Kapitel 4

Als ich rauskam, dachte ich im ersten Moment, Max sei verschwunden. So schnell ich es in dem Gedränge schaffte, schob ich mich zum Ausgang hinüber. Ich kam nicht weit. Er packte mich von hinten am Arm, und als ich mich umdrehte, grinste er freundlich, ohne mich loszulassen. Er sagte etwas, das ich bei dem Lärm nicht verstehen konnte, und ich machte ihm durch Zeichen klar, daß mir schlecht war und daß ich dringend an die Luft raus mußte. Das war weiß Gott nicht gelogen. Max nickte, schob zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus, der den Krach übertönte. Dann schob er mich vor sich her zur Tür hin. Die anderen brauchten keine zwei Sekunden, bis sie uns eingeholt hatten.

Draußen blieb ich stehen und holte tief Luft. Es war eine von diesen plüschlauen Sommernächten, die in München selten sind, und fernes Donnergrollen zeigte auch schon an, daß diese bald aufhören würde, plüschlau zu sein. Meine vier Bodyguards standen um mich herum und warteten. Vielleicht darauf, daß ich endlich in Ohnmacht fallen würde. Ich hätte ihnen ja gern den Gefallen getan, aber so einfach ist das gar nicht.

»Er ist tot«, sagte ich statt dessen. »Der Bankmensch. Ich hab's eben gehört.«

Es war zu dunkel, um ihre Gesichter genau zu erkennen. Max starrte mich an, als hätte er nicht richtig verstanden, Dschako schnaufte auf, es klang wie ein Schluchzen, Vitus wiegte sich auf den Fußballen vor und zurück und nickte vor sich hin, als hätte er nichts anderes erwartet.

Der erste, der sich rührte, war Ferdi. Er drehte sich heftig um und ging zu dem VW hinüber; die drei anderen folgten ihm, mich in der Mitte. Hinter dem Scheibenwischer klemmte ein Strafzettel. Ferdi nahm ihn, zerknüllte ihn und warf ihn weg. Dann schloß er die Tür auf, setzte sich hinein und schaltete das Radio ein. Musik; ein alter, sentimentaler Hollywood-Song … Es war wirklich wunderschön und romantisch. Da stand ich mit ein paar duften Typen an der Leopoldstraße, und einer von ihnen hatte liebevoll den Arm um mich gelegt. Die Lichter der Autos und Schaufenster funkelten, und rings um uns waren Leute mit vergnügten Gesichtern.

Im Radio knarzte es, und das nächste Donnern klang schon sehr viel näher. Ich sah zurück. Dort war die Straße dunkler. Hohe Alleebäume, darunter die flackernden Kerzen auf den provisorischen Verkaufstischen mit Kitschbildern und Silberdrahtschmuck. Auf der anderen Seite die neue Uni mit dem dunklen Parkplatz und dem Akademiegarten. Und dazwischen, unüberwindlich wie ein reißender Fluß, der vierspurige Autostrom der Leopoldstraße … Als hätte Max meine Gedanken erraten, hielt er mich fester. Es donnerte wieder. Im Radio kam die Zeitansage und danach die Nachrichten. Unsere Meldung war die letzte. Der Bankkassierer war an seiner Schußverletzung gestorben; die Polizei ging verschiedenen Hinweisen nach.

Ferdi schaltete das Radio aus und kam aus dem Auto, um uns einsteigen zu lassen. Als er auch wieder saß, drehte er sich zu Max um. »Was jetzt?«

»Zum Haus«, sagte Max.

Ferdi streifte mich mit einem kurzen Blick. »Bist du dir klar, was das bedeutet?«

Max deutete mit dem Kopf nach vorn. »Fahr zu!«

Eine Sekunde lang sah es so aus, als wolle Ferdi widersprechen. Er machte den Mund auf, die schmalen Lippen verzerrten sich, ganz wenig nur, aber sein Gesicht verlor sofort die perfekte Gleichmäßigkeit. Dann drehte er sich wortlos um und fädelte sich in den Verkehr ein.

Ich saß zwischen Dschako und Max und konnte spüren, daß Dschako zitterte. Er knetete seine Hände und zog an den Fingern, daß die Gelenke knackten.

