Auf dem Heimweg überstürzen sich rasend die Gedanken in meinem Kopf.
Manchmal im vergangenen Jahr habe ich gedacht, ich würde Haavard tatsächlich lieben, obwohl ich diesem großen Wort nie getraut habe.
Aber dann kamen diese Morde, und er benahm sich so seltsam, als ob er mich irgendwie verdächtigen würde oder einen Verdacht auf mich lenken wollte.
Das hat einen Keil zwischen uns getrieben.
Auch für seine Liste habe ich mich nicht wirklich begeistern können, es war so offensichtlich, dass seine Notizen keinerlei praktische Folgen haben würden. Die Liste war Selbstzweck, vielleicht auch ein klein wenig Angeberei.
Und dann diese Morde. Leute von der Liste. Bis heute sind die Taten nicht aufgeklärt. Die Polizei scheint im Dunkeln zu tappen.
Gleich am Tag nach dem ersten Mord habe ich kontrolliert, ob die Glock noch in der Schublade lag.
Nein, lag sie nicht. Und ich hatte sie nicht rausgenommen.
Ich feuerte die Schublade wieder zu, als ob ich mich an ihr verbrannt hätte. Versuchte, das Ganze zu vergessen. Ohne Erfolg. Und nach dem zweiten Mord erwähnte ich die Waffe gegenüber der Polizei, und dass Haavard und ich als Einzige von ihr wussten.
Ich dachte, ich musste das einfach sagen, hatte Angst vor noch mehr Ärger, wenn ich es nicht täte. Ich habe ja doch eine gewisse Vergangenheit, außerdem bin ich Pakistanerin.
Es war unwahrscheinlich, dass ausgerechnet Haavard diese Leute umgebracht haben sollte. Aber er hat sich wirklich seltsam verhalten. Als er im Flur in Lysebu so auf mich losgegangen ist, fast als würde er mich am liebsten niederschlagen, so wütend funkelten seine Augen.
Aber ich glaubte nicht wirklich, dass er es getan hat, obwohl er verhaftet wurde. Er kam ja auch schnell wieder frei. Nur war die Leichtigkeit zwischen uns dahin, alles zerbrach. Auf eine Art war das auch eine Erleichterung für mich, eine Möglichkeit, mein Leben in Ordnung zu bringen.
Auf Haavards letzte Versuche, Kontakt aufzunehmen, habe ich gar nicht mehr reagiert. Und in der letzten Zeit war Ruhe. Nur gestern früh, da hat er mir auf einmal eine SMS geschickt, dabei wollten wir auf keinen Fall auf diesem Wege kommunizieren. Ich saß zu Hause auf dem Sofa, bekam sofort Panik und löschte die SMS ungelesen. Jetzt tut es mir leid, er muss sie kurz vor seinem Tod geschickt haben.
Oh mein Gott. Was für ein Gedanke.
Ich gehe langsam. Es ist eigentlich ein warmer, schöner Tag, in der Luft zittert schon hochsommerliche Hitze, aber von dem Schock ist mir immer noch eiskalt.
Als ich von der S-Bahn nach Hause komme und aufschaue, sehe ich sie. Ein Polizeiwagen steht direkt vor unserem Briefkasten. Und da sind auch die wohlbekannten Gesichter.
»Sabiya«, sagt die Beamtin, deren Namen ich mir nie merken kann, »wir müssen Sie bitten, uns zu begleiten.«
Im Verhörraum auf dem Präsidium kommen sie auf die SMS zu sprechen, die Haavard mir gestern geschickt hat, sie meinen, das sei eine Art verschlüsselte Mitteilung, dass er meine Pistole irgendwo im Wald vergraben hat.
Und sie haben die Glock tatsächlich gefunden und ausgegraben. Sie wurde bei allen drei Morden verwendet und ist jetzt ein Hauptbeweis.
Zeugen haben mich bei den Morden an Mukhtar Ahmad und Melika Omid Carter in der Nähe der Tatorte gesehen.
Es gibt DNS-Spuren, die mich mit den Opfern in Zusammenhang bringen. Außerdem sind überall auf der Pistole meine Fingerabdrücke.
Das ist kein Wunder.
Überhaupt nicht verstehen kann ich, dass beim letzten Opfer, Susanne Stenersen, Haare von mir gefunden wurden, mit Haarbalg und DNS. Ich bin nie auch nur in ihrer Nähe gewesen.
Wie ist das möglich? Wer hat mir das angetan? Ich kriege keine Luft, ich verspüre einen Druckschmerz in der Brust, wie bei einem Herzinfarkt. Aber ich weiß, das ist psychisch, das ist die Panik, da muss ich durch, irgendwann hört es von selber auf.