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M. DahlhoffTapetenwechsel für die Seelehttps://doi.org/10.1007/978-3-658-43115-0_1

1. Informationen zu ADHS im Erwachsenenalter

Marion Dahlhoff1  
(1)
Köln, Deutschland
 
 
Marion Dahlhoff

Der erste Teil dieses Buches dreht sich zunächst einmal darum was ADHS und ADHS im Erwachsenenalter überhaupt ist. Es wird erklärt, wie es definiert wird und wie ADHS im Erwachsenenalter nach dem neusten Stand durch einen multimodalen Therapieansatz idealerweise behandelt wird. Abschließend wird im Detail auf die Möglichkeiten von Coaching bei ADHS im Erwachsenenalter eingegangen, und es werden die effektivsten Life Hacks bei ADHS im Erwachsenenalter erläutert. Letztere sind die aktuellsten wissenschaftlich fundierten Möglichkeiten, die Experten als Psychoedukation für ein gutes Selbst- und Stressmanagement bei ADHS empfehlen. Mit diesen können Sie Ihre Symptomatik selbst individuell lindern, indem Sie die für Sie stimmigen Life Hacks regelmäßig durch Ihr Selbst- und Stressmanagement fest in Ihren Alltag integrieren. Sie lernen also jetzt zunächst Ihre ADHS-Symptomatik und Ihre Stärken noch besser kennen. Im Anschluss daran identifizieren Sie dann konkret die ADHS-Life-Hacks für sich, die für die Linderung Ihrer individuellen Symptomatik hilfreich sein können.

Übung 1 – Eigene individuelle ADHS-Symptome und -Stärken identifizieren

Bitte nehmen Sie bevor Sie weiter lesen bereits jetzt ein leeres Notizbuch zur Hand, das Sie für Ihren Selbstcoaching-Prozess in diesem Buch nutzen möchten. Notieren Sie sich dort bitte beim Weiterlesen zunächst die ADHS-Symptome, in denen Sie sich wiederfinden und ebenfalls bitte auch alle Stärken bei ADHS, die auf Sie zutreffen. Viel Freude dabei!

1.1 Definition von ADHS im Erwachsenenalter

Betroffene sind nicht grundsätzlich „krank“. ADHS kann vielmehr als Verhaltensvariante mit leichten, mittelschweren und schweren Ausprägungsgraden betrachtet werden (ADHSpedia® Enzyklopädie, o. J.a. c.). Viele Menschen in unserer Gesellschaft haben diese sogar inne, ohne dadurch einen Leidensdruck oder Probleme in ihrem Leben zu erfahren (Neuy-Bartmann, 2019).

1.1.1 Leitsymptome Aufmerksamkeitsdefizit, Impulsivität und Hyperaktivität

Die Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung, kurz ADHS, definiert sich durch die drei Leitsymptome
  • Aufmerksamkeitsdefizit,

  • Impulsivität und

  • Hyperaktivität (in bestimmten Fällen)

ADHS wurde noch bis in die 1980er Jahre als eine reine Störung des Kindes- und Jugendalters angesehen (Hinkelmann, 2016c.). Bei vor allem weiblichen Betroffenen ist häufig auch eine Hypoaktivität zu beobachten, die sich durch Verträumtheit und Langsamkeit statt einer Hyperaktivität äußert. Mittlerweile belegen Studienergebnisse, dass bei 50–80 % der betroffenen Kinder und Jugendlichen die Symptome im Erwachsenenalter andauern. Die Aufmerksamkeitsdefizit‑/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) beziehungsweise die Aufmerksamkeitsdefizitstörung ohne Hyperaktivität (ADS) ist mit einem Auftreten von 5 % im Kindesalter und von 2,8 % im Erwachsenenalter eine häufige Erkrankung (Philipsen & Döpfner, 2020). Gegenüber häufig (fehl-)diagnostizierter ADHS im Kindes- und Jugendalter wird ADHS im Erwachsenenalter häufig zu wenig diagnostiziert (Calia, 2008). ADHS im Erwachsenenalter ist in der Gesellschaft bis heute leider noch viel zu wenig bekannt. Viele Betroffene leiden zwar unter der Symptomatik, wissen jedoch gar nicht um ihre ADHS. Selbst in medizinischen Fachkreisen besteht häufig noch wenig Bewusstsein bezüglich dieses vielschichtigen Störungsbildes, seiner Behandlungsbedürftigkeit und seiner Konsequenzen für die Betroffenen und ihr Umfeld (ADHS Deutschland e. V., o. J.a.).

Das Auftreten der Symptome bedeutet allerdings noch kein ADHS, da sie in gleicher Kombination auch bei weiteren Störungsbildern vorkommen können (ADHSpedia® Enzyklopädie, o. J.a. c.). Daher sollte ADHS stets eine umfangreiche Ausschlussdiagnose darstellen, das heißt alle alternativ möglichen somatischen oder psychiatrischen Differenzialdiagnosen und psychodynamischen Ansätze zur Erklärung der Symptomatik sollten ausgeschlossen werden (Calia, 2008). Eine ADHS-Diagnose umfasst neben einer ausführlichen Anamnese auch spezielle ADHS-Fragebögen, körperliche Untersuchungen zum Ausschluss anderer Grunderkrankungen (zum Beispiel die Untersuchung der Schilddrüse, Erhebung der Blutwerte, EKG) und Gespräche mit Bezugspersonen aus der Kindheit. Vielmals erinnert der Betroffene die Symptome nicht mehr, die sich dort zeigten. Auch Grundschulzeugnisse können eine Hilfe sein bei der Diagnostik. In speziellen Tests wird auch die kognitive Leistungsfähigkeit und Aufmerksamkeitsleistung festgestellt (Ratgeber ADHS, o. J.a. a.).

Leitsymptom Aufmerksamkeitsdefizit

Die Störung der Aufmerksamkeit, des Wahrnehmungsbereichs, zeigt sich im Erwachsenenalter zum Beispiel durch einen Mangel an Konzentration und Ausdauer, durch Schwierigkeiten, den Fokus beizubehalten, Tagträumerei, leichte Ablenkbarkeit durch äußere Reize oder die eigenen Gedankensprünge. Häufig sind auch Flüchtigkeitsfehler, eine teilweise extreme Vergesslichkeit, Probleme beim Zeitmanagement und ein mangelndes Durchhaltevermögen. Betroffene sind extrem kritikempfindlich, haben Probleme beim Halten von Ordnung und dem Erledigen von Routineaufgaben (Huggenberger, o. J.a.; ADHS Deutschland e.V., o. J.a.). Sie zeigen häufig nicht erklärbare Einbrüche bei der Arbeitsleistung, liefern unvollständige Ergebnisse ab oder vergessen Aufgabenteile. Besonders in Gruppensituationen kann es zu mangelnder Aufmerksamkeit kommen (zentrales adhs-netz, o. J. a.) Oft werden Aufgaben parallel begonnen, jedoch nicht zu Ende gebracht. Aufschieberitis ist unter ADHSlern auch weit verbreitet. Sie verlegen auch gerne einmal Alltagsgegenstände und suchen zum Beispiel häufig ihren Schlüssel oder das Portemonnaie. Sie reagieren oftmals sehr reizempfindlich auf Geräusche und haben Probleme in einer Unterhaltung zuzuhören und nicht gedanklich abzuschweifen. Durch ihr Aufmerksamkeitsdefizit verlieren sie oft viel Zeit und setzen sich unter innerlichen Dauerstress (Ratgeber ADHS, o. J.a. p.). Betroffene haben oft ein hervorragendes Langzeitgedächtnis, jedoch ein schwaches Kurzzeitgedächtnis. Dies führt häufig zu Unzuverlässigkeit. Sie vergessen dann Vereinbarungen die vielleicht sogar erst kurz vorher getroffen wurden und sind auch nicht gut darin, eine realistische Zeitplanung für sich zu machen (Ratgeber ADHS, o. J.a. c.). Daher sind sie oft durch Trödeln auf den letzten Drücker oder gänzlich zu spät. Sie haben im Laufe ihres Lebens oftmals nicht verinnerlicht, sich selbst durch klare Strukturen und Regeln zu organisieren und stellen sich so im Umgang mit ihrem Umfeld und der Gesellschaft im Leben immer wieder selbst ein Bein (Neuy-Bartmann, 2019).

Leitsymptom Impulsivität

Die Beeinträchtigung der Impulsivität, des Sozialisationsbereichs, äußert sich durch spontanes Handeln und Entscheiden ohne vorherige Reflexion des Verhaltens, zum Beispiel andere in einer Unterhaltung unterbrechen oder deren Sätze zu Ende führen. Sie macht sich jedoch auch bemerkbar durch Phasen von starker Antriebslosigkeit, Schwierigkeiten bei einer planvollen Selbstorganisation, Aufschieben von Dingen, zögerliches Treffen von Entscheidungen, Oberflächlichkeit bei der Arbeit, eine geringe Frustrationstoleranz und ungeduldig zu sein (Huggenberger, o. J.a.; ADHS Deutschland e.V., o. J.a.). Auch der fehlende Überblick über Finanzen ist oftmals ein Thema. Häufig werden Rechnungen über Wochen nicht geöffnet und bearbeitet oder auch Steuererklärungen gar nicht oder viel zu spät gemacht. Aus einem Impuls heraus kann es auch zum Kauf von viel zu teuren Dingen kommen, sodass der Betroffene sich nicht selten noch Geld leiht, um diese zu bezahlen, was letztlich zur Verschuldung führen kann (Neuy-Bartmann, 2019).

Die Betroffenen haben oft Stimmungswechsel, die nur minutenlang, jedoch auch maximal ein paar Tage dauern können. Sie schwanken zwischen normaler, niedergeschlagener unzufriedener Stimmung und auch leichter Erregung, die meist durch etwas ausgelöst wird (Ratgeber ADHS, o. J.a. c.). Manchmal tauchen diese Weltschmerz-Phasen oder Stimmungshochs auch spontan ohne klaren Grund auf. Langeweile ist für sie ebenfalls oft schwer zu ertragen (D’Amelio & Steinbach, o. J.a.). ADHS-Betroffene haben auch oftmals eine deutliche Antriebsstörung und bekommen sich häufig kaum motiviert, als trügen sie bleierne Gewichte, sodass sie ihren Alltag als sehr kräftezehrend empfinden (Neuy-Bartmann, 2019).

Die emotionalen Reaktionen von Betroffenen können viel ausgeprägter sein, da sie von ihren positiven und auch negativen Gefühlen förmlich überflutet werden. Bei Frauen tritt zudem vor der Menstruation verstärkt das prämenstruelle Syndrom mit heftigen Stimmungswellen auf (Arztpraxis Hittnau, o. J.a.). Betroffene zeigen häufig auch eine geringe Frustrationstoleranz und fühlen sich oft schon aus geringen Gründen dauergereizt (D’Amelio & Steinbach, o. J.a.). Sie sind häufig bereits damit überlastet, einen normalen Alltag zu meistern (Ratgeber ADHS, o. J.a. c.). Sie können sich zudem schnell provoziert fühlen und im Streit kurzfristige Wutausbrüche bekommen und verbal sehr verletzend sein, was sie im Nachgang häufig bedauern (Ratgeber ADHS, o. J.a. l.). Häufig treten auch Probleme mit Autoritätspersonen auf und sie können sich schlecht unterordnen. Auch im Straßenverkehr reagieren sie daher häufig gereizt und ungeduldig (D’Amelio & Steinbach, o. J.a.). Betroffene können so viel Chaos verursachen in ihrem Umfeld und anderen gegenüber durch ihre Impulsivität auch wenig berechenbar erscheinen.

Forschungen zum Thema Stress zeigen, dass ein solches Verhalten dem Umfeld massiven Stress verursachen kann. Es zieht sich dann zurück oder fühlt sich eingeschüchtert, da es keine Sicherheit und Kontrolle erlebt, sondern den Stimmungen des ADHSler immer wieder plötzlich unerwartet ausgeliefert ist. Im schlimmsten Fall macht es das Umfeld sogar krank (Spitzer M., 2018). Denn ADHSler können zwar extrem emphatisch sein und sich für die geliebten Menschen in ihrem Leben mit äußerstem Engagement einsetzen, jedoch können sie unter Leistungsdruck und Zeitdruck auch plötzlich sehr reizbar werden, emotional reagieren bis hin zu Wutausbrüchen oder sehr hart und abgeklärt. Ihnen ist oft gar nicht bewusst, dass dieses Verhalten tief verletzend auf ihr Umfeld wirken kann. Denn sie selbst sind trotz innerlich heftiger Sturmfluten an positiven und negativen Gefühlen, die in kürzester Zeit in ihnen ablaufen, nicht nachtragend und gehen daher oft irrtümlicherweise davon aus, dass ihr Umfeld ebenso empfindet und genauso wenig nachtragend ist. Damit torpedieren sie oftmals unbewusst den Aufbau von privaten und beruflichen Beziehungen in ihrem Leben, was häufig zu zwischenmenschlichen Konflikten und unbeständigen sozialen Bindungen führt. Denn stabile Bindungen und Beziehungen leben von berechenbarem wertschätzendem Verhalten.

Das Chaos um sie herum wie zum Beispiel ein fehlendes Ordnungssystem, ein Schreibtisch oder Kleiderschrank, der völlig durcheinander ist, spiegeln häufig das Chaos im Gehirn der Betroffenen wider. Es besteht auch wenig Motivation und Engagement, dieses Chaos täglich wieder aufs Neue vorausschauend in Schach zu halten. Für das Umfeld besteht in diesem Chaos die Gefahr, durch die täglich immer wieder neuen Konflikte, Diskussionen und Kränkungen ernsthaft zu erkranken im Zusammenleben mit einem ADHS-Betroffenen. Denn jeden Tag versucht der Angehörige aufs Neue vom Nullpunkt an den Sisyphosberg wieder ohne Erfolg hochzueilen (Neuy-Bartmann, 2019).

Leitsymptom Hyperaktivität

Die Hyperaktivität, der motorische Bereich, zeigt sich durch Rastlosigkeit oder teils auch nur durch eine innere Unruhe und Getriebenheit mit der Schwierigkeit, sich innerlich zu entspannen. Oftmals haben Betroffene auch eine unpassende Kraftdosierung, eine unstimmige Grob-Fein-Motorik, einen starken Bewegungsdrang oder den Drang, häufig die Körperpositionen zu wechseln. Sie wippen dann zum Beispiel häufig mit den Füßen, trommeln mit den Fingern oder zappeln herum (Huggenberger, o. J.a.; ADHS Deutschland e.V., o. J.a.). Auch Nägel zu kauen und auch Zähneknirschen sind Symptome von Hyperaktivität (Neuy-Bartmann, 2019). Bei langen Meetings werden hyperaktive Betroffene unruhig und Warteschlangen sind für sie eine Qual. Sie suchen sich immer Beschäftigung oder etwas zu arbeiten (Takeda GmbH & Co. KG., o. J.a.). Sie reden häufig sehr viel, schweifen vom Thema ab und sind schwierig zu unterbrechen, ohne dies selbst wahrzunehmen (zentrales adhs-netz, o. J. a.).

Hyperaktive ADHS-Betroffene sind häufig sehr schnell, offen, innovativ, flexibel und direkt in ihrer Art. Sie arbeiten vielfach in kreativen Berufen oder Jobs die einen gewissen positiven Nervenkitzel mit sich bringen, zum Beispiel Notarzt oder Rettungssanitäter, da sie einen monotonen Alltag und Langweile als sehr belastend empfinden. Sie sind unbewusst auf der Suche nach Aufregung in ihrem Leben für fortwährende Dopamin-Kicks für ihre Gehirn. Sie sind oft auch Multitasking-Meister und können gut räumlich und in Bildern denken. Falls permanenter Nervenkitzel nicht schon in ihrem Arbeitsalltag gewährleistet ist, kreieren sie sich häufig extreme Situationen wie rasant schnelles gefährliches Autofahren, Fallschirmspringen, Bungee Jumping, Freiklettern und machen oft aufregende Urlaube und Wochenendgestaltungen. Diese nervenaufreibenden Erlebnisse schenken dem Betroffenen einen Schwung an adrenalinähnlichen Stoffen, die den Stimulanzien, die als Medikamente bei ADHS eingesetzt werden, von ihrer Wirkung nahe kommen. Sie fühlen sich so aufgeräumter, innerlich ruhiger und mehr in Balance (Neuy-Bartmann, 2019). Betroffene ziehen häufig um, auch innerhalb derselben Stadt und wechseln auch häufig die Arbeitgeber. Auch um sich bei der Arbeit konzentrieren zu können, sucht sich das Gehirn immer wieder „Kicks“, um aktiviert zu bleiben. Gerade wenn es einmal wichtig und stressig ist, können deswegen Menschen mit ADHS extrem ausdauernd an einem Thema bleiben, vorausgesetzt es interessiert sie sehr. Ist das nicht der Fall, driftet die Aufmerksamkeit gerne auch einmal ab zu anderen Themen (Stern, 2021).

1.1.2 Hypoaktive Symptomatik

Hypoaktive ADS-Betroffene ohne Hyperaktivität hingegen haben die Tendenz, sich im Leben zurückzuziehen oder sich sozial zu isolieren. Ängste, vermehrte Müdigkeit mit schneller Erschöpfung, vielfach zusammen mit einem gehemmten Antrieb treten häufig bei hypoaktiven Betroffenen auf. Selbst leichte Tätigkeiten werden als fast unüberwindbare Herausforderung empfunden. Bei der Haushaltsorganisation kann dies zu dauerhaftem häuslichen Chaos führen, was dann noch mehr in die Isolation führen kann, da den Betroffenen dies unangenehm ist. Anvisierte Ziele werden häufig erst nach längerer Zeit erreicht und oftmals wegen des so entstandenen Mangels an Zeit abgebrochen. Sie empfinden ihre Schüchternheit vielfach als Nachteil und versuchen teils in Gesellschaft als Überkompensation besonders bestimmt und extrovertiert aufzutreten. Dabei können sie dann auch plötzlich sehr impulsiv und aggressiv reagieren und angriffslustig werden. Sie benötigen danach häufig viel Zeit, um sich innerlich wieder zu beruhigen. Da ihr Selbstwertgefühl durch ihren bisherigen Lebensverlauf mit ihrem ADS häufig angeknackst ist, kann sich dies wiederum negativ auf ihre generelle Situation auswirken. Sie neigen so auch dazu, ihre Erfolge auf Glück zurückzuführen, statt auf ihr eigenes Engagement und ihre Leistung. Häufig leiden hypoaktive Betroffene auch unter einer taktilen Überempfindlichkeit, auch bei lieb gemeintem zärtlichem Körperkontakt. Dies kann zu Problemen in der Partnerschaft im sexuellen Bereich führen, da dies von den Betroffenen als belastend empfunden werden kann. Dies ist für die Partner oft schwierig nach zu vollziehen. Diese Reizempfindlichkeit unterliegt jedoch analog der ADHS-Symptomatik von der Tagesform abhängigen Schwankungen. Hypoaktive Betroffene kreieren sich häufig ein sehr tolerantes Umfeld, in dem sie sich angenommen und wohl fühlen, wie sie sind (ADHSpedia, o. J.a. e.). Sie haben sich oft über lange Zeit eine erlernte Hilflosigkeit angeeignet. Sie lassen sich gerne passiv versorgen, da sie immer wieder Menschen fanden, die ihnen Verantwortung und Aufgaben abgenommen haben. In Beziehungen kompensiert der Partner dies häufig und übernimmt oft mehr, als er selbst tragen kann. Wird dies zu viel, zum Beispiel wenn Kinder in die Beziehung kommen, kann dies dazu führen, dass er dem Betroffenen nun ärgerlich und wütend Vorwürfe macht, um sich Luft zu machen. Dieser fühlt sich dann plötzlich ungerechtfertigt angegriffen, was dazu führt, dass er sich noch weiter frustriert zurückzieht und seine Depressivität gesteigert wird. Er hat oft keine Strategien gelernt, sein eigenes Verhalten zu reflektieren, und versteht die Prozesse und Dynamik in der Beziehung nicht. So kann es zur Trennung kommen, die häufig der Partner initiiert, der sich entscheiden muss für seine eigene Gesundheit und Kraft, statt in der Beziehung weiter zu leiden. Betroffene leben so häufig zurückgezogen, abgeschirmt von der Welt und geben sich oft mit einem sehr geringen Lebensstandard zufrieden, beziehen häufig staatliche Hilfen und vermeiden so Belastungen und Konflikte im Leben (Neuy-Bartmann, 2019). Beruflich ziehen sie eine Arbeit vor, bei der soziale Interaktion nicht häufig gefordert wird. Künstlerische, kreative oder beratende Berufe werden häufig als angenehm empfunden, bei denen sie von dritten Personen Führung bekommen. Hypoaktive Betroffene gewinnen besonders von ihrer Stärke zu hyperfokussieren, wenn es ihnen gelingt, dies im Berufsalltag umzusetzen. Eine belastende hypoaktive Symptomatik sollte idealerweise in einer Therapie aufgearbeitet werden, und so neue gesunde Strategien entwickelt werden, mit seinem hypoaktiven ADS optimal umzugehen für ein Mehr an Lebensqualität (ADHSpedia, o. J.a. e.).

1.1.3 Weitere Symptome und Begleiterkrankungen

ADHS tritt in der Regel mit weiteren Symptomen auf, die sich wie auch die ADHS-Symptomatik selbst bei jedem Betroffenen sehr individuell zeigen. Dies können eine seelische Entwicklungsverzögerung sein oder auch schnelles psychisches und körperliches Ermüden. Betroffene haben oftmals einen extremen Sinn für Gerechtigkeit anderen gegenüber und sind häufig auch leicht beeinflussbar durch andere Menschen. Auch weitere psychische Erkrankungen treten oft gemeinsam mit ADHS auf. Dies können in der Kindheit unter anderem zum Beispiel eine Lese-Rechtschreib-Schwäche, eine Rechenschwäche oder Tic-Störungen sein (Neuy-Bartmann, 2019). Auch Autismus kann parallel zu ADHS auftreten. 80 % der betroffenen autistischen Kinder leiden auch an ADHS und ca. 50 % der Kinder mit ADHS haben zusätzlich eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS) (Ratgeber ADHS, o. J.a. d.).

Hochbegabung und ADHS können ebenfalls gemeinsam auftreten. Sie haben auch einiges an Symptomen gemeinsam. Hochbegabte zeigen oft einige ADHS-Symptome und umgekehrt können Betroffene mit ADHS sehr intelligent wirken, da sie häufig sehr schnell reagieren. Treten ADHS und Hochbegabung gemeinsam auf, können die Betroffenen besonders eine Herausforderung mit einer überhöhten Konzentration haben. Sie tendieren dazu, dass ihr Gehirn abgetunnelt im Hyperfokus sehr effizient längere Zeit an etwas arbeitet und es fällt ihnen dann schwer, diese extreme Fokussierung loszulassen und sich Erholungsphasen zu gönnen. Dies kann das Risiko für einen Burnout erhöhen. Es kann auch passieren, dass eine hohe Intelligenz lange Zeit ein ADHS kompensiert und dies dann erst später erkannt wird. Umgekehrt kann es sein, dass ein Hochbegabter mit ADHS seine PS nicht auf die Straße bekommt, da die Konzentrationsprobleme die Aufmerksamkeit negativ beeinflussen und man durch sein Arbeitsgedächtnis, das mit Reizüberflutung überfordert ist, oftmals schon abschweift, bevor Informationen hätten wahrgenommen und verarbeitet werden können (Institut Hochbegabung bei Erwachsenen, 2018). Der hochbegabte Betroffene leidet so unter seinem hohen Selbstanspruch an sich und der ständigen Enttäuschung, sein Gehirn nicht richtig nutzen und seinen Selbstanspruch an sich nicht halten zu können (Simchen, 2012).

Es findet sich häufig auch eine hohe Schnittmenge der Merkmale von Menschen mit Hochsensibilität (HSP) und ADHS-Betroffenen durch die verstärkte Reizoffenheit bei beiden Phänomen. Auch kann beides zusammen auftreten. Es kann jedoch auch zu Fehldiagnosen für ADHS kommen bei Menschen, die ausschließlich hochsensibel sind. Diese Menschen nehmen Reize stärker wahr als andere Menschen und verarbeiten diese auch sensibler. Dies können laute Geräusche, Sonnenlicht, Gerüche oder Kleidung sein. Auch das innere Erleben einer HSP kann intensiver sein. Die Forschung steht hier noch am Anfang. Man vermutet, dass eine bestimmte erbliche bedingte, neuronale Konstitution der Grund sein könnte. Es wird vermutet, dass sich 15–25 % aller Menschen im Spektrum der Hochsensibilität befinden. Dies wird nicht als psychische Störung oder Krankheit angesehen, kann jedoch dazu führen, psychische Störungen zu entwickeln (ADHSpedia® Enzyklopädie, o. J.a. d.).

Häufig leiden ADHSler unter Schlafstörungen. Manche arbeiten eher am Abend oder nachts, da dann weniger Reize auf sie einströmen. Dies führt dann am nächsten Tag tagsüber zu Übermüdung. Generell fällt es Betroffen schwer, das richtige Maß für sich zu finden. Kritisch ist dies bei Suchtmitteln, die bei Menschen ohne ADHS eher anregend wirken. Denn bei Betroffenen mit ADHS wirken diese häufig beruhigend und unterdrücken die Symptomatik für kurze Zeit. So kann eine Negativ-Spirale beginnen, die in einer Abhängigkeit endet, vor allem bei Betroffenen, die noch nicht diagnostiziert sind und um ihre ADHS wissen (Ratgeber ADHS, o. J.a. d.).

Bezüglich der Corona-Pandemie belegt zudem eine internationale Studie COH-FIT (Collaborative Outcomes study on Health and Functioning during Infection Times) mit über 100.000 Teilnehmern aus mehr als 150 Ländern, dass im Laufe der Pandemie psychische Beschwerden wie Ängste, Depressionen, posttraumatische Belastungssymptome, Konzentrationsstörungen und eine stressbezogene Symptomatik bei Betroffenen von ADHS ausgeprägter waren und vermehrter auftraten (Maidhof-Schmid, 2021).

1.1.4 Folgen einer unerkannten ADHS-Symptomatik im Laufe des Lebens

Die ADHS-Symptomatik kann bei entsprechender Ausprägung im Verlauf des Lebens zu Konflikten in Beziehungen und im Berufsleben führen oder zu Arbeitslosigkeit. Häufig ereignete sich rückblickend bei Betroffenen eine Historie von Misserfolgen, Kränkungen und Enttäuschungen, die sie sich nicht erklären konnten. Das Leben wurde mit zunehmendem Alter oftmals für sie immer chaotischer, wobei auch Überkompensationen vorkommen, wenn Betroffene fast zwanghaft versuchen, ihr Chaos und ihre Vergesslichkeit in Schach zu halten. Diese Erfahrung im Leben kann bei den Betroffenen zu einem nachhaltig schwachen Selbstwertgefühl führen und zu Selbstvorwürfen, die sie über Jahre verinnerlicht haben. Diese werden idealerweise in einer Psychotherapie aufgearbeitet. Vor allem eine Gruppentherapie kann hier heilsam sein, um in einem geschützten Umfeld durch Feedback zu lernen, wie andere uns sehen, und um sich konstruktiv mit anderen zu reiben und sich zu behaupten. Dies kann helfen, das sich „anders“ fühlen für sich zu akzeptieren und liebevoll mit sich umzugehen, statt sich selbst dafür immer wieder abzuwerten und von sich selbst zu erwarten, so vermeintlich „normal“ wie „alle anderen“ zu sein. Insbesondere introvertierte hypoaktive ADS-Betroffene ohne Hyperaktivität, häufig Frauen, werden im Laufe ihres Lebens weniger wahrgenommen als hyperaktive Betroffene. Sie können so für sich die negative Erfahrung gemacht haben, in ihren Bedürfnissen und als Mensch nicht gesehen und gehört zu werden. Sie verinnerlichen so im schlechtesten Fall den Glauben, sich nicht durchsetzen zu können und sie geben auf und passen sich an, bevor sie überhaupt angefangen haben, für sich zu kämpfen. Hat man ein solches Selbstbild von sich, verhält sich auch das Umfeld entsprechend. Dies ist der Nährboden, warum ADHS-Betroffene im Erwachsenenalter oftmals parallel unter einem mangelnden Selbstbewusstsein leiden sowie auch an psychischen Erkrankungen wie Angstzuständen, Depressionen und auch Suchtverhalten (Neuy-Bartmann, 2019).

Auch hinter einer manisch depressiven Diagnose, einer emotional instabilen, histrionischen, Borderline oder narzisstischen Persönlichkeitsstörung kann sich durchaus eine ADHS verbergen, die noch nicht erkannt wurde. Diese stehen gegenüber der ADHS-Symptomatik zunächst häufig dominant im Vordergrund und das ADHS bleibt deswegen zunächst verschleiert und unerkannt, da sich – wie bereits erwähnt – noch zu wenig Fachleute gut mit ADHS im Erwachsenenalter auskennen und deren diagnostische Abklärung in Betracht ziehen (Ratgeber ADHS, o. J.a. d.).

Werden die ADHS-Symptome nicht erkannt, kann es so zu einer Fehlbehandlung kommen, die sich vielleicht sogar über Jahre hinzieht und viel Zeit und Geld kostet und zu weiteren psychischen Erkrankungen führt, die bei einer korrekten Diagnose hätten verhindert werden können (Neuy-Bartmann, 2019).