Vitus drehte sich um und sagte beruhigend: »Schon gut, Dschako!«

»Ihr seid verrückt!« Dschako riß sich fast den linken Mittelfinger aus. »Das ist doch Wahnsinn! Laßt mich raus!«

Max langte an mir vorbei und stieß ihm die Handknöchel gegen die Schläfe. »Schnauze!«

Danach schwiegen alle. Bunte Neonschriften glitten vorbei und lockten mit mexikanischen Steaks und Pils vom Faß. Vor den Pizzaständen drängten sich die Leute, und in den Straßencafés war jeder Stuhl besetzt. Für die da draußen waren wir einfach nur ein alter VW, der vorbeifuhr, irgendeinem Vergnügen entgegen, und die einzigen Sorgen, die sie, wenn überhaupt, hatten, waren lächerlich alltäglich.

Ich beneidete sie glühend.

Kurz vor dem Feilitzschplatz bog Ferdi nach rechts ab in Richtung Englischer Garten. Die Straßen wurden dunkler und die Kneipen kleiner. Ferdi fuhr langsamer, suchte nach einem Parkplatz und hielt schließlich direkt unter einem Halteverbotschild. Wir stiegen aus und gingen los, ich in der Mitte.

Das Haus, vor dem wir stehenblieben, war ein altes Bauernhaus aus der Zeit, als Schwabing noch ein richtiges Dorf war. Es lag an einer Straßenkreuzung. Vor zehn Jahren hatten noch Leute darin gewohnt; im Keller war ein Tanzschuppen gewesen. Jetzt war das Dach eingesunken, und die Fenster im Obergeschoß hatten keine Scheiben mehr. Eine Bürgerinitiative hatte den Abriß verhindern können, aber für die Renovierung fehlte das Geld. Das eiserne Gittertor der Zufahrt war mit Kette und Vorhängeschloß gesichert; durch die Stäbe hindurch sah ich, daß die Erdgeschoßfenster vergittert und überdies, wie auch die Haustür, mit starken Bohlen verrammelt waren. Was wollten Max und seine Freunde hier?

Sie gingen langsam bis zur Ecke, warteten vor der mannshohen Mauer und schauten sich um. Plötzlich zog sich Ferdi an der Mauer hoch und verschwand auf der anderen Seite.

Ein älteres Paar schlenderte an uns vorbei; Max, Vitus und Dschako starrten Löcher in die Luft.

Von der anderen Seite her hörten wir einen leisen Pfiff. Max pfiff ebenso leise, gab mir einen Schubs auf die Mauer zu und hob mich an den Hüften hoch. Vielleicht hätte ich schreien können oder strampeln. Ich hielt mich automatisch oben fest, Max schob von unten, ich lag einen Augenblick lang oben auf der Mauer und wäre heruntergefallen, wenn mich Ferdi auf der anderen Seite nicht aufgefangen hätte.

Wir standen auf einem winzigen Hinterhof, der von zwei Seiten durch die Mauer und von zwei Seiten durch die Rückfronten von Häusern eingerahmt wurde. Ein abgestorbener Baum krüppelte vor sich hin; unter meinen Füßen knackten tote Zweige. Es stank nach allem Möglichen.

Als nächster kam Max, dann Dschako und zuletzt, etwas unbeholfen, Vitus. Es war so dunkel, daß ich nur ihre Umrisse erkennen konnte, aber Max hielt mich am Oberarm fest und führte mich zu der hinteren Hauswand. Auch hier waren die Fenster vergittert und verrammelt, aber Max schien genau zu wissen, was er wollte. Er hockte sich vor ein Kellerfenster und machte irgend etwas mit dem Gitter. Ich hörte ein rostiges Knirschen, dann hielt Max das ganze Gitter in der Hand und reichte es Ferdi, der es vorsichtig gegen die Wand lehnte.

