Mir war schon klar, sie war zu klein, andererseits ist sie ja nie wirklich klein gewesen.
Anfangs erzählte ich nur davon, wie blau der Himmel war, wie heiß es war, dass es überall so gut roch und der Kaffee himmlisch schmeckte, dass die Leute so freundlich und schön waren.
Aber irgendwann erzählte ich auch von den Schüssen in Rachaya. Von dem Geräusch, wie die Projektile erst den einen Körper, dann den anderen trafen.
Von dem Geräusch, wie ein Mensch zu Boden stürzt.
Davon, dass es sich nicht anfühlte, als würde ich ein Menschenleben nehmen, mehr wie auf eine Zielscheibe zu schießen, die ich unbedingt treffen musste.
Vielleicht könnte ich ihr ja klarmachen, wie dicht davor ich stand, nie wieder nach Hause zu kommen. Sie wirkte nicht besonders froh, dass ich wieder da war. Aber wenn ich vom Libanon erzählte, schien sie aufzuwachen, sie setzte sich näher zu mir, bekam lebhaftere Augen.
Oft schlief ich leicht ein. Doch nach einer Stunde wachte ich auf.
Morgens war ich todmüde, kam nicht immer aus dem Bett, es kam vor, dass ich trank. Ich ging in den Stall, ich schlief noch etwas auf dem Sofa, redete mit den Kindern, ging wieder in den Stall, brachte die Kinder ins Bett.
Aber es war, als ob nichts jemals wieder leicht oder gut werden könnte.
Der Arzt verschrieb mir Schlaftabletten, so konnte ich schlafen, aber die Tabletten bekamen mir nicht, ich wanderte den ganzen Tag wie durch Nebel.
Mit Agnes sprach ich nicht, dafür zu viel mit Clara.
Und dann stand eines Tages Magne in der Tür, ein Kollege von Agnes. Ein aufgeblasener Knilch, der im Gemeinderat saß. Ich mochte ihn nie leiden.
»Agnes hat Angst vor dir, Leif«, sagte er. »Das macht mir Sorgen. Sie hat ja auch zu kämpfen gehabt, so ganz allein, während du weg warst.«
Seine Stimme klang warm und fürsorglich, sein Blick aber war kalt, höhnisch. Als ob jemand zuhören würde.
Ich schaute zur Küchentür hinüber, konnte Agnes dort drinnen sitzen sehen wie ein Gespenst.
»Hat Agnes gesagt, du sollst kommen?«, fragte ich, bekam aber keine Antwort.
»Du bist zu schwach für das Ganze, Leif«, sagte er stattdessen. »Du brauchst Hilfe.«
Ich erinnere mich genau, wie meine Beine zitterten. Wie er kopfschüttelnd Agnes anschaute.
Armer Teufel , sagte er damit.
Als Nächstes erzählte sie mir, dass sie umziehen wolle. Hier sei es ja nicht auszuhalten, sagte ausgerechnet sie zu mir, nachdem ich es all die Jahre mit ihr ausgehalten hatte, während sie im Bett lag und nichts tat, und ich arbeitete und schuftete und Haare kämmte und Zähne bürstete, kochte und Wäsche wusch und das Klo putzte und Gott weiß was.
Die Kinder würde sie mitnehmen, sagte sie. Aber Clara wollte nicht.
»Du kannst gehen, ich bleibe hier«, sagte sie zu ihrer Mutter.
»Aber Clara, das geht doch nicht«, sagte die Mutter halbherzig, aber ich glaube, tief drinnen war sie erleichtert.
Agnes zog aus, Lars nahm sie mit.
Clara heulte und schrie und versuchte, ihren Bruder zurückzuhalten.