Ungefähr 25 % der Betroffenen entwickeln zum Beispiel eine Angststörung. Sie reagieren beispielsweise bei Prüfungen mit einem hohen Level an Angst, während Nichtbetroffene maximal viel Aufregung oder leichte Angst verspüren. Oft haben sie durch ihre Historie auch Erwartungsangst vor (wiederholten) Misserfolgen (Ratgeber ADHS, o. J.a. d.).

Wird bei einer Depression als Beispiel ADHS als Diagnose übersehen, kann diese nicht langfristig heilen, da die ADHS-Symptomatik weiterhin besteht, nicht erkannt und verstanden wird und deren Linderung nicht in Angriff genommen werden kann. Auch mit depressiven Erkrankungen einhergehende Somatisierungsstörungen ohne organische Ursache treten häufig bei ADHS auf, wenn sich die Depression auch körperlich niederschlägt durch Gefühle der Beklemmung, Druck im Kopf oder Kopfschmerzen, Herzstechen, das Gefühl einen Kloß im Hals zu haben, oder andere Symptome. Auch rein organische Erkrankungen kann ADHS durch häufige Stimmungsschwankungen negativ beeinflussen. Ein Bluthochdruck kann sich häufiger verstärken, und auch Diabetes ist dann schwieriger einzustellen. Auch gibt es Krankheiten, die ohne bisher wissenschaftliche Erklärung vermehrt mit ADHS zusammen auftreten wie zum Beispiel Allergien oder Fibromyalgie. Auch bekommen viele Betroffene in der Mitte ihres Lebens häufig ein Burnout-Syndrom, da sie ein Leben lang durch ihre ADHS-Symptomatik sehr viel Stress erlebt haben und diesen auch durch ein mangelndes Selbst- und Stressmanangement selbst kreieren. Im ungünstigsten Fall entsteht daraus dann eine Depression.

Auch Zwangsstörungen treten häufig auf mit sehr perfektionistischen und äußerst genauen Zügen. Man vermutet, dass die Betroffenen hier ihre Erfahrungen mit ihrem Chaos, ihrer Vergesslichkeit und Flüchtigkeitsfehlern übergenau kompensieren und sich so ständig kontrollieren müssen. Das macht sie jedoch umständlich und langsam, was wiederum Stress verursacht. Auch kann es sein, dass in einigen Lebensbereichen eine Überkompensation stattfindet, in anderen jedoch weiter Chaos herrscht (Neuy-Lobkowicz, o. J.a.). Unerkannte ADHS Betroffene finden sich auch unter impulsiven Straffälligen oder politischen Extremisten, die sich in einer Opferhaltung von der Gesellschaft abhängt fühlen und in einem vermeintlich familiären, autoritären Rahmen Sicherheit und Struktur finden (Neuy-Bartmann, 2019).

1.1.5 ADHS/ADS bei Frauen

Oftmals tritt Hypoaktivität statt Hyperaktivität bei Frauen auf, was dazu führen kann, dass ihr ADS im Kindesalter nicht erkannt wird und die Symptomatik so zu komorbiden Störungen führen kann wie Depressionen, Ess- und/oder Angststörungen und nur diese und nicht ihr ADS diagnostiziert werden. So werden sie erwachsen, ohne zu verstehen, warum sie ihr Leben als so herausfordernd empfunden haben. Bei Frauen verstärken zudem Hormonschwankungen in der Pubertät, im monatlichen Zyklus oder in den Wechseljahren die Symptomatik. Auch sind Frauen heute leider häufig noch in einer gesellschaftlichen Rolle gefangen, sich anpassen zu müssen und externe Erwartungen und Bedürfnisse zu erfüllen, statt die eigenen. Dies ist mit einer nicht diagnostizierten ADHS/ADS sehr kraftraubend und herausfordernd und kann umso mehr zu einem schwachen Selbstwertgefühl führen und zu dauerhaftem psychischem Stress, Ängsten und Depressionen. Sie finden sich deswegen häufig auch in ungesunden Beziehungsdynamiken wieder oder in Ehe-/Beziehungsproblemen.

Frauen hingegen mit einem hohen IQ und nicht diagnostizierter ADHS, die bereits eine gute Karriere in ihrem Berufsbereich gemacht haben, sind sehr viel gefährdeter an Burnout zu erkranken. Denn es gibt häufig einen großen Unterschied zwischen ihrer intellektuellen und ihrer sozialen und emotionalen Funktionsfähigkeit. Sie kaschieren ihre Symptome oftmals durch eine Überkompensation wie perfektes Arbeiten und der Ablehnung, andere um Hilfe zu bitten. So werden sie leider weniger häufig diagnostiziert, wenn es im Laufe der Zeit zu ausgeprägten ADHS-Symptomen kommt. Oft werden dann die oben bereits aufgeführten Fehldiagnosen getroffen. Die Website https://​adhd-women.​eu/​de empfehle ich an dieser Stelle sehr gerne weiter für weiterführende Informationen speziell für Frauen mit ADHS. Die Kampagne möchte für nicht diagnostizierte ADHS bei Frauen Bewusstsein schaffen, sensibilisieren und aufklären (ADHD and Women, 202021).

1.1.6 Ursachen von ADHS

Nach heutiger Forschung ist ADHS zum großen Teil durch eine Stoffwechselstörung der Gehirnhormone bedingt, wobei der Verlauf auch von psychosozialen Einflussfaktoren abhängt. Die Tragweite und Komplexität der Störung ist hoch. Bei ADHS handelt es sich also weder um eine Charakterschwäche der Betroffenen, noch um das Ergebnis einer erfolglosen Erziehungsarbeit im Kindes- und Jugendalter, wobei die Erziehung die Symptomatik gut oder schlecht beeinflussen kann, zum Beispiel wenn die Eltern kaum konsequente Regeln vorgeben, selbst wenig strukturiert sind oder aber ängstlich und impulsiv reagieren. Durch den genetischen Faktor können durchaus mehrere Personen einer Familie betroffen sein. Häufig führt dies zu weiteren Problemen, da die Symptome der Betroffenen sich so gegenseitig verstärken und für eine explosive Mischung sorgen (Neuy-Bartmann, 2019).

ADHS wird als eine Störung der Regulation von körpereigenen Neurotransmittern im Frontalhirn (vor allem Dopamin und Noradrenalin) betrachtet und als nicht heilbar angesehen. Die Reizweiterleitung ist bei Betroffenen gestört, sodass die o.g. Botenstoffe nicht gleichmäßig aufgenommen und ausgeschüttet werden (ADHS Deutschland e. V., o. J.a.). Das Frontalhirn, das unter anderem zuständig dafür ist zu priorisieren, zu entscheiden, Erfahrungen auszuwerten und die Verarbeitung von Informationen zu steuern, ist bei ADHS Betroffenen nicht vollständig ausgebildet, ebenso die Reizfilter des Gehirns. Betroffenen fällt es schwer, die Fülle von hereinströmenden Reizen und Informationen zu sortieren und zu bewerten: es entsteht eine Reizüberflutung. Dies beeinflusst das Arbeitsgedächtnis negativ. Ähnlich wie bei einem Arbeitsspeicher auf einer Computerfestplatte werden keine Informationen mehr gespeichert, wenn sie voll ist. Dann blockieren Betroffene sich zum Schutz automatisch unbewusst, indem sie gedanklich abdriften, abwesend wirken und in ihre eigene Welt abschweifen (Huggenberger, o. J.a.). Der Arbeitsspeicher auf einer Computerfestplatte würde sich in dem Falle aufhängen, einige Zeit brauchen bis die Programme wieder laufen und im schlimmsten Fall abstürzen und die Programme von Neuem starten.

Durch die Reizfilterschwäche im Gehirn kommt dieses nicht zur Ruhe. Betroffene erleben in ihrem Kopf oft eine Unmenge an umherkreisenden Gedanken, zwischen denen sie ständig impulsiv hin und her springen oder neue daraus entstehen. Dabei denken sie oft emotional, sprunghaft und sind häufig sehr intuitiv und kreativ. Dies führt jedoch auch zu Schwierigkeiten dabei, etwas zielgerichtet zu planen, wenn sie etwas eben nicht brennend interessiert. Durch eine starke innere Unruhe wechselnd mit Antriebsschwäche befinden sie sich zudem selten in innerer Balance, was gepaart mit einer auftretenden mangelnden Impulskontrolle für das Umfeld zu plötzlichen kurz aufbrausenden Reaktionen kommen kann (Stern, 2021).

Medikamente, wenn diese eingenommen werden möchten, inklusive Nebenwirkungen vertragen werden und positiv anschlagen, können dieses Ungleichgewicht jedoch signifikant reduzieren. Vereinzelt gute Erfolge wurden auch mit einer oligoantigenen Diät erzielt (ADHS Deutschland e. V., o. J.a.). Eine moderne Behandlung von ADHS erfolgt in der Regel ambulant und gestaltet sich über eine Empfehlung einer rein medikamentösen Behandlung hinaus als multimodaler Therapieansatz zur Reduktion der Symptome, um so besser mit der Störung umzugehen (Amrhein, 2020b.). ADHS ist keine Störung, die heilbar ist und komplett wieder verschwindet. Wichtig für Betroffene ist es daher, so früh wie möglich nach der Diagnose alles in die Wege zu leiten, um sich privat und beruflich mehr Lebensqualität mit ADHS zu gestalten. So können sie ihre positiven Eigenschaften und Talente ganz gezielt stärken (ADHS Deutschland e. V., o. J.a.).

1.1.7 Stärken von ADHS-Betroffenen

ADHS ist jedoch auch das Geschenk für Betroffene, eine besondere Art „zu sein“ mitzubringen. Denn Betroffene haben einige ganz besondere, charakteristisch positive Eigenschaften. Sie sind häufig extrem sensibel und reizoffen, hilfsbereit, sehr ehrlich und einfühlsam. Sie sind neugierig, haben eine rasche Auffassungsgabe sowie eine detaillierte und holistische Wahrnehmung auf Dinge und Themen. ADHSler sind sehr phantasievoll, flexibel, kreativ, originell, begeisterungsfähig mit einem hohen Maß an Energie und Einsatzbereitschaft, und sie sind oft mutig, mitreißend und unkonventionell (Stern, 2021; Ratgeber ADHS, o. J.a. e.). Sie haben zudem einen sehr stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn (Neuy-Bartmann, 2019). Besonders ist ebenfalls, dass wenn sie sich privat oder beruflich sehr mit einem Thema identifizieren und sich für dieses begeistern, sie sich dann dafür auch über einen langen Zeitraum motivieren können und sehr gute Ergebnisse erreichen (Amrhein, 2020a.). In diesem Zusammenhang kann ein Betroffener in einen äußerst produktiven flow-artigen Zustand gelangen, in dem Zeit und Raum wie in einem Tunnel vergessen werden: der sogenannte Hyperfokus (Huggenberger, o. J.a.).

Wichtig ist es vor allem, dass sich ein ADHS-Betroffener sein Leben so gestaltet, dass es für ihn stimmig mit seinen Bedürfnissen ist. Dann kann er auch mit seinem ADHS erfolgreich und zufrieden leben und seine Stärken, seine PS, erfolgreich auf die Straße bringen. Wenn man dies als Betroffener nicht tut, steigt der Leidensdruck. Wie eingangs beschrieben, ein Pinguin ist im Wasser eine Rakete und an Land fällt ihm die Fortbewegung schwerer und kostet ihn mehr Energie. Daher ist es als ADHS-Betroffener sehr wichtig, seine Symptomatik zu kennen und seine Stärken und Schwächen zu erkennen und auch anzunehmen. So kann man lernen zu verstehen, dass wenn man ein Pinguin ist, man vielleicht besser aufhören sollte sich an Land für einen Marathon qualifizieren zu wollen, in dem Eisbären mitlaufen, und lieber unter Wasser beim Schwimmen für sich den Pokal zu holen und seine Erfüllung und Zufriedenheit zu finden.

Unter ADHS-Betroffenen finden sich so häufig Künstler, Visionäre, querdenkende Menschen und mutige, ehrliche charakterstarke Weltverbesserer, die unsere Gesellschaft bereichern und weiterentwickeln. Sie tragen ihr Herz oft auf der Zunge. Brennen sie für etwas, arbeiten sie so lange daran, bis es erreicht ist. Sie können oft auch andere sehr gut strukturieren, wenn Sie dies als Strategie für sich selbst verinnerlicht haben (Ratgeber ADHS, o. J.a. e.).

Deutsche Persönlichkeiten, die offen mit ihrer ADHS umgehen, sind unter anderem der Arzt und Kabarettist Eckhart von Hirschhausen, der CDU-Politiker Christopher Lauer, Kathrin Weßling, Nadja Naddel abd el Farrag, Benjamin von Stuckradt Barre und Jan Ullrich (ADHSpedia® Enzyklopädie, o. J.a. a.) sowie der Schauspieler Devid Striesow (T-Online, 2016) und die Fernsehmoderatorin Sarah Kuttner (Express, 2023). Bekannte internationale Größen wie zum Beispiel Virgin Gründer Sir Richard Branson, der Sportler Michael Phelps, Jamie Oliver, Musiker Justin Timberlake und Microsoft Gründer Bill Gates haben ebenfalls ADHS und gehen offen damit um (University of the People, o. J.a.). Auch JetBlue Airways Gründer David Neeleman, die Schauspieler Jim Carrey, Kristen Steward sowie Paris Hilton sind betroffen von ADHS (Adult Attention Deficit Disorder Center of Maryland, o. J.a.; University of the People, o. J.a.). Ebenso haben auch Will Smith, Beyoncé Knowles, Britney Spears und Marone 5-Sänger Adam Levine ADHS (T-Online, 2016).

1.1.8 ADHS im gesellschaftlichen Wandel

Schaut man zeitlich ein paar Jahrzehnte zurück, gab es noch beständigere Strukturen in der Gesellschaft und in der Familie als heute. Es gab somit mehr soziale Kontrolle und Sicherheit. Noch weiter zurückgehend in Zeiten, wo Großfamilien noch zusammenlebten und es eine sehr klare Aufgabenverteilung gab für alle Familienmitglieder und somit auch sehr wenig Ablenkungsmöglichkeiten, ist vielleicht noch weniger aufgefallen, wenn ein Familienmitglied von ADHS betroffen war. Durch die Tatsache, dass sich unsere Welt und Gesellschaft seit Jahren jedoch zunehmend globalisiert, wir uns somit immer mehr Informationsfülle, Reizüberflutung und auch Zeitdruck ausgesetzt sehen, unterliegen diese Strukturen einem fortlaufenden Wandel. Auch in der Arbeitswelt blieb man früher vielleicht sein Leben lang bei einem Arbeitgeber, während auch in diesem Lebensbereich heute mehr Wandel und Wechsel geschieht. Die Menschen werden so generell mit einem höheren Leistungsdruck und psychosozialem Stress konfrontiert. ADHS-Betroffene trifft dies besonders, da sie bei Stress, unklaren Strukturen und mangelnder Sicherheit sehr sensibel reagieren können. Dadurch ausgelöst können sie eine Tendenz haben, unorganisiert, impulsiv und chaotisch zu reagieren. Ihre Dekompensationsgrenze ist dann überschritten. Der dauerhafte Konsum sozialer Medien am Handy oder am Computer verstärken das Ganze noch weiter, denn insbesondere ADHS-Betroffene finden oft schier stundenlang kein Ende (Neuy-Bartmann, 2019).

Häufig sind sich Betroffene nicht bewusst, dass sie mit ihrem Verhalten privat und beruflich anecken. Darunter leidet dann ihr Selbstwertgefühl, und die eigenen Stärken, die gerade bei ADHS-Betroffenen außergewöhnlich sind, werden so oft gar nicht mehr bewusst von ihnen wahrgenommen. Häufig ist Menschen mit ADHS gar nicht klar, welche Ressourcen und Potenziale in ihnen liegen und auch nicht, welche Bedürfnisse sie haben. Ihnen fehlt oft der Zugang, die innere Verbindung zu sich selbst. Hier kann eine frühzeitige Diagnose und Psychotherapie wichtig und hilfreich sein (Ratgeber ADHS, o. J.a. e.). Im Kindesalter können hier zum Beispiel Eltern, Kinderärzte, Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen durch Weiterbildungen für ADHS sensibilisiert werden und einen Betrag zu einer Diagnose leisten. Man geht statistisch von bis zu drei Kindern je Schulklasse aus, die eventuell auch schon als Kindergartenkinder Symptome gezeigt haben können. Im Erwachsenenalter können Personalchefs, Führungskräfte und Betriebsräte ein waches Auge haben für ADHS-Symptome und so wichtige Hinweise geben und auch parallel bereits mögliche Veränderungen der Arbeitsumgebung in die Wege leiten für den Arbeitsalltag, statt für den Betroffenen nach einem alternativen Arbeitsplatz zu suchen. ADHS kann so für Betroffene und ihr privates und berufliches Umfeld als Möglichkeit gesehen werden, sich dadurch weiterzuentwickeln. Wichtig ist in jedem Falle eine professionelle Diagnostik (Neuy-Bartmann, 2019). Dem Thema ADHS im Berufsleben möchte ich in einem späteren Abschnitt noch besondere Aufmerksamkeit widmen und dort aus meiner Sicht als Betroffene mit einer milden Symptomatik wichtige Potenziale für mehr Inklusion bei Arbeitgebern aufzeigen.

Um in Ihrem Umfeld herausfinden, wer eine ADHS-Diagnostik im Erwachsenenalter durchführt, hilft Ihnen das Internet am besten weiter. Sie können hier in den Suchmaschinen zum Beispiel nach ADHS-Diagnose, ADHS-Arzt, ADHS-Ambulanz oder ADHS-Selbsthilfegruppen suchen und sich hier weitere Informationen holen. Geben Sie bei der Suche auch immer Ihre Stadt ein oder die nächst größere Stadt. Eine offizielle Diagnose kann jedoch zum (teilweisen) Ausschluss führen, wenn Sie sich noch privat krankenversichern oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung privat abschließen möchten. Es macht Sinn, sich hier vorab zu informieren (Frankfurter Rundschau GmbH, 2019).

1.2 Behandlungsmöglichkeiten bei ADHS im Erwachsenenalter

Allein der Leidensdruck des Betroffenen und auch dessen Umfeld entscheidet, ob eine Therapie für ihn überhaupt nötig ist und ADHS somit zur Krankheit wird. Wenn dieser sehr ausgeprägt ist und mehrere Lebensbereiche stark beeinträchtigt sind (Arbeitsleben, Gesetzgeber, Freizeit oder Partnerschaft) oder parallele psychische Störungen vorliegen, ist individuell für ihn zu klären, welche Behandlung sinnvoll ist (D’Amelio & Steinbach, o. J.a.). Eine moderne, von einem auf ADHS spezialisierten Experten (ein ärztlicher oder psychologischer Psychotherapeut, ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, für psychosomatische Medizin oder für Neurologie) durchgeführte Behandlung von ADHS gestaltet sich in der Regel multimodal: Eine ambulante Behandlung mit Medikamenten wird zunächst mit Maßnahmen der Psychoedukation und idealerweise auch einer Psychotherapie kombiniert. So wird ein Rahmen geschaffen, der den Betroffenen unterstützt, aktiv und selbstverantwortlich an den für ihn individuell notwendigen Veränderungen zu arbeiten, um so ein besseres psychisches Wohlbefinden zu erlangen.

Das Ziel einer multimodalen Therapie ist es, idealerweise so früh wie möglich die ADHS-Symptome zu verringern, Probleme und Konflikte in Alltag und Beziehungen zu reduzieren und so den Selbstwert des Patienten zu festigen.

Parallel ist es das Ziel, etwaige weitere psychische Störungen wie häufig auch Depressionen, Ängste oder eine Suchtproblematik wie Alkohol- oder Cannabissucht zu behandeln und zu reduzieren (Amrhein, 2020b.). ADHS-Betroffene sind neben den klassischen Drogen äußerst suchtanfällig. Sie können Vielem in ihrem Leben Suchtcharakter verleihen, sei es workaholisches Arbeiten, Sex, Einkaufen, Spielen, Rauchen oder Essen (Neuy-Bartmann, 2019).

ADHS wird im Rahmen einer multimodalen Therapie in erster Linie durch Medikamente behandelt, die vor allem den Wirkstoff Methylphenidat enthalten, zum Beispiel in Medikinet adult oder Ritalin adult. Methylphenidat wirkt, indem es die Konzentration der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin im Gehirn steigert.

Aufmerksamkeit und Konzentration werden so verbessert, da das Gehirn so besser arbeiten kann und auch Reize besser filtern kann. Auch Hyperaktivität und Impulsivität werden gemildert.

Es können Nebenwirkungen auftreten wie Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust und Schlafstörungen. Wenn das Medikament bereits im Jugendalter vor dem achtzehnten Geburtstag eingenommen wurde kann auch mit dem Wirkstoff Lisdexamphetamin (Medikament Elvanse) behandelt werden. Bringen diese Medikamente keine Linderung der Symptomatik, kann mit Atomoxetin mit dem Medikament Strattera behandelt werden. Atomoxetin wirkt anders, erhöht jedoch auch die Konzentration von Noradrenalin im Gehirn. Als Nebenwirkungen können hier Appetitlosigkeit, ein trockener Mund und Schlaflosigkeit auftreten sowie auch Lustlosigkeit und Erektionsstörungen. Die Medikamente können zu einer Erhöhung des Blutdrucks führen und den Puls erhöhen. Behandelnde Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Neurologie prüfen daher vorab die physische und vor allem die Herzgesundheit (IQWiG, o. J.a.).

Methylphenidat ist zudem ein amphetaminähnlicher Stoff der unter das Betäubungsmittelgesetz fällt. Eine Behandlung Betroffener von ADHS mit einer solchen Stimulanzientherapie macht jedoch nicht abhängig. Nach Absetzen des Medikaments kann allerdings der Wunsch bestehen, es wieder zu nehmen, wenn die Symptomatik wieder auftritt. Betroffene mit unerkannter und unbehandelter ADHS haben sogar eine signifikant höhere Tendenz für die Entwicklung einer Sucht mit Substanzmissbrauch als die restliche Bevölkerung. Der Anteil an Rauchern ist deutlich erhöht, auch Cannabis wird häufig über einen langen Zeitraum konsumiert (Praxis Suchtmedizin Schweiz, 2023).

Neueste Forschungen der Universität Freiburg zeigen, dass eine Behandlung von ADHS mit Methylphenidat wirksamer war als eine reine Gruppen-Psychotherapie.

Betroffene fühlen sich bei wirkender Medikation oftmals nach einem langen Leidensweg an Erfahrungen, dass es ihnen, trotz kräfteraubender Anstrengungen sich zu konzentrieren und motiviert durchzuhalten, nicht gelingt, ein Thema zu Ende zu bringen, damit erstmalig dazu in der Lage, ihre PS wirklich auf die Straße zu bringen und ihr Gehirn richtig zu nutzen. Als befreiend erleben Betroffene in diesem Zusammenhang auch ihre deutlich weniger emotionalen inneren und äußerlich sichtbaren Reaktionen. Sie fühlen sich wie umhüllt von einem abpuffernden dickeren Fell als ohne die Medikation. Die Alltagsbewältigung kostet sie so deutlich weniger Energie für Körper und Geist, die beide mit ADHS ständig auf Hochtouren laufen, um aufmerksam bei einer Sache zu bleiben. Denn es frisst sehr viel Energie, die eigene innere Unruhe zu managen, den Flohzirkus an umherspringenden chaotischen Gedanken immer wieder zu fokussieren, und sich im Zweifel doch auch immer wieder darüber schwarz zu ärgern, die Folgen tollpatschiger Unachtsamkeit, Impulsivität oder Vergesslichkeit wieder geradebiegen zu müssen. Vielleicht kann man dies gut mit einem Auto vergleichen, das ein Loch im Tank hat und man so Unmengen mehr Benzin verbrauchen muss, um die gleiche Strecke an Kilometern zurückzulegen als nicht von ADHS Betroffene ohne Loch im Tank. Unbehandelt kann dies vor allem bei hyperaktiven ADHS-Betroffenen im Laufe der Jahre körperlich zu Bluthochdruck führen und endet psychisch und körperlich wie bereits erwähnt nicht selten in einem Burnout-Syndrom. Hypoaktive ADSler hingegen tendieren dazu, an sich selbst zu zweifeln, sich einzuigeln und sozial zurückzuziehen.

Je nach Ausprägung der Symptomatik legt eine gut eingestellte Medikation so überhaupt erst einmal das Fundament, dass Betroffene an ihrem Selbstmanagement arbeiten können. Sie können sich so durch eine bessere eigene Organisation klare übersichtliche Strukturen in ihrem Leben etablieren und dies trainieren. Teilweise beschließen ratlose, austherapierte Betroffene doch noch eine medikamentöse Behandlung und ihnen kann so letztlich doch wunderbar geholfen werden. Der Grundstein ist dann gelegt, um zu lernen, sich entsprechend selbst zu organisieren. Denn klare Strukturen und Regeln sind für Betroffene sehr wichtig. Hier können für mehr Lebensqualität schon konsequente Wochenpläne mit klaren beruflichen und privaten To-dos, vor allem im Haushalt, unterstützen. Es hilft zudem, sich in diesem Rahmen anzugewöhnen, Unangenehmes wenn möglich sofort zu erledigen und es nicht weiter auf die lange Bank zu schieben. Wenn ein gutes Selbst- und Stressmanagement so verinnerlicht wurde und zum Gestalten des eigenen Lebens idealerweise wie das tägliche Zähneputzen dazu gehört, kann sehr häufig auch wieder auf die Einnahme von Medikamenten verzichtet werden. Denn für viele der Betroffenen besteht kein Grund, die Medikation ein Leben lang zu nehmen (Neuy-Bartmann, 2019).

Vielleicht ist dies ein wenig zu vergleichen mit Schwimmflügeln oder Schwimmwesten, mit denen Kinder schwimmen lernen, bis sie die Bewegungsabläufe so verinnerlicht haben, dass sie sich so sicher und kraftvoll fühlen, dass sie ab dem Zeitpunkt ganz einfach ohne diese Unterstützungen selbständig schwimmen können.

Wenn ein Betroffener die Behandlung mit Medikamenten jedoch generell ablehnt oder wenn diese auf Grund von Nebenwirkungen nicht eingesetzt werden dürfen, dann kommt nur die Psychoedukation und Psychotherapie zum Einsatz (Amrhein, 2020b). Dies gilt ebenso für die ungefähr 20–50 % der adulten Betroffenen, bei denen Medikamente nicht wirken (Elsässer et al., 2010). Der Patient erlernt so, mit seinem ADHS umzugehen, für sein Lebens- und Arbeitsumfeld optimalere Bedingungen zu gestalten und seine individuellen Talente zu fördern. Dies kann auch bei gutem Ansprechen auf Medikamente, wenn diese eingesetzt werden wollen, und die parallele psychologische Unterstützung zu einem langen Prozess mit positiven und herausfordernden negativen Phasen werden (ADHS Deutschland e.V., o. J.a.).

Ergänzend kann im Rahmen eines multimodalen Therapieansatzes zudem Neurofeedback eingesetzt werden. Dies ist eine Methode des Biofeedbacks und ein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren, um die Symptome in Form von Aufmerksamkeitsproblemen, Schwächen in der Konzentration und auch deren Ursachen zu lindern. Signale des Körpers und Aktivitäten des Gehirns werden dem Betroffenen in Echtzeit über einen Bildschirm angezeigt. Dazu werden ihm für die Sitzung Elektroden auf der Kopfhaut angebracht. Dadurch lernt der Betroffene, seine Gehirnaktivitäten selbst zu steuern. Dies führt so zu mehr Selbstregulation und ist für Betroffene oft ein völlig neues Erlebnis. Es werden 20–40 Sitzungen empfohlen (Oberberg GmbH, 2021). Zudem kann eine sogenannte oligoantigene Ernährung in Einzelfällen ebenfalls die ADHS-Symptomatik lindern. Man verzichtet hier unter anderem auf Wurst, Süßigkeiten, Fertigprodukte und Softdrinks. Auch der Verzicht auf Milch und Weizenprodukte kann die Symptomatik reduzieren (Neuy-Bartmann, 2019).

Das Erlernen und regelmäßige Anwenden eines Entspannungsverfahrens oder auch Achtsamkeitstrainings wie Meditation (Ratgeber ADHS, o. J.a. f.), Yoga (Weber, 2013) und generell sehr wichtig, Sport, können als ergänzender Therapiebaustein die Symptome lindern und so die innere Ruhe positiv beeinflussen (Lux et al., 2020). Auch Maltherapie, Musiktherapie, körperzentrierte Therapie oder Bewegungstherapie wirken sich positiv aus (Huggenberger, o. J.a.).

Noch weitere Forschungen wären hier jedoch wünschenswert. Sport wirkt zudem antidepressiv und trainiert die eigene Selbstdisziplin und Selbstwirksamkeit. Dies wirkt sich so auch positiv auf das Selbstbewusstsein aus (Neuy-Bartmann, 2019). Auf diese Ansätze wird im Rahmen Ihres Selbstcoachings noch näher eingegangen und auch erläutert, wie sich diese im Rahmen Ihres Selbstmanagements bei ADHS für Sie nutzen lassen, um selbst damit Ihre Symptomatik zu lindern.

