TrustMe57: Hallo! Wie fühlst du dich heute?
TeeganRed: Wie immer. Allein. Denkt denn hier außer mir keiner ans Sterben?
TrustMe57: Andauernd. Nur meistens andersrum. Lol.
TeeganRed: Andersrum?
TrustMe57: Ich mein, ich bin nicht derjenige, der stirbt!
TeeganRed: Okaaaaaaay. Vielleicht sollten wir uns mal treffen? Lol. Obwohl, ich will ja nicht richtig sterben, ich will es nur mal irgendwie fühlen.
TrustMe57: Es?
TeeganRed: Wie es sich anfühlt zu sterben. Oder dem Tod ganz nahe zu kommen.
TrustMe57: Neugier ist der Katze Tod.
TeeganRed: Ich hoffe nicht.
TrustMe57: Wie auch immer.
Helen lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück, legt die Hände in den Schoß.
»Könnte das unser Mann sein?«, frage ich. »Der Username ähnelt dem auf Amys Laptop.«
»Genau genommen wissen wir nicht, ob es ein Mann ist, und wir haben alles versucht, um seine IP rauszufinden, aber das ist unmöglich. Er ist ein gottverdammter Geist. Ich hab richtig fette Köder auswerfen müssen, damit er sich meldet«, sagt sie.
»Fette Köder? Steve, Erklärung bitte.«
Er blickt betreten. »Wir haben irgendwas Drastischeres gebraucht, damit die mit uns chatten, Chief. Wochenlang war Funkstille. Deshalb haben wir ein paar Bilder zusammengeschustert.« Er klickt einen Ordner an.
»Große Kunst«, sage ich angewidert.
Er schließt den Ordner schnell wieder. »Das ist der Geschmack von dem Mistkerl, okay, nicht meiner.«
Ich seufze. »So was nennt man sich die Hände schmutzig machen.« Ich verdränge die Bilder aus meinem Kopf und falte die Hände. »Wir müssen irgendwie ein Treffen inszenieren. Mit ihm.«
Helen und Steve reißen beide entsetzt den Kopf herum. »Ist nicht Ihr Ernst?«
»Im Darknet werden wir ihn nicht kriegen. Solange er nicht mehr von sich verrät, haben wir keine Möglichkeit, seine IP rauszufinden. Gibt’s irgendwelche Fotos oder Videos? Vielleicht könnten wir sie genauer unter die Lupe nehmen, den Hintergrund analysieren?« Kopfschütteln von beiden.
Emer hat still an ihrem Schreibtisch in der Nähe gearbeitet. Ich registriere, dass sie während unseres Gesprächs langsam aufgestanden und herübergekommen ist. Jetzt starrt sie auf den Bildschirm. Zunächst denke ich, sie ist einfach nur neugierig, doch dann schiebt sie sich zwischen uns, zieht einen Latexhandschuh aus und scrollt den Bildschirm zurück. In diesem Moment plingt der Computer, signalisiert eine neue Nachricht. Sie ist kurz und knapp:
TrustMe57: Anscheinend liebäugelst du mit dem Tod. Falls ja, E-Mail: Trustme@minimail.com.
»Interessant«, murmelt Emer.
Ich schaue sie an. »Was denn?«
»Das müssen Sie sich ansehen.« Sie läuft zu ihrem Schreibtisch zurück. Sie ist aufgeregt. Sogar hibbelig. Ungeduldig.
Sie hebt ein schwarzes Teil neben ihrem Computer auf. Es sieht fast aus wie eine externe Festplatte.
»Die SIM-Karte aus ihrem Handy war nahezu intakt. Nur minimal beschädigt, und nach einer kurzen Trocknungszeit konnte ich ziemlich viel wiederherstellen. Mit dem Speicherchip hab ich noch nicht angefangen.«
Sie zeigt auf einen Notizblock neben dem Computer, auf dem eine Handynummer steht.
»Das ist Eleanor Costellos Nummer, wie sie auf ihrer Handy-Rechnung stand. Ihr Anbieter hat bestätigt, dass diese SIM-Karte zu diesem Handy ausgegeben wurde.«
»Dann ist es also wirklich Eleanors Telefon?«
»Ohne jeden Zweifel«, sagt Emer.
