modus Operandi. Der Mörder will uns irgendwas sagen.«
»Soll das heißen, Eleanor hat dieses Preußischblau zu sich genommen? Absichtlich? Regelmäßig?«
»Scheint so. Ich meine, es ist oder war so. Die Tests sind eindeutig. Die Frage ist bloß, warum.«
Ich lese mir noch einmal den gesamten Obduktionsbericht durch. Die Narben an Eleanors Unterleib, die einzeln betrachtet von der Größe her von einer Blinddarm-OP hätten stammen können, sind alte Stichwunden. Die jüngere Fraktur des linken Handgelenks wird als geschlossener Bruch beschrieben, die Folge einer schweren Quetschverletzung. In einem Handwurzelknochen hatte sich eine schwere Infektion entwickelt, die die Heilung verlangsamte.
Die venöse Struktur der Speiseröhre war erweitert, über die gesamte Länge hatten sich Krampfadern gebildet. Ein häufiger Befund beim Tod durch Ersticken, aber es wurde zudem auch beträchtliches Narbengewebe festgestellt. Narbengewebe, das sich über Jahre hinweg aufbauen konnte, Jahre, in denen sich der weiche Muskel immer wieder krampfartig zusammenzog, was beweist, dass Eleanor Bulimikerin war.
Baz hebt jedes Blatt auf, das ich lese und weglege, während ich die Informationen langsam verarbeite.
»Preußischblau. Unser kleiner Freund taucht einfach immer wieder auf«, murmelt er.
Am Ende des Berichts werden anhand einer Grafik die üblichen Anwendungsbereiche für das Pigment aufgezeigt und dargelegt, wie viel davon in der Regel im Blut von Malern festgestellt wurde. Eleanors Blut wies annähernd 300 Milligramm auf, weit mehr, als ein Maler normalerweise allein durch die Verwendung der Farbe aufnimmt.
Baz streicht über sein iPad, dessen Display sein Gesicht in weißes Licht taucht. Nach einer Weile reicht er es mir.
»Schau dir das an. Unser Freund Chagall war auch ganz vernarrt in dieses Preußischblau.«
Ich nehme meine Teetasse, lese den Artikel durch, präge mir die Informationen ein. Preußischblau ist ein äußerst sattes Pigment, das in der Malerei für kräftige tiefblaue Farbtöne sorgt. Es spielte eine revolutionäre Rolle in der japanischen Kunst, vor allem bei einem Holzschnitt von Hokusai: Die große Welle vor Kanagawa. Die Geschichte des Pigments steckt voller interessanter Anekdoten. Ich hebe den Blick und schaue Baz an.
»Hier steht, es wird zur Behandlung von Menschen eingesetzt, die besonderen Strahlenbelastungen ausgesetzt waren?«
Er schüttelt den Kopf. »In ihrer Krankengeschichte findet sich aber nichts, das auf eine Strahlenbelastung hindeutet.« Er klopft auf den Bericht. »Abigail hat die entsprechenden Tests gemacht.«
»Keine Kosten und Mühen gescheut«, sage ich trocken.
»Mal ehrlich, sie hat verdammt gründlich gearbeitet. So was fällt nicht unter die üblichen toxikologischen Untersuchungen. Ihr sind beim Blut ungewöhnliche Reaktionen aufgefallen, und zuerst hat sie an Blausäure gedacht, aber dann sind ihr Amys Ergebnisse eingefallen und sie hat die Suche eingegrenzt.«
»Hätte sie Symptome zeigen müssen? Es kann ja wohl nicht gesund sein, so viel von dem Zeug zu sich zu nehmen.«
Er pustet Luft zwischen den Lippen hervor. »Stimmt. Aber ich sehe hier keine Nebenwirkungen aufgeführt.«
»Wenn es ganz allmählich in kleinen Dosen zugeführt wird, wenn der Körper Zeit hat, es abzubauen, vielleicht merkt man dann ja nichts.«
»Abigail meint, sie muss schon täglich eine ordentliche Menge geschluckt haben, sonst wären die Werte im Blut nicht so hoch. Eleanor Costello muss also gewusst haben, dass sie Preußischblau eingenommen hat, aus welchen Gründen auch immer. Das war Absicht.«
Wut braut sich in mir zusammen. Ich bin wütend auf mich selbst, weil ich nicht erkennen kann, in welche Richtung die Ermittlungen laufen, wütend auf Eleanor Costello, weil sie so gottverdammt kompliziert ist. Am liebsten würde ich den Bericht, die Akte quer durchs Zimmer pfeffern. Schon wieder ein unerklärlicher Faktor, der uns Rätsel aufgibt. Ich bin wütend auf Eleanor, auf Amy, auf Tracy, auf mich. Ich bin wütend, weil wir nicht weiterkommen.
»Alles in Ordnung mit dir?«
Ich fahre mir mit der Hand durchs Haar. »Ja. Das ist alles ein Riesenscheiß. Ich hab das Gefühl, als würde uns ein Rätsel nach dem anderen serviert und nie mal eine Erklärung.«
»Ich weiß. Aber wir haben zumindest ein grobes Bild. Das ist doch immerhin etwas.«
Ich stehe auf, schalte den Wasserkocher wieder ein.