1.3 Inklusion von ADHS-Betroffenen im Berufsleben

Leider ist ADHS im Erwachsenenalter bis heute auch unter Arbeitgebern noch kaum bekannt. Es wäre wünschenswert, dass hier im Rahmen der zunehmenden Aktivitäten vieler Unternehmen im Bereich Diversität und Inklusion auch ADHS als Teil des Spektrums an neurodiversen Störungsbildern Aufmerksamkeit geschenkt wird. Gleiches gilt auch für die weiteren Störungsbilder des Spektrums wie zum Beispiel Autismus, Dyskalkulie, Legasthenie und Dyspraxie.

Neurodiversität umfasst keine pathologischen Störungen Betroffener, sondern die genetische Verschiedenartigkeit hinsichtlich individueller Gehirnfunktionen und Verhaltensmerkmale. Sie ist ebenso wie das Geschlecht, die sexuelle Orientierung, die Ethnie oder Behinderungen ein Teil der sozialen Vielfalt der menschlichen Bevölkerung. Diversität und Inklusion in Unternehmen zu fördern, zielt darauf ab, mit den Stärken der Mitarbeiter und deren verschiedenartigen Persönlichkeiten und sozialer Vielfalt bestmöglich den Unternehmenserfolg voranzutreiben. Verschiedene Studien belegen schon länger, dass heterogene Teams erfolgreicher arbeiten als homogene Teams. Sie bringen mehr kreative Ideen und Blickwinkel für Problemlösungen ein (Workwise GmbH, 2021).

Mir, als selbst Betroffene mit milder Symptomatik, ist es eine Herzensangelegenheit, mit diesem Buch mehr Bewusstsein für das Thema ADHS im Erwachsenenalter zu schaffen. Denn Betroffene von ADHS und generell Neurodiversität arbeiten leider vielfach in Arbeitsumfeldern, die ihre besondere Art zu sein noch nicht wertschätzend verstehen. So kommt es selten dazu, dass ein Betroffener dort offen mit seinem ADHS umgeht. Dies soll nicht bedeuten, sich dadurch ungerechtfertigte Sonderbehandlungen einzufordern. Es heißt vielmehr, dem Arbeitgeber die Möglichkeit zu geben, dazu beizutragen, die Stärken des Mitarbeiters durch ein für ihn inklusives Arbeitsumfeld und einen inklusiven Führungsstil und kollegiales Miteinander optimal zu fördern. Diese Offenheit sollte jedoch nicht den unterschwelligen Druck verursachen, dass man jetzt als Betroffener erst recht ständig unter Beweis stellen muss, dass man trotz seines ADHS sehr gute Arbeit abliefert (Neuy-Bartmann, 2019). Die Hemmschwelle ist daher immer noch groß, sein ADHS öffentlich zu machen aus Angst vor Stigmatisierung und negativer Bewertung sowie Angst davor, sich mögliche weitere Karriereschritte dadurch zu verbauen (Hoffmeyer, 2021).

Dabei bringt man mit ADHS nicht dauerhaft eine unterdurchschnittliche Arbeitsleistung oder wird gar arbeitsunfähig. ADHS-Betroffene können sehr wertvolle Mitarbeiter für einen Arbeitgeber sein, denn sie sind extrem begeisterungsfähig. Haben sie in ihrer Arbeit ihre absolute Leidenschaft gefunden, die sie wirklich begeistert, kann es auch durchaus sein, dass sie viele Stunden am Stück im Hyperfokus arbeiten. In diesem arbeiten sie deutlich effizienter, konzentrierter, sorgfältiger und schneller oder, je nach Arbeitsfeld, auch sehr kreativ, innovativ und ideenreich im Vergleich zu nicht von ADHS-Betroffenen. Ihr Fokus bei der Arbeit ist dann so extrem, dass alles andere ausgeblendet wird. Dies ist eine ihrer ganz besonderen Stärken. Viele ADHSler arbeiten in Hochleistungsjobs (Gelowicz, 2022). Sie entwickeln sich häufig auch zu Experten in einem bestimmten Gebiet und gelangen hier zu neuen, kreativen Erkenntnissen.

Betroffene haben häufig gerade dann sehr kreative Eingebungen, wenn sie nicht konzentriert über etwas nachgrübeln, sondern vielleicht beim Warten in der Supermarktschlange oder beim Autofahren. Sind sie von etwas überzeugt, treten sie durchaus altruistisch dafür ein. Herausfordernd für sie ist es jedoch, sich in ihren bunten Sträußen an Ideen und Zielen nicht im Detail zu verlieren, sondern sich auf die wesentlichen Dinge zu fokussieren und diese konsequent zu verfolgen und final in die Tat umzusetzen. Schaffen sie dies, indem sie sich ein konsequentes Selbst- und Stressmanagement für mehr Lebensqualität in ihrem Leben aneignen, das ihre PS strukturiert kanalisiert und auf die Straße bringt, können sie sehr viel erreichen im Leben. Umso wichtiger ist es, dass sie ein Arbeitsfeld finden, das sie wirklich begeistert (Neuy-Bartmann, 2019). Viele Betroffene sind erfolgreich in den (Neuen) Medien, als Journalist, in der Werbung oder Creative Design tätig. Jedoch auch in der Forschung, Gestaltung (zum Beispiel Innenausstatter), der Pflege, Behörden, Verwaltung, Industrie, Handwerk und in der Wirtschaft sind ADHS-Betroffene erfolgreich. Betroffene von ADHS finden sich auch häufig in Jobs mit viel Bewegung wie zum Beispiel als Gärtner oder Fitnesstrainer. Durch ihre besondere Art zu sein haben sie neben den bekannten Defiziten durch ihre Symptomatik einfach ganz außergewöhnliche Stärken und Talente, die für Arbeitgeber sehr von Nutzen sein können (Ratgeber ADHS, o. J.a. o.).

ADHS-Symptome fördern zudem auch wichtige unternehmerische Qualitäten wie eine ausgeprägte Bereitschaft, Neues auszuprobieren, Risiken einzugehen, Leidenschaft und Beharrlichkeit. Laut jüngster Forschungsergebnisse haben Unternehmer überdurchschnittlich oft ADHS. In einer niederländischen Studie dazu wurden 20,7 % der 164 teilnehmenden Unternehmer als Betroffene von ADHS ermittelt. Hat ein Betroffener eine starke Leidenschaft für seine Unternehmensgründung und dessen Aufbau, so bleibt er hier beharrlich dran und fokussiert dauerhaft seine Aufmerksamkeit, da hier seine Begeisterung für das, was er tut, absolut überwiegt (Hatak et al, 2021). Er agiert so stärkebasiert und schwimmt als Pinguin in seinem Wasser und ist voll in seinem Element.

ADHS-betroffene Unternehmer bringen auch durch ihre impulsive Symptomatik spezifische Stärken mit, denn sie treffen Entscheidungen häufig intuitiv im Gegensatz zu nicht betroffenen Unternehmern. Dieses intuitive Handeln fühlt sich für sie richtig an, auch wenn es nicht immer zum gewünschten Ergebnis führen sollte. Sie reagieren so in unvorhergesehenen Krisen angstfrei und lösungsorientiert. Begeistert sie ihre Arbeit an und im Unternehmen, so haben sie zudem die Fähigkeit, über längere Zeit überdurchschnittlich intensiv konzentriert und effizient im Hyperfokus zu arbeiten. Dieser flowartige Zustand ist eine absolute Superpower von ADHS-Betroffenen. Sie können so völlig von etwas, das sie begeistert über Stunden, Tage bis Wochen oder Monate absorbiert werden und so durch ihr hohes ADHS spezifisches Aktivitätslevel, ihre Leidenschaft, Beharrlichkeit und ihr Fachwissen als Experte einen klaren Wettbewerbsvorteil erlangen. Da dieses Level an Energie jedoch nicht dauerhaft stabil hoch ist, kommt den Betroffenen hier ihre Selbstständigkeit sehr entgegen. Denn so können sie sich ihre Arbeit gezielt selbst einteilen (Wiklund et al., 2016).

Unternehmen wie Vattenfall (Vattenfall GmbH, o. J.a.), SAP, Hewlett Packard Enterprise (HPE), Microsoft, Willis Towers Watson, Ford, Ernst & Young, Caterpillar, Dell Technologies, Deloitte, IBM und J. P. Morgan Chase haben dies für sich bereits erkannt und sind erfreulicherweise bereits im Bereich von Diversität und Inklusion beispielhafte Vorreiter für das Thema Neurodiversität. Sie haben begonnen zum Beispiel Human-Resources-Prozesse zu ändern und interne Programme ins Leben zu rufen oder auch Vorträge und teils auch Trainings für ihre Führungskräfte und Mitarbeiter anzubieten. Diese zielen zum einen darauf ab, eine größere Zugänglichkeit für potenzielle neurodiverse Mitarbeiter zu schaffen, und zum anderen ihren Mitarbeitern näherzubringen, wie Inklusivität für neurodiverse Mitarbeiter mit zum Beispiel ADHS oder Autismus im Arbeitsumfeld optimal gelebt werden kann (manager magazin, 2020). Das Beratungshaus EY hat zum Beispiel das Neurodiversity Center of Excellence ins Leben gerufen und rekrutiert, schult und stellt hier fokussiert Bewerber aus dem Autismus-Spektrum ein. Laut EY hat dies die Innovationskraft des Unternehmens und die Führungskompetenzen seiner Manager nachhaltig gefördert sowie auch den Stolz der Belegschaft, den inklusiven Geist bei der Arbeit mit fördern zu können (Akin, 2021).

Diese inklusive Haltung kann anderen Arbeitgebern als Beispiel dienen. Denn schon ein vertrauensvoller Dialog mit inklusiv eingestellten Vorgesetzten und Personalern kann die Basis schaffen, um mit vielleicht sogar wenigen Veränderungen ein verbessertes Arbeitsumfeld für den Betroffenen zu schaffen, das seine Symptomatik minimiert und er so sein volles Potenzial für den Arbeitgeber entfalten kann. Letzteres geschieht vielfach leider jedoch noch nicht, aus Angst vor Stigmatisierung, als Betroffener sein ADHS öffentlich zu machen.

Ich möchte daher mit meinem offenen Umgang mit meinem ADHS und auch diesem Buch einen ersten Schritt unternehmen, mich für mehr Inklusion von ADHS-Betroffenen im Arbeitsleben zu engagieren und hier mehr aufzuklären. Mein Wunsch ist, dass ADHS im Erwachsenenalter als neurodiverse Störung sowie auch Neurodiversität generell ein fester Bestandteil auf den Agenden von Diversität und Inklusion von Arbeitgebern wird.

Betroffene sollten in einem wertschätzenden Umfeld offen mit ihrer ADHS umgehen können, ohne Stigmatisierung von Vorgesetzten, Kollegen oder Mitarbeitern befürchten zu müssen.

Denn wir leben leider immer noch in einer Zeit, in der sogar einzelne Fachleute davor warnen, sein ADHS bei seinem Arbeitgeber von Beginn an offen anzusprechen, um Nachteile oder Stigmatisierung zu vermeiden. Und diese Warnungen sind leider auch häufig noch berechtigt, weil wir noch nicht in einer für ADHS inklusiven Arbeitswelt leben (Hoffmeyer, 2021).

1.4 Die Bedeutung von Coaching bei ADHS im Erwachsenenalter

In einer multimodalen ADHS-Therapie im Erwachsenenalter gewinnt Coaching als Hilfe zur Selbsthilfe zunehmend an Bedeutung (D’Amelio et al., 2010). Coaching ist generell kein geschützter Begriff. Greif (2008a, S. 59) definiert Coaching sowohl auf der individuellen als auch auf der Gruppenebene wie folgt:

„Coaching ist eine intensive und systematische Förderung ergebnisorientierter Problem- und Selbstreflexionen sowie Beratung von Personen oder Gruppen zur Verbesserung der Erreichung selbstkongruenter Ziele oder zur bewussten Selbstveränderung und Selbstentwicklung. Ausgenommen ist die Beratung und Psychotherapie psychischer Störungen.“

Im Coaching-Prozess sollten so idealerweise die verschiedenen sozialen Systemebenen eines Menschen berücksichtigt werden, das heißt nicht nur der Mensch alleine, sondern er in seinem beruflichen und privaten Umfeld und als Individuum einer Gesellschaft. Im systemischen Coaching werden daher die unterschiedlichen Beziehungen und Strukturen im sozialen System des Klienten analysiert und bei der ressourcenorientierten Problemlösung mit einbezogen. Coach und Coachee interagieren dabei auf Augenhöhe. Der Klient ist der Experte für die Erarbeitung der Lösung seiner Themen und der Coach unterstützt ihn durch zielgerichtete Interventionen (Institut für Bildung und Coaching, o. J.a.). Diese Haltung entspricht auch dem Ansatz Ihres Selbstcoaching-Prozesses im zweiten Teil dieses Buches. Er soll Ihnen nach den umfangreichen Informationen zum Thema ADHS im ersten Teil des Buches im zweiten Teil ausschließlich die Struktur und den Rahmen vorgeben, innerhalb dessen Sie für sich dann Ihre ganz individuellen Lösungen entwickeln.

Wichtig ist mir hier nochmal, den Einsatz von Coaching und systemischem Coaching im Rahmen der multimodalen Therapie von ADHS klar von der Psychotherapie abzugrenzen. Ryffel-Rawak (2003a, S. 3) definiert dies wie folgt:

„Coaching ist eine unspezifische Methode, die sich jeweils an der konkreten Situation und spezifischen Problemen eines Betroffenen orientiert. Die Verhaltenstherapie dagegen ist eine problemorientierte, strukturierte, konkrete und spezifische psychologische Behandlung. Bei der kognitiven Verhaltenstherapie wird der Zusammenhang zwischen Stimmung, Denken und Handeln ermittelt. Es wird davon ausgegangen, dass eine wechselseitige Beziehung zwischen Denken, Fühlen und Handeln besteht. Handlungen, die zu einem negativen Ergebnis geführt haben führen zu falschen Schlussfolgerungen, mit der Folge einer negativ verzerrten Realität. Die eigene Person, die Sicht der Welt und der Zukunft werden in einem negativen Licht gesehen und der Betroffene wird je nach Persönlichkeitsstruktur und Vulnerabilität in eine depressive, ängstliche Stimmung verfallen. Eine ins Abwärts führende Spirale setzt ein.“

Diese verzerrten Denkmuster, die Betroffene blockieren können, werden bei der kognitiven Verhaltenstherapie ausschließlich mit einem in dieser psychotherapeutischen Methode ausgebildeten Therapeuten (Psychologen oder Psychiater) gemeinsam sichtbar gemacht und bearbeitet.

Erst anschließend sollten weitere notwendige Maßnahmen im Rahmen eines Coachings mit dem Ziel durchgeführt werden, die Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit der Betroffenen weiter zu stärken (Ryffel-Rawak, 2003b). Im Gegenzug kann ein rechtzeitiges Coaching eine erfolgreiche Prävention darstellen und Lebenskrisen sowie eine daraus resultierenden Therapie vermeiden ( (Migge, 2014). Dabei möchte Sie dieses Buch unterstützen und Ihre Resilienz, Ihre psychische Widerstandskraft, präventiv stärken.

Wichtig zu wissen ist zudem, dass der Begriff ADHS-Coach genau wie der Begriff Coach nicht gesetzlich geschützt ist, auch nicht das Angebot eines ADHS-spezifischen Coachings. Im deutschsprachigen Raum und auch international gibt es noch keine definierten Ausbildungskriterien für ein ADHS-spezifisches Coaching (D’Amelio et al., 2010). Ein ADHS-Coach sollte neben fundierten Coaching-Fähigkeiten auch aktuellstes Wissen zu der Störung haben sowie eine Kompetenz an Coaching-Methoden, die auf die Linderung der drei Leitsymptome einzahlt. Wichtig ist es auf der Beziehungsebene aufgrund der Symptomatik auch ein noch höheres Maß an Sozialkompetenz mitzubringen als ein normaler Coach, vor allem Geduld und Frustrationstoleranz (Hinkelmann, 2016b). Meine Empfehlung ist, dass Sie als Coachee darauf achten, dass Sie sich in der Beziehung zu einem Coach wertgeschätzt und wohl fühlen und sich so auf Augenhöhe vertrauensvoll öffnen können. Wenn jemand vom Bauchgefühl nicht zu Ihnen passt, schauen Sie sich vielleicht lieber noch andere Coaches um, bis es für Sie auf der Beziehungsebene stimmig klickt.

Eine australische Studie (Stevenson et al., 2002) zeigt bereits gute Ergebnisse für die Kombination von Coaching mit kognitiver Verhaltenstherapie. Auch eine Studie von Kubik (2010) aus den USA belegt die Effektivität von Coaching im Rahmen einer multimodalen Therapie. In den USA nimmt Coaching bei ADHS heute schon signifikant viel mehr Raum ein und das Angebot ist deutlich größer als im deutschsprachigen Raum. Für diesen gibt es leider auch noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen für die Effektivität eines Coachings bei ADHS. Weitere Forschungen wären daher hier noch wünschenswert. D’Amelio et al. (2010) haben allerdings für Coaches ein Coaching-Konzept entwickelt, das auf erwachsene ADHS-Betroffene zugeschnitten ist. Hinkelmann (2016b) hat für Coaches zudem ein ADHS-Coaching-Konzept für erwachsene Betroffene mit explizit leichter bis mittelschwerer ADHS-Symptomatik ohne weitere diagnostizierte Krankheitsbilder (Komorbiditäten) für deren beruflichen Kontext entwickelt.

D’Amelio et al., (2009a S. 130; Ergänzung der Autorin) definieren Coaching bei ADHS in diesem Kontext wie folgt:

„ADHS-Coaching bezeichnet einen individualisierten und maßgeschneiderten Beratungs- und Begleitprozess im Einzelsetting, mit dem Ziel[,] den ADHS-Betroffenen bei der Strukturierung des Alltags und (besseren) Bewältigung von Aufgaben im privaten oder beruflichen Kontext zu unterstützen, um damit (mittelfristig) ein Mehr an Selbstbestimmung beziehungsweise Selbstwirksamkeit und Lebensqualität zu erlangen.“

Das ADHS-Coaching-Konzept von Hinkelmann (2016b) zielt explizit auf Erwachsene für deren beruflichen Alltag ab und auch nur auf Betroffene mit leichter bis mittelschwerer Symptomatik ohne Komorbiditäten (wie zum Beispiel Depressionen, oppositionelle Verhaltens- oder Persönlichkeitsstörungen sowie Lern- oder Sprachstörungen). Das Ziel des Konzepts ist es, den Selbstwert des Klienten zu steigern, dessen Aufmerksamkeit zu stärken und das Bewusstsein zu bilden, dass viele Probleme dem ADHS und nicht seiner Persönlichkeit geschuldet sind. Dies soll ihn motivieren und seine Autonomie stärken.

Interessierte Coaches, die sich für das Coaching von ADHS-Betroffenen interessieren, finden über dieses Buch hinaus in der auf meiner Website www.​tapetenwechsel.​me nach Anmeldung verlinkten Facharbeit zu meiner Ausbildung zum Systemischen Coach & Change Manager am INeKO Institut der Universität Köln aus dem Jahr 2021 auch detaillierte Infos zu den beiden Konzepten.

Was es jedoch noch nicht gibt, und das ist mein persönliches „warum“ für dieses Buch, ist ein klar strukturierter Selbstcoaching-Prozess für erwachsene ADHS-Betroffene mit leichter bis mittelschwerer Symptomatik, die keine weiteren Begleitstörungen aufweisen, um mit diesem selbstwirksam ein Selbst- und Stressmanagement für ihr berufliches und privates Leben zu verinnerlichen, und so ihre Stärken zu aktivieren und ihre Resilienz zu stärken. Es gibt zwar online und in Fachbüchern von ADHS-Experten vielfältige wissenschaftlich fundierte Informationen und Tipps in Form von Psychoedukation für ein besseres Selbstmanagement mit ADHS, allerdings noch keinen klar strukturierten Selbstcoaching-Prozess. Jedoch benötigen insbesondere ADHS-Betroffene eine klare Struktur in ihrem Leben und ihrem Alltag, an der sie sich orientieren können. Diesen möchte ich nun als Systemischer Coach mit diesem Buch anderen Betroffen als Hilfe zur Selbsthilfe zur Verfügung stellen.

Dieser Selbstcoaching-Prozess ersetzt keine Psychotherapie, keine Selbsthilfe-Gruppe und auch kein persönliches 1:1-Coaching. Er kann Ihnen jedoch den Rahmen geben, sich selbst und Ihre individuelle ADHS Symptomatik alleine für sich besser kennen zu lernen. Er unterstützt Sie so idealerweise ein Stück auf Ihrem Weg dabei, lösungsorientiert Ihre individuellen Stärken und Potenziale zu erkennen und zu entfalten, und so erfüllter mit Ihrer ADHS zu leben. Sie lernen, sich ein strukturiertes Selbstmanagement für Ihr Leben zu gestalten, das voll auf Ihre individuellen Bedürfnisse einzahlt, und so dazu beitragen kann, Ihre individuelle ADHS-Symptomatik nachhaltig zu lindern. Sollten Sie im Anschluss oder im Verlauf dieses Buches dennoch das Gefühl haben, alleine einfach nicht weiterzukommen mit einzelnen Themen, oder Sie wünschen sich vielleicht sogar, dass Sie in Ihrem Selbstcoaching-Prozess komplett begleitet werden, können Sie ergänzend sehr gerne 1:1-Coachings bei mir buchen. Denn oftmals hat man für sich blinde Flecke, für die es Sinn machen kann, dass jemand Ihnen hier beim Ausleuchten hilft. Ich unterstütze Sie gerne dabei auf Ihrem Weg. Mein aktuelles Coaching-Angebot an persönlichen und Online-Coachings finden Sie dazu auf meiner Website www.​tapetenwechsel.​me.

1.5 Life Hacks für mehr Lebensqualität mit ADHS im Erwachsenenalter

ADHS ist absolut keine Schicksalsdiagnose. Viele Menschen haben die Symptomatik zwar, verspüren jedoch keinen Leidensdruck. Sie haben sich intuitiv im Laufe der Zeit selbst eine gute Lebensqualität gestaltet (Neuy-Bartmann, 2019). Verspürt man jedoch einen Leidensdruck, so haben sich bereits viele ADHS-Experten damit auseinandergesetzt, wie man sich selbst mit Psychoedukation helfen kann, um seine Symptomatik mit einer nachgeholten Selbsterziehung, Disziplin und einem konsequenten Selbstmanagement zu minimieren. Es gibt diverse solcher wichtiger, von ADHS-Fachleuten empfohlenen Life Hacks, die man als Betroffener für mehr Lebensqualität für sich nutzen kann (Amrhein, 2020b). Im Folgenden werden diese für Sie komprimiert vorgestellt.

Übung 2 – Identifikation stimmiger ADHS-Life-Hacks für Ihre Symptomatik

Je besser Sie Ihre ADHS-Symptome bisher verstanden haben und Frieden mit ihnen geschlossen haben, umso besser können Sie die für Ihre Symptome passenden Life Hacks in Ihrem späteren Selbstcoaching für sich nutzen. So können Sie gezielt an sich arbeiten und Ihre Symptomatik optimal lindern. Verstehen Sie die nachfolgend vorgestellten Life Hacks bitte als reine Empfehlungen und Impulse und adaptieren Sie diese für sich bei Bedarf, wenn sich das für Sie sinnvoller anfühlt. Denn es gibt nicht „die“ Life Hacks und „den“ Umgang mit ADHS. Jeder Mensch ist individuell und anders. Horchen Sie beim weiteren Lesen bitte einfach in sich hinein, welche Ihnen davon gut tun könnten und welche nicht. Aufbauen können Sie dazu jetzt auf Ihren bisherigen Notizen zu Ihren individuellen ADHS-Symptomen, die Sie bei sich bereits wiedergefunden haben. Sammeln Sie jetzt beim weiteren Lesen bitte für jedes dieser ADHS-Symptome den für Sie stimmigen Life Hack, den Sie gerne regelmäßig in Ihrem Leben umsetzen möchten, um so Ihre Symptomatik bestmöglich zu lindern.

Wir kommen am Ende des Kapitels dann auf diese gesammelten Life Hacks zurück, und Sie prüfen dann für sich, welche Top-3-Life-Hacks Sie von diesen ganz priorisiert und konkret für sich angehen möchten. Denn oft wollen ADHS-Betroffene am besten alles gleich und sofort umsetzen und den Effekt natürlich auch gleich morgen sehen. Das ist ein bisschen wie auf Instagram oder beim Friseur in der Bild der Frau oder Mens Heath die xte Saft Diät oder In-null-Komma-nichts-Eiweiß-Ernährungsumstellung mit dem Ziel, zehn Kilogramm Gewichtsverlust in einer Woche anzuvisieren, und ernsthaft zu glauben, alleine schon das Lesen hat uns jetzt mindestens gerade schon ein Kilo schlanker gemacht. Doch so einfach ist es leider nicht bei der nachhaltigen Etablierung von neuen Routinen in Ihrem Leben. Die Zauberformel, die Ihnen hier helfen kann und ein ganz wesentlicher Schlüssel für das ADHS-Superpower-Paradies hinter der Tür im nächsten Zimmer sein wird, ist ab sofort: konsequente und vor allem realistische Zwischenziele auf Ihrem Weg zu mehr Lebensqualität mit Ihrer ADHS (Neuy-Bartmann, 2019). Doch mehr dazu später. Zunächst wünsche ich Ihnen jetzt inspirierende Erkenntnisse beim Kennenlernen und Notieren möglicher stimmiger ADHS-Life-Hacks zur Linderung Ihrer Symptomatik. Viel Spaß dabei!

1.5.1 Innere Haltung und Selbstvertrauen

Wichtig ist in jedem Fall Ihre innere Haltung zu Ihrer ADHS, sodass Sie sie wirklich akzeptieren, Frieden mit ihr geschlossen haben und nun proaktiv Ihr Leben mit ADHS mit mehr Lebensqualität gestalten möchten. Dies wird wie gesagt eventuell ein langer Prozess mit möglicherweise Auf und Abs sein und leider keine Spontanheilung (ADHS Deutschland e.V., o. J.a.). Hier sind Disziplin und Durchhaltevermögen von Ihnen gefragt. Ihre innere Haltung ist dabei ganz entscheidend, ob Sie diesen Weg für sich konsequent weitergehen (D’Amelio et al., 2009b).

Vergleichen Sie dies vielleicht einmal mit dem Anlegen eines Salatbeets. Sie säen die Samen in die Erde ein und dann dauert es einige Wochen mit einem optimalen Standort und Ihrer richtigen Pflege, bis Sie sich zur Ernte von satten fetten Salatköpfen beglückwünschen können. Die Salate werden leider nur auch nicht schneller wachsen, wenn Sie sie wochenlang täglich ungeduldig grimmig gießen oder wenn sie daran ziehen.

Denn das Leben und auch andere Menschen geben uns leider nicht immer das, was wir uns wünschen und auch oft nicht in dem Tempo, wie wir uns das wünschen, sondern legen uns leider immer wieder täglich neu die Karten vor die Füße, auch wenn sie uns oft nicht gefallen. Nur Sie können entscheiden, ob Sie sich darüber grämen und die Karten liegen lassen und passiv in einer Opferrolle bleiben, oder ob sie die Karten immer wieder neu spielen und gestalten möchten. Ihre aktuellen Karten, die vor Ihnen liegen, sind Ihre ADHS-Diagnose und der Leidensdruck durch ihre Symptomatik. Und Sie entscheiden ganz alleine für sich selbst, ob Sie sich zukünftig im Umgang mit sich und auch mit anderen Menschen reflektieren und an sich arbeiten möchten, wenn vielleicht einmal wieder Ihre Symptomatik die Zügel in der Hand hat, und Sie sich selbst und ihr Umfeld damit stressen. Sie entscheiden alleine, ob Sie ab jetzt Ihre vielleicht kritische Erwartungs- und Anspruchshaltung an sich, das Leben und Ihr Umfeld bewusst hinterfragen möchten. Denn vielleicht ist diese viel zu gering und Sie spüren Ihre eigenen Bedürfnisse gar nicht mehr, weil Sie so sehr bei der Erfüllung der Bedürfnisse der anderen sind. Oder aber Ihre Erwartungshaltung ist vielleicht auch viel zu hoch und einfach sowohl für Sie selbst als auch für Ihr Umfeld schlichtweg nicht realistisch und erfüllbar.

Sie entscheiden ganz allein, ob Sie jetzt proaktiv und eigenverantwortlich Ihren Weg weitergehen möchten, um Ihre ganz persönliche ADHS-Superpower für mehr Lebensqualität zu aktivieren und Ihre PS so auf die Straße zu bekommen.