Dschako kramte hinter uns in einer Ecke herum; als er zurückkam, hielt er ein Wäscheseil in der Hand. Er gab es Max, der es am Fenster befestigte und hinunterfallen ließ. Sie schienen die Augen von Katzen zu haben, denn sie bewegten sich völlig sicher in der Dunkelheit. Max richtete sich auf und gab Ferdi ein Zeichen. Ferdi hockte sich in das Fenster, die Beine nach innen, stieß sich mit den Händen ab und rutschte in den Keller; Vitus und Dschako folgten ihm. Max schob mich auf die Kelleröffnung zu. Ich weigerte mich stumm. Ich hatte Angst. Max knurrte etwas und hob mich hoch, wie man ein kleines Kind aufhebt … Und ich Idiot hatte noch im letzten Monat eine Fastenkur gemacht; vorher hätte er sich dabei nicht so leicht getan … Ich versuchte noch, ein Bein gegen die Wand zu stemmen; er schlug es mit dem Fuß zur Seite und ließ mich los. Ich saß auf einer Art steiler Kohlenrutsche, die in den Bauch der Erde führte. Ich glaub, ich hab geschrien. Dann fühlte ich Hände unter den Armen, wurde in die Höhe gerissen und stand. Über mir das helle Fensterviereck, das sich verdunkelte, als Max herunterkam.

Ein Feuerzeug flammte auf. Wir standen in einem quadratischen Kellerraum, in dem Gerümpel gestapelt war. Vitus hockte in der Mitte und räumte den Boden frei. Ferdi stand neben ihm und leuchtete mit seinem Feuerzeug.

Eine verwitterte Falltür mit rostigen Beschlägen kam zum Vorschein; Vitus klappte sie zurück, und für ein paar Sekunden standen alle in einer Art ehrfürchtigem Schweigen herum; sogar bei mir war die Neugier größer als die Angst. Vitus sprang in die Öffnung, kramte unten herum und riß ein Streichholz an. Gleich darauf sahen wir sein Gesicht, von einer Kerze erleuchtet, zu uns heraufschauen. Er lächelte mild und sah mehr denn je aus wie ein Dorfgeistlicher.

»Kommet, meine Freunde, denn das Paradies ist unser!«

Dschako stieß einen kleinen Quietscher aus und sprang auch hinunter, dann folgte Ferdi. Diesmal brauchte Max mich nicht zu schubsen. Ich wollte wissen, wie es im Paradies aussah.

Das Paradies war ein kleiner muffiger Raum von etwa neun Quadratmetern. An einer Wand lag eine Matratze auf dem Boden, Decken darauf. Sonst gab es nur eine Kiste, auf deren Deckel Vitus die Kerze geklebt hatte. Der Deckel lag schief, und ich erkannte in der halboffenen Kiste Konservenbüchsen und zwei Wodkaflaschen.

Ich war enttäuscht. Max strahlte mich an, als sei er im Begriff, mir den britischen Kronschatz zu zeigen. »Das beste Versteck aller Zeiten. War früher wohl mal ein Kartoffelkeller, was weiß ich … Jedenfalls sind wir die einzigen, die es kennen. Oben …« Er zeigte zu der Falltür hinauf: » … haben eine Zeitlang die Gammler gepennt; seitdem hat die Polizei ein Auge drauf und kontrolliert regelmäßig. Einen besseren Schutz kann man sich nicht wünschen.« Er lachte, nahm eine Wodkaflasche aus der Kiste und schraubte sie auf.

Ferdi sprang vor und schlug sie ihm aus der Hand. Das passierte so schnell, daß keiner von uns reagieren konnte. Auch Max stand nur da und starrte auf die Scherben und die Flüssigkeit, die langsam im Lehmboden versickerte. Ich sah Ferdi an und wich einen Schritt zurück. Sein Gesicht war kalkweiß. Die Kerzenflamme spiegelte sich in den Porzellanaugen.

»Du Arsch!« flüsterte er. »Ist das hier eine Party, oder was?«

Max schwieg. Er schaute auf seine Hand hinunter und rieb sie, als wäre sie verletzt. Dann hob er langsam den Kopf. »Wenn ich etwas nicht ausstehen kann«, sagte er, »dann ist das Dummheit.« Er sprach ganz ruhig, fast gelangweilt. »Gottverdammte Dummheit … Ihr seid ja zu blöd, um euch die Schuhe allein zuzumachen. Rumhocken und Biersaufen, das könnt ihr, und von dem Riesending tönen. Aber das einzige, was ihr fertigbringt, ist, einem alten Mutterl die Handtasche wegzureißen … Oder mit der Knarre rumballern wie die Spießer an Silvester.«

Mit einem Schritt stand er dicht vor Ferdi, und ich merkte, daß der sich zusammennehmen mußte, um nicht zurückzuweichen.

