Alle ausser Munch, der in Brüssel ist, sitzen vor ihren iPads und starren auf den Pressespiegel. Die Titelseite von der VG zeigt Cathrine Monrads Gesicht in Großaufnahme, Munchs passbildgroßes Porträt in einer Ecke.
Überschrift: »Medienhure!«
Und darunter: Muss der Justizminister gehen?
»Oh mein Gott«, sagt der Pressesprecher. »Ist das möglich?«
»Da hat sie ja gründlich zurückgeschlagen«, sagt der politische Referent.
»Aber wenn er nur die Hälfte von dem gesagt hat, was sie zitiert, dann ist nicht Monrad das Problem.« Mona wirft ihm einen strengen Blick zu.
»Aber wie sollen wir damit umgehen? That is the question «, sagt der Pressesprecher besorgt.
»Hat denn jemand mit dem Minister direkt gesprochen?«, fragt Mona.
»Noch nicht«, sagt der Pressesprecher. »Ich wollte ihn anrufen, kein Glück, ich versuche es weiter. Aber Clara, du warst doch bei dem Gespräch dabei, oder? Hat er das wirklich gesagt?«
Ich spüre Monas kühlen Blick auf mir.
»Er hat sich tatsächlich im Ton vergriffen. Ich weiß nicht mehr, ob er genau das gesagt hat, aber …«
»Ich rufe ihn gleich noch mal an«, sagt der Pressesprecher. »Ihr könnt ja so lange weiter den Pressespiegel durchsehen. Das bleibt ja Thema des Tages.«
»Des Monats«, sagt Mona. »Oder des Jahres. Außerdem gibt es noch einen Mord, über den sie schreiben können. Ich fasse nicht, was gerade passiert.«
»Ja du lieber Himmel«, sagt der Referent, »sind jetzt alle völlig durchgedreht? Zu Hause erschossen? Und keinerlei Zeugen. Wie geht das an?«
Mona liest aus einem Artikel vor: »Die Bewohner der Etage darunter sagten dieser Zeitung, sie hätten früher an dem Abend Lärm aus Susanne Stenersens Wohnung gehört. Das sei nichts Ungewöhnliches, sagten sie, sie hätten schon mehrmals die Polizei und das Jugendamt benachrichtigt, weil sie fürchteten, dass es Susannes Kindern nicht gut geht, aber nichts sei passiert …«
»Tja, das ist das Problem …«
»An dem Tag hätten die Nachbarn einen männlichen Besucher bei Susanne bemerkt«, liest Mona weiter. »Beide, Susanne und ihr Besucher, seien gegen zwanzig Uhr weggefahren, die Nachbarn wunderten sich, was mit den Kindern war, sie hatten gehört, dass die zu Hause waren, außerdem staunten sie, dass Susanne noch fahrtüchtig war, denn den Geräuschen nach hatte man in der Etage über ihnen zuvor kräftig gefeiert. Aber Susanne sei nach zehn Minuten zurückgekommen. Seitdem hätten sie nichts mehr gesehen oder gehört, bevor kurz nach elf die Polizei kam und sie furchtbar erschreckte.«
»Hoppala …«
»Die Polizei hat sämtliche Nachbarn befragt, doch ist niemandem etwas Besonderes aufgefallen außer einem Mann, der, als er seinen Hund ausführte, eine blonde Frau auf dem Fahrrad davonfahren sah. Die Polizei bittet die Bevölkerung um Mithilfe, die geringste Beobachtung, bla bla bla und so weiter. Die Anruferin, die sie zu Susanne rief, habe sich übrigens als Hausnachbarin ausgegeben, die Nachbarn hätten allerdings bestritten, angerufen zu haben, und der Anruf lasse sich nicht zurückverfolgen. Merkwürdige Sache.«
Wir lesen stumm weiter, bis der Pressesprecher wieder reinkommt:
»Das Neuste: Munch hat zwanzig Minuten Zeit für eine Äußerung bekommen, gegenüber der VG hat er schon direkt einen neuen Kommentar abgegeben. Er bestreitet schlankweg, gesagt zu haben, was Monrad behauptet. Sie würde das alles erfinden, um sich aufzuspielen und ihn zu demontieren.«
»Herrgott noch mal«, platze ich heraus.
Das ist doch idiotisch von ihm. Aber es ist auch ein Unding von den Journalisten zu sagen, selbstverständlich hast du das Recht, dich zu äußern, aber dann sofort, sonst bringen wir die Sache, egal, ob du schon geantwortet hast oder nicht. Ziemlich dreiste Erpressung.
»Ich möchte wirklich hoffen, dass Munch nicht lügt«, fährt Mona fort, einen leichten Anflug Schadenfreude in der Stimme. Sie steht auf und packt ihre Papiere zusammen. »Ich rufe mal Cathrine Monrad an, vielleicht ist noch etwas zu retten. Und ich schlage vor, solange der Minister nicht erreichbar ist, legst du sämtliche Medienanfragen in der Sache Clara vor«, sagt sie mit einem Blick auf den Pressesprecher.
»Gut. Dann kümmere ich mich mal um meine fünfundzwanzig unbeantworteten Anrufe«, sagt er.
»Was haben die denn mit dem vor?«, frage ich Vigdis, als wir rauskommen, und nicke in Richtung von Oddbjørn, dem Eisbären. Zwei Typen im Overall vom IDS, dem Interministeriellen Dienstleistungs-Service, wickeln ihn in so eine Plastikfolie ein, in die, fürchte ich, auch Leichen gehüllt werden.
»Mit dem? Der kommt in die Reinigung«, sagt sie, und wir schauen den beiden Männern hinterher, die jetzt abziehen, den Bären zwischen sich. »Offenbar hat er die Motten oder so.«
»Ach du Schreck.« Ich gehe in mein Büro, mache die Tür zu und setze mich in den superergonomischen schwarzen Ledersessel, den ich von Woll geerbt habe.
Ich lehne mich etwas zurück und denke ein paar Minuten nach.
Dann rufe ich auf dem Bildschirm die Seite telefonkatalogen.no auf und schlage Cathrine Monrads Nummer nach.
Ich feile ein wenig an den Formulierungen, bis es passt. Mit einem leisen Wusch des Telefons geht meine Nachricht an Monrad ab.
Gleich darauf meldet sich Haavard und erzählt, dass er ein freier Mann und auf dem Heimweg ist.