Und vielleicht betrachten Sie dabei das ein oder andere Mal einfach einmal sich und die aktuell herausfordernden Situationen aus einer gedanklichen Distanz aus der Vogelperspektive mit einer Prise Humor, statt sich bierernst und verbissen weiter im Autopilot von Ihrer Symptomatik vor den Stress-Karren spannen zu lassen, bis zum Beispiel zum nächsten gestressten Wutausbruch, bis zur nächsten Angstreaktion, Erschöpfungsphase oder psychosomatischen Alarmreaktion. Vielleicht könnten Sie letztere auch betrachten wie eine emotionale Notfallplan-Erinnerungsfunktion auf ihrem Handy, die Ihnen etwas sagen und gehört werden möchte. Und sie hört erst dann auf, Sie mit ihrem Gebimmel zu stressen, wenn Sie Ihr Handy endlich in die Hand nehmen. Wenn Sie sich die Erinnerungsfunktion einfach mal in Ruhe genauer anschauen und Sie beginnen zu reflektieren, dass vielleicht leider einmal wieder Ihre ADHS Sie gerade heimlich gemanagt hat und eben nicht Sie Ihre ADHS. Mit einem gut verinnerlichten Stress- und Selbstmanagement für Ihre Lebensgestaltung wird Ihr Handy im Laufe der Zeit im besten Falle immer weniger dieser Notfall-Erinnerungen an Sie senden.

Und bei diesem Prozess kann Humor, Selbstmitgefühl und Wertschätzung für Sie selbst Sie ungemein durchlockern. Es kann hier helfen, wenn Sie Ihr eigener innerer optimistisch denkender Coach werden, der Sie jeden Tag wie seinen besten Freund behandelt und motiviert (D’Amelio et al., 2009b).

Wenn Sie einmal wieder hingefallen sind, dann hilft er Ihnen, sich wieder aufzurappeln, reicht Ihnen Ihre Krone, besinnt Sie auf Ihre Zuversicht und Ihre Stärken und begleitet Sie motivierend weiter auf Ihrem Weg, Schritt für Schritt.

Übung 3 – ZRM® Online Tool
Um sich eine solche Haltung zu verinnerlichen, empfehle ich Ihnen zum motivierenden Selbst-Coaching das ZRM® Online Tool, das auf dem Zürcher Ressourcen Modell ZRM® basiert (Zürcher Ressourcen Modell ZRM®, o. J.a.). Sie finden auf der Homepage www.​zrm-training.​de ein anschauliches, ungefähr zehn Minuten langes Video und werden auf der verlinkten Seite im Literaturverzeichnis zudem selbsterklärend durch Ihr ZRM® Selbstcoaching geleitet. Dieses kann Ihnen wunderbar Zugang zu Ihren individuellen unbewussten Ressourcen schenken und so Ihren Verstand, Ihre Intuition und Ihren Körper verbinden, um eine neue innere Haltung oder Einstellung zu einem Thema Ihrer Wahl zu entwickeln: in diesem Fall Ihr eigener innerer optimistischer ADHS-Coach zu sein. Sie erhalten am Ende ein Ergebnisbild mit einem für sich individuell formulierten Haltungsziel, das Sie erreichen möchten (ähnlich der fiktiven Beispielabbildung in Abb. 1.1). Dies können Sie sich in Ihr Leben als tägliche, immer wieder sichtbare Erinnerung einbauen, zum Beispiel ausgedruckt an der Wand zu Hause oder bei der Arbeit, als Hintergrund auf dem Rechner oder dem Handy. Ihrer Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt. Nehmen Sie sich doch jetzt dazu bitte in Ruhe Zeit. Viel Spaß dabei!
Abb. 1.1

Fiktive Beispielabbildung für ein Haltungsziel. (Eigene Darstellung 2023)

Prüfen Sie unabhängig davon, wenn nötig bitte im Laufe Ihres weiteren Weges, auch nochmal Ihre Einstellung zu einer medikamentösen Therapie mit Stimulanzien, wenn diese für Sie aktuell keine Option darstellt. Diese kann Ihnen, wie bereits beschrieben, oft erst die Voraussetzung geben, dass Sie Ihre Life Hacks und Ihr Selbstcoaching-Prozess nachhaltig weiter bringen werden, und Sie Ihre neue Lebensgestaltung so langfristig wirklich verinnerlichen und umsetzen können. Sie können den Weg auch ohne Medikamente gehen, jedoch kostet Sie dies für eine längere Zeit, bis Sie Ihre neuen Gewohnheiten verinnerlicht haben, je nach Ihrer Ausprägung Ihrer Symptomatik sehr viel mehr Energie und Kraft. Genauso wie Ihr Organismus mehr Energie benötigt und aus dem Gleichgewicht gerät, wenn Sie nach einer Sportverletzung keine Physiotherapie in Anspruch nehmen, um die Ursachen der Symptome so schnellstmöglich nachhaltig zu lindern, kann Sie eine solche Gewohnheitsumstellung ohne Medikamente zunächst sehr erschöpfen. Behalten Sie dies bitte im Hinterkopf, denn ADHS ist eine Stoffwechselstörung im Frontalhirn (ADHS Deutschland e. V., o. J.a.). Ich selbst möchte hier nur nochmals darauf hinweisen und zur Behandlung mit Medikamenten selbst keine Empfehlung äußern. Aus meiner Sicht sollte dies jeder für sich selbst vom Kopf- und Bauchgefühl entscheiden, ob er diesen Weg für sich gehen möchte. Wenn ja, dann können Sie die Möglichkeiten mit einem ADHS-erfahrenen Psychiater oder Neurologen besprechen, bei dem Sie sich in der Arzt-Patienten Beziehung vom Bauchgefühl wohl, gut aufgehoben und kompetent behandelt fühlen.

1.5.2 Positives Selbstbild und Selbstwert

Häufig sind wir in unserem Denken falsch programmiert. Wir empfinden es oft, als hätten wir einfach nur Glück gehabt, wenn uns etwas Gutes passiert. Doch wehe uns passiert etwas Schlechtes. Dann war es kein Pech, nein, dann war es unsere eigene Schuld (Siegle, 2021). Diesen Denkautomatismus gilt es vor allem im Umgang mit Ihrer ADHS zu durchbrechen. Stehen Sie zu Ihrer ADHS und Ihren Schwächen, und lernen Sie damit umzugehen, doch fokussieren Sie sich bitte auch auf Ihre ganz besonderen Stärken. Hier liegt noch Ihre ungezündete ADHS-Superpower in Ihnen, die Ihnen vielleicht noch gar nicht bewusst ist. Wenn Sie sie aktivieren, kann sie Ihre PS auf die Straße bringen und Sie so Ihrem Glück ein Stück weit näher. Denn wenn Sie sich ab jetzt ein Leben mit Ihrer ADHS gestalten, das Ihre eigenen Bedürfnisse und Stärken nährt, dann können Sie Glücksmomente erleben, die Sie sich ganz allein selbst kreiert haben, und nicht, weil Sie dann einfach nur einmal wieder meinen, passiv Glück gehabt zu haben.

Vielleicht leiden Sie auch ab und an unter den bei ADHS häufigen Weltschmerz-Phasen (D’Amelio & Steinbach, o. J.a.). Führen Sie sich dann bitte vor Augen, dass sie das sind, was sie sind: Phasen. Und das Schöne ist: Phasen vergehen wieder. Machen Sie sich dann bewusst, dass Sie in diesen Phasen eine verzerrte Wahrnehmung von der Welt haben, wie eine beschlagene Brille. Nutzen Sie hier Ihre Impulsivität und lenken sich mit etwas Schönem ab, was Ihnen gut tut. Das kann ungemein helfen, Ihren Fokus wieder auf etwas Positives zu legen. Gehen Sie in solchen Phasen wertschätzend und lobend mit sich um, statt sich zum Beispiel ständig mit anderen zu vergleichen und Ihre Zeit mit Fernsehen oder sozialen Medien totzuschlagen, die sie keinen Millimeter weiter aus Ihrem Stimmungstief bringen. Vor allem soziale Plattformen wie Facebook, Instagram und TikTok sind oftmals ein Nährboden, um ein schwaches Selbstwertgefühl in solchen Phasen noch mehr ins Wanken zu bringen. Sich ständig die pseudo perfekten gefilterten Leben und Urlaube der anderen mit ihrem ach so viel aufregenderem Leben anzuschauen, ist dann völlig kontraproduktiv für Ihr eigenes Selbstwertgefühl. Auch Ihr Partner beziehungsweise Ihre nahen Bezugspersonen sollten in diesen Zeiten nicht als Bedürfniserfüller betrachtet werden, die Sie beliebig anzapfen können, um sich wieder ausgeglichen und zufrieden zu fühlen. Auch keine gute Idee ist es, Ihre Salatzucht, also sich selbst, auf Ihrem Weg zu mehr Lebensqualität mit Ihrer ADHS dann zu kritisieren oder ungeduldig an Ihren Blättern zu ziehen, nur weil Sie jetzt gerade wieder eine kleinen Hänger-Phase haben. Vertrauen Sie einfach darauf, dass Ihr Salat eben seine Zeit braucht, bis er reif ist. Und Sie selbst benötigen auch Zeit und in einer Weltschmerz-Phase eine gute Selbstfürsorge für sich. Auch Ihre Laune dann mit Suchtmitteln zu betäuben, ist hier kontraproduktiv (Neuy-Bartmann, 2019). Nach deren Konsum sind Sie im Zweifel gar nicht mehr in der Lage, sich überhaupt regelmäßig um Ihre Salate zu kümmern, und die Ernte bleibt dann komplett aus, weil Sie zum Beispiel vertrocknen, da Sie das Gießen vergessen haben. Sie vergessen dann im schlimmsten Fall: sich selbst und ihre Bedürfnisse. Fragen Sie sich vielleicht stattdessen lieber, was Sie jetzt im Grunde Ihres Herzens brauchen, warum wollen Sie überhaupt zu einem Suchtmittel greifen? Was ist jetzt gerade wirklich Ihr Bedürfnis? Sie könnten zwischen Ihren Gießeinheiten dazu zum Beispiel prima Meditieren, Sport treiben, oder ein Bad nehmen und in sich hineinspüren, welche Bedürfnisse sich zeigen und wie Sie diese aktuell für sich am besten nähren können. Und Ihr Salat wächst so zwischendurch regelmäßig von Ihnen gegossen von ganz alleine weiter.

Bitte vergessen Sie in diesen Phasen auch nie, dass Sie der wichtigste Mensch für sich auf diesem Planeten sind. Die Stewardessen erklären es uns auf jedem Flug: im Notfall setzen Sie sich bitte erstmal selbst Ihre Sauerstoffmaske auf und dann erst kümmern Sie sich um andere Passagiere.

Übung 4 – Weltschmerz-Phase

Suchen Sie für diese Übung vielleicht nach Möglichkeiten, loszulassen und zu entspannen, um in sich hineinzuhorchen und um Kraft zu tanken.

Fragen Sie sich dann bitte:
  • Was ist Ihre Sauerstoffmaske, Ihr Energiespender in Weltschmerz-Phasen?

  • Was hat Ihnen in der Vergangenheit in solchen Phasen gut getan?

  • Was noch?

  • Was davon könnten Sie jetzt davon für sich wieder umsetzen?

  • Was müssten Sie tun, damit Sie jetzt noch tiefer in Ihr Weltschmerz-Loch sinken?

  • Was würde Ihr Partner oder bester Freund Ihnen raten, was Sie jetzt Gutes für sich tun könnten?

  • Und einmal angenommen, die Phase wäre vorbei und Sie sind wieder bester Stimmung, was hat Ihnen rückblickend geholfen?

Wenn Sie für sich diese Fragen beantworten, kann Sie das unterstützen, durch eine optimistische innere Haltung und liebevolle Selbstfürsorge für sich aus Ihrer Weltschmerz-Phase wieder gestärkt herauszuwachsen, auch wenn es dort vielleicht gerade noch ungemütlich ist (INeKO-Institut, 2020a). Hier kann eine gewisse positiv denkende Gelassenheit hilfreich sein. Auch einen Blick auf Ihr Haltungsziel mit Ihrem Bild aus dem Coaching mit dem ZRM® Online Tool (Übung 3) zu werfen und sich in diese Haltung hineinzufühlen, die Sie als Ihr innerer Coach haben möchten, kann Ihre positiven Ressourcen aktivieren (Zürcher Ressourcen Modell ZRM®, o. J.a.).

Was Sie ergänzend auch unterstützen kann, ist sich Ihre eigenen Ressourcen vor Augen zu führen und zu aktivieren, um sich in solchen Phasen wieder herauszuverhelfen aus Ihrem Tief. Hilfreich dazu ist folgende Übung, zu der Sie Ihren bisherigen biografischen Lebensverlauf für sich nutzen (Hinkelmann, 2016b) (Abb. 1.2).
Übung 5 – Biografischer Lebensverlauf

Nehmen Sie sich dazu bitte einfach einen weißen größeren Zettel und tragen eine X- und eine Y-Achse dort ein. Die waagerechte X-Achse stellt Ihr Leben im Zeitverlauf bis heute dar. Die senkrechte Y- Achse steht im Positiven nach oben über der X-Achse für gute Erfahrungen und negativ nach unten für schlechte Erfahrungen. Erinnern Sie sich jetzt nun bitte an emotional bedeutsame Erlebnisse in Ihrem Leben bis heute, die für Sie wichtig waren. Ereignisse, die gute Erinnerungen wecken, werden oberhalb der X-Achse (Zeitachse) markiert, weniger angenehme Ereignisse unterhalb der X-Achse. Je emotionaler das Ereignis für Sie war, desto höher oder tiefer markieren Sie dies und benennen das Ereignis. Diese können zum Beispiel die Einschulung sein, Start oder Verluste wichtiger Freundschaften oder Partnerschaften, der Verlust geliebter Menschen durch einen Todesfall, Wohnungswechsel, Ausbildungen, Beginn und Ende von Arbeitsverhältnissen, Hochzeit oder Scheidung, erreichte Ziele im Leben oder Lebenskrisen die man durchlebt hat. Nehmen Sie sich bitte in Ruhe Zeit und markieren Sie final die Punkte miteinander, es wird sich dann eine Art Wellenlinie ergeben.

Reflektieren Sie bitte für sich für jedes Ereignis in einem ersten Schritt die folgenden Fragen:
  • Welche wichtigen Erkenntnisse haben Sie aus der Situation für sich ziehen können?

  • Was haben Sie damals über sich gelernt?

  • Welche neuen Fähigkeiten haben Sie aus dieser Situation heraus für sich entwickeln können?

  • Wie haben Sie das hinbekommen?

  • Was davon hilft Ihnen aktuell in Ihrem Leben noch davon?

  • Was davon könnte Ihnen in Ihrer aktuellen Situation helfen?

Notieren Sie sich dies bitte neben jeder Station stichpunktartig. Im nächsten Schritt fragen Sie sich bitte:
  • Welche Personen waren damals von Bedeutung für Sie in der Situation?

  • Welche Stärken, Talente und Kompetenzen haben diese Personen in Ihnen gesehen?

  • Was haben Sie Ihnen auf Ihrem weiteren Weg im Leben mitgegeben?

Notieren Sie sich dies bitte ebenfalls neben jeder Station stichpunktartig, am besten mit einer anderen Farbe. Abschließend schauen Sie sich doch bitte einmal Ihre komplette Lebenslinie mit ihren positiven und negativen Phasen an und reflektieren bitte für sich:
  • Welche Erkenntnisse können Sie nach dieser Übung für sich daraus ziehen?

  • Könnten Ihnen diese vielleicht auch in Ihrer aktuellen Situation weiterhelfen?

  • Was könnte ein erster Schritt sein, den Sie jetzt aktuell darauf basierend für sich tun könnten?

Notieren Sie sich bitte Ihre Erkenntnisse (INeKO Institut, 2020a). Fühlt sich die Übung final für Sie stimmig an? Prima. Beenden Sie diese dann gerne für sich.

Und jetzt geht es für Sie damit weiter zu erfahren, wie Sie zukünftig noch besser Stress in Ihrem Leben loslassen können.
Abb. 1.2

Fiktive Beispielabbildung für einen biografischen Lebensverlauf. (Eigene Darstellung 2023)

1.5.3 Stressmanagement zur Linderung der Symptomatik

Regelmäßiges Achtsamkeitstraining (Ratgeber ADHS, o. J.a. f.) und ganz wichtig regelmäßiger Sport sind für Betroffene von ADHS wertvoll zum Stressabbau und auch als präventive Gesundheitsvorsorge (Lux et al., 2020). Man lernt so die innere und gegebenenfalls äußere hyperaktive, impulsive Getriebenheit und Unruhe zu reduzieren. Insbesondere Achtsamkeitstraining verbessert die Aufmerksamkeit und hilft, auf die Dauer eine gelassenere Einstellung zu verinnerlichen und zu lernen, wirklich loszulassen. Dies kann in stressigen Situationen helfen als eine Art Notbremse, um die eigenen Gefühle zu kontrollieren und so emotionale Überreaktionen zu verhindern. Doch auch Achtsamkeit ist kein vorgeschnittener Salat im Beutel aus der Kühltheke. Auch Achtsamkeit ist ein Salat in einem Gemüsebeet, der nach der Aussaat täglich gepflegt und gegossen werden möchte. Achtsamkeit ist eine innere Grundhaltung, die ebenso wie Sport regelmäßig trainiert werden muss. Dies zahlt sich jedoch enorm aus (Ratgeber ADHS, o. J.a. f.). Sie schenkt Ihnen wieder die Erfahrung, wie es ist, sich selbst zu spüren. Sie erleben wieder, wie es ist, sich mit sich und Ihren Bedürfnissen verbunden zu fühlen und dazu Rollen, Anforderungen und Erwartungen an Sie für den Moment einfach einmal komplett loszulassen und ganz im Hier und Jetzt zu sein. Es schenkt Ihnen die Fähigkeit, so die vielen bunten Flummis an Gedanken um Ihren Kopf einfach da sein zu lassen und sie aus der Distanz gelassen zu beobachten und sie loszulassen, statt ihnen anzuhaften und nachzujagen (Stern, o. J.a.). So kann es Ihnen gelingen, in emotionalen Wut-, Trauer- oder Weltschmerz-Phasen durch bewusst eingesetzte Achtsamkeitsübungen als Erste-Hilfe-Maßnahme emotionale und gedankliche Distanz herzustellen, statt in diesen Phasen zu versinken.

Da für ADHS-Betroffene dieses Loslassen von Stress im Alltag so wichtig ist für mehr Lebensqualität, habe ich dem Thema Stressmanagement einen separaten längeren Abschnitt (Abschn. 2.3) gewidmet, der Ihnen einen bunten Strauß von Impulsen geben soll, um herauszufinden, welches Achtsamkeitstraining und welcher Sport etwas für Ihr ganz persönliches Stressmanagement sein könnte.

Experten empfehlen, dass Ihre Wahl Sie so begeistern sollte, dass Sie sich für Ihren Sport einen festen Trainingsplan mit drei Einheiten von je ca. 20–30 min pro Woche aufsetzen und verbindlich einhalten. Auch für Ihr gewähltes Achtsamkeitstraining, das sich für Sie stimmig anfühlt, ist es empfehlenswert, dieses täglich in Ihren Tagesablauf fest zu integrieren. Denn gerade für ADHS-Betroffene ist eine feste regelmäßige Struktur sehr wichtig, um nachhaltig dranzubleiben (Feltes, o. J.a.; Suter, 2018).

Sport und Achtsamkeitstraining sind daher in jedem Falle sehr empfehlenswerte Life Hacks, die Sie zukünftig in Ihre Lebensgestaltung fest mit übernehmen sollten (Neuy-Bartmann, 2019; Ratgeber ADHS, o. J.a. f.).

Und sollten Sie einmal wieder eine hyperaktive Phase haben, seien Sie bitte nicht nur mit sich achtsam, sondern erinnern Sie sich bitte auch, gegebenenfalls das Bedürfnis Ihrer Umgebung nach Ruhe wahrzunehmen, und dies wertschätzend und verständnisvoll zu respektieren, wenn Sie gerade einmal wieder voller Tatendrang Bäume ausreißen könnten und die Ruhe-Suchenden um Sie herum damit in den Wahnsinn treiben. Es kann zudem für Sie auch kreativ ausgehen, einfach einmal Langeweile zu ertragen, da man sich in der Ruhe besser zu spüren beginnt und teilweise in dieser Zeit richtig gute Ideen haben kann (Neuy-Bartmann, 2019).

1.5.4 Reizarme ruhige Umgebung

Eine ruhige Umgebung kann für ADHS-Betroffene von Vorteil sein, um Stress zu vermeiden. Denn sich eine ruhige, reizarme Wohn- und Arbeitsumgebung und auch Urlaubsumgebung zu schaffen, kann die ADHS-Symptomatik lindern. Dann kommt die Reizfilterschwäche nicht so stark zum Tragen wie in einer Umgebung, in der viele Reize auf uns einströmen. Denn all diese dringen leider ungefiltert zu ADHS-Betroffenen ein und bieten so immer wieder eine neue Ablenkung für ihr Gehirn. Diese auszublenden und fokussiert bei einer Sache zu bleiben, kostet schon im Ruhezustand für ADHS-Betroffene viel Energie. Hinzu kommt, dass wenn ADHS-Betroffene ein Thema langweilt, haben sie echte Herausforderungen, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren und zu halten, bis das Thema abgeschlossen ist (zum Beispiel langatmige Bücher oder Zeitungsartikel oder die Steuererklärung). Gerade bei diesen als langweilig empfundenen Themen kann eine reizarme Umgebung von Vorteil sein, um Störfaktoren zu minimieren (Ratgeber ADHS, o. J.a. g.).

Da vor allem der Arbeitsalltag nicht immer nur aus brennend spannenden Aufgaben besteht, bei denen automatisch die Konzentration oder der Hyperfokus anspringt, sondern auch aus langweiligen Routineaufgaben, ist es besonders für diese ratsam, alle möglichen Störquellen zu eliminieren. Idealerweise arbeitet man bei einem Bürojob in einem sehr ruhigen Büro, überwiegend im Home Office in einem ruhigen separaten Raum, gegebenenfalls abgeschirmt von der Familie oder Mitbewohnern. Das Telefon auf lautlos zu stellen oder ganz aus, oder ein Schild mit „nicht stören“ vor der Tür oder auf dem Schreibtisch für Kollegen zu platzieren, kann auch helfen. Auch das E-Mail-Programm so einzustellen, dass nicht jede Email sofort sichtbar ist, wenn sie Ihr Postfach erreicht, sondern sich stattdessen feste Zeiten für deren Bearbeitung einzuplanen, kann hilfreich sein, den Fokus zu behalten. Idealerweise minimieren Sie für Ihren Arbeitsplatz auch optische Reize. Beispielsweise indem Sie Ihren Schreibtisch vor einer leeren Wand positionieren und nicht direkt vor einem Fenster, wo Sie herausschauen können und der nächste Vogel, der vorbei fliegt, Sie von Ihrer Tätigkeit ablenken könnte. Praktisch kann es auch sein, Getränke wie Wasser, Tee, etwas gesundes zum Snacken wie Nüsse oder Obst direkt zu Arbeitsbeginn auf dem Schreibtisch zu haben, um nicht immer wieder den Schreibtisch verlassen zu müssen, was sie dann wiederum ablenken würde (Ratgeber ADHS, o. J.a. g.). Auch ein Noise Cancelling Kopfhörer, der den Teppich an Hintergrundgeräuschen sehr effektiv herausfiltert, zum Beispiel wenn mehrere Kollegen sich ein Büro teilen, im Großraumbüro oder wenn im Home Office der Geräuschpegel zu laut wird, ist eine sinnvolle langfristige Investition und kann helfen, mit der Aufmerksamkeit fokussiert zu bleiben (Neuy-Bartmann, 2019). Er ist auch auf Zug- oder Flugreisen ein hilfreicher Begleiter, um die einströmenden akustischen Reize zu minimieren. Im Literaturverzeichnis finden Sie dazu zur Info auch den Link zum aktuellen Test von Kopfhörern mit Noise Cancelling der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus dem Jahr 2023 (Johannsen, 2023).

Studien belegen zudem, dass die Wahl der Umgebung bei der Stressbewältigung bei ADHS-Betroffenen eine Rolle spielt. Privat könnte zum Beispiel auch die Wahl der Lage der Wohnung in einer akustisch und optisch reizarmen, naturnahen Umgebung dazu beitragen, die innere Balance zu fördern und diese vor allem in der Freizeit zu Hause zu halten. Die Wahl eher naturnah auf dem Land zu wohnen oder aber am ruhigen Stadtrand mit Blick in die Natur oder ins Grüne könnte deutlich symptomlindernder sein als eine Wohnung an einer Hauptstraße mitten in der Stadt. Das Umweltbundesamt stellt auf seiner Website mit der Lärmkartierung nach der EU-Umgebungslärmrichtlinie eine interaktive Lärmkarte für Deutschland dar; den Link finden Sie in der weiterführenden Literatur (Umweltbundesamt, o. J.a.). Ein somit naher Zugang und Kontakt zur Natur für sportliche Aktivitäten oder Spaziergänge kann ebenfalls von Vorteil sein, um in Pausen oder der Freizeit Kraft in der Natur zu tanken (Focus Online, 2014). Bei Kindern mit ADHS ist dieser Effekt bereits erwiesen und auch bei gesunden Erwachsenen wirkt sich dies Stress mildernd aus und die Aufmerksamkeit verbessert sich (IDW, 2005). Darüber hinaus kann es hilfreich sein, vorhandenen Freizeitstress zu Gunsten von Ruhe für sich selbst zu reduzieren und auch mal ganz bewusst „nein“ zu sagen zu Aktivitäten, die Ihnen zu viel sind und Stress verursachen. Denn ein „nein“ zu anderen ist ein „ja“ für mehr Lebensqualität für sich selbst (Kneubühler, o. J.a.).

1.5.5 Selbstorganisation und Zeitmanagement

Wie eingangs beschrieben, ist das Arbeits- und Kurzzeitgedächtnis von ADHS-Betroffenen leider mit ein paar Features weniger von Mutter Natur ausgeliefert worden als beim restlichen Teil der Bevölkerung. Es ist schnell voll und überfordert, was jedoch kein Grund ist zu verzagen (Huggenberger, o. J.a.).

1.5.5.1 Gedächtnisleistung einfach auslagern

Einer der wichtigsten ADHS-Life-Hacks ist es, eine Routine zu entwickeln, so viel wie möglich aus Ihrem Arbeits- und Kurzzeitgedächtnis auszulagern und aufzuschreiben. Denn das würde deren Kapazität sonst überlasten und Sie würden es wieder vergessen. Lagern Sie es also einfach direkt aus. Frei nach dem Motto: Wissen belastet. Die Herausforderung ist hier zunächst oftmals eine mangelnde Selbstreflexion, dies überhaupt tun zu müssen. So haben Betroffene hier häufig im ungünstigsten Fall einfach gar kein Gespür, dass ihr Umfeld es schätzt, wenn sie in ihrem Verhalten für dieses berechenbar sind. Das heißt, wenn sie zum Beispiel Vereinbarungen zuverlässig einhalten und pünktlich sind. Ja, Zuverlässigkeit bedeutet in Mitteleuropa etwas anderes als zum Beispiel in Asien oder Südamerika, wo man froh sein kann, wenn an der Bushaltestelle der Bus überhaupt einmal auftaucht an dem Tag, statt nur fünf Minuten zu spät. Jedoch befinden wir uns hier in Mitteleuropa und Sie sich in Ihrem Leben einen großen Teil bei der Arbeit und in Ihrem privaten Umfeld von Freunden und Familie umgeben. Und die Unberechenbarkeit und Unzuverlässigkeit von ADHS-Betroffenen im Stil von "kommste heute nicht kommste morgen", kann hier als zutiefst respektlos und kränkend für Ihr privates und berufliches Umfeld empfunden werden.

Das heißt, der erste Schritt, bevor es darum geht, wie Sie sich eine bessere Selbstorganisation und ein besseres Selbst- und Zeitmanagement aneignen, ist: Machen Sie sich bitte bewusst, dass Unberechenbarkeit und Unzuverlässigkeit bindungsschädigend sind. Es kann die Menschen um Sie herum zutiefst verletzen, abgesehen davon, dass es im Arbeitskontext unprofessionell wirkt (Neuy-Bartmann, 2019).

Also Hand aufs Herz: möchten Sie so wahrgenommen werden oder möchten Sie jemand sein, der beruflich und privat jemand ist, auf den man sich blind verlassen kann? Wann ja: dann los gehts!

1.5.5.2 Proaktiv To-dos priorisieren mit der ABC-To-do-Liste

Auch nicht von ADHS betroffene Menschen fühlen sich häufig wie in einem Hamsterrad aus ununterbrochener Beschäftigung und finden sich dabei oft in einer sie überwältigenden Informationsflut wieder. Und dennoch haben sie häufig den Eindruck, einfach keinen Millimeter voran zu kommen. Die Masse an auf sie einprasselnden Reizen und Aufgaben führt oft dazu, dass sie dann wie gelähmt reagieren und gar nicht mehr klar denken und sinnvolle Entscheidungen für ihre Selbstorganisation treffen.

Dabei geht es jedoch gar nicht darum, immer alle To-dos, die auf uns einprasseln, 100% zu erledigen. Sondern es ist vielmehr wichtig, uns nur für die für uns ganz persönlich richtigen und wichtigen Dinge zu entscheiden, und diese umzusetzen und so unsere Bedürfnisse zu nähren und unsere Energie hoch zu halten. Ein reines Zeitmanagement genügt daher dazu nicht, denn ohne diese Herangehensweise laufen wir in unserem alltäglichen Hamsterrad im schlimmsten Fall sonst irgendwann heiß vor lauter Überforderung, immer alle To-dos zu 100 % erledigen zu wollen, und brennen so aus. ADHS-Betroffene erleben dies in ihrem Alltag leider noch einmal sehr viel extremer: Sie sollten Ihre Gedanken daher zunächst einmal sofort, und zwar sofort, aufschreiben, wenn sie wichtig sind und sie nicht vergessen werden wollen.

