74 – Leif

Ich sitze am Küchentisch gleich neben dem Fenster, hier habe ich so gut wie jedes Frühstück meines Lebens eingenommen.

Weit dort oben sehe ich die Berghänge. Noch sind sie schwarz und nackt, aber bald wird eines Morgens der erste Puderzucker darauf liegen.

Jetzt heize ich schon den Ofen an, sonst wird es im Haus zu fröstelig. All das Feuerholz zu machen, das es braucht, allein um die Stube das Winterhalbjahr über warm zu halten, ist schon sehr mühsam, aber ich liebe diese Arbeit, und ich freue mich, dass ich sie immer noch schaffe.

Haavard hatte vorgeschlagen, ich könnte eine Wärmepumpe einbauen lassen.

Das mache ich erst, wenn es möglicherweise mal nicht mehr anders geht.

Aber jetzt muss ich die ganze Zeit an Wärmepumpen denken, weil ich so viel an Haavard denke.

Der Gedanke an den Unfall ist quälend.

Gleich draußen vor dem Fenster steht unser Ahornbaum, rot und gelb, wie ein Feuer. Im Radio läuft Fields of Gold von Eva Cassidy. Vor ihr kam Kari Bremnes. Eine schöne, elegante Frau, auch wenn ihre merkwürdigen Augen mich an Agnes denken lassen und ihren zweifarbigen Blick.

Wenn ich schlafen will, muss ich eine Tablette nehmen. Jahrelang ging es ohne, in diesem Sommer habe ich wieder damit angefangen.

Aber ich nehme immer nur eine, mehr nicht, ich darf nicht wieder das Maß verlieren, muss an etwas anderes denken als an Haavard und Clara und die Jungs und Agnes.

Diese Frau aus Kleivhøgda ruft ständig an, Bodil, sie sagt, ich solle kommen und mit Agnes reden, es sei wichtig, sie müsse mir etwas erzählen. Ich habe noch nicht darauf reagiert.

Bella schmiegt sich auffordernd an meine Füße. Ich stehe auf, gehe von ihr begleitet zum Kühlschrank, nehme die Schachtel mit dem Katzenfutter raus und fülle die roten, grünen und gelben Pellets in ihr Futterschälchen. Zufrieden schnurrend kaut sie los, wie immer ist das Knuspern zu hören.

Ich setze mich wieder an den Tisch vor mein Käsebrot, trinke einen Schluck Kaffee. Ich schlage die Zeitung auf. Sie kommt dreimal pro Woche, Clara hat mir ein Abonnement geschenkt.

Ein Artikel nimmt fast die gesamte Titelseite ein.

Taucher finden Auto in 180 Metern Tiefe.

Ich kann förmlich spüren, wie mein Blutdruck steigt, es ist dasselbe klaustrophobische Gefühl, das ich oft bekomme, wenn der Arzt oder seine Helferin mir die Manschette um den Arm legen und sie aufpumpen. Ich schließe die Augen, versuche, ruhig zu atmen, öffne die Augen wieder, trinke einen Schluck Wasser.

Nach fünf Minuten bin ich so weit, dass ich den Artikel lesen kann.

Seit ein paar Wochen erforschen amerikanische Taucher, die zu den besten der Welt gehören und modernste Ausrüstung haben, das Tier- und Pflanzenleben am Grund des Fjords hier in der Gegend. Sie stehen mit Greenpeace in Verbindung und bekämpfen die Idioten, die Grubenschlamm und anderen Dreck in den Fjord leiten wollen. Mehrmals in den letzten Wochen hat etwas darüber in der Zeitung gestanden, immer wieder neue Berichte über Schweinswale und seltenes Plankton.

Und jetzt das. Ein Autowrack. In einer solchen Tiefe, direkt an der Stelle, wo im Winter die Lawinen über die Straße gehen.

Dem Kennzeichen nach sei es der Wagen, der seit einem dramatischen Unfall im Jahre 1988 vermisst ist. Ein Mann sei damals mit ihm untergegangen, ein Mädchen habe sich retten können. Bislang habe niemand Wrack und Leiche bergen können. Niemand war so tief gekommen.

Nicht bis jetzt.

Die Polizei werde jetzt die Möglichkeiten untersuchen, das Wrack zu heben. Eine aufsehenerregende Entdeckung, sagt der Polizeichef.

Ich lege die Zeitung beiseite, schiebe den Teller weg und stehe auf. Mir ist schwindelig, übel.