Seitdem hat die Glock hinter einem Tragbalken auf dem alten Kriechboden in unserem Haus gelegen, neben Vogelskeletten und Zeitungen aus der Zeit von 1912.
Jetzt kommt das zweite Mal. Und alles ist anders, viel besser geplant.
Mir gefällt der Gedanke, dass auch ich Sabiya etwas weggenommen habe.
Ich habe nachgelesen und herausgefunden, dass die Glock 17 einerseits beim Militär verwendet wird, aber auch bei zivilen Schützen beliebt ist als zuverlässige und relativ preiswerte Waffe.
Gar nicht wenige Exemplare sind im Laufe der Jahre auf Abwege geraten, durch Diebstahl aus dem Lager des Heeres, von Privatleuten oder aus Waffenläden. Im Hinblick auf meine weiteren Pläne hoffe ich allerdings, dass diese Pistole nach allen Regeln der Kunst registriert ist, am besten auf Sabiya selbst.
Die Munition ist neun Millimeter, wie auch die Polizei sie verwendet. Ohne Waffenschein kann man keine Munition kaufen. Ich habe keinen. Auf dem Schwarzmarkt gibt es natürlich auch welche, illegal. Das ist mir aber beides zu riskant. Ich muss mit den Patronen auskommen, die noch im Magazin stecken, das sollte für einige Zeit reichen, es war voll, als ich die Glock aus der Schublade nahm.
Im Gebetsraum habe ich drei Schuss abgefeuert. Jetzt sind noch vierzehn übrig.
Federal Hydra-Shok , so heißt diese Munition. Sie ist teuer.
All das habe ich in einem zufällig gewählten Internetcafé im Hauptbahnhof von Oslo im Netz recherchiert. Das zu Hause oder bei der Arbeit zu tun, kam nicht infrage.
Melika Omid Carter ist eine denkbare nächste Kandidatin auf Haavards Liste, die ich fand, als ich mich am Morgen vor der Fahrt nach Westnorwegen in seinen PC zu Hause einloggte; ich hatte bemerkt, dass er irgendwas laufen hatte, wollte wissen, was das war.
Die Liste lernte ich auswendig, so gut ich konnte, schrieb die Namen auf ein Post-it und versteckte es bei der Waffe auf dem Dachboden.
Da Carter auch Einwanderin ist, werden die Leute glauben, es gehe darum, und das sollen sie vorerst gerne denken. Wegen ihrer Abstammung ist sie schließlich ähnlich wie Ahmad auch näher an Sabiya dran.
Als ich vor einer Weile in Dagens Næringsliv etwas über Carter las, fand ich sie in mehrerlei Hinsicht sehr imponierend. Tough. Knallhart. Aber Haavards Aufzeichnungen zeigen auch, dass die Frau eine Verbrecherin ist.
Laut Krankenbericht wiesen ihre Kinder zahllose Spuren von Peitschenhieben auf, außerdem soll sie ihre Körper und Zungen mit glühenden Löffeln verbrannt haben. Es ist unglaublich, dass sie immer noch mit ihr zusammenleben.
Dass Haavard solche Listen anlegt, bringt überhaupt nichts.
Das Einzige, was etwas bringt, das ist etwas zu tun , und das habe ich in Ullevål getan, jetzt werde ich es wieder machen.
Melika gibt jeden Monat einen Kurs in Lysebu. In ihrem Blog lobt sie die Qualität von Zimmern und Essen und schildert, dass sie immer schon am Abend zuvor dort einzieht, ein dreigängiges Menü aus ausgesuchten Zutaten mit Blick auf Baumwipfel und die Stadt weit unten genießt, um dann gegen 23 Uhr in dem schönen Pool, wo sie meist allein ist, ihre zweitausend Meter zu schwimmen.
Und das Beste von allem: Den nächsten Kurs gibt sie ausgerechnet dann, wenn Haavard und Sabiya auch in Lysebu sind.
Im Juni wird Minister Munch Lysebu zu einer Konferenz besuchen. Seine Security-Leute haben die Infrastruktur dort überprüft und gemeldet, es gebe nur gleich neben dem Eingang eine einzige Kamera. Die werde ich umgehen können. Wenn Munch kommt, werden verschiedene Hintertüren, eine zum Beispiel direkt neben dem Pool, abgesperrt sein, sonst sind sie meist unverschlossen.
In dem Internetcafé habe ich auch einen alten Lageplan des Hotels gefunden, die Anlage zu einem Bauantrag für einen Anbau, die schön säuberlich im elektronischen Posteingang der Gemeinde archiviert ist. So habe ich einen guten Überblick über die Gebäude bekommen.
Um genau 22 Uhr 40 betrete ich das Gebäude durch eine Seitentür. Haavard und seine Leute sitzen sicher noch oben im Speisesaal beim Cognac.
Nur eine kurze Treppe runter. Dann bin ich im Keller.
Die Räume hier sind niedrig, ich komme fast an die Decke. Der Gang ist schmal und weiß, eine Art Miniaturausgabe der Katakomben im Krankenhaus.