Wenn Sie das bereits schon verinnerlicht haben in Ihrem Alltag, richtig super. Vergessen Sie ab sofort dann jedoch jetzt bitte, sich die Zettel mit Notizen, die sie sich schreiben, an gefühlt fünfzehn verschiedene Orte in der Wohnung zu kleben oder zu legen. Löschen Sie bitte auch alle To-do-Listen, von denen Sie aktuell wahrscheinlich mehrere irgendwo hängen, liegen oder abgespeichert haben oder schmeißen Sie sie weg (Kogon et al., 2016).

Ich lade Sie hiermit ein, sich und Ihre To-dos ab sofort einfach noch wesentlich priorisierter und effizienter zu organisieren als mit einer Zettel- und Listenwirtschaft und ab jetzt das digitale Notizbuch Microsoft OneNote auf Ihren PC oder Mac und Ihr Mobiltelefon als App herunterzuladen unter https://​www.​onenote.​com (Microsoft Corporation, o. J.a.).

Es gibt auch andere sehr gute digitale Notizbücher, die eine ähnliche Funktion haben wie Microsoft OneNote. Fühlen Sie sich frei, Ihre eigene Wahl zu treffen, mit welchem Sie arbeiten möchten. Ich werde im Folgenden beispielhaft bei Microsoft OneNote bleiben. Installieren Sie dies bitte auch so, dass sich die Geräte automatisch inhaltlich synchronisieren.

Nehmen Sie jetzt bitte zunächst die Installationen vor und nehmen Sie sich bitte dazu in Ruhe Zeit. Ist alles heruntergeladen und funktioniert? Prima. Weiter geht's.

Erstellen Sie sich bitte dort jetzt ein Notizbuch mit einer To-do-Liste, in die Sie alle aktuellen To-dos von Ihren vielen Zetteln und Listen jetzt übernehmen. Letztere schmeißen Sie dann, und auch erst dann, wenn alles übertragen ist, bitte weg. Diese To-do-Liste wird ab sofort Ihre wirklich einzige sein. Tragen Sie hier bitte alles ein, was Sie festhalten möchten, um es nicht zu vergessen. Sie glauben gar nicht, wie viel Zeit Sie sparen werden, wenn Sie nicht immer wieder Ihre verteilten Notizzettel und Listen suchen und verdichten müssen, um überhaupt noch einen Überblick zu haben, was Sie sich denn jetzt ursprünglich wo aufgeschrieben haben. Daher bitte nur noch diese eine Liste, und zwar eine private und eine berufliche getrennt voneinander (Kogon et al., 2016). Wenn Sie beruflich am Computer arbeiten, können Sie dort auch separat Microsoft OneNote auf dem Firmenrechner nutzen und dort ausschließlich Ihre beruflichen To-dos organisieren und privat dann einen privaten Microsoft OneNote-Zugang auf ihren privaten Geräten pflegen. Erledigt? Klasse!

Ihre in OneNote übertragenen To-dos priorisieren Sie gleich zunächst nach dem ABC-Prioritätenprinzip, welches zum einen angelehnt ist an das Eisenhower-Prinzip (BWL-Lexikon.de, o. J.a. a.) und zum anderen an Die 5 Entscheidungen für außergewöhnliche Produktivität®. Letzteres Konzept wurde von FranklinCovey entwickelt, einem der weltweit führenden Beratungs- und Schulungsunternehmen (Kogon et al., 2016). Ein aus meiner Sicht sehr empfehlenswertes Training auch für nicht von ADHS Betroffene, welches Unternehmen ihren Mitarbeitern anbieten können, um gemeinsam als Organisation so eine Sprache zum Thema Zeit- und Selbstmanagement zu sprechen. Dies schafft im Unternehmen eine hervorragende Basis, gemeinsam als Team noch produktiver und effizienter zusammenzuarbeiten. Die wesentlichen Erkenntnisse daraus können Sie nun nachfolgend durch Ihr Selbstcoaching für sich nutzen.

Erstellen Sie sich dazu bitte auf einer Notizseite in OneNote die Überschrift A-Prioritäten, darunter dann B-Prioritäten und darunter C-Prioritäten. Ganz oben darüber erstellen Sie die Kategorie NEU. Ordnen Sie dann bitte all ihre To-dos in die entsprechende Kategorie A,B oder C ein (Ratgeber ADHS, o. J.a. h.) und notieren sich rechts daneben bis wann Sie das To-do erledigt haben müssen, wie lange Sie dafür brauchen, was und wen Sie dazu brauchen, und wann Sie spätestens beginnen müssen, um es rechtzeitig zu beenden. Planen Sie hier bitte auch ganz wichtig Pufferzeit ein für Unvorhergesehenes, das dazwischen kommen könnte. Wenn Sie noch etwas oder jemanden brauchen, notieren Sie sich als weiteres To-do bitte auch, was das ist, wie und wo Sie es bekommen können, und auch hier wie lange Sie dafür brauchen. Nachfolgend werden diese ABC-Prioritäten (ABC-Prios) noch einmal ausführlich erläutert. Danach geht es dann weiter mit Ihrer nächsten Selbstcoaching-Übung 6, dem Sortieren Ihre To-do-Liste nach dem ABC-Prinzip.
  1. A)

    To-dos (wichtig und dringend)

     
Diese To-dos sind zeitkritisch und daher dringend und sie sind zudem auch wichtig, um Ihr entsprechendes Ziel zu erreichen. Daher stellen Sie eine Notwendigkeit dar, und sie müssen schnellstmöglich erledigt werden. Dies können spontane zeitliche Deadlines sein, unvorhergesehene Ereignisse oder Herausforderungen wie zum Beispiel ein Unfall, Arztbesuch, ihr Computer stürzt bei der Arbeit ab, der Kühlschrank ist kaputt oder ihr Auto gibt den Geist auf. Wir erleben uns bei diesen Aufgaben häufig sogar sehr produktiv und voller Energie. Besonders ADHS-Betroffene können dann sehr gut in Flow kommen. Hat man in seinem Leben jedoch dauerhaft zu viele dieser dringenden A-Prios, um die man sich kümmert, so läuft man Gefahr, letztlich auszubrennen. Man ist dann unter körperlichem und psychischem Dauerstress und findet kaum noch Zeit und Kraft, klar zu denken, kreativ zu sein und vorausschauend priorisierend sein Leben mit wirklich wichtigen, jedoch nicht dringenden Prio-B-Aktivitäten selbst zu gestalten. Prio-A-Aktivitäten sollten daher durch ein gutes Selbstmanagement bestmöglich minimiert werden (Kogon et al., 2016).
  1. B)

    To-dos (wichtig und nicht dringend)

     
Diese To-dos sind wichtig, jedoch nicht zeitkritisch, um Ihr entsprechendes Ziel zu erreichen. Daher müssen sie nicht sofort erledigt werden. Da sie nicht dringend sind, dürfen wir uns jedoch immer wieder achtsam und ganz bewusst für unsere wichtigen Prio-B-Aktivitäten entscheiden. Warum sind diese B-Prioritäten so wichtig für Sie? Diese können zum Beispiel proaktives vorausschauendes Arbeiten, die Verwirklichung für Sie relevanter Ziele, kreativ zu denken, zu planen, etwas Neues zu lernen, Prävention, Entspannung, Erneuerung oder das Aufbauen von Beziehungen sein. Diese proaktiven Zeitinvests lohnen sich langfristig sehr für Sie. Denn je mehr Zeit sie frei gewählt mit diesen Prio-B-Aufgaben verbringen, desto mehr minimieren Sie durch ein immer besser werdendes Selbstmanagement die Anzahl der Krisen und Herausforderungen Ihrer dringenden Prio-A-Aktivitäten. Denn dann agieren Sie zunehmend vorausschauend planend, statt sich ständig getrieben zu fühlen. Sie schwimmen dann mit wachsender Selbstsicherheit gut organisiert vor Ihrer To-do-Welle, statt immer bis zum letzten Drücker zu warten, um dann unter massivem zeitlich Stress zu vermeiden, nicht von ihr überrollt zu werden. Dabei unterstützen Sie besonders auch solche Prio-B-Tätigkeiten, die Sie über einen längeren Zeitraum hinweg wiederholend als Serientermin in Ihrer Wochenplanung fixieren können. Zum Beispiel die vorausschauende wöchentliche Planungszeit für Ihre private Planung der Folgewoche und die ihrer Arbeit.

Daraus identifizieren sich dann auch idealerweise weitere sich wiederholende Routinetätigkeiten, die Sie im nächsten Schritt dann sehr gut von Ihrer Prio-A-To-do-Liste streichen können, indem Sie ihnen einen festen Prio-B-Serientermin in Ihrem Kalender geben, um sie so zukünftig besser vorbeugend managen zu können. Investieren Sie daher bitte ab sofort möglichst viel Zeit in produktive vorausschauende Prio-B-Aktivitäten im Rahmen Ihres zukünftigen Selbstmanagements (Kogon et al., 2016).

Ein anschauliches Beispiel dazu ist die jährliche Organisation des Weihnachtsfests. Weihnachten kommt jedes Jahr immer um die gleiche Zeit wieder. Und jedes Jahr sind die meisten Menschen kurz vorher völlig gestresst, denn „Weihnachten kommt ja dann doch irgendwie immer so plötzlich“. Geschenke wollen gekauft werden, es muss eingekauft werden, die Feiertage und gegebenenfalls Familienbesuche wollen geplant werden. Wenn Sie ab jetzt vor der Welle schwimmen möchten, könnten Sie sich zum Beispiel schon im September die erste Erinnerung als jährlichen Serientermin im Kalender einstellen, die auf eine Checkliste in OneNote verlinkt ist mit Geschenken, die sie für all Ihre Lieben noch besorgen möchten. So sammeln Sie rechtzeitig Ideen für Weihnachtsgeschenke und haben zudem noch ausreichend Zeit, diese zu besorgen. Wenn Sie im Oktober und November und zwei Wochen vor Weihnachten dann nochmals einen solchen erinnernden Serientermin einstellen, erhöhen Sie noch mehr die Wahrscheinlichkeit, dass Sie ganz entspannt bis Weihnachten alle Geschenke gekauft haben, und haben so Zeit und Entspannung gewonnen, um sich in den Tagen kurz vor Weihnachten einzig noch um die Ausrichtung und Gestaltung der Feiertage zu kümmern. Dafür könnten Sie sich vier Wochen vor Weihnachten dann auch wieder einen jährlichen Serientermin einstellen. Auf diese Weise managen Sie Ihr Weihnachten mit gezielt geplanten wichtigen Prio-B-To-dos und nicht Ihr Weihnachten Sie mit kurz vor dem Fest unerledigten dringenden Prio-A-To-dos wie Geschenke besorgen. So können Sie am 24.12. idealerweise ganz entspannt zu Hause in die Feiertage gehen, statt völlig gestresst noch die letzten Geschenke besorgen zu müssen.
  1. C)

    To-dos (nicht wichtig und dringend)

     

Diese uns ablenkenden Aktivitäten können unnötige Unterbrechungen sein in Ihrem Alltag, unwichtige E-Mails, Telefonate oder Meetings, Berichte, Statusmeldungen und Verabredungen, die auf uns zunächst dringlich wirken können, es jedoch gar nicht sind. Wer viel Zeit mit diesen Prio-C-Aufgaben verbringt, fühlt sich vielleicht extrem beschäftigt und gestresst, wird auf lange Sicht damit jedoch kein erfülltes Leben führen. Denn auf diese Weise wird nur reagiert, anstelle proaktiv agierend die eigene Kraft und Aufmerksamkeit für bedürfnisorientierte, ganz bewusst gewählte wichtige Prio-B-Aktivitäten zu nutzen, die Sie langfristig nach vorne bringen für ein Mehr an Lebensqualität mit Ihrer ADHS. Prio-C-Aktivitäten sollten Sie daher bitte minimieren in Ihrem Leben, indem Sie sie delegieren oder löschen von Ihrer To-do-Liste (Kogon et al., 2016).

Papierkorb To-dos (nicht wichtig und nicht dringend: ab in den Papierkorb damit)

Zu viel Zeit in den Sozialen Medien zu verbringen, ist eine klassische Papierkorb-Aktivität, genauso wie exzessives übermäßiges Fernsehen, Computerspielen oder surfen im Internet. Auch Tratsch und Klatsch über andere Menschen zählt hier mit rein. Wir verschwenden hier einfach nur unsere Zeit und fühlen uns dadurch irgendwann im schlimmsten Fall lethargisch und ohne Antrieb. Eliminieren Sie daher bitte idealerweise ab sofort sämtliche Papierkorb-Aktivitäten aus Ihrem Leben, um sich vorausschauend auf Ihre strategisch für Sie wichtigen B-Prioritäten in Ihrem Leben zu konzentrieren, die Ihnen mittel- und langfristig mehr Lebensqualität mit Ihrer ADHS schenken (Kogon et al., 2016).

Warum überhaupt die ABC-Prioritätenplanung bei ADHS?

Die Prio-C-To-dos und Papierkorb-To-dos, denen wir gar keine Beachtung schenken sollten bezüglich ihrer Priorität, sind die To-dos die uns ADHSlern so oft ein Bein stellen. Sie haben leider häufig einen enormen Spaß-Faktor. Und eben genau mit diesen Dingen verbringen wir unsere Zeit leider am liebsten.

A- und B-Prios strengen ADHS-Betroffene hingegen oft an, weshalb sie hier zum Aufschieben neigen, außer sie interessieren sich für sie und brennen für sie. Prüfen Sie hier bitte jedes Mal, wenn Sie Ihre To-do-Liste betrachten, ob Sie die Papierkorb-To-dos auch wirklich in den Müll werfen, und ob Sie nicht ihre C-Prioritäten ebenso überwiegend oder komplett streichen können und in den Papierkorb befördern, oder Sie sie zumindest delegieren können (Ratgeber ADHS, o. J.a. h.; Kogon et al., 2016).

Oftmals reicht auch das Pareto-Prinzip, das besagt, dass 20 % Zeiteinsatz reichen, um 80% des Gesamtaufwandes zu erreichen. Die restlichen 20 % bis zum perfekten Ergebnis kosten jedoch mit 80 % des Gesamtaufwandes die meiste Zeit und Arbeit. Da ADHS-Betroffene sehr detailverliebt sein können, führen Sie sich dieses Prinzip bitte immer wieder vor Augen, wenn Sie einmal wieder der Perfektionist in Ihnen antreibt. Denn es müssen nicht immer 100 % sein, um den Ball ins Tor zu schießen (DER PROZESSMANAGER, o. J.a.; Kogon et al., 2016).

Ich mag als Erklärung für die ABC-Prioritätenplanung auch das Beispiel-Video Wichtige Dinge zuerst – Steven R. Covey (Schmidel, 2015). Covey nutzt hier sehr humorvoll einen großen leeren Behälter, der unsere verfügbare Zeit repräsentieren soll. Zudem hat er einige große Steine, die unsere wichtigen und dringenden Aufgaben repräsentieren, also die A-Prioritäten. Etwas kleinere Steine stellen die B-Prioritäten dar, die wirklich wichtig, jedoch nicht dringend sind. Die C-Prioritäten und Papierkorb-To-dos, die weder wichtig noch dringend sind, sind eine Menge kleiner Kiesel. Schüttet man zunächst alle diese kleinen Kiesel in den Behälter, so ist dieser schon stark gefüllt. Die Herausforderung ist nur, dass dann die kleineren und großen Steine leider nicht mehr alle in den Behälter passen, da sich die kleinen Kiesel schon so platzraubend im Behälter verteilen. Die verfügbare Zeit, also der Behälter, reicht dann also um Längen nicht mehr aus für alle noch geplanten A- und B-Aufgaben. Im Zweifel hat man also so seine Woche nur mit kleinen Kieseln, also unwichtigen C-Aufgaben und Mülleimer-To-dos verdaddelt und ist keinen Schritt weiter in Richtung der A- und B-Aufgaben und Ziele gekommen. Kommt Ihnen das bekannt vor? Keine Panik, hier kommt die anschauliche Lösung: Leert man den Behälter nochmal aus mit allen Steinen und legt dann zunächst die großen A-Prio-Steine herein, dann die kleineren B-Prio-Steine und schüttet dann ganz zuletzt erst die C-Prio-Kiesel herüber und lässt am besten die Papierkorb-To-dos ganz weg. So passen sich diese jetzt ganz wunderbar alle in den gleichen Behälter zwischen die größeren Steine ein. Denn die kleinen C-Prio-Kiesel sickern zwischen die wichtigen A- und B-Prio-Kieseln hindurch und füllen so den Behälter sehr effizient aus. Würden Sie Ihr Leben auch lieber so gestalten? Dann führen Sie Ihre Zeitplanung ab sofort genau nach diesem Motto aus. So haben Sie Ihre A-Prios auf dem Schirm und minimieren diese, fokussieren sich auf die für Sie so wichtigen B-Prios, und haben sogar noch etwas Zeit für ausgewählte C-Prios, die sie nicht streichen oder delegieren können. Wichtig ist nur: bitte immer erst die großen A-Prio-Steine einplanen und abarbeiten, dann erst die B-Prios und so weiter. Wenn Sie das Video noch nicht kennen- schauen Sie es sich doch jetzt bitte sehr gerne kurz an. Es ist sehr unterhaltsam, inspirierend und empfehlenswert. Den Link finden Sie im Literaturverzeichnis am Ende des Kapitels (Schmidel, 2015).
Übung 6 – Life Hack To-do-Liste in OneNote mit ABC-Prioritäten

Jetzt sortieren Sie bitte ganz in Ruhe all Ihre To-dos in OneNote nach A-, B- und (idealerweise keinen) C-Prios und werfen alle nicht dringenden und nicht wichtigen Aufgaben in den Papierkorb auf nimmer wiedersehen. Fokussieren Sie sich bitte wie beschrieben auf Ihre für Sie wichtigen proaktiven vorausschauenden Prio-B-To-dos. Achten Sie zudem bitte bei den Prio-A-To-dos besonders auf die Routinetätigkeiten, die sich sehr häufig wiederholen und die Sie daher sehr gut von Ihrer Prio-A-To-do-Liste streichen können, indem Sie ihnen einen festen Prio-B-Serientermin in Ihrem Kalender geben. Denken Sie an das Weihnachtsbeispiel. So managen Sie diese vorbeugend besser, statt immer wieder abzuwarten, bis sie plötzlich zeitlich sehr dringend und somit auch wichtig werden und Sie unnötig stressen. Sind Sie fertig mit Ihrer ABC-To-do-Liste? Klasse, dann geht es jetzt weiter damit, wie Sie Ihre To-dos optimal in Ihrem Alltag umsetzen.

1.5.5.3 Wochen- und Jahresplan zur proaktiven Umsetzung der ABC-To-dos

Sie erhalten nachfolgend Impulse für Strategien, wie Sie Ihre ABC-To-do-Liste optimal für sich nutzen können und Ihre To-dos so auch wirklich in Ihrem Alltag umsetzen.

Übung 7 – Life Hack Wochen- und Jahresplan

Planen Sie sich bitte ab sofort Ihre kommende Woche jedes Wochenende zu einem festgelegten Zeitpunkt ungefähr eine halbe Stunde lang strukturiert durch mit all Ihren Terminen und relevanten ABC-To-dos. Planen Sie für jedes To-do feste Zeitslots mit Erinnerungsfunktion in Ihren Kalender im Mobiltelefon ein. Hilfreiche Tipps dazu und zum täglichen ABC-To-do-Check sowie auch zur Jahresplanung werden im Folgenden ausführlich beschrieben.

Planen Sie bitte mit klaren Pausenzeiten zum Abschalten sowie ausreichend Leer- und Pufferzeiten für Unvorhergesehenes oder einfach zum Nichtstun. Vermeiden Sie bitte Zeitdruck und gereizte Stimmung bei wichtigen Terminen. Mit wichtigen Terminen sind nicht nur wichtige Termine mit anderen Menschen gemeint, sondern auch wichtige Termine mit Ihnen selbst. Denn Sie sind der wichtigste Mensch in Ihrem Leben. Setzen Sie sich bitte jede Woche aufs Neue bei Ihrer Planung erst selbst Ihre Sauerstoffmaske auf und unterstützen dann erst die anderen. Seien Sie bei der Planung Ihrer Pufferzeit bitte großzügig, statt sich zu sehr zeitlich eng durchzutakten. Bitte nehmen Sie die Zeit doch einfach mal zwei, die Sie dafür einplanen würden. Minimieren Sie bei Ihrer Wochenplanung bitte auch alles, was Sie vermeiden können, was Sie stressen könnte. Planen Sie vielleicht auch handyfreie und onlinefreie Zeiten ein.

Das Ziel sollte eine für Sie ganz individuell subjektive Wohlfühl-Wochenplanung für mehr Lebensqualität mit Ihrer ADHS sein. Und die schaut für Sie beispielsweise anders aus, wenn Sie alleinerziehend sind, oder wenn Sie Single sind und Ihre Woche neben Ihrer Arbeit frei gestalten können. Wenn Sie dazu in den ersten Wochen Ihres Selbstcoachings die Erfahrung machen, dass Sie mehr Zeit als eine halbe Stunde benötigen für Ihre Wochenplanung, dann planen Sie sich diese Zeit bitte entsprechend ein. Sie werden mit der Zeit hier von ganz allein eine Routine daraus entwickeln und weniger Zeit benötigen (Kogon et al., 2016; Neuy-Bartmann, 2019).

Um einen guten Überblick über Ihre Monats- und Jahresplanung zu haben, nutzen Sie bitte einen Jahresplaner, zum Beispiel in Excel, wie es ihn beispielsweise kostenlos im Internet gibt unter www.​kalenderpedia.​de (Calendarpedia, o. J.a.). Tragen Sie dort bitte ausschließlich die regelmäßigen und bereits festen wichtigen Termine wie Geburtstage, Konzerte, Feiertage, Urlaube ein, um so parallel zu Ihrem Kalender im Mobiltelefon einen guten Überblick aus der Vogelperspektive zu haben über die Monate und das Jahr. Idealerweise speichern Sie sich diesen in einer Cloud, die sich automatisch mit Ihrem Computer und Ihrem Mobiltelefon synchronisiert. Dieser schnelle Überblick mindert die Gefahr, dass Sie sich zu viel vornehmen bei Terminanfragen, vor allem was die Wochenenden angeht. So haben Sie Ihre Jahresplanung immer in Ihrem Mobiltelefon parat.

Für Ihre Wochenplanung jedoch nutzen Sie ab sofort bitte Ihren Kalender im Mobiltelefon und tragen alle Termine dort ausnahmslos ein. Und dies bitte sofort in dem Moment, wenn Sie ihn fest vereinbaren. Sehr wichtig dabei: wenn Sie Termine eintragen, dann stellen Sie bitte für alle Termine einen Timer ein der 15–30 min vorher eine Erinnerung mit Ton auf Ihrem Handy anzeigt, damit Sie den Termin auch wirklich wahrnehmen oder abarbeiten. So erledigen Sie das, was Sie sich vorgenommen haben, gleich und führen es auch wirklich zu Ende. Das reduziert Ihre To-do-Liste ungemein. Stehen Sie ab sofort verbindlich zu Vereinbarungen sich selbst und auch anderen gegenüber.

Planen Sie bitte zunächst auch die oben genannten Termine Ihrer Jahresplanung parallel auch in Ihren Handykalender mit Erinnerung ein. Stellen Sie sich dieses zufriedene Gefühl vor, wenn Sie einfach nie wieder einen wichtigen Geburtstag Ihrer Lieben vergessen. So einfach geht es. Danach planen Sie bitte zuerst einmal regelmäßig wichtige anfallende Prio-B-Routinen und -Termine als Serientermine mit Erinnerung ein, wie zum Beispiel sich privat wiederholende Tätigkeiten und Aufgaben wie die Wohnung putzen, den Wocheneinkauf erledigen, Sport, mit dem Hund raus gehen, Blumen gießen, die Kinder von A nach B bringen, die Wohnung aufräumen oder den Müll rausbringen. Bei der Arbeit können dies auch wiederkehrende Geschäftsreisen sein oder der Schichtdienst bei der Arbeit. Nutzen Sie dazu bitte ab sofort nur noch den Kalender in Ihrem Handy. Einmal als Serientermin eingestellt, verschwinden diese Tätigkeiten so auch schon einmal gleich direkt von Ihrer To-do-Liste. Sie werden automatisch erinnert und haben sich so proaktiv und vorausschauend Zeit eingeplant. Prima. Wenn Sie jetzt Ihren Kalender im Handy betrachten, sollten hier also für das Jahr alle Geburtstage eingetragen sein, die Urlaubsplanung, wichtige einmalige Termine wie Konzerte, oder ähnliches und zudem wöchentlich wichtige Prio-B-Serientermine wie Sport, Achtsamkeitsübungen, Haushaltsaufgaben, Termine der Kinder, und so weiter. Auf diese Weise haben Sie schon einmal dank der Serientermine für die kommenden Wochen eine grobe Wochenstruktur.

Danach planen Sie dann bitte für die kommende Woche Ihre aktuellen ABC-Aufgaben aus Ihrer To-do-Liste in Ihren Kalender ein. Planen Sie bitte zunächst nur Ihre A-Prios ein, die dicksten Steine, die sich nicht als Serientermine einstellen lassen, und dann bitte die B-Prios. Bei Aufgaben oder E-Mails, wo Sie noch auf Rückantwort warten und es Deadlines gibt, legen Sie sich diese bitte für den kommenden Tag oder rechtzeitig vor der finalen Deadline in Ihrem Kalender mit Erinnerungsfunktion auf Wiedervorlage. So behalten Sie weiter alles auf dem Schirm, bis es von Ihnen oder den Personen, die dazu eine Rückinfo geben müssen, erledigt ist. Dann prüfen Sie bitte zum Abschluss Ihrer Wochenplanung noch einmal genau, welche C-Prios Sie wirklich noch einplanen möchten, oder ob diese nicht vielleicht delegiert werden können oder sogar gänzlich von der To-dos Liste in den Papierkorb verschwinden können. Denken Sie bei Ihrer privaten Wochenplanung bitte auch an berufliche Termine, die Einfluss auf Ihre Wochenplanung haben, wie beispielsweise Geschäftsreisen, Weiterbildungen, Schichtdienst, und so weiter. Legen Sie sich ihren beruflichen Kalender (den Sie nach dem gleichen Prinzip pflegen) im Idealfall daneben zum Abgleich, und tragen Sie sich auch in Ihren beruflichen Kalender wichtige private Termine als geblockt ein, wo Sie auf keinen Fall verfügbar sind wie Sport nach der Arbeit, die Kinder aus der Schule abholen, Elternsprechtag, Arzttermine oder Ähnliches. Tragen Sie diese wenn möglich auch als (Serien-)Termine in Ihren beruflichen Kalender ein. Sie können diese auch als „privat“ verschlüsseln, wenn Sie mit einem geteilten Kalender arbeiten, sodass niemand den Inhalt der Termine sieht. Dennoch ist transparent, dass Sie dann nicht verfügbar sind. Halten Sie ab sofort Ihre Planung für Termine und Verabredungen bitte in jedem Falle ein, mit anderen und auch mit der wichtigsten Person in Ihrem Leben: sich selbst. Ist ein Termin zudem mit Anreisezeit verbunden, dann planen Sie bitte gleich mit dem Termin auch die Fahrzeit als separaten Termin direkt vorher im Kalender realistisch ein. Checken Sie dazu vor allem bei Örtlichkeiten, wo Sie noch nie waren, vorher bitte die Verbindung, egal ob zu Fuß, mit dem Rad, öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Auto, zum Beispiel bei Google Maps. Rechnen Sie bitte generell und zu Stoßzeiten wie zum Beispiel im Berufsverkehr noch einmal Pufferzeit zusätzlich ein. Auch hier stellen Sie sich bitte 15–30 min vorher eine Erinnerung im Kalender ein. Beginnen Sie nach den Erinnerungen bis zu dem Termin dann bitte nichts Neues mehr, was sie wieder ablenken könnte (Kogon et al., 2016; Neuy-Bartmann, 2019).

Übung 8 – Life Hack täglicher ABC-To-do-Check
Bitte checken Sie im Rahmen Ihres Selbstcoachings jeden Abend zu einer festgelegten Zeit, die Sie ebenfalls wieder als Serientermin mit Erinnerungsfunktion in Ihrem Kalender im Handy eingetragen haben, ob Sie alle To-dos des Tages wirklich erledigt haben. Wenn nein, dann fragen Sie sich bitte:
  • Was hat Sie davon abgehalten und was können Sie daraus für die weitere Planung der Woche lernen und für sich adaptieren?

  • War Ihre Zeitplanung unrealistisch?

  • Oder haben Sie zwar alles eingehalten, sich jedoch im Nachhinein doch zu viel vorgenommen, da Sie jetzt abends völlig gestresst und erschöpft sind?

Nehmen Sie anhand dessen, was noch nicht so gut funktioniert hat, einfach täglich aufs Neue Anpassungen an der weiteren Planung vor. Sie bekommen so von ganz alleine ein besseres Gespür für die Einschätzung Ihrer Zeit (Kogon et al., 2016).