»Wenn ich nicht morgen zu diesem verdammten Treffen mit meinen Eltern müsste, würde ich mich bestimmt nicht so aufregen.«
Er mustert mich aus schmalen Augen. »Du könntest den Tag nutzen. Falls du Lust hast, sprich mit Keegan und vielleicht auch mit ein paar Nachbarn.«
Ich knalle Teebeutel in zwei Tassen, gieße kochendes Wasser darüber. »Ich weiß nicht. In der Hinsicht ist Eamon Keegan ganz ähnlich wie Priscilla Fagan. Er will keinen Besuch von uns, solange wir keine neuen Informationen haben, und damit meint er den Namen von Amys Mörder.«
Baz zieht einen großen Notizblock unter dem Couchtisch hervor. Lässt seinen Kugelschreiber klicken.
»Darf ich?«, fragt er, und als ich nicke, schlägt er den Block auf.
Oben auf die Seite schreibt er Ablauf.
»Wir nehmen an, dass Peter Costello und Amy Keegan sich online kennenlernen, auf irgendeiner unbekannten Darknet-Website, möglicherweise Black Widow?«
Ich stelle die Teetassen zwischen uns und setze mich ihm gegenüber auf den Boden, ziehe die Beine an. Ich nicke: »Ist noch nicht bestätigt, aber davon gehen wir derzeit aus.«
Er notiert Stichpunkte, während er weiterredet.
»Okay. Priscilla Fagan hat ihren Bruder jetzt seit zwölf Wochen nicht mehr gesehen. Er war krank. Sie hat versucht, ihn anzurufen, sich aber keine großen Sorgen gemacht, bis seine Frau tot aufgefunden wurde. Sein Handy war häufig zeitgleich mit Amy Keegans in denselben Bereichen rund um Dublin. Vieles deutet darauf hin, dass sie eine Affäre hatten. Während eines Streits mit ihrem Vater gesteht Amy, dass sie eine Affäre mit dem Mann einer ihrer Dozentinnen hat. Zwei Tage später wird Eleanor Costello erhängt in ihrem Haus aufgefunden. Noch immer keine Spur von Peter.
Dann nimmt der Mörder Amy mit zu einem unbekannten Ort, wo er sie filmt und brutal ermordet und das Ganze live im Internet streamt. Danach bringt er Amys Leiche in einem bislang noch nicht identifizierten Fahrzeug in ihren Heimatort Clontarf –«
Ich hebe eine Hand. »Er könnte auch selbst in Clontarf wohnen. Vielleicht hatte er keinen weiten Weg. Das Haus, in dem er sie getötet hat, könnte überall sein.«
Baz nickt. »Okay. Er wartet, bis es dunkel ist, um Amys Leiche im jährlichen Halloween-Feuer des Ortes zu deponieren. Stunden später wird ihr Körper dort von dem Angestellten ihres Vaters, Tom Quinn, entdeckt. So weit alles richtig?«
Meine Augen sind geschlossen, ich lausche. Lausche auf die Antworten, die irgendwo in dieser Geschichte verborgen sind. Ich nicke und bedeute ihm weiterzumachen.
»Die Vernehmungen von Priscilla Fagan und Tom Quinn erhärten diesen mutmaßlichen Ablauf der Ereignisse, wenngleich Priscilla Fagan beteuert, dass ihr Bruder unschuldig ist. Costellos Nachbar, Neil Doyle, hat durchblicken lassen, dass Peter öfter von seiner Frau frustriert war, aber er meint auch, er könnte ein Opfer häuslicher Gewalt gewesen sein. Priscilla Fagan konnte Eleanor Costello offensichtlich nicht leiden und hat womöglich Verständnis für Peters Unzufriedenheit mit seiner Frau.
Wie wir wissen, litt Peter Costello wahrscheinlich wegen seiner anhaltenden Arbeitslosigkeit unter Depressionen, und eine Tageslichtlampe in seinem Arbeitszimmer legt die Vermutung nahe, dass diese Jahreszeit für ihn besonders schwierig war.« Er hält inne, seufzt, blättert die Seite auf dem Notizblock um.
Ich umfasse meine Teetasse mit beiden Händen, fülle die verbliebenen Leerstellen.
»Peter ist der Sohn italienischer Einwanderer, hat im Finanzwesen Karriere gemacht und wurde vor vier Jahren arbeitslos. Keine Kinder. Für jemanden italienischer Abstammung könnte das bedeutsam sein und einen weiteren Grund für Enttäuschung darstellen. Um sich zu beschäftigen, ist er so was wie ein Amateurkunsthistoriker und Gelegenheitsmaler geworden. Der Mörder hat ein bekanntes Malerpigment auf beide Leichen aufgebracht. Bei der Obduktion wurde das Haar eines Pinsels in einer Wunde am linken Arm von Peters ermordeter Frau entdeckt.
Laut Aussage seiner Schwester war er seit mindestens einem Jahr in schlechter gesundheitlicher Verfassung. Sogar seinem Nachbarn ist aufgefallen, wie geschwächt er war. Anscheinend hat er im Laufe des letzten Jahres kaum berufliche Kontakte gepflegt, sodass in seinem Lebenslauf lediglich sein Nachbar Neil Doyle als Referenz angegeben ist.« Ich trinke einen Schluck aus meiner Tasse, genieße den starken bitteren Teegeschmack, seufze dann. »Und wir haben noch immer keine Ahnung, wo er sich aufhält.«
Mein Handy leuchtet auf und vibriert über den Couchtisch auf uns zu. Ich bin fast dankbar für die Unterbrechung.
»Sheehan«, melde ich mich.
»Frankie, Jack hier.«
Ich richte mich auf. »Und?«
»Die Leiche, die sie aus der verfickten Liffey gefischt haben«, sagt er beredt wie immer, »ist die von Peter Costello.«