Sie zeigt auf den Computer. Auf dem Bildschirm ist irgendein Datensalat. Digitale Codes oder Nullen und Einsen, die für mein ungeübtes Auge aussehen wie Kästchen und Leerstellen.
Emer drückt auf die Bild-rauf-Taste, und die Zeilen auf dem Monitor gleiten rückwärts.
»Das Programm ist noch dabei, Daten abzurufen und zu entschlüsseln, aber –«
Da. Ich sehe es. Wörter. Buchstaben in dem Chaos aus Strichen und Kästchen. Ich beuge mich näher.
»Sind das SMS?«
»Und wir haben E-Mails. Hier.« Sie scrollt hoch.
Was macht dein Zögling? Hast du ihm gezeigt, wer der Boss ist? Hab unsere Sitzung gestern wirklich genossen. Bald wieder. Nächstes Mal probieren wir neue Spiele aus.
X
Die E-Mail-Adresse ist dieselbe wie auf der Black-Widow-Seite. Die Nachricht ist von TrustMe57. Ich schaue Emer an, sehe mein eigenes Fieber in ihren Augen gespiegelt.
»Das ist er.«
Ich lege den Kopf in den Nacken und hauche ein stummes Dankeschön an die Götter, dass dieses Kind vor ein paar Tagen die Tasche aus dem Fluss gefischt hat.
»Schwein gehabt«, flüstere ich, nicke dann Emer zu. »Superarbeit. Ich möchte bitte so schnell wie möglich einen Ausdruck sämtlicher Daten von SIM und Handy auf meinem Schreibtisch haben.«
Sie reißt die Augen auf, als wäre das das Selbstverständlichste auf der Welt. Die Anweisung war unnötig.
Helen winkt mich zu sich. »Er hat sich aus dem Chatroom abgemeldet.«
»Er wartet auf eine Antwort. Jetzt kommt’s für ihn drauf an. Er will ein Opfer, das nur ihm gehört. Antworten Sie. Er wird nicht direkt sagen, was er will. Sie müssen es andeuten.«
Sie starrt mich verständnislos an.
»Menschenskind, Helen. Fragen Sie ihn, ob er BDSM gut findet. Dann sind Sie dabei. Fragen Sie ihn, ob er Lust auf ein Treffen hat.« Ich seufze, denke nach. »Sagen Sie ihm, dass Sie Verzögerungstaktiken nicht mögen. Sie hatten schon mal einen Partner, der gesagt hat, er würde drauf stehen, aber dann hat sich rausgestellt, dass das gar nicht stimmte. Sie wollen nicht bloß ein bisschen den Hintern versohlt bekommen, Sie brauchen mehr.«
Helen und Steve wechseln Blicke.
»Wie Sie schon sagten, es ist der Geschmack von diesem Mistkerl. Nicht meiner.«
Ich verlasse das Büro, um mich mit Clancy zu treffen. Ich sollte mich beschwingt fühlen, glücklich, stattdessen bin ich erschöpft und gereizt. Der Vorhang ist halb zurückgezogen, aber der Raum ist noch immer zu dunkel, um das Monster zu sehen. In gewisser Weise wird er dadurch noch unheimlicher. Er fühlt sich nah an. Zu nah.
Er könnte irgendwo in den Weiten des Landes sein und seine Fantasien auf den Bildschirm richten, aber die Unmittelbarkeit seiner Antworten vermittelt das Gefühl, als würde er direkt hinter mir stehen und mir mit warmem Atem tödliche Drohungen ins Ohr flüstern. Tatsächlich ist er wahrscheinlich hier in der Region. Vielleicht irgendwo an der Ostküste. Aber Irland ist so klein, dass er auch in Cork wohnen könnte, hierherkommt, um seine Morde zu begehen, und dann wieder in eine sterile Umgebung weit weg von seinem Spielplatz zurückkehrt.