Auch die Tür zur Garderobe ist unverschlossen. Wie praktisch und entspannt, im besten dänisch-norwegischen Geist. Keine Türwachen, keine Schlüsselkarten, nichts als offene Türen. Die Garderobe ist leer. Zehn Schränke mit Schlüsseln, keiner davon verschlossen. Ich ziehe die Einmalhandschuhe und die Überschuhe aus Plastik an, dazu eine Art Putzkittel, den man über der Kleidung trägt. Die Kopfhaube hatte ich noch zu Hause. Eine aufwendige, aber effektive Verkleidung. Im Spiegel kann ich feststellen, dass ich wie beabsichtigt wie eine Reinigungskraft aussehe. Dann betrete ich die Schwimmhalle. Mittlerweile ist es 22 Uhr 45.
Ich mache mich daran zu schaffen, ich bin die Servicekraft Clara bei der Arbeit.
Die eine Längswand besteht aus großen Glasfenstern. An der anderen befinden sich die Garderobe, aus der ich gerade gekommen bin, und eine Ecke mit einer Regenwalddusche. Die Sauna liegt im Dunkeln, nur ganz innen leuchtet ein kleines grünes Lichtlein.
Das Auffälligste ist die Querwand neben der Tür zur Damengarderobe. Dort ist eine ovale, lebensgroße Skulptur angebracht, Mutter und Kinder. Die Anspielung auf Maria ist deutlich. Ein Kind auf jedem Arm, sie blicken anbetungsvoll zu ihr auf, der guten Mutter.
Wenn ich an so was glauben würde, ich würde es als Zeichen deuten.
Der Beckenrand vor der Wand mit der Skulptur ist mit Birkenstämmen eingefasst. Ich berühre einen davon, ein Stückchen sehr dünner Rinde löst sich, eine Art Birkenhaut. Bei dem Anblick muss ich an die jungen Birken denken, die jetzt zu Hause auf der Alm überall sprießen.
Es ist leise, nichts als das Rauschen der Belüftung, ferne Laute von Stimmen oben im Hotel, vielleicht auch von Haavard und seinen Kollegen.
Und dann kommt endlich Melika Omid Carter.
Auch mit Badekappe und Schwimmbrille ist sie leicht wiederzuerkennen. Sie schaut mich an, deutlich überrascht und irritiert, hier jemanden zu sehen. Dann scheint sie ihren Plan zu ändern, setzt die Schwimmbrille ab, verschwindet in der Sauna, schließt die Tür hinter sich. Über der Schulter hat sie ein Tragnetz.
In dem grünen Schimmer kann ich ihre Umrisse erkennen, sie legt das Netz hin, breitet ihr Handtuch aus, legt sich auf die unterste Bank.
Die Wanduhr über dem Schwimmbecken zeigt 22 Uhr 50.
Ich hole meine Tragetasche, betrete die Sauna, schließe die Tür hinter mir, stelle mich neben die Bank, auf der Melika liegt, hebe die Pistole, ziele.
Sie blickt auf, schaut mich an, überrascht.
»Das ist für deine Kinder«, sage ich. »Und für Lars.«
Der Rückstoß wirkt heftiger als beim letzten Mal, obwohl ich jetzt darauf vorbereitet bin.
Ich schieße ihr direkt ins Herz, aus kurzem Abstand. Auch diesmal kommt nicht viel Blut, dafür spritzt ein Muster kleiner roter Flecken über den Boden, ich trete hinein.
Dank der Überschuhe gibt es keine Sohlenabdrücke. Allerdings wird die Schuhgröße mehr oder weniger identifizierbar sein, und daran werden sie erkennen, dass ich eine Frau bin. Obwohl ich größere Füße habe als Sabiya, sind sie recht klein für meine Körpergröße, nur 38. Vielleicht kann das ein wenig Verwirrung stiften.
Blau und unberührt liegt das Wasser da, als ich aus der Sauna komme.
Ein neuer Blick auf die Uhr. Ich war eine Minute lang drin.
In der Garderobe ziehe ich die Haube ab, stecke sie in meine Tragetasche. Da Melika all ihre Dinge mit in die Sauna genommen hatte, gibt es von ihr in der ganzen Anlage keine Spuren. Mit ein wenig Glück wird sie erst morgen früh entdeckt.
Dann gehe ich so ruhig raus, als ob ich hier wohnen würde. Die Hände in den Hosentaschen, sodass niemand die dünnen Einmalhandschuhe bemerken kann, gehe ich den Korridor entlang, dann eine Treppe hinauf zum Erdgeschoss mit den Seminarräumen, der Sitzgruppe und dem Kaffeeautomaten, wo es immer noch so still ist wie vorher.
Jetzt ist die Tür allerdings von innen verschlossen. Ich mache sie auf und gehe hinaus, lehne mich an die Wand neben der Tür, ziehe die Handschuhe aus und stecke sie in die Tasche.
In aller Ruhe laufe ich zwischen den Gebäuden hindurch in das Wäldchen dahinter, wo mein Fahrrad steht.