Ich sitze zu Hause auf dem warmen, ockergelben Sofa, eine Wolldecke über der Rückenlehne, Orchideen im Hintergrund, die Beine untergeschlagen, aber angezogen wie fürs Büro, dunkelblaue Seidenbluse, schwarze Hose. Im Schoß die Tasse mit der Aufschrift Beste Mama der Welt. Ein wenig Puder und Mascara, aber kein Lippenstift, kein Rouge. Sorgfältig gemachte Haare, diskret gewellt, wie Haavard es so liebte, er sagte, dann erinnerte ich ihn an Betty Draper aus Mad Men. Vielleicht kam er sich dann ja auch vor wie der ehebrecherische Don Draper.
Der Ohrschmuck ebenso diskret, Ehering, Uhr.
Trauer ausstrahlen, Gefasstheit, Würde.
Jetzt bin ich Witwe, werde nie wieder heiraten, aber das sage ich nicht. Ich werde auch nie wieder eine Beziehung haben, aber das sage ich ebenfalls nicht.
Ich sage nur, dass Haavard die Liebe meines Lebens gewesen sei, dass ich mit ihm hätte alt werden wollen. Dass ich dankbar sei für das Gespräch mit der Polizei nach dem Unglück, dass sie sich fürsorglich um mich gekümmert habe. Dass ich nicht glaube, jemals darüber hinwegzukommen, und ich müsse mich nun darauf verlassen, dass die Zeit mir zu Hilfe kommt, außerdem müsse ich für meine Kinder da sein.
Mit der Andeutung eines Lächelns ergänze ich, für alle Kinder. Eine Überleitung zu dem, was ich über meine Arbeit sagen möchte, über das, wofür ich dabei brenne.
Es war eine Bedingung für dieses Interview, dass ich etwas zu dem Thema sagen darf und sie es auch bringen. Sie haben sich ohne zu zögern darauf eingelassen. Mein medialer Marktwert ist offenbar weiter gestiegen, das wurde mir da klar. In dem Interview soll es also nicht nur um den tragischen Unfall und meine neue Situation als Witwe gehen, sondern auch um mein Engagement für alle Kinder, die heutzutage in Norwegen leiden müssen.
»Und das sind viele«, sage ich. »Die Dunkelziffer ist gewaltig.«
»Ihren Mann hat das auch beschäftigt?« Ich habe Erik Heier dieses Exklusivinterview zugestanden. Er hat dasselbe irritierende TV-Gesicht aufgesetzt, mit denselben einstudierten Grimassen wie an jenem Abend im Schloss.
»Ja, Haavard hat meine Sorge über dieses Thema geteilt.« Ich setze mich ein wenig anders hin. »Bei seiner Arbeit hat er so viel Furchtbares sehen müssen. Das hat ihn sehr betroffen gemacht.«
»Stand Haavard nicht auch kurz wegen der sogenannten Kindesmisshandler-Morde unter Verdacht?«
»Woher haben Sie das?« Ich fasse die Kaffeetasse fester.
»Aus sicheren Quellen«, antwortet Heier.
»Lassen Sie uns eine Pause machen«, sage ich, und Heier nickt seinen Leuten zu. Das Interview aufzuzeichnen, nicht live zu senden, war eine meiner Bedingungen. Und dass ich es redigieren und abnehmen darf.
»Das stimmt schon«, sage ich, als der Kameramann sein Gerät ausgeschaltet hat. »Aber der Verdacht hat sich rasch als unbegründet erwiesen. Die Polizei hat sich entschuldigt, die wahrscheinliche Täterin ist verhaftet. Jetzt hoffe ich um meiner Kinder willen, dass wir diese Wunde nicht wieder aufreißen müssen. Sonst ist unser Gespräch jetzt beendet.«
»Okay, in Ordnung«, sagt Heier, obwohl es ihm sichtlich nicht passt. Wieder nickt er dem Kameramann zu, es kann weitergehen. »Sie schaffen es also zu arbeiten, trotz allem, was Sie mitgemacht haben?«
»Ja, meine Arbeit war mir schon immer sehr wichtig und ist mir jetzt ein großer Trost.«
Der Rest des Interviews geht problemlos vonstatten.
Als wir am nächsten Tag ein paar SMS hin- und herschicken, lädt Heier mich zum Abendessen ein paar Tage später ein. Ich nehme an, obwohl ich dazu keine Lust habe und auch keine Zeit. Vielleicht kann ich dann herausfinden, wie viel er weiß
Die Tage vergehen noch schneller als zuvor.
Arbeit, Arbeit, Arbeit, nach der Schule kümmere ich mich um die Jungs und auch um meine Schwiegereltern, die vom Verlust ihres einzigen Sohnes schwer mitgenommen sind. Mehrmals pro Woche muss ich mit ihnen reden, sie jedes Wochenende besuchen, lieber wäre ihnen öfter. Zum Glück sind Christian und Axel auch stets zur Stelle.
Und dann ist da Vater. Wir fahren so oft zu ihm, wie es geht.
Ich habe Agnes nicht wieder besucht und habe das auch nicht vor. Dann und wann ruft Bodil an, hinterlässt eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter, bittet mich um Rückruf. Meine Mutter wolle mir etwas erzählen, sagt sie. Etwas Wichtiges.
Vielleicht sollte ich hinfahren, gute Miene machen, um sie besser unter Kontrolle zu haben. Aber ich bringe es nicht über mich.
Haavard ist der Einzige der Getöteten, an dem mir etwas gelegen hat. Der Einzige, den ich nicht mit Rücksicht auf seine Kinder eliminieren musste. Es war richtig, es zu tun, es musste sein. Aber es hat mich etwas gekostet.
Am meisten Mühe macht es, die Kinder wieder auf die Beine zu bringen.
Beide sind wie vernichtet durch Haavards Tod. Der eine zeigt es mehr als der andere, der eine weint sich abends in den Schlaf, der andere wird nachts von Albträumen geweckt. Aber beide trauern schwer, und ich muss nach bestem Vermögen versuchen, den Verlust auszugleichen.
Ich tröste mich damit, dass Kinder mit dem Tod von Elternteilen ganz gut klarkommen. Nach einer Weile. Ein Kind zu verlieren, über diese Verletzung kommen die Leute nicht weg.