41 – Haavard

»Willigt der Verhaftete in vierwöchige Untersuchungshaft ein, wie beantragt, oder ersucht er um Entlassung?«

»Ich bitte um Entlassung.« Ich muss mich räuspern, meine Stimme ist belegt.

»Möchte der Verhaftete eine Erklärung abgeben?«

»Ja.«

Bei einem Haftprüfungstermin liegen dem Ermittlungsrichter sämtliche Unterlagen des Falls vor, hat Christian erklärt.

Der Verhaftete, jetzt also ich, gibt keine neue eingehende Erklärung ab, sondern bestätigt üblicherweise seine bisherigen gegenüber der Polizei abgegebenen Aussagen. Danach verliest der Richter das polizeiliche Protokoll und fragt, ob der Verhaftete dieses als seine rechtliche Erklärung anerkennt.

Der Staatsanwalt erhält das Wort, um seinen Antrag zu begründen, danach kann die Verteidigung ihren Antrag auf Entlassung erläutern, falls der Verhaftete das wünscht.

Schließlich zieht sich der Richter zur Entscheidungsfindung zurück, deren Ergebnis dann verlesen wird.

Der Verhaftete kann dieses Ergebnis annehmen, dagegen Einspruch einlegen oder um Bedenkzeit bitten.

All das weiß ich noch aus dem sinnlosen ersten Jahr an der juristischen Fakultät, bevor ich dort abbrach. Bei Gerichtsbesuchen verfolgten wir tagelang solche Haftprüfungstermine.

Christian hat beantragt, dass der Termin aus Rücksicht auf die Privatsphäre des Verhafteten als geschlossene Sitzung abgehalten wird, allerdings ohne Erfolg, so etwas scheint selten zu sein. Ich sehe mich nervös um. Zum Glück sind weder Presseleute noch Bekannte zu sehen, Christian hat mit Vater und Clara abgesprochen, dass sie nicht teilnehmen, um nicht weitere Aufmerksamkeit zu erregen.

Das passt beiden sicher gut.

Wie ich sehe, sind Elin und Morten anwesend. Die Ermittler nehmen üblicherweise nicht am Gerichtstermin teil, nur bei größeren Fällen, hat Christian erklärt.

Allmählich geht mir auf, dass das hier ein größerer Fall ist.

»Mit Hinblick auf die Schwere der angeklagten Verbrechen, auf die Gefahr von Beweisvernichtung und Wiederholungsgefahr ist es aus polizeilicher Sicht notwendig, eine vierwöchige Haft mit Brief- und Besuchsverbot zu verlangen«, referiert der Richter den Antrag der Staatsanwaltschaft.

Vor eineinhalb Stunden wurde ich mit dem Polizeiwagen zum Gerichtsgebäude gebracht und dort in eine der Zellen im Keller geführt, wo ich Christian nur kurz sprechen konnte. Er hatte gerade erst die Unterlagen erhalten, offenbar ist das so üblich. Nach dem Gespräch wurde ich in den Verhandlungssaal gebracht.

Den guten alten Christian Ferner-Hansen zu sehen, ist eine solche Erleichterung, dass ich einen dicken Kloß im Hals runterschlucken muss.

Sicherlich ist er vom Ivar Aasens Vei hierhergeradelt. Ein paar Mal habe ich ihn auf dem Rad durch die Stadt fahren sehen, ohne dass er mich bemerkte. Jedes Mal ein rührender Anblick. Christian wirkt wie eine Urkraft, wenn er so mit wehenden Mantelschößen auf dem alten Fahrrad daherschießt, den Fahrtwind in seiner dicken grauen Mähne.

Vor einem Jahr hatte er sich mehr oder weniger zurückgezogen, macht seitdem wohl noch längere Wanderungen durch die Wälder um die Stadt herum, das Puttedal hinauf oder vom Fyllingen-Hof hinaus, zum Kikuttoppen mit seiner Aussicht südwärts über den Bjørnsjø, Apelsinhaugen, das Tryvann und an klaren Tagen auch auf ein Stückchen vom Oslofjord.

Jetzt hat er seine Waffen entrostet und ist zurückgekehrt, um mich zu retten. Und ich sollte hier nicht sitzen und von Wandertouren tagträumen.

Der Staatsanwalt hat eine Zusammenfassung des Falls und den Haftantrag dabei, der Richter verliest das alles.

All diese leeren Formeln, die ich mir vor zwanzig Jahren an der Uni zu Gemüte geführt und schon als Kind unter Vaters Schreibtisch gehört hatte, haben jetzt, da sie mir gelten, meinem Leben, meiner Zukunft, einen ganz anderen Klang.

Der Richter weist auf den Ernst des Falls hin, darauf, dass die Ermittlungen sich noch in einem frühen Stadium befinden und Untersuchungshaft daher notwendig erscheine, vor allem wegen der Gefahr von Beweisvernichtung. Werde der Verhaftete entlassen, könnte er Kontakt zu Zeugen aufnehmen und versuchen, sie zu beeinflussen.

Ich werde auf meinem Sitz immer kleiner.

Das Gefühl von Unwirklichkeit wächst dafür immer mehr. Meine Schläfen hämmern, ich trinke einen Schluck Wasser aus dem Glas, das sie vor mich hingestellt haben. Ich habe nichts gegessen, zu wenig getrunken, allmählich fühle ich mich dehydriert und kraftlos. Jede Bewegung eine Anstrengung.

Die geballten Indizien gegen mich wirken insgesamt ziemlich beeindruckend.

Meine dummen kleinen Lügen bilden einen harten Knoten, den ich nicht aufzulösen vermag.

Und das Schlimmste: Ich weiß nicht mal mehr, was wahr ist und was nicht, alles hat sich zu einem großen Knäuel zusammengeballt.