Der Kerl ist arrogant, selbstsicher, und er wird jede öffentliche Anstrengung genießen, die meine Leute und ich unternehmen, um ihn zu schnappen. In seiner Vorstellung ist er unbesiegbar. Herr über das Schicksal seiner Opfer. Er wird wieder töten, falls er das nicht schon getan hat.
Clancy wartet neben seinem Wagen, als ich herauskomme.
»Na?«
»Na«, antworte ich.
»Verdammt noch mal, Sheehan. Was ist los?«
»Wir haben wieder eine Spur. Emer ist ziemlich erfolgreich mit den Handydaten.« In diesem Moment kommt eine E-Mail auf mein Smartphone. Im Betreff steht eine kurze Nachricht von Emer. »Das sollten Sie sich ansehen.«
Clancy wartet, dass ich genauer werde. Die Verhandlung im Fall Tracy Ward wartet auf mich, Ivan Neary wird wahrscheinlich gerade aus seiner Zelle geholt, den Kopf geneigt. Sie werden ihn zu einem gepanzerten Fahrzeug führen und an den Dubliner Kais entlang zum Gericht fahren, wo die gierigen Medien und der Urteilsspruch auf ihn warten.
Die E-Mail enthält einige SMS zwischen Eleanor und einem anderen User.
Die erste wurde am 2. September um vierzehn Uhr geschickt. Ich hab den ganzen Tag an dich gedacht.
Eleanor antwortet: Klingt langweilig. Ab vier hab ich Zeit.
Die nächste SMS kommt über eine Stunde später: Du kannst für heute Nachmittag zwischen zwei Waffen zum Spielen wählen. Schmerz oder Atemkontrolle?
Eleanors Antwort erfolgt prompt: Rate mal.
Also Schmerz.
Du kennst mich. Bis später bei dir.
Vielleicht machen wir ein Feuerspiel. Ich warte auf dich.
Ich habe mein Handy so gehalten, dass Clancy mitlesen konnte. »Scheiße. Sie hat also auch rumgevögelt. Mannomann, wieso ist denn heute kein Mensch mehr seinem Partner treu?«
Ich scrolle nach unten. »Ihr Treffpunkt könnte die Wohnung sein, in der Amy ermordet wurde. Falls er unser Mann ist.«
»Das gibt’s nicht«, flüstert Clancy mit Blick auf mein Handy. Am Ende der E-Mail hat Emer einen Nachtrag angefügt und fett formatiert. Sie hat die Nummern aller in diesen Fall verwickelten Personen mit der von den SMS abgeglichen und eine Übereinstimmung gefunden: Lorcan Murphy.
Ich lächele.
»Wo ist sein Stinkefinger jetzt, he?«, fragt Clancy.
»Ja. Wer hätte gedacht, dass er eine mörderische Ader hat?«
Wir setzen uns ins Auto, und Clancy lässt den Motor an. »Regel Nummer eins«, flötet er herablassend. »Mit dem richtigen Motiv haben wir alle eine mörderische Ader.«
Wir fädeln uns in den Nachmittagsverkehr ein, fahren zum Gericht. Ich maile Emer, dass wir einen Durchsuchungsbeschluss für Murphys Haus brauchen. Sie soll ein Team zusammenstellen und das Haus beobachten lassen; Helen und Baz sollen Wache stehen. Morgen früh werden wir ihn abholen, sein Handy, seine Brieftasche, sein Auto beschlagnahmen. Jeder Millimeter seiner Existenz wird durchsucht und katalogisiert werden. Justitia hat uns den kleinen Finger gereicht, und wir dürfen ihn nicht mehr loslassen. Unsere Aufgabe in den kommenden Stunden wird sein, einen unwiderlegbaren Zusammenhang zwischen Lorcan Murphy und entweder Amys, Eleanors oder Peters Tod herzustellen.
Ich will dabei sein, will Lorcan Murphys Aussage nach Antworten durchforsten, aber dass Tracy Ward Gerechtigkeit widerfährt, hat im Moment Vorrang. Ich stecke mein Handy ein und denke an die kommenden Stunden. Schon habe ich das Surren der Angst in den Ohren. Ivan Neary ist schuldig, sage ich mir. Ich sage es mir wieder und wieder, bis wir schließlich am Gericht ankommen.