23 – Clara

Der Vorschlag, wir könnten versuchen, ein Kind zu kriegen, kam von Haavard. Ich war mir nicht so sicher, ich hatte Angst zu versagen wie meine Mutter. Und als Haavard mich zum Ultraschall schleppte für eine frühe Untersuchung, ob ich tatsächlich schwanger war, war es nicht viel besser. Ich fühlte mich genauso wie immer, weder war mir übel noch war ich müde.

»Schau dir das mal an«, sagte die Hebamme.

Zwei kleine Dinger in der Form von Hahnenkämmen, zwei kleine pochende Herzen.

»Hoppla«, sagte Haavard. »Das sind doch … zwei

»Ja, natürlich«, sagte die Hebamme. »Hat es in euren Familien schon mal Zwillinge gegeben?«

»Nein«, seufzte ich.

»Nein«, lachte Haavard.

Das war nicht die letzte Runde Ultraschall, während der Schwangerschaft gab es eine ganze Reihe davon. Ab der 22. Woche war ich krankgeschrieben, obwohl ich am liebsten weitergearbeitet hätte. Mein Bauch zog mich vornüber. Hände und Füße schwollen an. Alles tat mir weh. Und es juckte mich.

Nächtelang lag ich wach und kratzte mich. Es hieß, das sei üblich.

Die Geburt war wenig aufsehenerregend, ich lag da, jede Menge Elektroden an mir, festgezurrt, eingefangen von all der Elektronik. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Immerhin schrie ich nicht. Die Babys kamen. Das Jucken hörte auf. Und ich stillte sie und wiegte sie in meinen Armen und ließ sie an meiner Brust einschlafen, all so was.

Es ging gut. Ich war nicht meine Mutter. Ich schaffte es.


Als die Jungs sechs Monate alt waren, fing ich wieder an zu arbeiten. Zu der Zeit pflegten sie sich zu hauen. Sie lagen nebeneinander, zwei runde Bündel aus Windeln und Wolle, laufen konnten sie nicht, schlugen einander aber gegen die Köpfe. Sie schrien und schlugen sich und schlugen sich und schrien, ich wusste nicht mehr, was ich mit ihnen machen sollte.

Haavard war da viel geschickter, das reinste Naturtalent. Er hob sie hoch und wiegte sie hin und her, er gurgelte und kitzelte und schnitt Grimassen, sie hörten auf zu schreien und sich zu schlagen, sie lachten und lachten, ohne Ende.

Dann wurden sie größer, das Pummelige verschwand, sie wurden lang und schmal.

Als sie im Kindergartenalter waren, riefen sie, wenn ich sie abholen kam, enttäuscht:

»Nicht Mama! Papa! Wollen zu Papa!« Und obwohl ich auf keinen Fall zwei kleine Muttersöhnchen am Rockzipfel haben wollte, beunruhigte mich das. Vielleicht hatte ich ja doch mehr von Agnes, als mir lieb war.

Mit drei oder vier Jahren wurde der ewige Zank zwischen ihnen von einer Art alles umfassenden Symbiose abgelöst.

Das Wörtchen ich kam nicht mehr vor, es gab nur noch ein großes Wir.

»Wir und Andreas«, sagte Nikolai, er meinte seinen Bruder und sich.

»Wir und Nikolai«, sagte Andreas.

Weinte der eine, weil ihm etwas nicht passte, dann redete der andere für seinen Bruder. Als sie groß genug waren, um am Wochenende ohne uns aufzustehen, weckte der eine den anderen, dann schlichen sie zusammen die Treppe runter zum Fernseher im Erdgeschoss. Und ich atmete auf. Jetzt brauchten sie mich nicht mehr, jedenfalls nicht mehr ständig. Ich hatte meine Aufgabe erledigt.

Sie hatten ja nicht nur einander, sondern auch einen zärtlichen, verspielten Vater. Nicht nur mit den Kindern, auch im Kontakt zu Außenstehenden ist Haavard meistens warm und umgänglich, wenn es ihn nichts kostet. Je näher du ihm kommst, desto kühler wird er.

Wir zanken uns über alles Mögliche, wegen Kleinkram in den Taschen der Hosen, die in der Wäsche liegen, um Mülltrennung, darüber, wohin wir in den Ferien fahren wollen, wie wir mit den Jungs reden sollten, wer daran schuld ist, dass der Garten so aussieht.

In der letzten Zeit gab es immerhin weniger offenes Feuer, eher einen stummen Stellungskrieg.

An dem ganzen Sexkrempel verlor ich bald das Interesse. Nichts als Wiederholungen, nichts Neues, Aufregendes mehr. Außerdem war ich immer müde. Vielleicht nicht besonders originell, aber so war es eben.

Und dann, nachdem er sich einige Jahre lang über zu wenig Sex beschwert hatte, nachdem er sich nachts an mich gedrängt hatte, zu Zeiten, da ich nur noch an Schlaf denken konnte und mich wegdrehte, er verärgert und beleidigt grunzte – dann war auf einmal Ruhe.

Er versuchte es nicht mehr. An sich war mir das nur recht. Vielleicht hatte er es über, abgewiesen zu werden.

Zugleich aber wirkte er zufriedener als zuvor. Sanfter. Auch sein Äußeres veränderte sich. Nicht viel, aber spürbar. Die kleine Wölbung über dem Hosenbund verschwand wieder. Seine Haare, immer ein bisschen zu lang, ließ er sich öfter schneiden, er sah wieder charmant und zerstrubbelt aus.

Und mir wurde klar, dass der Fluch, den die alte Edith unwissentlich über uns ausgesprochen hatte, eingetroffen war.

Haavard schien zu glauben, er verberge geschickt alle Spuren.

Davon konnte keine Rede sein. In seiner Aktentasche lagen verdächtige Quittungen, im Futter seines Kulturbeutels waren Kondome versteckt. Und der Code für sein Mobiltelefon war auch nicht gerade schwierig zu erraten, 2205, derselbe, den er sonst auch meistens verwendete. Im Nachrichteneingang entdeckte ich verschiedene intime Mitteilungen von Frauen, von denen ich noch nie gehört hatte.

Ich hasse Untreue, ich kenne nichts Schlimmeres, seit meine Mutter in meiner Kindheit meinen Vater verließ.

Trotzdem fand ich heraus, die einzige Art, der Demütigung zu begegnen, bestand darin, so zu tun, als ob nichts wäre.