»Und du bist der Größte. Das bist du doch, oder? Wegen dir werden wir jetzt wegen Mord gesucht – aber wenn's nach dir ginge, dann könnten gleich noch ein paar draufgehen.« Er packte Ferdi an der Weste; der verschlissene Jeansstoff knackte unter seinen Fingern. »Du gehörst nicht zu uns, Mann – du gehörst in den Bunker, mit Lederriemen ans Bett geschnallt.«

Ferdi riß sich mit einer heftigen Bewegung los, blieb aber stehen.

Max wischte sich mit einer theatralischen Geste die Hände ab. »Das Ding ist schon für mich eine Nummer zu groß, aber für euch ist das so jenseits, daß ihr noch nicht mal kapieren könnt, wo der Film aufhört und der Knast anfängt.«

»Ist ja schon gut!« Dschako machte eine heftige Handbewegung, die die Kerze flackern ließ. »Hör doch auf, Maxl. Wir wissen ja, was du meinst!«

Max drehte sich abrupt zu ihm um. »So? Was mein ich denn?« Dschako glotzte ihn an und suchte nach einer Antwort.

»Das meint er …« Vitus kniete sich neben einer der Matratzen hin und klappte sie zur Seite. »Daß wir sie mit reinziehen müssen, wenn wir sicher sein wollen.« Er brachte zwei Plastiktüten zum Vorschein und drehte sich um. »Und wenn sie es erst einmal gesehen hat, dann …« Er sprach den Satz nicht zu Ende; seine Augen waren groß und schwarz und träumerisch auf die Tüten gerichtet, als er sie hochhob und über dem Lehmboden auskippte.

Geld.

Tausende und aber Tausende. Blaue Scheine, grüne, braune; zerknitterte und ganz neue, einzeln und in Päckchen, von Banderolen zusammengehalten. Ein ganzer Haufen. Ein Berg. Der Raum war so klein, und wir standen so dicht um das Geld herum, daß es mir vorkam, als wateten wir bis zu den Knien darin. Ein Schein lag direkt vor meinen Schuhen, rötlich braun im Kerzenlicht und glatt wie Monopoly-Geld. Nur größer. Sehr viel größer. So was hatte ich noch nie gesehen. Ich bückte mich wie hypnotisiert und hob ihn auf. 1000 Deutsche Mark … Tausend!

Es war still. Vollkommen still. So still, daß es weh tat. Ich schaute auf und sah in vier Gesichter. Acht Augen, die nicht auf das Geld auf dem Boden schauten, sondern auf den einen Schein, den ich in der Hand hielt. Gierige Augen – Max; ängstliche Augen – Dschako; haßerfüllte Augen – Ferdi. Und … Ja, und die Augen von Vitus. Ihren Ausdruck konnte ich nicht unterbringen. Sie waren immer noch groß und samtig dunkel. Aber sanft waren sie nicht mehr. Sie waren auf mich gerichtet, aber sie sahen mich nicht. Ihr Blick ging durch mich hindurch und war zugleich nach innen gerichtet. Es war ein Blick, wie ich ihn noch nie erlebt hatte und wie ich ihn auch nicht gern noch einmal erleben möchte.

Meine Finger öffneten sich wie von selbst, und der Schein flatterte geräuschlos zu Boden.

Dschako durchbrach die Stille mit einem Freudenjuchzer. Er sprang in den Geldhaufen hinein, wühlte in den Scheinen, warf sie hoch und versuchte sie mit dem Mund wieder zu schnappen. Aber ich achtete nicht auf ihn. Ich starrte immer noch Vitus an. Er sah jetzt wieder aus wie sonst. Dann lächelte er. Es war ein seltsam abwesendes Lächeln – das Lächeln einer Mutter etwa, die das Kritzelgemälde ihres Dreijährigen bewundert, während sie sich fragt, wie eng das Verhältnis ihres Mannes mit der neuen Sekretärin nun wirklich ist … Ich schaute zu Ferdi hinüber. Auch er lächelte, aber die Lippen blieben schmal und der Blick völlig unbewegt. Sein Gesicht hatte wieder die gemeißelte Schönheit, aber auch die Starre einer Gipsbüste. Er schien das Geld nicht zu beachten, sondern nur Dschako, der sich wie ein junger Hund im ersten Schnee aufführte … Vielleicht passierte noch mehr in diesen paar Minuten; ich habe nur noch eine Reihe von statischen Bildern im Gedächtnis.