Kommen unter der Woche tagsüber neue To-dos, Terminanfragen oder auch kreative Einfälle hinzu, notieren Sie sich diese bitte zunächst in Ihrer ABC-To-do-Liste ganz oben unter NEU. Dann haben Sie sie erst einmal aus dem Kopf. Sie teilen diese dann ganz bewusst im Rahmen Ihrer oben beschriebenen täglichen ABC-To-do-Priorisierung den A-, B- oder C-Prios zu. Sollte im Verlauf der Woche absehbar sein, dass Sie die sich vorgenommenen To-dos diese Woche einfach nicht schaffen, dann wandern diese einfach wieder aus Ihrem Kalender in die OneNote-To-do-Liste und Sie verplanen sie in der Folgewoche im Rahmen Ihrer Wochenplanung neu. Bitte sagen Sie zudem idealerweise nie spontan eine Aufgabe oder einen Termin zu, bevor Sie nicht auch in Ihrem Kalender und anhand Ihrer To-do-Liste geprüft haben, ob Sie wirklich Kapazitäten dazu haben. Hier kann es, wenn möglich, auch hilfreich sein, erst am kommenden Tag eine Zu- oder Absage zu versprechen und einmal darüber zu schlafen. Und auch in einem solchen Fall tragen Sie dann bitte für Ihre Verbindlichkeit einen Termin mit Erinnerung in Ihren Kalender ein (Kogon et al., 2016; Neuy-Bartmann, 2019).

Diese neue Art Ihrer Selbstorganisation mit ABC-Prioritäten wird ein Lernprozess über mehrere Wochen und Monate sein, bis Sie diese Art und Weise der Strukturierung Ihrer To-dos und Ihrer Zeit verinnerlicht haben. Die genannten Schritte dürfen Sie dann auch nicht mehr so päpstlich verfolgen, wenn Sie schon zu einer verinnerlichten Routine für Sie geworden sind. Vielleicht werden Sie sie auch etwas für sich abwandeln, damit Ihre Selbstorganisation und Ihr Zeitmanagement sich für Sie individuell stimmiger anfühlt als oben beschrieben.

Sehr wichtig ist bei jeder Planung der Folgewoche am Wochenende auch nochmals die Rückschau auf die vergangene Woche. Denn natürlich kann es sein, dass Sie sich mit den geplanten Zeiten für Ihre To-dos im Kalender auch einmal verschätzen oder unvorhergesehene A-Prios hinzukommen, die Sie Zeit kosten, und Sie einmal nicht wie geplant Ihre Tages- und Wochenplanung schaffen. Oder Sie haben es nicht jeden Abend geschafft, den Tag zu reflektieren und den Folgetag so entsprechend neu zu planen. Am Anfang werden Sie sich vielleicht auch noch zu wenig Zeit und zu viele Aufgaben in Ihre Woche einplanen, vor allem wenn Sie sehr impulsiv und hyperaktiv sind. Sie werden dies schnell an Ihrem Stresslevel merken, ob dem so ist. Kalkulieren Sie das die ersten Wochen beim Wochenrückblick bitte ein und seien Sie hier bitte milde und wertschätzend mit sich. Sie haben ADHS und da ist man nun mal eben mit der Einschätzung von Zeiten für Aktivitäten manchmal eher elastisch unterwegs, wenn man dafür im Verlauf seines bisherigen Lebens noch keine geeigneten Strategien lernen und verinnerlichen konnte. Und das Gespür für eine gute Einschätzung Ihrer Zeit trainieren Sie sich ja jetzt hiermit an. Wenn Sie sich rückblickend also sehr verschätzt haben in Ihrer Wochenplanung, adaptieren Sie dies einfach entsprechend in Ihren (Serien-)Terminen für Ihre zukünftigen Wochenplanungen. Seien Sie am Ende des Tages jedoch bitte nicht zu sehr detailverliebt oder perfektionistisch bei Ihrer Wochen- und Jahresplanung. Denn wenn Sie diese neue Art der Selbstorganisation zu verbissen und mit zu viel Zeitaufwand angehen, kompensieren Sie im Zweifel Ihre Symptomatik über in Richtung einer Zwanghaftigkeit. Und das wäre auch nicht förderlich. Denn das kostet Sie dann viel zu viel Zeit und Energie, die Sie für Dinge benötigen, die Sie nähren und Ihnen Energie schenken. Das ganze System soll Ihnen als verinnerlichte Routine mittelfristig Zeit einsparen und Effizienz bringen in Ihrer Selbstorganisation und Ihrem Zeitmanagement. Sie sollen deswegen nicht mehr damit beschäftigt sein, sich selbst zu organisieren, anstatt Ihr Leben zu genießen. Sie werden im Laufe der Zeit dazu sicherlich achtsam das stimmige Maß für sich finden (Kogon et al., 2016; Neuy-Bartmann, 2019).

Übung 9 – Life Hack Wochenrückblick
Fragen Sie sich dazu bitte jedes Mal zu Beginn der wöchentlichen Planung Ihrer Folgewoche auf einer Skala von 1–10 und 10 bedeutet die Woche war von Ihnen klasse und effizient organisiert (INeKO Institut, 2020a):
  • Wo stehen Sie auf der Skala?

  • Was hat gut funktioniert, was möchten Sie beibehalten?

  • Was hat nicht funktioniert und möchten Sie ändern?

  • Was hätten Sie noch unternehmen können, um sich hier eine volle 10 von 10 Punkten zu geben?

  • Welche Erkenntnisse können Sie davon für Ihre kommende Wochenplanung nutzen?

Schätzen Sie sich hier bitte selbst wert. Loben Sie sich und belohnen Sie sich auch einmal mit etwas Schönem, dass Sie so konsequent dran bleiben! Und denken Sie daran: Neue Gewohnheiten und Strukturen sind ebenfalls ein Salatbeet das gehegt und gepflegt werden möchte. Diese müssen sich erst ins Gehirn einprägen, und zwar im Durchschnitt ungefähr 66 Tage, also ungefähr 2 Monate (Schimmig, o. J.a.). Also bleiben Sie diszipliniert dran, und aktivieren Sie Ihren inneren Coach jeden Tag neu. Schauen Sie dazu gerne täglich auf Ihr Bild mit dem Haltungsziel aus der ZRM-Übung 3 (Zürcher Ressourcen Modell ZRM®, o. J.a.) und bleiben Sie am Ball! So schieben Sie Ihre ADHS-Superpower-Rakete noch stabiler in die Abschussrampe, um Ihre PS so nachhaltig auf die Straße zu bringen.

Bei der Arbeit können Sie exakt das gleiche System für Ihre Wochenplanung nutzen. Allerdings empfehle ich Ihnen hier diese bereits am Freitagnachmittag vorzunehmen für die komplette Folgewoche. Wir kommen später noch darauf zurück.

Fällt es Ihnen selbst schwer, für sich diese neue Art von Selbstorganisation zu etablieren, wäre es möglich, dass Ihnen hier Ihr Partner oder ein guter Freund hilft, bis Sie nach ein paar Monaten eine gefestigte Routine für sich entwickelt haben. Bei der Arbeit kann dies auch ein Kollege, Mitarbeiter oder Vorgesetzter sein, mit dem Sie offen über Ihre ADHS reden können, zu dem Sie Vertrauen haben und der Sie unterstützen möchte. Sind Sie selbst Vorgesetzter, kann hier eine sehr gut organisierte Assistenz helfen, die Sie unterstützt. Doch sehen Sie dies wirklich nur als Unterstützung, denn sonst würden Sie Ihre Verantwortung für das Erlernen einer effizienten Selbstorganisation zum Teil nur auslagern. Sie wollen es jedoch selbst verinnerlichen (Neuy-Bartmann, 2019). Gerne können Sie natürlich auch ergänzende Coachings dazu bei mir buchen unter www.​tapetenwechsel.​me.

1.5.5.4 Checklisten effizient nutzen

Ich lade Sie ein, Ihre Liebe zu Checklisten ab heute zu entdecken für Ereignisse und Themen, die immer in gleicher oder ähnlicher Form wiederkehren wie Einkaufslisten, Packlisten für den Urlaub oder den Wochenendausflug (Schindler, o. J.a.), die Reiseapotheke, eine Checkliste für Putz- und Aufräumarbeiten, Familienfeiern, Kindergeburtstage und so weiter. Es gibt dazu viele Vorlagen im Internet. Ich empfehle Ihnen jedoch, sich in OneNote ein separates Notizbuch mit Ihren Checklisten zu erstellen und hier je Notizseite jeweils eine Liste anzulegen mit Checkboxen. So haben Sie beispielsweise für Spontaneinkäufe Ihre Einkaufsliste immer im Handy dabei (Neuy-Bartmann, 2019). Oder wenn Sie wissen, Sie haben beispielsweise einen Wochenendtrip vor oder eine Geschäftsreise, dann verlinken Sie die entsprechende Checkliste einfach in die Erinnerung Vorbereitung Reise xy, die Sie sich dafür in Ihrem Kalender zuvor als Zeitslot einplanen. So werden Sie in jedem Falle auch an die Vorbereitung und das rechtzeitige Packen erinnert.

Übung 10 – Life Hack Checklisten

Welche Checklisten würden Ihnen Ihr Leben erleichtern? Reflektieren Sie dies doch jetzt einmal bitte gerne in Ruhe für sich und notieren Sie sich Ihre Ideen in Ihrer To-do-Liste. Auch im Rahmen Ihrer Wochenreflexion kann es Sinn machen, sich regelmäßig zu fragen, welche wiederkehrenden Prio-A- und Prio-B-Aufgaben Sie sich mit einer dafür eigens erstellten Checkliste in OneNote vereinfachen können.

1.5.5.5 Zwischenziele für Projekte und komplexere Aufgaben

Bei neuen Projekten oder einer neuen komplexeren Aufgabe ist es empfehlenswert, zunächst Ihr Ziel schriftlich festzulegen. Dann reflektieren Sie, welche Zwischenschritte nötig und realistisch sind, um das Ziel zu erreichen. Diese Zwischenziele schreiben Sie sich in OneNote in der richtigen Reihenfolge als eine Art Checkliste in Ihre To-do-Liste. Danach bewerten Sie, wie viel Zeit Sie für jedes Zwischenziel benötigen und wie viel Sie an einem Tag oder bei größeren Projekten in einer Woche bearbeiten können und wollen. So nähern Sie sich Schritt für Schritt Ihrem Ziel und werden auch jeden Abend beim Check Ihrer ABC-To-do-Liste an das Dranbleiben erinnert. Planen Sie sich für jedes Zwischenziel konsequente realistische Zeitslots in Ihre Wochenplanung ein, an die Sie sich auch halten. Sonst laufen Sie Gefahr, sich Ihre restliche Wochenplanung vor lauter Begeisterung für Ihr Projekt zeitlich zu torpedieren. Sie können sich zum Beispiel eine Erinnerung im Handy einspeichern, wenn die Zeit für einen vorgesehenen Zeitslot abgelaufen ist. So verwenden Sie beispielsweise wirklich nur die eine geplante Stunde für die Recherche für den nächsten Urlaub. Und Sie finden sich nicht nach fünf Stunden dabei wieder, dass Sie vielleicht so viel geschafft haben wie in einer, dafür jedoch keine Zeit mehr bleibt für die anderen wichtigen A- und B-Prios, die Sie diese Woche erledigen wollten (Kogon et al., 2016; Ratgeber ADHS, o. J.a. b).

1.5.5.6 Aufmerksamkeit bewusst fokussieren

Wie wertvoll eine ruhige Umgebung generell und bei der Arbeit sein kann, wurde schon erläutert. Vor allem ein Noise-Cancelling-Kopfhörer oder -Ohrstöpsel können hier Gold wert sein, um sich besser konzentrieren zu können (Neuy-Bartmann, 2019; Johannsen, 2023). Wenn Sie wissen, dass Sie für eine Aufgabe längere Zeit konzentriert an etwas arbeiten müssen, dann schaffen Sie sich dazu bitte Ruhe und blocken sich am besten Zeitslots mit stiller Arbeitszeit. Planen Sie diese idealerweise dann, wenn Sie erfahrungsgemäß ohnehin am wenigsten Störungen erwarten. Wenn Ihre Noise-Cancelling-Kopfhörer hier nicht ausreichen, bietet sich vielleicht ein separater Raum an, wo Sie noch mehr Ruhe haben. Wenn das nicht möglich ist, hängen Sie sich ein Nicht-stören-Schild vor die Tür oder stellen es auf den Schreibtisch und stellen Skype oder Teams und Ihr Mobiltelefon oder Tablet in jedem Falle auf nicht stören, damit Ihre Kollegen wissen, dass Sie konzentriert und abgetunnelt arbeiten möchten (Ratgeber ADHS, o. J.a. h.).

In Kombination zu dieser ruhigen Umgebung und Tunnelphasen stiller Arbeitszeit kann es Ihre Symptomatik zudem lindern, sich einen ADHS-optimierten Arbeitsstil anzutrainieren. Ihre To-do-Liste mit ABC-Prios und Ihre Wochenplanung für eine effiziente Selbstorganisation haben Sie bereits kennengelernt (Kogon et al., 2016; Ratgeber ADHS, o. J.a. h.). Bezüglich Ihrer Arbeit können Sie dieses System genauso einsetzen. Damit behalten Sie für sich einen guten Überblick über ihre To-dos. Gehen Sie diese dann auch zum Wochenstart direkt an und bringen Sie sie auch in der geplanten Zeit zu Ende. Vor allem wenn Sie hypoaktiv sind, motivieren Sie sich hier gleich montags loszulegen und dran zu bleiben bis die Aufgabe erledigt ist. Gerade wenn Betroffene ein Thema nicht interessiert, kann sich die Aufgabe zäh wie Kaugummi anfühlen. Erledigen Sie sie trotzdem. Gerne werden gerade dann aus Interessenlosigkeit auch schon einmal durch mangelnde Aufmerksamkeit Flüchtigkeitsfehler gemacht, wenn man ADHS hat. Sehen Sie diese als Warnzeichen, immer professionell, sorgfältig und fehlerfrei zu arbeiten. Ihre Arbeit ist kein Ponyhof, und selbst da müssten Sie zwischendurch auch mal den Stall ausmisten, auch wenn Sie keine Lust dazu hätten.

Schweifen Sie trotz Disziplin mit Ihrer Aufmerksamkeit dennoch weiterhin häufig ab, kann es empfehlenswert sein, sich alle 15 min oder in längeren Abständen (je nach Konzentrationslevel) Erinnerungen in den Kalender zu setzen und sich zu fragen, ob man noch fokussiert bei der Sache ist. Wenn nein, dann legen Sie eine kurze Pause mit einer Achtsamkeitsübung am Schreibtisch ein, um dann wieder frisch und konzentriert weiterzumachen. Auch ein schönes Urlaubsbild in Ihrer Arbeitsumgebung oder als Bildschirmschoner kann Sie einmal bewusst ablenken und durchatmen lassen, wenn Sie sich gedanklich an diesen Ort begeben und in sich hineinspüren, wie sich der Moment damals angefühlt hat. Minimieren Sie zudem in solchen Phasen alles, was Sie ablenken könnte wie ständige E-Mail- oder Teams-/Skype-Benachrichtigungen. Planen Sie sich alternativ Zeitfenster ein, in denen Sie diese Nachrichten dann fokussiert bearbeiten (Ratgeber ADHS, o. J.a. h.; Neuy-Bartmann, 2019).

Übung 11 – Life Hack Vier-Felder-Strategie

Eine Übung, die Ihnen ebenfalls helfen kann, wenn Sie einfach so gar nicht aus dem Quark kommen, ist die Vier-Felder-Strategie, um konkrete Aufgaben nicht weiter aufzuschieben – als Beispiel hier die Steuererklärung. Sie kann alternativ auch angewendet werden, wenn man sich zwischen gleichwertigen Alternativen nicht entscheiden kann. Stellen Sie sich hier bitte folgende Fragen:

Was sind die langfristigen Vorteile?
  • Man hat es vom Tisch.

  • Erleichterung, dass das Thema erledigt ist.

  • Bestätigung, dass man seine To-dos tatsächlich auch erledigt bekommt.

  • Man kann jetzt Dinge tun ohne schlechtes Gewissen, weil es erledigt ist.

  • Die Steuerrückzahlung vom Finanzamt.

Was sind die langfristigen Nachteile?
  • Keine, da man eine Nachzahlung erwartet.

Was sind die kurzfristigen Vorteile?
  • Keine.

Was sind die kurzfristigen Nachteile?
  • Zeit, die mir für spannendere Sachen fehlt, die dann warten müssen.

  • Eindenken in die Abläufe der Steuererklärung und das Programm.

Entscheiden Sie nach dieser Auflistung dann, ob Sie kurzfristig das Negative in Kauf nehmen, um langfristig das positive Ergebnis zu erhalten. Oder aber Sie entscheiden sich ganz bewusst für die kurzfristig positive Alternative und akzeptieren dann jedoch auch die langfristig negativen Folgen, wenn Sie sich dagegen entscheiden (Ratgeber ADHS, o. J.a. h.).

Wenn Sie sich entschieden haben, Ihr Thema nicht weiter aufzuschieben, und dennoch spüren, dass Sie dazu tendieren, es doch zu tun, fragen Sie sich bitte (INeKO Institut, 2020a):
  • Was benötigen Sie jetzt konkret, damit Sie die Aufgabe vollständig erledigen?

  • Wie haben Sie es in der Vergangenheit schon einmal geschafft?

  • Wovon war da mehr da, was Sie aktuell nicht haben?

  • Was passiert im schlimmsten Fall, wenn Sie es nicht erledigen?

  • Was gewinnen Sie, wenn Sie es jetzt erledigen?

  • Wovon ist dann mehr da?

  • Was kann heute eine motivierende Belohnung für Sie sein, wenn Sie es geschafft haben?

Sollten Sie wiederkehrend trotz einer gut verinnerlichten Selbstorganisation extrem starke Konzentrationsprobleme haben und noch keine medikamentöse Behandlung Ihrer ADHS in Erwägung gezogen haben, wäre es zudem einen Versuch wert, dies abklären zu lassen, wenn Sie dafür offen sind.

1.5.5.7 Das 80/20-Pareto-Prinzip statt Überkompensation

Es gibt jedoch auch ADHS-Betroffene, die Aufschieben und Flüchtigkeitsfehler einfach gar nicht kennen, weil Sie genau dieses sorgfältige Arbeiten im Laufe ihres Lebens (über-)perfektioniert haben. Sie haben ihre Symptomatik damit im ungünstigsten Falle überkompensiert in ein gegenteiliges Extrem. Sie neigen dann dazu, sich im Detail zu verlieren, was oftmals unnötig Zeit und Energie kostet und für das Ergebnis häufig kaum einen Unterschied bringt. Sie wollen dann jedes Detail ganz akribisch verstehen und erledigen und auf keinen Fall Fehler machen und auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Sie micromanagen sich auf diese Weise selbst und im schlimmsten Fall ihr Umfeld auch. Damit können sie Kollegen und als Vorgesetzter auch ihre Mitarbeiter ganz schön auf die Palme bringen. Vor allem, wenn sie diese ineffiziente zwanghafte Perfektion auch von ihrem Umfeld erwarten (Neuy-Lobkowicz, o. J.A.). Denn diese ist im Arbeitsleben angesichts der Fülle der Aufgaben und des Termindrucks einfach oft nicht lieferbar. Auf Grund zeitlicher Restriktionen und Deadlines sind hier oftmals maximal nur 80 % statt 100 % Perfektion möglich und häufig auch ausreichend. – Denken Sie an das Pareto-Prinzip mit der 80:20-Regel. Wobei 80 % Zielerreichung hier natürlich bedeutet, dass dennoch sorgfältig und fehlerfrei gearbeitet werden sollte. Verzichten Sie jedoch wenn möglich auf die 20 % zum perfekten Ergebnis, die Sie Unmengen von Zeit kosten würden. Der Inhalt einer Powerpoint-Präsentation beispielsweise wird sich nicht verändern, nur wenn Sie nochmal die gleiche Anzahl an Stunden damit zubringen, sie optisch intergalaktisch zu animieren. Sich von Ihrem überkompensierten Perfektionszwang frei zu machen, schont die Nerven Ihres Umfeldes und nährt Ihre Work-Life-Balance. Fragen Sie sich vielleicht, wenn Sie wieder so eine Tendenz in sich spüren, was Sie wirklich noch brauchen, damit die Aufgabe erledigt ist. Und zwar erledigt aus den objektiven Augen Ihres Umfeldes, nicht mit Ihrer Perfektions-Brille. Denn vielleicht ist Ihr Umfeld schon längst zufrieden mit dem Ergebnis und erwartet überhaupt nicht noch eine rosa blinkende Schleife darum, die nochmals genauso viel Zeit kostet (DER PROZESSMANAGER, o. J.a.). Außer Sie haben eine Firmenkultur oder einen Vorgesetzten mit einem perfektionistischen Micromanagement-Führungsstil, der nicht gut Verantwortung delegieren kann. Oder der sogar eine ADHS-Symptomatik zeigt, die sein Umfeld stresst, die er für sich vielleicht jedoch noch gar nicht wahrgenommen und reflektiert hat. Dann haben Sie eventuell ein explosives Stress-Problem mit der Person und sollten sich vielleicht die Love-it-change-it-or-leave-it-Optionen einmal näher beleuchten für Ihre eigene weitere berufliche Lebensqualität. Denn ähnlich wie in Familien können zwei ADHS-Betroffene gemeinsam im gleichen Arbeitsumfeld für viel Zündstoff sorgen und für sich blinde Flecke beim Gegenüber förmlich bekämpfen, was eine toxische Stimmung kreieren kann (Hinkelmann, 2016b).

1.5.5.8 Achtsames Multitasking trainieren

Weiter geht es mit der Einteilung Ihrer Zeit. Sie werden, wie bereits für den privaten Bereich erwähnt, nach und nach ein Gespür dafür bekommen, wie viel Zeit Sie für etwas benötigen und auch von selbst effizienter werden in Ihrer Zeitplanung. Wenn Sie sich dennoch einmal zeitlich verplant haben oder einen Fehler bei der Arbeit gemacht haben, weil Sie unaufmerksam waren, dann seien Sie bitte milde mit sich. Denn wenn Sie ein wertschätzendes, Ihre ADHS-Stärken förderndes Arbeitsumfeld haben, dann sollte eine gesunde Fehlerkultur auf Ihrem Weg zu einem besseren Selbst- und Zeitmanangement für Ihr Umfeld selbstverständlich sein.

Sollten Sie gleichzeitig an mehreren Sachen arbeiten, dann notieren Sie sich in Ihrer Kalender-Erinnerung für das nächste Zeitfenster für die Aufgabe, die sie zwischendurch zugunsten der anderen unterbrechen, wo Sie genau aufgehört haben, was schon erledigt ist und was noch zu tun ist. So behalten Sie transparent den Überblick und wissen konkret, wo Sie wieder anknüpfen müssen (Kogon et al., 2016).

Verfallen Sie häufig in (innere) Hyperaktivität und wissen dann einmal wieder nicht wo oben und unten ist vor lauter Gedanken, die wie Flugzeuge um Ihren Kopf sausen, machen Sie sich bitte bewusst, dass in der Ruhe die Kraft liegt und machen bitte ganz bewusst eine kurze Pause. Sammeln Sie sich dann idealerweise durch eine kurze Achtsamkeitsübung, beispielsweise eine kurze Atemmediation, bis Sie sich wieder zentriert fühlen, und arbeiten dann erst weiter (Ratgeber ADHS, o. J.a. f.). Sind Sie danach immer noch sehr angespannt, kann es zudem helfen, erst einmal stupidere monotone To-dos zu erledigen. Das kann helfen, die innere Anspannung aufzulösen. Und egal ob hyper- oder hypoaktiv, achten Sie generell bei Ihrer Wochenplanung bitte auf einen guten Mix aus für Sie abwechslungsreichen Tätigkeiten und eher monotonen Aufgaben, um sich motiviert zu halten (Neuy-Bartmann, 2019).

1.5.5.9 Bewusst geplante Pausen zur Regeneration

Für ADHS-Betroffene ist generell das Thema geplante Pausen sehr wichtig, um konzentriert und zentriert zu bleiben. Genauso wie Sportler Trainingspausen einplanen bis zum nächsten Trainingsreiz benötigt auch Ihr Gehirn über den Tag hinweg Zeit und Ruhe, um sich zwischendurch zu regenerieren. Dies geschieht zwar zum einen durch einen gesunden ausreichenden Schlaf, jedoch braucht unser Gehirn dies auch immer wieder regelmäßig tagsüber im aktiven Zustand.

Genauso wie ein Auto immer wieder Sprit oder Strom braucht, braucht unser Gehirn zwischendurch auch Pausen zum Auftanken. Je ausgeglichener die Phasen von Beanspruchung und Entspannung täglich eingeplant werden, desto leistungsfähiger ist unser Gehirn. Driften wir jedoch zu sehr auf die Belastungsseite, passiert leider das Gegenteil. Wir werden dann deutlich unproduktiver und ineffizienter und bewegen uns so in die Erschöpfung (Ratgeber ADHS, o. J.a. h.). Und auch wenn Sie jemand sind, der bisher jeden Tag vom Arbeitsstil intuitiv am liebsten in langen hyperfokussierten abgetunnelten Phasen gearbeitet hat, planen Sie sich bitte ab jetzt feste Pausen ein, und notieren Sie sich dann, wo Sie gestoppt haben und machen dann dort nach der Pause weiter.

Idealerweise planen Sie sich neben einer festen Mittagspause jede Stunde fünf Minuten ein, für einen Tee, Kaffee oder Schnack mit den Kollegen. Tragen Sie sich dies als Erinnerung in Ihrem Handy ein oder in Ihrem Kalender als Serientermin. Wenn Sie die Möglichkeit dazu haben, pausieren Sie auch gern aktiv an der frischen Luft mit einem kurzen Spaziergang oder in Bewegung. Für ADHS-Betroffene kann Bewegung in der Pause sehr hilfreich sein, um die Symptomatik zu lindern (Neuy-Bartmann, 2019; Ratgeber ADHS, o. J.a. h.). Denn es ist ein Trugschluss zu glauben, man powert einfach acht Stunden oder länger hyperfokussiert non-stop durch, am besten ohne Mittagspause oder mit einem schnell verdrückten Brötchen am Arbeitsplatz, am besten noch in einem Meeting, und startet dann abends frisch in den Feierabend. Sie fahren sich damit auf der Arbeit den Tank Ihres Autos schon vor lauter Volldampf so leer, dass Sie nach Feierband leider keinen Sprit mehr haben, noch dem nachzugehen, was Ihnen Freude macht und Energie schenkt.

Eine Zeit lang mag das durchaus funktionieren. Machen Sie das jedoch auf Dauer, kann eine Abwärtsspirale an Stress und Erschöpfung beginnen, die Sie krank machen kann. Nicht umsonst findet man unter vielen Burnout-Patienten ADHS-Betroffene. Wichtig ist es daher, dass Sie Ihr Arbeitsumfeld in den Pausen physisch verlassen, also wirklich kurz von Ihrem Schreibtisch aufstehen oder den Raum wechseln. Wenn Sie so konsequent Pausen in Ihren Arbeitsalltag einbauen, werden Sie auch Ihre Effizienz bei der Arbeit steigern können.

Wenn Sie im Home Office arbeiten und zudem ein Umfeld haben, in dem Sie Ruhe dazu finden, könnten Sie auch morgens und nachmittags jeweils eine kurze Achtsamkeitsübung wie zum Beispiel eine Atemmediation oder geführte Meditation einlegen, um Ihren Geist und Ihr Gehirn zu entspannen. Hilfreich ist es auch hier, sich kurz vor der Pause eine Notiz zu schreiben, wo Sie aufgehört haben und woran Sie als nächstes weiterarbeiten möchten (Neuy-Bartmann, 2019; Ratgeber ADHS, o. J.a. h.).

1.5.5.10 Eine vertrauensvolle Feedback-Kultur etablieren

Denken Sie bitte bei äußerlich wahrnehmbarer Hyperaktivität daran, dass dies Ihr Arbeitsumfeld sehr stressen kann, wenn Sie eng zusammenarbeiten oder nah bei einander sitzen. Ihr Umfeld reagiert im Zweifel selbst irgendwann hektisch oder wendet sich gestresst ab (Neuy-Bartmann, 2019). Sind Sie zudem auch noch Vorgesetzter, kann Ihre Hyperaktivität Ihre Mitarbeiter verunsichern. Gleiches gilt, wenn man seine Impulsivität nicht kontrolliert und für sein Umfeld emotional und vom Verhalten her immer wieder unberechenbar erscheint. Dies löst bei den Menschen, die Sie umgeben, starken Stress aus (Spitzer, 2018). Vertrauen stellt das Fundament für die gemeinsame Zusammenarbeit in einem Team dar.

Man sollte auf der Sachebene darauf vertrauen können, dass Zusagen eingehalten werden. Auch auf der zwischenmenschlichen Beziehungsebene sollte sich jedes Teammitglied sicher und wertgeschätzt fühlen (Intelligent Change Solutions, o. J.a.). Es kann für ein gutes Teamklima daher generell hilfreich sein, auch wenn man nicht betroffen von ADHS ist, sich untereinander regelmäßig ein wertschätzendes Feedback einzuholen von Kollegen und Vorgesetzten, mit denen Sie zusammenarbeiten.

