36 – Haavard

Wir sitzen in einem kleinen, sterilen Raum, sogar für Claras Geschmack wäre er minimalistisch genug.

Ich habe gelesen, heutzutage würden Verhöre etwas entspannter vor sich gehen, in normalen Wohnzimmersesseln mit einem niedrigen Tisch dazwischen. Ohne direktes Gegenüber, die Forschung habe ergeben, dass man da nur verkrampft ist und nicht viel erzählt.

Nun, dieses Verhör scheint jedenfalls nach alter Sitte abzulaufen.

Ein Tisch mit Wasserglas, Tassen und Kaffeekanne, den Stühlen, auf denen wir sitzen, ein Fenster mit Blick auf eine Birke, die wie alles andere nach einem regenlosen Hitzesommer in diesem Monat allmählich welk wird. Gelbbraune Blätter segeln am Fenster vorbei.

Eines immerhin habe ich von Vater und Christian und meinem einen Jahr Jura mitgenommen: Nicht anders als in allen anderen Berufen läuft auch hier nicht alles so, wie man es denken würde.

Häufig geht es der Polizei mehr darum, irgendjemanden zu verhaften, als darum, wen genau.

Ich sehe die beiden an, versuche, ihre Blicke aufzufangen. Elin hat sich geschminkt, wirkt strenger und älter dadurch.

»Ich bin mit Sabiya reingegangen!«, sage ich laut. »Ehrenwort, Sie können sie fragen! Ich war nicht so lange draußen, warum auch?«

»Ich erinnere daran, dass Sie erst jüngst Ihre Aussage dahingehend geändert haben, dass Sie überhaupt draußen waren. Und Ihre Karte wurde jedenfalls um 22 Uhr 32 benutzt, um die Tür zu öffnen«, entgegnet Elin ruhig.

Stille. Geräuschvoll dreht sich der Ventilator im Kreis, mein Hirn wirbelt genauso. Es wird mir schwindlig, meine Finger werden taub, ich fühle mich, als könnte ich jederzeit zu Boden gehen.

»Lassen Sie uns noch einmal Ihre Erklärung aus Lysebu durchgehen«, fährt Elin angesichts meines Schweigens tonlos fort und liest aus einem Papier vor: »›Ich saß bis gegen elf Uhr draußen, ging dann in mein Zimmer und schlief wie ein Stein, bis ich heute Morgen von dem Lärm geweckt wurde und in die Rezeption runterging.‹ Das Zimmermädchen hat allerdings im Verhör ausgesagt, Ihr Bett sei morgens unberührt gewesen. Wie kann das sein?«

»Ich habe auf dem Sofa geschlafen«, sage ich verzweifelt.

»Aha, Sie haben auf dem Sofa geschlafen, dann halten wir das fest«, sagt Elin.

»Nein«, platze ich heraus, »ich war bei Sabiya. In ihrem Zimmer.«

Elin und Morten wechseln einen Blick.

»Sabiya Rana hat im Verhör berichtet, dass Sie seit einem Jahr ein Verhältnis haben.«

Hat sie es also verraten. Ohne mir ein Wort davon zu sagen.

»Ja«, sage ich hektisch. »Und das stimmt auch. Aber ich hatte ihr versprochen, es niemals jemandem zu erzählen. Dieses Versprechen wollte ich halten. Ich hatte Angst, meine Frau würde uns entdecken, aber vor allem fürchtete ich Sabiyas Mann, um sich vor ihm zu schützen, brauchte sie ja auch die Pistole.«

Morten hat schon länger nichts gesagt. Jetzt räuspert er sich und lehnt sich vor:

»Die Untersuchung von Kugeln und Kaliber hat gezeigt, dass Melika Omid Carter und Mukhtar Ahmad mit derselben Pistole erschossen wurden. Höchstwahrscheinlich mit einer Glock 17 9 mm.«

»Aha«, sage ich.

»Die Glock 17 ist eine ziemlich verbreitete Waffe«, doziert er. »Unter anderem beim Militär gebräuchlich. Und dort kommt auch schon mal eine weg. Nach dem ersten Mord haben wir in dem kriminellen Milieu recherchiert, mit dem Ahmad und seine Leute Auseinandersetzungen hatten. Dabei konnten wir feststellen, dass in den Kreisen seit ein paar Jahren eine gestohlene Glock 17 mit Schalldämpfer zirkuliert.«

Die Übelkeit legt sich ein wenig.

»Der illegale ›Besitzer‹ der Schusswaffe wurde verhört. Es stellte sich heraus, dass er Sabiya Rana kennt, und er hat zugegeben, ihr die Waffe im letzten November ausgehändigt zu haben.«

Sie denken also, Sabiya ist in die Sache verwickelt, darum wollen sie mit mir reden, sie verdächtigen sie. Gott sei Dank.

»Hat Sabiya Ihnen die Waffe gezeigt?«

Und jetzt hoffen sie, dass ich leugne, damit sie mich festnageln können.

Laut und deutlich antworte ich: »Ja, das hat sie.«

»Haben Sie ihr klargemacht, was Sie davon halten, eine Schusswaffe im Büro zu verwahren?«

»Das hätte ich wohl tun sollen. Ich habe es versucht. Aber ich hatte auch Angst davor, auf was für Ideen ihr Mann kommen könnte.«

»Sabiya hat im Verhör eingeräumt, eine Schusswaffe im Büro gehabt zu haben. Von sich aus hat sie unsere Information darüber bestätigt, auf welche Weise sie in ihre Hände gelangt ist. Es ist nicht unsere Sache festzustellen, welche Konsequenzen ein solcher klarer Bruch der Gesetze über Waffenbesitz nach sich zieht, wir ermitteln in der Mordsache. Uns interessiert aber, dass der Mann, der Sabiya die Waffe gegeben hat, zwar wusste, dass sie diese hatte, aber nicht, wo sie aufbewahrt wurde. Im Gegensatz zu Ihnen.«

»Ja.« Ich erwäge, ihnen von der Begegnung mit Sabiya und ihrem Mann im Ullevålsvei zu berichten und dass ich mich allmählich frage, ob sie auch sonst die Wahrheit sagt. Nur wie soll ich das so formulieren, dass sie es mir glauben?

»Sabiya sagt außerdem, als sie nach dem Mord an dem pakistanischen Vater nach der Waffe schauen wollte, sei diese weg gewesen.«

Hier ist nicht genug Luft drin.

Ich würde jetzt am liebsten den Kopf auf die Hände legen. Elin steht auf, geht ein paar Schritte, zieht sich am Gürtel die Hose hoch, als ob sie sich für eine neue Runde im Ring bereit machen würde. Morten lehnt sich vor, bereit, solange zu übernehmen.

Ich mache die Augen zu, presse den Daumennagel in die Wunde am Finger der anderen Hand, um mich auf etwas anderes konzentrieren zu können.

»Ja, und was jetzt Lysebu angeht«, sagt Morten. »Derselbe Zeuge, der Sie am Abend des Mordes an Mukhtar Ahmad vor dem Krankenhaus gesehen hat, hat Sie auch im Schwimmbad von Lysebu gesehen, um 23 Uhr 00, als Melika Omid Carter erschossen wurde. Trifft das zu?«

»Ja«, sage ich.

»Waren Sie auch in der Sauna?«

»Nein.«

»Aber am Türgriff zur Sauna befinden sich Ihre Fingerabdrücke. Wie erklären Sie das?«

Ich kann es nicht erklären. Nicht jetzt. Ich kann nur den Kopf auf die Hände legen.

»Die Situation ist also, dass Sie für keinen der beiden Morde ein Alibi haben. In beiden Fällen haben Sie Ihre Aussage verändert. Der Aufbewahrungsort der Waffe war Ihnen bekannt. Sie haben den Wunsch zum Ausdruck gebracht, dass die Menschen auf der Liste sterben sollten. Sie hatten also ein Motiv.«

Elin legt mir die Hand auf die Schulter.

»Ich verstehe gut, dass Sie aufgewühlt sind, Haavard, ich sehe selbst viel Schreckliches in meinem Job. Aber Sie sind ein gesetzestreuer Mann, der strafbare Handlungen begangen hat. Tief drinnen wissen Sie das auch. Wollen Sie Ihr Gewissen nicht erleichtern?«

»Ich habe sie nicht umgebracht«, flüstere ich.