So können Sie Ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung abgleichen und gegebenenfalls Ihr Verhalten am Arbeitsplatz professionell und teamorientiert anpassen, ohne dass Sie sich gänzlich verstellen. Denn nur, weil man ADHS hat, ist das nicht für jedes hyperaktive, impulsive oder unkonzentrierte Verhalten eine Entschuldigung, sondern sollte vielmehr dazu einladen, durch das Feedback Ihrer Kollegen gemeinsam zu wachsen. Dies gilt auch, wenn man der Vorgesetzte eines Teams ist und betroffen ist von ADHS. Eine vertrauensvolle gesunde Feedback-Kultur kann hier Gold wert sein (Jechorek, 2023). Wichtig ist daran anschließend, dass die Veränderungen, die sich stimmig anfühlen, wirklich in die Tat umgesetzt werden. So können mit der Unterstützung oder mit Erinnerungen von Vorgesetzten, Kollegen oder Mitarbeitern neue Gewohnheiten verinnerlicht werden.

1.5.5.11 Einarbeitung in einen neuen Job oder Aufgabenbereich

Wenn Sie einen neuen Job anfangen oder Sie einen neuen Aufgabenbereich übernehmen, gilt in der Einarbeitung mit Vorgesetzten und Kollegen: Machen Sie sich bitte zu allen Themen Notizen in OneNote (Gelowicz, 2022). Diese können Sie später in separaten, dafür eingeplanten Zeitslots in Ruhe nach Themengebieten in Ihre Notizbücher und Unterabschnitte in OneNote einsortieren. So haben Sie diese in OneNote immer wieder schnell abrufbereit zum Nachschlagen. Lagern Sie hier wieder Ihr Arbeits- und Kurzzeitgedächtnis energiesparend aus. Sie schonen so auch die Nerven Ihres Umfeldes, indem Sie nicht immer wieder die gleichen Dinge fragen und gegebenenfalls Termine und Prozesse gleich nach Stellenantritt und schlimmstenfalls noch ein Jahr danach wieder vergessen und immer wieder danach fragen müssen. Dies könnte die Beziehungsebenen im Team und in ihrem Umfeld negativ beeinflussen (Intelligent Change Solutions, o. J.a.).

Schaffen Sie sich daher mittel und langfristig möglichst viele Routinen und Abläufe, auf die Sie immer wieder zurückgreifen können. Denken Sie an das Thema Checklisten in OneNote. Diese können Sie sich auch für wiederkehrende berufliche Themen erstellen und immer wieder nutzen oder adaptieren. Für regelmäßig genutzte, wichtige Dateien, auf die Sie immer wieder zugreifen, können Sie sich eine Liste mit Quick-Links in OneNote erstellen, um nicht immer wieder langwierig auf dem Laufwerk suchen zu müssen.

Sie müssen so nicht immer alles im Kopf haben. Im Gegenteil, denn Sie wissen, für ADHS-Betroffene gilt: zu viel Wissen im Kurz- und Arbeitsgedächtnis kann belasten. Sie müssen nur wissen, und ein gutes System haben, wo Sie es schnell finden können. Wenn Sie zu Beginn in einem neuen Unternehmen oder in einer neuen Abteilung noch überfordert sein sollten, welcher Kollege wo sitzt und wie heißt, lassen Sie sich doch einfach einen Büroplan geben und tragen Sie sich dort die Namen entsprechend ein und ergänzen idealerweise deren Fotos wenn möglich (Gelowicz, 2022). Bauen Sie sich so hilfreiche Brücken, die Ihnen das Leben so einfach wie möglich machen.

Fragen Sie sich bitte auch immer wieder in Ihrem Wochenrückblick, wie Sie in Ihrem Leben und Ihrem Beruf durch Vereinfachung und Effizienz noch mehr Lebensqualität für sich schaffen können, indem Sie Prio-A-Aktivitäten durch gezielte Prio-B-Aktivitäten minimieren (Kogon et al., 2016).

Sicher gibt es auch immer einmal Phasen, in denen so viel an Arbeit auf Sie einprasselt, dass Sie am Ende des Tages völlig frustriert vor einem Haufen neuer ungeordneter Aufgaben stehen, die entweder in Ihrem E-Mail- Postfach schlummern oder aber auf Ihrem Schreibtisch liegen.

Wenn Sie in einem solchen stressigen Arbeitsumfeld mit wiederkehrenden Hochphasen an Arbeitsbelastung arbeiten, dann macht es besonders Sinn, sich immer kurz vor Feierabend als Prio-B-Aktivität etwas länger Zeit im Kalender zu blocken.

Sie können dann diese neuen Aufgaben und Mails alle kurz durchsehen, unwichtige Papierkorb-To-dos direkt löschen und relevante Themen entweder, statt sie schon in Ihre ABC-To-do-Liste zu übernehmen, erst einmal später auf Wiedervorlage in Ihrem Kalender legen, wenn diese aktuell weder wichtig noch zeitkritisch sind. Oder Sie übernehmen sie in Ihre ABC-To-do-Liste in OneNote. Sie checken in diesem Fall direkt im Anschluss dann bitte Ihre weitere Wochenplanung und sortieren die neuen To-dos priorisiert mit einem Zeitslot je Aufgabe in Ihren Kalender ein und depriorisieren wenn nötig bisher eingetragene Aufgaben-Zeitslots und schieben diese zeitlich nach hinten.

So behalten Sie jeden Tag kurz vor Feierabend proaktiv den Überblick und eine gewisse Sicherheit, Struktur und Kontrolle Ihrer A- und B-Prios. Dies ist für ADHS-Betroffene sehr wichtig. So können Sie dann auch entspannt in den Feierabend gehen. Sie schwimmen jetzt so wieder vor der Welle. Denn das Gefühl zu haben, die Arbeit mit wehenden Fahnen zu verlassen und zu wissen, man wird dort morgen früh im Chaos wieder von der To-do-Welle überflutet, stresst ADHSler nur noch mehr und verstärkt ihre Symptomatik (Neuy-Bartmann, 2019; Kogon et al, 2016).

Und bitte belohnen Sie sich doch auch einfach einmal dafür, dass Sie so super dranbleiben an Ihrem neuen Selbstmanagement und Ihrer Selbstorganisation. Denn: Sie machen das super! Und Sie aktivieren so Schritt für Schritt immer mehr Ihre ADHS-Superpower.

1.5.5.12 Stärkenorientierte Berufswahl- und Lebensplanung

Hat ein junger erwachsener Betroffener einmal ein gutes Selbst- und Zeitmanagement für sich mit seinem ADHS entwickelt, dann sollten für die Berufswahl die individuellen Fähigkeiten, Talente und das Interesse ausschlaggebend sein, und sich nicht nur daran orientieren, dass er ADHS hat (Ratgeber ADHS, o. J.a. i.). Ganz wichtig für ADHS-Betroffene ist es, einen Beruf zu finden, der zu ihnen passt und auf die individuellen Bedürfnisse und Stärken eingeht, die ihre Persönlichkeit ausmachen. Die Werte des Arbeitgebers sollten sich mit seinen eigenen Werten und Bedürfnissen decken. Ein Pinguin sollte, wie eingangs erwähnt, also besser einen Job im Wasser finden, wo er sich entfalten kann, als sich an Land mit den Eisbären im Wettlauf zu messen, und dabei permanent auf die Nase zu fallen. Ist er jedoch in seinem Element Wasser, schenkt ihm das ein deutliches Mehr an Lebensqualität (Hirschhausen, 2011). Der Beruf sollte in jedem Fall auch eine gewisse Aufregung mit sich bringen, Freiraum für Kreativität lassen und den Betroffenen so begeistern. Freiraum ist wichtig, um sich entwickeln zu können. Jedoch sind auch Struktur und Kontrolle essenziell, die den Rahmen vorgeben für überwiegend geregelte Tagesabläufe und die Verpflichtung, Termine einzuhalten. Berufe, bei denen jedoch ausschließlich Ordnung, extrem sorgfältiges Arbeiten und Pünktlichkeit wichtig sind, kommen weniger infrage. Es sollte auch vermieden werden, einen Beruf zu wählen, der als langweilig empfunden wird und die Betroffenen nicht wirklich begeistert. Denn dann wird der Job zur Quälerei. Finanzbeamter wäre beispielsweise eine weniger gängige Berufswahl als Journalist oder zum Beispiel Physiotherapeut. Beim Berufseinstig macht es daher in jedem Fall Sinn, verschiedene Praktika zu absolvieren, um wirklich kennenzulernen, wie der Alltag in dem entsprechenden Job dann aussehen wird, und ob er stimmig ist mit den Bedürfnissen und Interessen des Betroffenen. Hilfreich ist es auch, direkt einen Arbeitgeber zu finden, der Ihre Kreativität zu schätzen weiß. Viele ADHS-Betroffene sind erfolgreiche Spezialisten auf ihrem Gebiet: Kreative, Musiker, Forscher oder erfolgreich in der Wirtschaft. Ein Gegenpart bei der Arbeit, der gut organisiert ist und den kreativ chaotischen ADHSler mit Struktur unterstützt, ist, wie bereits erwähnt, ebenfalls immer auch eine gute Kombination (Neuy-Bartmann, 2019). Eine informative Broschüre für Berufseinsteiger mit ADHS findet sich auch auf www.​adhs-ratgeber.​com (Ratgeber ADHS, o. J.a. i.). Ebenso finden Sie dort eine weitere Broschüre für Berufsumsteiger (Ratgeber ADHS, o. J.a. j.).

Unternehmen wie Vattenfall (Vattenfall GmbH, o. J.a.), Microsoft oder EY sind, wie bereits erwähnt, für das Feld der Neurodiversität erfreulicherweise bereits Vorreiter für Diversität und Inklusion. Sie bieten zum Beispiel auch Trainings für ihre Führungskräfte und Mitarbeiter an, wie Inklusivität für neurodiverse Mitarbeiter mit beispielsweise ADHS oder Autimus optimal gelebt werden kann (manager magazin, 2020).

Denn als Arbeitgeber eine optimale, vertrauensvolle und wertschätzende Arbeitsumgebung zu schaffen, dies kann für jeden ADHSler individuell anders aussehen. Beispielsweise können sich manche Betroffene besser im Home Office konzentrieren, da dort keine Ablenkung herrscht. Andere Betroffene hingegen werden gerade dort innerlich von ihren eigenen Gedanken stark abgelenkt und es verursacht ihnen Stress und Probleme, sich dort selbst zu strukturieren. Für sie ist ein Büro eine optimalere Umgebung, um sich zu konzentrieren.

Für sehr reizempfindliche ADHS-Betroffene ist hingegen Ruhe sehr wichtig, statt ein reizüberflutetes Großraumbüro, um konzentriert arbeiten zu können. Hier kann der Arbeitgeber zum Beispiel durch eine flexible, vertrauensvolle Home-Office-Regelung, ein Einzelbüro oder Ruhearbeitsräume unterstützen (Gelowicz, 2022). Noise-Cancelling-Kopfhörer, die den Teppich an Nebengeräuschen für den Betroffen herausfiltern, können ebenso, wie bereits erwähnt, eine große Hilfe sein, um konzentriert und fokussiert bei der Arbeit zu bleiben. Kurze, gegebenenfalls aktive Pausen sind für ADHS-Betroffene ebenfalls sehr wichtig, um für körperliche und geistige Entspannung zu sorgen. Betroffene profitieren auch von längeren Mittagspausen mit zum Beispiel einem ausgedehnteren Spaziergang oder einer Jogging-Runde oder Yoga-Einheit noch mehr als nicht Betroffene, um danach frisch und konzentriert weiterarbeiten zu können. Einen wirklich verständnisvollen und inklusiv eingestellten Arbeitgeber zu finden, kann Gold wert sein, um die eigenen Potenziale voll für sich und den Arbeitgeber zu entfalten und dauerhaft gesund, motiviert und erfolgreich zu arbeiten. Jedoch ist ADHS im Erwachsenenalter unter Arbeitgebern leider bisher noch kaum bekannt (Neuy-Bartmann, 2019). Betroffene müssen ihre ADHS dem Arbeitgeber generell auch nicht mitteilen (ADHSpedia, o. J.a. j.). Viele tun dies auch nicht aus Angst vor Stigmatisierung, dem Verbauen der eigenen Karriere und sogar dem Befürchten des Jobverlusts (Hoffmeyer, 2021).

Aus meiner Sicht sollte im deutschsprachigen Raum in naher Zukunft noch viel mehr Aufklärungsarbeit bei Arbeitgebern erfolgen und generell mehr Bewusstsein für Inklusion bei ADHS im Erwachsenenalter in der Gesellschaft geschaffen werden. Nur wenn Arbeitgeber es zunehmend möglich machen, eine inklusive Unternehmenskultur und somit ein inklusives, wertschätzendes, individuell flexibles Arbeitsumfeld für ADHS-Betroffene zu schaffen, ist mehr bereichernde Diversität möglich. Denn dann können Betroffene umso besser ihre Talente und Stärken ausleben und so zum wirtschaftlichen Erfolg des Arbeitgebers beitragen.

1.5.5.13 Impulskontrolle und Stimmungen ausbalancieren

Emotionen von ADHSlern können sie ganz schön überfluten und zum innerlichen oder äußerlichen Explodieren bringen. Auch hier können Sie ganz bewusst gegensteuern. Machen Sie sich ab sofort bitte immer wieder bewusst, dass Sie jetzt Ihre ADHS managen werden und nicht mehr Ihre ADHS Sie. Wenn Sie für sich ein gesundes Stress- und Selbstmanagement etablieren, kann dies in jedem Fall schon einmal die Symptomatik lindern. Doch es kann natürlich dennoch vorkommen, dass Sie in Zeiten von starkem privaten oder beruflichen Stress einmal ein dünneres Fell haben als sonst und Ihr Explosionspunkt einfach schon deutlich früher erreicht ist.

Was Ihnen hier zur Selbstregulation helfen kann, ist die sogenannte Ampel-Methode und der Mind-Body-Check. Ist Ihre Emotionsampel auf grün, dann ist alles in Ordnung. Machen Sie dann einfach weiter so. Sie haben Ihre Symptomatik dann sehr gut im Griff und fühlen sich zufrieden und glücklich. Bei gelb ist Handlung angesagt. Entweder Sie bremsen jetzt kurz hart durch oder geben Gas, um noch schnell über die gelbe Ampel zu kommen, bevor Sie auf rot springt. Dies kann der Fall sein, wenn Sie sich mit Ihrer Wochenplanung wegen plötzlich neu aufgekommenen dringenden und wichtigen Prio-A-Aufgaben im Chaos fühlen. Dann ist es empfehlenswert, erst einmal kurz eine Pause an der frischen Luft zu machen, bevor Sie mit klarem Kopf nochmal Ihre ABC-Prios und Zeitslots in Ihrem Kalender für die Restwoche neu sortieren, bis Sie wieder gefühlt alles im Griff haben und sich wieder im grünen Bereich fühlen. Ist die Ampel rot, ist das Kind leider schon in den Brunnen gefallen. Am wichtigsten ist es jetzt nur noch, sich emotional sofort herunterzuregulieren, indem Sie zum Beispiel innerlich langsam bis 10 zählen, die Situation verlassen und eine Pause machen, eine Meditation oder Entspannungsübung durchführen oder Sport machen, um sich einfach mal richtig auszupowern und den Stress abzubauen (Kneubühler, o. J.a.). Daher können auch aktive Pausen oder längere aktive Mittagspausen bei der Arbeit präventiv stressabbauend wirken.

Sie können die Ampel-Methode klasse in Ihren Alltag einbauen, um sie ein paar Wochen und Monate zu verinnerlichen. Sie lernen sich und Ihre Symptomatik so durch das Anwenden und Üben noch viel besser kennen. Sie entwickeln sensiblere Antennen für sich und Ihr aktuelles Wohlbefinden und Ihre Bedürfnisse. Doch auch hier gibt es keinen Salat aus dem Beutel aus der Kühltheke. Salatbeet-Pflege durch regelmäßiges Training heißt auch hier das Zauberwort. Und das Schöne ist, sie können damit sofort starten.

Übung 12 – Life Hack Ampel-Methode mit Mind-Body-Check und Wohlfühlliste
Integrieren Sie dazu bitte mehrfach am Tag Ihren Mind-Body-Check. Idealerweise machen Sie sich dazu Erinnerungen in Ihren Kalender als Serientermine. Diese können auch mit Ihren Pausenzeiten parallel gelegt werden. Fühlen Sie dann bitte in sich hinein, wie es Ihnen gerade jetzt geht, und reflektieren Sie bitte die folgenden Fragen:
  • In welchem Bereich befinden Sie sich aktuell? Grün, gelb oder rot?

  • Wenn Sie im grünen Bereich sind, was führt dazu?
    • Was tut Ihnen gerade gut?

    • Wie schaffen Sie es gerade, sich eine Lebensqualität zu gestalten, die Sie glücklich macht?

    • Bitte notieren Sie sich täglich dazu Ihre Erkenntnisse in einer Wohlfühlliste in OneNote, die Sie dafür erstellen.

    • Welche Bedürfnisse werden aktuell genährt im grünen Bereich?

    • Vielleicht ist es Sport. Dann wäre die Frage, welche Sportart und wie oft und wie lange?

    • Vielleicht ist es kreativ zu sein, zu fotografieren oder zu malen?

    • Oder soziale Aktivitäten in der Freizeit, wie Freunde treffen oder eine Ausstellung besuchen?

    • Beobachten Sie sich und Ihre Bedürfnisse in diesen Momenten des Mind-Body-Checks jeden Tag aufmerksam aufs Neue.

Erfahren Sie so im Versuchs- und Irrtumsprinzip was Ihnen wirklich gut tut und Sie im grünen Bereich hält. Wichtig ist, dass Sie dies über eine längere Zeit hinweg regelmäßig kultivieren und Sie fortlaufend Notizen in Ihre Wohlfühlliste machen, wenn Sie spüren, was Ihnen gut tut. Das kann sein in der Natur zu sein, in die Sauna zu gehen, Fußball zu schauen oder zu spielen, zu Angeln oder etwas ganz individuell anderes für Sie. Für jeden ADHS-Betroffenen sieht diese Wohlfühlliste gänzlich verschieden aus, denn sie nährt individuell die ganz persönlichen Bedürfnisse.

Doch Sie sind natürlich nicht immer nur im grünen Bereich. Angenommen, Sie führen Ihren Mind- Body-Check durch und spüren, Sie sind definitiv im gelben Bereich:

Werfen Sie dann bitte einen Blick auf Ihre Wohlfühlliste und fragen Sie sich (INeKO Institut, 2020a):
  • Wo ist gerade Sand im Getriebe?

  • Woran hapert es gerade?

  • Was tue ich, wenn ich gestresst bin?

  • Wovon tue ich dann weniger?

  • Was tue ich hingegen, wenn ich nicht gestresst bin?

  • Welche Dinge stehen meiner Entspannung im Wege?

  • Was hilft mir, das auszuhalten?

  • Was kann ich als Ausgleich machen?

  • Wann und wie werde ich mich davon erholen?

  • Was müsste ich tun, um mehr in meiner Balance zu sein?

  • Was tue ich, wenn ich entspannt bin?

  • Womit versetze ich mich selbst (noch mehr) in Stress?

  • Kann ich das, was mir aktuell Stress bereitet, loswerden oder ihm aus dem Weg gehen?

  • Was kann ich tun, damit ich weniger gestresst bin?

Ergänzen Sie Ihre Erkenntnisse bitte in Ihrer Wohlfühlliste. Setzen Sie nach Ihrer Reflexion dann bitte genau die Wohlfühlaktivitäten mit der größten positiven Wirkung für Sie persönlich um. So bringen Sie sich wieder in Balance in den grünen Bereich, und kommen nicht schlimmstenfalls noch in den roten Bereich (D’Amelio & Steinbach, o. J.a.). Auch hier gilt eine Zeit lang das Versuchs- und Irrtumsprinzip. Was hilft Ihnen jetzt heute? Ist es Sport? Eine Achtsamkeitsübung? Spaß mit Freunden? Ein Spaziergang um den Block oder alleine in der Natur? Horchen Sie bitte achtsam in sich hinein.

Und natürlich werden Sie neben den gelben auch rote Phasen haben, in denen Sie vielleicht vorab sehr schlecht geschlafen haben, Sie zum Beispiel noch Rückenschmerzen dazu belasten und deswegen einfach schon ein richtig dünnes Nervenkostüm haben. Hier gilt es, wie oben genannt, als Notfallplan erst einmal tief durchzuatmen und Ruhe zu bewahren (Ratgeber ADHS, o. J.a. k.).

Übung 13 – Life Hack ALI-Prinzip

Wenden Sie in Falle einer roten Phase bitte das ALI-Prinzip an: Atmen Sie, zählen Sie langsam bis 10, lächeln Sie, halten Sie inne (Netzwerk Achtsame Wirtschaft e.V., o. J.a.). So schaffen Sie Raum zwischen den Stressreiz und Ihre Reaktion. Die läuft mit dieser achtsamen Haltung nicht automatisch ab, sondern ganz bewusst. Halten Sie sich danach bitte kurz wieder Ihre Wohlfühlliste vor Augen und entscheiden Sie sich, welche Aktivität daraus in dem aktuellen Kontext, in dem Sie jetzt gerade sind, am passendsten ist, um sich wieder in den grünen Bereich herunterzuregulieren.

Bei der Arbeit können Sie vielleicht gerade nicht eine Runde Joggen gehen, jedoch die Situation verlassen, einen längeren Kaffee oder Tee mit an die frische Luft nehmen oder kurz eine Entspannungsübung machen, wenn Sie eine ruhige Ecke dazu finden. Oder Sie gehen direkt nach Feierabend dann noch Sport machen, um den restlichen Stress abzubauen. Dies können Sie dann noch ganz individuell für sich entscheiden.
Sie können sich darüber hinaus zudem fragen (INeKO Institut, 2020a):
  • Wie würden Sie die aktuelle Stresssituation in einem Jahr von heute betrachten?

  • Wie in 5 Jahren?

  • Wie, wenn Sie aktuell im Urlaub an Ihrem Lieblingsort wären?

  • Was würde Ihre beste Freundin Ihnen jetzt raten?

  • Notieren Sie sich Ihre Erkenntnisse bitte auch in Ihre Wohlfühlliste.

Sie werden so nach ein paar Wochen für sich vielleicht schon herauskristallisiert haben, was ganz oben auf Ihrer Wohlfühlliste steht, und was davon für Rote-Ampel-Situationen bei der Arbeit und im Privatleben am besten für Sie funktioniert, um Sie schnellstmöglich wieder herunterzuregulieren in den grünen Bereich. Sie werden feine Antennen dafür entwickeln, was Sie oder andere konkret tun, sodass Sie gestresst reagieren und sich emotional in Richtung gelbe oder rote Ampel bewegen. Sie werden auch ein besseres Gespür dafür bekommen, wann Sie reizbarer sind als normal, was konkret die Ursachen sind, was genau Sie wütend macht oder launisch, ob Kritik Sie zum Beispiel stresst und so weiter (Ratgeber ADHS, o. J.a. k.). Umso besser und bewusster werden Sie auf diese Weise lernen, direkt gegenzusteuern, und nach und nach die stressigen Situationen in Ihrem Leben zu minimieren, damit Sie im grünen Bereich bleiben.

Nach den ersten Wochen ist es empfehlenswert, sich für Ihre Wohlfühlliste ein Ranking zu erstellen, und dieses auch für verschiedene Lebenssituationen, die Ihnen Stress verursachen, in OneNote immer parat zu haben (Ratgeber ADHS, o. J.a. k.). Denn wenn Sie gestürzt sind und eine Schürfwunde erleiden, sind Sie auch überglücklich, eine kleine Hausapotheke mit Pflastern bei sich zu haben. Ihr regelmäßiger Mind-Body-Check, das ALI-Prinzip und Ihre Wohlfühlliste sind im übertragenen Sinn Ihre Hausapotheke für Ihre Impulskontrolle und zum Ausbalancieren Ihrer Stimmungen.

Die Ampel-Methode für sich zu verinnerlichen, ist ein wenig, wie ein neues Instrument zu lernen oder eine neue Sportart. Das Schöne ist, Sie trainieren mit der Ampel-Methode auch automatisch Ihre Achtsamkeit. Denn Sie lernen, in Stresssituationen aus einer achtsamen Haltung heraus lösungsorientiert und selbstwirksam zu handeln.

Hier bietet sich in Kombination mit der Ampel-Methode auch nochmals das ZRM® Online Tool (siehe Übung 3, Abschnitt 1.5.1 ) an, um Ihre achtsame, lösungsorientierte Haltung für sich zu verinnerlichen, wie Sie die Ampel-Methode in Ihrem Leben umsetzen möchten (Zürcher Ressourcen Modell ZRM®, o. J.a.). Wenden Sie es gerne nochmals an, um sich zu motivieren, Ihre Mind-Body-Checks regelmäßig durchzuführen. So lernen Sie sich achtsam immer besser kennen, erstellen Ihre Wohlfühlliste Schritt für Schritt und priorisieren Sie nach Lebensbereichen, in denen Sie sich mit Stress konfrontiert fühlen. Eine solch achtsame, lösungsorientierte Haltung ist ein ganz wichtiger Schlüssel für das Paradies hinter der Tür im nächsten Zimmer. Bleiben Sie dran. Sie schaffen das!

Denn die Alternative wäre auch hier leider nicht der vorgeschnittene Salat im Beutel in der Kühltheke, sondern bei einem spontanen, nicht von Ihnen selbst verhinderten emotionalen Ausbruch im Zweifel eher Hausverbot von Ihrem Gegenüber. Und führen Sie sich bitte auch immer einmal wieder vor Augen, was Sie Ihrem Umfeld mit Ihrem unberechenbaren emotionalen Verhalten bisher für einen Stress zugefügt haben, bis Sie sich jetzt proaktiv zu regulieren gelernt haben (Spitzer, 2018).

1.5.5.14 Kommunikation in Stresssituationen

Das herausfordernde an Stresssituationen ist, dass man leider zumeist nicht alleine in ihnen steckt, sondern auch noch das Umfeld mit betroffen ist. Und schon hat man einen zwischenmenschlichen Konflikt. Gerade für ADHS-Betroffene kann es dann ein echter Kraftakt sein, sich zunächst erst einmal emotional wieder in den grünen Bereich zu regulieren und dann auch noch eine wertschätzende Kommunikation für die Lösung des Konflikts hinzubekommen. Was hier helfen kann, ist ergänzend zur Ampel-Methode die sogenannte VW-Regel (Prior, 2013).
Übung 14 - Life Hack VW-Regel
Aus Vorwürfen „V“ die wir unserem Gegenüber am liebsten verbal um die Ohren pfeffern würden, formulieren wir Wünsche „W“, also unsere Bedürfnisse. Denn um Harmonie wieder herzustellen, ist es nicht nur wichtig, was man sagt, sondern auch „wie“ man es sagt (Universitätsklinikum Erlangen, o. J.a.). Die Methode lehnt sich an die gewaltfreie Kommunikation an, die der Psychologe Marshall B. Rosenberg begründet hat (Doyle, o. J.a.). Dabei werden vier Schritte beachtet:
  1. 1.

    Beobachtung:

    Schilderung der eigenen Wahrnehmung der Situation ohne jegliche Interpretation, zum Beispiel „Du hast unsere Vereinbarung nicht eingehalten.“

     
  2. 2.

    Gefühl:

    Schildern Sie Ihrem Gegenüber Ihr Gefühl, zum Beispiel „Das macht mich traurig.“

     
  3. 3.

    Bedürfnis:

    Welches Bedürfnis haben Sie, das Sie aus Ihrem Gefühl schließen können? Formulieren Sie es als Ich-Botschaft, zum Beispiel „Ich wünsche mir mehr Respekt und Verlässlichkeit.“

     
  4. 4.

    Bitten:

    Wenn Ihr Bedürfnis klar kommuniziert wurde, formulieren Sie eine Bitte beziehungsweise einen Wunsch an Ihr Gegenüber, wie eine Lösung aussehen kann. Dies ist idealerweise eine konkrete Handlung, zum Beispiel „Kannst Du bitte zukünftig Vereinbarungen einhalten?“

     

Diese Art von Kommunikation schont auch Ihre Ressourcen und Nerven, da sie deeskalierend wirkt und so nichts gesagt wird, was sie später bereuen würden und Ihrem Umfeld so vor den Kopf stoßen würde. Und auch hier gibt es leider keine Salatbar im Supermarkt. Auch hier gilt dranbleiben, das Salatbeet pflegen, regelmäßig üben und eine Routine für sich entwickeln.

1.5.5.15 Kritik- und Konfliktfähigkeit

ADHS-Betroffene haben bestimmte Themen, die sie reizen und deswegen oftmals völlig überreagieren und wie eine Bombe explodieren, obwohl sie kurz zuvor vielleicht noch lammfromm waren (Ratgeber ADHS, o. J.a. c.). Kommen dann auch noch zwei gestresste ADHS-Betroffene aufeinander, dann haben Sie ein Feuerwerk an toxischer Explosion. Jedoch auch bei einer leichteren Symptomatik und nicht so triggernden Situationen schneiden einem Betroffene gerne einmal den Satz ab und ein ausreden lassen wird unmöglich. Denn der Betroffene denkt ohnehin, er weiß jetzt schon, was der andere sagen möchte, und natürlich weiß er es besser. ADHS-Betroffene sind ihren Gefühlen voll ausgeliefert, wenn sie noch keine Strategien gelernt haben, diese zu regulieren. Wenn sie mit dem falschen Bein aufgestanden sind, kann man ihre Erwartungshaltung nicht erfüllen. Man kann ihnen dann einfach nichts recht machen. Die sonst in Beziehungen so positive hohe Sensibilität, Reizoffenheit und Empathie stellt dem Betroffen in diesen Momenten ein Bein und sie wandelt sich leider ins Negative (Neuy-Bartmann, 2019). Diese unberechenbaren Reaktionen sind, wie bereits erwähnt, nachhaltig beziehungsschädigend. Dies sollte man sich als ADHS-Betroffener immer wieder vor Augen führen. Unberechenbar für sein Umfeld zu sein, erzeugt diesem immer wieder massiven Stress (Spitzer, 2018).

Hypoaktive ADSler auf der anderen Seite sind gar nicht explosiv, sondern fühlen sich oft schon bei minimalster Kritik klein und abgewertet und stellen sich selbst in Frage. Als schießt die kleinste Kritik wie ein Miniatur-Pfeil, der an Menschen mit einem gesunden Selbstwertgefühl abprallen würde wie an einer Teflonpfanne, einfach durch das dünne ADS-Nervenkostüm hindurch. Dies löst im Inneren ein Erdbeben für sein Selbstbewusstsein aus, das im Zweifel niemand mitbekommt. Kommt dann noch die leicht depressive Weltschmerz-Phase hinzu, in der er immer einmal wieder dem fälschlichen Irrglauben erliegt, definitiv keiner auf diesem Planeten liebt ihn und er kann einfach nichts, vergräbt er sich tief in seiner Höhle. Da ist er sicher vor allem. Leider wirklich vor allem. Denn er bringt sich so auch um die positive Erfahrung, wie es sich anfühlt, wertschätzende Hilfe zu bekommen, wenn man Sie benötigt, und überhaupt um neue, bereichernde zwischenmenschliche Erfahrungen (Neuy-Bartmann, 2019).

Dem kann man jedoch gegensteuern, wenn man um seine ADHS beziehungsweise ADS und seine Symptomatik weiß. Einmal darüber schlafen, bevor man eine weitreichende Entscheidung trifft, empfiehlt sich nicht nur für Menschen ohne ADHS, sondern auch für Betroffene. Denn vielleicht sieht am nächsten Tag die Welt schon ganz anders aus. Vermeiden Sie auch Diskussionen, wenn Sie Zeitdruck haben, und führen Sie am besten einfach generell keine Grundsatzdiskussionen, wenn Sie gereizt sind (Neuy-Bartmann, 2019). Wie eingangs erwähnt, können insbesondere weibliche ADHS-Betroffene ein ausgeprägtes monatliches prämenstruelles Syndrom zeigen (Arztpraxis Hittnau, o. J.a.). In dieser Zeit überhaupt irgendetwas sachlich diskutieren zu wollen, kann ausgehen wie Fallschirmspringen als Tandem, das Ganze jedoch ohne Fallschirm. Der Aufprall könnte für beide Parteien kein Spaß werden. Sich das einfach bewusst zu machen und solche Themen zu verschieben, bis man wieder in der Lage ist, sich vorher den Fallschirm aufzusetzen und ihn auch zu ziehen, wenn nötig, kann helfen (Neuy-Bartmann, 2019).

In Beziehungen mit Menschen, die einem nahe stehen, kann man zum Beispiel ein bestimmtes Stopp-Signal absprechen, um in einem Streit eine bewusste Pause zu machen. So kann man die Situation verlassen, idealerweise das ALI-Prinzip und die Ampel-Methode anwenden und einen kurzen Blick auf seine Wohlfühlliste werfen (Übung 12 und 13). Denn die Ampel blinkt dann gerade dunkelrot mit Discokugel. Einmal um den Block zu laufen oder einfach nur aus dem Raum zu gehen und eine kurze Achtsamkeitsübung zu machen, kann hier schon sehr hilfreich sein. Das mindert die Gefahr, weiteren Schaden anzurichten durch Dinge, die man sagt oder tut. Denn danach gibt es nichts mehr zurückzunehmen. Nutzen Sie bitte auch die VW-Regel (Übung 14), nachdem Sie sich wieder in den grünen Bereich ausbalanciert haben. Wenn daran nicht im Leisesten zu denken ist, legen Sie sich doch einfach einmal ein dickes Kissen auf die Erde und lassen so richtig Ihre Aggression daran aus. Verkloppen Sie das Ding. Reagieren Sie sich einfach einmal so richtig daran ab (Jentsch, 2022). Und dann denken Sie dennoch bitte danach wieder an die VW-Regel, die Sie dann idealerweise in einer wieder relaxten Gesprächsatmosphäre wertschätzend einsetzen.

Machen Sie sich jedoch auch bewusst, dass es vorkommen kann, dass Sie einfach einmal den Konfliktbogen so überspannt haben, dass Ihr Gegenüber Sie völlig gerechtfertigt im wahrsten Sinne des Wortes stehen lässt. Er zieht dann einfach eine klare Grenze für sich, weil er sich Ihrem respektlosen Verhalten nicht mehr zur Verfügung stellen möchte. Wenn dem so ist, sollte man dies spätestens dann als Signal sehen, und beginnen, seine Impulskontrolle und Streitkultur zu hinterfragen.
Sie könnten sich dann fragen (INeKO Institut, 2020a):
  • Was hätte besser laufen können bis zur Eskalation?

  • Was war Ihr Anteil an der Eskalation?

  • Womit haben Sie den Konflikt noch befeuert?

  • Gab es in der Vergangenheit ähnliche Konflikte, in denen Sie gelassener reagiert haben?

  • Was war da anders?

  • Wie haben Sie das gemacht?

  • Was würde Ihr bester Freund Ihnen raten, wie Sie sich deeskalierender hätten verhalten können?

  • Was hätten Sie anhand dieser Erkenntnisse rückblickend anders machen können?

Sie können sich so eine Liste von Verhaltensweisen erstellen, die Sie erlernen möchten, um zukünftig in Konfliktsituationen gelassener zu reagieren. Was sollte davon noch auf Ihre Wohlfühlliste? Ergänzen Sie Ihre Erkenntnisse bitte gerne dort.

Auch dies ist leider wieder kein Salat aus der Tüte im Kühlregal. In diesem Fall müssten Sie überhaupt erst einmal Ihr Beet planen, die Erde besorgen und Dünger, das Ganze hertragen, anlegen und aufhübschen. Und dann erst geht es mit der Aussaat und Aufzucht los.

Seien Sie daher bitte geduldig und wertschätzend mit sich. In jedem Konflikt werden Sie sich immer besser kennenlernen. Und Menschen, die Sie wertschätzen und die sehen, dass Sie alles dafür tun, an sich zu arbeiten, die gehen den Weg des Wachstums mit Ihnen zusammen. Erkennen Sie sich hier wieder? Dann kommen Sie bitte das nächste Mal aus Ihrer Höhle, nachdem Sie ihr Kissen verkloppt haben, und machen Sie sich bitte dann auf den Weg, Erde zum Anlegen Ihres Salatbeetes zu besorgen. Sie wissen vielleicht noch gar nicht, was für ein lernfähiger, toller Gärtner in Ihnen steckt!

Es gibt natürlich auch immer wieder diese Art von Menschen, die bringen einen einfach von 0 auf 100 in drei Sekunden. Seien Sie beruhigt, das geht auch Menschen ohne ADHS so. Legen Sie sich hier am besten eine Haltung der Gelassenheit zu. Denn Sie wissen, wie diese Menschen sind und ändern werden Sie sie nicht (Neuy-Bartmann, 2019). Wenn dann Ihre Ampel auf rot springt, bitte ganz tief durchatmen, und um sich Distanz zwischen Reiz und Reaktion zu schaffen, bewusst das ALI-Prinzip anwenden: atmen, lächeln und innehalten (Übung 13). Stellen Sie sich der Person doch einfach energetisch einmal so gar nicht zur Verfügung und nutzen Sie auch hier, wenn nötig, die Ampel-Methode und Ihre Wohlfühlliste (Übung 12).

1.5.5.16 Ordnungs- und Aufräumtipps

Um sich den Haushalt und das Aufräumen so einfach wie möglich zu machen, sollte für eine gelernte Ordnung alles im Haushalt seinen festen Platz haben und auch immer wieder dort abgelegt werden. Etablieren Sie feste Plätze für Schlüssel, Handtasche, Rucksack, Handy und Portemonnaie. Für die Schlüssel haben Sie am besten ein Schlüsselbrett und beschriften die einzelnen Schlüssel. Checken Sie abends idealerweise immer, ob auch alles an seinem Platz liegt. So ersparen Sie sich morgens eine ungeplante und unnötige Prio-A-Aufgabe, die Sie nur Zeit kostet: das stressige Suchen. Auch hier wieder das Stichwort Prio-B-Serientermin im Kalender, bis sich dies als Routine eingeschliffen hat (Ratgeber ADHS, o. J.a. b.; Kogon et al., 2016).

Planen Sie sich im Rahmen Ihrer Wochenplanung auch einen Serientermin, an dem Sie sich nicht ablenken lassen und nur aufräumen und putzen. Putzen Sie in dieser Zeit eins nach dem anderen und verfallen Sie nicht in impulsives Hin- und Herspringen zwischen den Räumen. Gerne wird angefangen aufzuräumen, wenn dann plötzlich die Blumen gegossen werden wollen und auf dem Weg zum Balkon dann doch die Spülmaschine ausgeräumt werden will. Und dann steht da die Kaffeemaschine und ein Kaffee jetzt wäre auch schön und so weiter. Wenn Sie so im Ich-lebe-meine-ADHS-Symptomatik-jetzt-einfach-einmal-voll-aus-Flow tanzend zwischen den Dingen hervorragend aufräumen und putzen können und auch am Ende der eingeplanten Zeit noch effizient dabei sind, super. Los geht es. Wenn nicht, arbeiten Sie wie gesagt am besten doch alles nacheinander ab, und achten Sie dabei auf die Zeit, die Sie sich insgesamt gesetzt haben. Vielleicht ist auch hier in OneNote eine Checkliste der Sachen, die Sie regelmäßig aufräumen und putzen möchten, etwas für Sie.

Wenn nötig, stellen Sie sich neben dem Serientermin zum Putzen bitte auch einen Serientermin zur Müllentsorgung, Papier und Altglas wegbringen und so weiter ein. Fassen Sie generell beim Aufräumen und Putzen alles nur einmal an und räumen es an den richtigen Platz statt umzuräumen. Auch unter der Woche halten Sie idealerweise Ordnung, indem Sie abends aufräumen und alles an seinen Platz legen, das Geschirr wegspülen und die Flächen reinigen. So sparen Sie sich viel Arbeit. Die gleiche Empfehlung gilt auch für Ihren Arbeitsplatz und Ihr Auto. Räumen Sie jeden Tag die Sachen an ihren Platz und entsorgen Sie alles direkt, was weggeschmissen werden kann. So kommen Sie gar nicht erst in Versuchung, sich hier ein kleines Chaos anzusammeln oder sich letztlich völlig vollzumüllen. Auch eine Putzfee zu einem festen Termin alle ein bis zwei Wochen kann sehr entlastend sein, wenn man das nötige Budget dafür übrig hat. In jedem Falle kann es in gemeinsamen Haushalten mit einem ADHS-Betroffenen die Nerven aller Beteiligten doch sehr beruhigen. Wenn Sie größere Vorhaben planen wie eine Renovierung oder einen Umzug, auch hier die Empfehlung, sich in OneNote eine Checkliste aus Zwischenzielen dafür zu erstellen bis hin zum finalen Ziel, und sich vielleicht dabei helfen zu lassen. Zum einen bekommen sie so Hilfe und zum anderen können Sie so später einfach wieder auf die Liste zurückgreifen, wenn ein ähnliches Vorhaben anstehen sollte (Ratgeber ADHS, o. J.a. b.).

1.5.5.17 Partnerschaft und Familie

Experten sagen, ein strukturierter, ausgleichender Partner passt besser zu einem ADHS-Betroffenen, als wenn beide Partner ADHS haben. Denn sonst sind emotionale Konflikte quasi schon mit eingekauft. Stimmungsschwankungen, Chaos, Unzuverlässigkeit und Endlosdiskussionen können einen Partner generell jedoch sehr kränken und verletzen und zu Problemen in der Partnerschaft führen (Ratgeber ADHS, o. J.a. m.). Dennoch spüren ADHS-Betroffene eine gewisse Seelenverwandtschaft untereinander, was die Konflikte leider nicht besser macht.

Es ist in einer Beziehung mit einem ADHS-Betroffenen wichtig, dass sich von Beginn an beide der Herausforderungen bewusst sind und man gemeinsam daran wachsen möchte. Beide müssen intensiver als andere Paare Regeln für das Beziehungsleben aufstellen. So schaffen sie überhaupt erst einmal ein Fundament, um darauf eine wertschätzende, beständige Partnerschaft aufzubauen und eine echte Bindung eingehen und halten zu können. Es ist dazu wichtig, sein ADHS zu akzeptieren und willens zu sein, seine Symptomatik zu verstehen und diese managen zu wollen, anstatt von Ihr in der Beziehung zum Partner gemanagt zu werden. ADHS sollte niemals eine Ausrede für etwas sein. Vielleicht eine Begründung mit der Einsicht, ein Verhalten zukünftig ändern zu wollen, jedoch niemals eine Ausrede.

In jedem Falle sollte man für eine gerechte Verteilung innerhalb der Partnerschaft sorgen und permanent Beziehungspflege betreiben und an sich arbeiten. Es ist essenziell, zu lernen konstruktiv zu streiten, Kritik äußern zu können, die VW-Regel mit Ich-Botschaften zu verwenden und Kritik auch anzunehmen (Übung 14). Man sollte verstehen und akzeptieren, dass jeder seine eigene Konstruktion der Wirklichkeit hat, in der er lebt, mit eigenen Bedürfnissen und Werten, und so Kompromisse finden, die auf die Bedürfnisse beider Partner eingehen. Sich entschuldigen und verzeihen lernen sowie Empathie entwickeln, wie und wonach sich der Partner fühlt, und dies auch zeigen, ist sehr wichtig. Gemeinsam ein Bündnis zu gründen gegen die Symptomatik ist sehr unterstützend, indem man so zusammen Strategien entwickelt, diese in der Partnerschaft zu reduzieren. Auch Rituale einzuführen wie Paarzeit, in der jeder 10 min einfach nur erzählt, wie er sich fühlt und der andere einfach nur aufmerksam zuhört, ohne das Gesagte zu kommentieren oder zu bewerten, kann hilfreich sein (Neuy-Bartmann, 2019).

Auf folgender Seite finden Sie Empfehlungen rund um das Thema Partnerschaft bei ADHS: https://​www.​adhs-ratgeber.​com/​adhs-partnerschaft.​html (Ratgeber ADHS, o. J.a. m.). Es gibt auch spezielle Literatur zum Thema ADHS und Partnerschaft. Im Zweifel kann auch eine Paarberatung oder eine Paartherapie hilfreich sein.

Bezüglich der eigenen Familie können durch den genetischen Faktor durchaus mehrere Personen von ADHS betroffen sein. Häufig führt dies zu weiteren Problemen, da die Symptome der Betroffenen sich so gegenseitig verstärken und für eine explosive Mischung sorgen. Denn oftmals löst ein bestimmtes Symptom der anderen betroffenen Person den Impuls aus, gegen dieses Symptom anzukämpfen, was dann weitere Konflikte schürt. Dies kann geschehen, wenn man dieses Symptom bei sich wie einen blinden Fleck noch nicht für sich realisiert hat oder auch bei sich ablehnt. Innerhalb einer Familie zu lernen, zu verzeihen und wieder Frieden zu schließen, ist hier heilsam und sehr wichtig (Neuy-Bartmann, 2019).

1.5.5.18 Geld- und Finanzmanagement

Um seine Finanzsituation gut im Griff zu haben, macht es generell Sinn, sich einen schriftlichen Überblick zu verschaffen und sich einen Finanzplan aufzustellen über Ihre fixen Kosten wie zum Beispiel Miete, Strom, Benzin, Lebensmittel, Versicherungen, Altersvorsorge, Fitnessstudio, GEZ-Gebühren, Sky-Abos und so weiter und Ihre variablen Kosten wie Lebensmittel, Kleidung, Geschenke, Kosmetik/Friseur, Medikamente, Reisekosten/Sprit, Möbel/Deko, Haushaltsanschaffungen sowie Puffer für unvorhergesehene Reparaturen oder geplante Urlaube das Jahr über (Neuy-Bartmann, 2019).

Schreiben Sie sich in eine Tabelle links in einer Spalte die einzelnen Posten untereinander, zunächst die fixen, dann die variablen Kosten. In den Spalten rechts daneben tragen Sie die Monate Januar bis Dezember als Überschriften ein und ganz am Ende summieren sie die einzelnen Monate rechts zur Jahressumme der Zeilen auf. Unter den einzelnen Monaten summieren Sie ebenfalls die Monatssummen aller Ausgaben auf. Die Fixkosten können Sie in die entsprechenden Monate mit den Abbuchungen eintragen, zum Beispiel bei Miete monatlich, bei Versicherungen gegebenenfalls vierteljährlich, und so weiter. Für die variablen Kosten tragen Sie eine monatliche Schätzung ein und am Monatsende dann die tatsächliche Summe.

Erleichtern Sie sich auch Ihr Leben, indem Sie dort, wo es möglich ist, Daueraufträge einstellen, die direkt abgebucht werden. Tragen Sie dies auch alles in Ihren Finanzplan mit ein. Dieser kann Ihnen helfen, einen Überblick über Ihre Kosten pro Monat und das Jahr zu bekommen. Sie können so vorausschauend einen realistischen Sparplan für sich gestalten oder überhaupt erst einmal unnötige Kosten reduzieren und gegebenenfalls auch Schulden Schritt für Schritt abbauen. Abgesehen davon sollte man nur das ausgeben, was man auch verfügbar hat und sich dafür eine fixe Summe je Monat zugestehen, die sich aus Ihrem Einkommen abzüglich der oben genannten fixen, variablen und Puffer-Kosten bemisst (Neuy-Bartmann, 2019). Nehmen Sie von diesem übrig bleibenden Geld 50 % am besten in bar für Ihre Ausgaben, damit Sie den Überblick behalten. 50 % lassen Sie erst einmal noch als Reserve auf der Seite auf der Bank. Vermeiden Sie zunächst Bezahlungen mit EC- und Kreditkarten, bis sich Ihr Finanzmanagement routiniert hat. Vermeiden Sie bitte Impulskäufe, vor allen Dingen online. Vielleicht kann es eine Ritual sein, erst einmal eine Nacht über den Kaufimpuls zu schlafen und die Ware im Warenkorb zu belassen und erst am nächsten Tag final zuzuschlagen oder dann eben auch nicht mehr. Stimmen Sie Ihre Finanzen auch mit Ihrem Lebenspartner ab (Ratgeber ADHS, o. J.a. n.).

Gut organisierte Freunde auf diesem Gebiet können hier Gold wert sein. Sie können Ihnen helfen, sich ein wie oben vorgeschlagenes System für sich aufzusetzen, um Ihre Finanzen so in Schach zu halten und so idealerweise zum Wachsen zu bringen (Neuy-Bartmann, 2019). Vielleicht haben Sie schon eine Idee, wer Sie hier unterstützen könnte, wenn Ihr Finanzmanagement ein Thema für Sie sein sollte. Hilfreich kann auch eine Finanz-Checkliste sein. Diese gibt es zum Beispiel auch im Internet (bild.de, o. J.a.).

Auch wenn Sie so zum kompletten Spießbürger werden, etablieren Sie sich zudem bitte ein praktikables Ablagesystem, um dem Chaos den Garaus zu machen und Ordnung zu halten. Dazu schaffen Sie sich fünf bis zehn Ordner an und schaffen Platz für diese in einem Regal, das sich direkt dort befindet, wo sie ohnehin immer ihre Post und Rechnungen bearbeiten. Die Order beschriften Sie zum Beispiel mit Kfz, Gesundheit, Finanzen, Wohnen, Versicherungen. Nur wenn es wirklich nötig ist, unterteilen Sie die Order in Unterkategorien, zum Beispiel in Versicherungen in Hausrat, Haftpflicht und so weiter.

Besorgen Sie sich genauso viele verschiedenfarbige Ablagekörbe wie Ordner und beschriften Sie diese und die Ordner identisch. Sammeln Sie Ihren Posteingang unter der Woche in den Ablagekörben. Nehmen Sie sich dann pro Woche fix einen Prio-B-Termin mit ausreichend Zeit in Ihrem Wochenplan vor, Ihre Ablage zu machen, und ordnen dann alles direkt in die Ordner ein. Finden Sie hier einen Termin, der zeitlich wiederkehrend wöchentlich für Sie passt.

Nehmen Sie diesen Termin genauso wichtig wie andere Prio-B-Termine. Nur Rechnungen empfehle ich Ihnen sofort nach Eingang zu bezahlen, um Mahngebühren zu vermeiden, und diese dann mit dem Vermerk, dass sie bezahlt sind, in Ihren Ablagekorb zu legen. Fassen Sie in Ihrem wöchentlichen Termin bitte dabei eine Sache nur einmal an, bis Sie sie komplett eingeordnet haben. Schweifen Sie bitte nicht ab. Holen Sie sich auch ruhig Order und Ablagekörbe als Reserve, falls Sie sie benötigen. Haben Sie Stifte, Locher, Tacker, Geräte/TAN-Liste fürs Online-Banking, Rechner, Briefumschläge, Briefmarken und so weiter bitte parat am selben Platz. Wenn etwas ausgeht, schreiben Sie es einfach direkt auf Ihre Einkaufsliste in OneNote (Ratgeber ADHS, o. J.a. h.).

Beim ersten Mal wird das Einsortieren in die Ordner etwas dauern. Vor allem, wenn Sie erst einmal einen großen aufgelaufenen Stapel an Post abarbeiten müssen. Planen Sie sich dann natürlich beim ersten Mal mehr Zeit ein, auch zum Erstellen der Ordner und der Ablagefächer. Vielleicht kann Sie auch hier jemand aus Ihrem engeren Umfeld unterstützen, der selbst sehr gut organisiert ist. Sie werden sich klasse fühlen, wenn Sie das alles erledigt haben und regelmäßig so fortführen.

1.5.6 Priorisierung Ihrer für Sie persönlich stimmigen ADHS-Life-Hacks

Sie haben nun die wichtigsten, von Experten empfohlenen Life Hacks bei ADHS kennengelernt. Betrachten Sie jetzt bitte Ihre Notizen, die Sie sich bisher beim Lesen des Buches gemacht haben. Welche ADHS-Symptome treffen auf Sie zu, und mit welchen Life Hacks möchten Sie diese zukünftig lindern? Sie haben wahrscheinlich eine ganz Liste von Life Hacks notiert, die infrage kommen. Jetzt geht es daher darum, nicht in Aktionismus zu verfallen und sich zu verzetteln, sondern zunächst zu schauen, welche Life Hacks Sie als erstes in Ihr Leben integrieren möchten. Dies sollten die Life Hacks sein, die aktuell das größte Potenzial für Sie haben, Ihre Symptomatik zu verringern. Dazu folgt jetzt eine kurze Übung zur Priorisierung, angelehnt an das Alternativenrad von Asgodom (2009).
Übung 15 – Life Hack Priorisierung
Nehmen Sie sich dazu bitte ein weißes Blatt Papier und malen einen großen runden Kreis darauf wie ein Rad. In das Rad machen Sie so viele Speichen, wie Sie Life Hacks für sich notiert haben und schreiben diese daneben als Stichpunkte. Nun bewerten Sie jeden Life Hack nacheinander auf einer Skala von 0–10, wobei 10 für „aktuell die größte Hebelwirkung zur Linderung meiner Symptomatik für mich“ steht und 0 für „aktuell keine Hebelwirkung zur Linderung meiner Symptomatik für mich“. Das Zentrum des Rads steht dabei für 0 und der Rahmen außen für die 10.
  • Übertragen Sie danach Ihr Life-Hack-Ranking bitte absteigend von 10 nach Ihren Prioritäten in Ihre Prio-B-To-do-Liste in OneNote (Abb. 1.3).
    Abb. 1.3

    Fiktive Beispielabbildung für eine Priorisierung. (Eigene Darstellung 2023)

  • So können Sie jetzt die Maximal-top-drei-Life-Hacks herauskristallisieren, die Sie als Routine in Ihrem Leben als erstes verinnerlichen möchten.

  • An mehr als drei Life Hacks empfiehlt es sich nicht gleichzeitig zu arbeiten. Denn wir sind Gewohnheitstiere, und es bedarf einer gewissen Zeit, bis wir Routinen verinnerlicht haben.

Überfrachten Sie sich daher bitte nicht und setzen sich hier realistische machbare Ziele für maximal 3 Life Hacks, die Sie ab jetzt konkret in Ihre Wochen- und Lebensgestaltung übernehmen möchten. Ihre Ziele sollten positiv formuliert sein und SMART, um erreichbar und überprüfbar zu sein, also spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert sein (Kitz & Tusch, 2010). Sie kennen doch sicher die Rosa-Elefanten-Übung: Denken Sie jetzt bitte nicht an einen rosa Elefanten. Woran denken Sie? Den rosa Elefanten (INKONSTELLATION, o. J.a.). Statt „Ich stelle mir eine Erinnerung immer mit Ton in meinen Kalender ein, damit ich keine Termine mehr vergesse.“ wäre die SMARTe positive Formulierung „Ich stelle mir eine Erinnerung immer mit Ton in meinen Kalender ein, damit ich Termine ab sofort einhalte.“
  • Fragen Sie sich bitte auch für jeden Life Hack, ob noch Zwischenziele nötig sind, und formulieren Sie diese bitte ebenfalls SMART. Vielleicht möchten Sie 3 × die Woche 30 min Joggen mittelfristig, müssen dies jedoch mit den Zwischenzielen eines Trainingsprogramms mit abwechselnden Geh- und Laufabschnitten zunächst aufbauen über ein paar Wochen.

  • Hilfreich kann es auch sein, sich dazu zu fragen, was konkrete Schritte sein könnten, um Ihre Ziele wirklich umzusetzen. Sie könnten sich die Sportsachen für den nächsten Morgen beispielsweise bereits am Abend sichtbar raus legen als Zwischenziel.

  • Dann übernehmen Sie bitte ebenso noch diese Zwischenziele in Ihre Prio-B-To-do-Liste.

  • Diese planen Sie mit festen Zeitslots in Ihrer Wochenplanung, wenn möglich mit Serienterminen, damit sie Ihnen präsent bleiben und Sie daran regelmäßig arbeiten.

So behalten Sie Ihre Ziele immer im Auge. Sie ziehen so täglich auch ein Fazit bei Ihrem täglichen ABC-To-do-Check (Übung 8), was gut lief und was nicht und was Sie noch verbessern möchten. Auf dieser Basis können Sie dann das nächste Zwischenziel für den kommenden Tag planen. Auch hier kann es eine hilfreiche Unterstützung sein, Ihren Partner oder einen guten Freund in Ihr Vorhaben einzuweihen und als Verbündeten zu gewinnen, Ihr Dranbleiben-Coach zu sein, bis Sie für sich eine automatisierte Routine entwickelt haben (Neuy-Bartmann, 2019).

Und wenn selbst ein Zwischenziel noch zu hoch sein sollte, fügen Sie einfach weitere Zwischenziele in Ihre Prio-B-To-do-Liste ein.

Vielleicht lautet dann das Ziel, erst einmal vier Wochen lang 3× die Woche nur Walken zu gehen, und dann erst langsam Ihr Jogging-Programm bis auf 30 min aufzubauen. Erlauben Sie sich, auch einmal zwei Schritte vor und einen zurück zu gehen. Viele Wege führen nach Rom. Verbuchen Sie es als Erfahrung, durch die Sie sich noch besser kennenlernen. Und belohnen Sie sich regelmäßig für Ihre Fortschritte, und schaffen Sie sich so Wohlfühl-Momente.

Wenn Sie Ihre ersten drei Life Hacks auf diese Weise routiniert in Ihrem Alltag verinnerlicht haben, dann erst geht es weiter mit den nächsten drei Life Hacks auf Ihrer Prio-B-To-do-Liste. Diese übernehmen Sie dann wieder mit festen Zeitslots in Ihre Wochenplanung, wenn möglich wieder mit Serienterminen, damit Sie Ihnen präsent bleiben und Sie daran arbeiten können. So managen Sie hoffentlich sehr bald Schritt für Schritt schon effizient Ihre ADHS-Symptomatik und nicht mehr umgekehrt Ihre ADHS-Symptomatik Sie.

Sollten Sie dennoch bemerken, Sie kommen so auch nach Wochen nicht voran, sich eine bessere Selbstorganisation und ein besseres Zeitmanagement zu verinnerlichen, und dies verursacht Ihnen weiterhin Stress und Leidensdruck, dann könnten Sie vielleicht doch noch einmal eine medikamentöse Therapie für sich überdenken. Gerne stehe auch ich Ihnen unterstützend zur Seite, Sie bei Ihrem Selbstcoaching-Prozess zu begleiten unter www.​tapetenwechsel.​me.