Dann beugte sich Max vor, packte Dschako an der Schulter und riß ihn zurück. Ohne auf sein Gejammer zu achten, hockte er sich neben den Geldberg und forderte uns alle mit einer Kopfbewegung auf, das gleiche zu tun.

»Los – wir müssen den Scheiß ordnen!«

Und dann begann er, die Päckchen und Scheine nach Größen und Farben zusammenzulegen. Wir halfen. Der Bann war gebrochen, und nach zehn Minuten tat mir der Rücken weh. Ich ließ die anderen weiterzählen, stand auf und zündete mir eine Zigarette an. Nach zwei weiteren Zigaretten waren sie fertig.

Es waren sechs kleinere Haufen zu jeweils 10, 20, 50, 100, 500 und 1000 Mark. Die großen Scheine waren alle mit Banderolen versehen und sahen ziemlich neu aus. Vitus zählte und bewegte dabei murmelnd den Mund, als würde er einen Rosenkranz beten.

Max blätterte die Päckchen mit Banderolen durch, legte sie wieder zurück und stand langsam auf. »Die Nummern«, sagte er. »Alle fortlaufend …«

Ferdi und Vitus begannen sofort nachzukontrollieren. Max hatte recht. Alle Scheine über 50 Mark waren neu und in durchnumerierten Päckchen zusammengestellt. Die kleineren und älteren Scheine, deren Nummern nicht aufeinanderfolgten, machten etwas mehr als viertausend aus.

Max nahm meine Zigarette und paffte vor sich hin. »Viertausend Mark … Eine saftige Beute bei dem Risiko.«

»Heißt das …« Dschako kroch wieder auf den Haufen zu, magisch von dem Papiergeraschel angezogen: »Heißt das etwa, daß wir das Geld gar nicht ausgeben können?«

Max gab mir meine Zigarette zurück und steckte sich eine von seinen eigenen Filterlosen an. »Erstens müssen wir zuerst sowieso aufpassen; wir dürfen nicht plötzlich mit dem Zaster um uns schmeißen. Zweitens sind die numerierten Scheine für die nächsten Jahre voll blockiert – es sei denn, einer hat Sehnsucht nach Stadelheim. Und drittens bleibt für uns nur noch das Ausland, aber auch da müssen wir noch warten und später sehr vorsichtig sein. Auf alle Fälle, tausend Mäuse für jeden reichen nicht aus, um alles topsicher durchzufummeln …« Er sah auf die Uhr. »Verdammt, gleich eins!«

Sie schaufelten schweigend die Scheine in die Tüten zurück und schoben sie wieder in das Versteck unter der Matratze. Sie hatten es eilig, und Max erklärte mir warum:

»Polizeistunde. Verstärkte Streifen, erste Kontrollen.«

Er stellte sich unter die Luke, sprang hoch und zog sich hinauf. Vitus und Ferdi hoben mich ein Stück an, Max packte meine Hände und zerrte mich auch hinauf. Einen Augenblick stand ich oben im Dunkeln sehr dicht neben Max, spürte seinen Atem und seine Hände auf meinem Rücken. Da war es wieder, das verdammte Kribbeln, und reichlich stark für meinen Geschmack. Ich machte mich von ihm los; er bückte sich über die Luke, um den anderen raufzuhelfen. Vitus war wieder der letzte; er blies die Kerze aus und verrammelte die Falltür, die dann wieder mit Gerümpel abgedeckt wurde. Ferdi leuchtete mit dem Feuerzeug; dann ging er als erster zu der Kohlenrutsche und hangelte sich wie ein Affe an dem Wäscheseil hinauf.

Draußen versteckten sie das Seil und schraubten das Gitter wieder fest. Auf dem Weg über den Hof und die Mauer ließen sie mich wieder nicht aus den Augen, behielten mich immer in der Mitte oder hielten mich sogar fest. Aber ich hatte gar keine Lust mehr abzuhauen. Ich wollte mit ihnen zusammensein oder auch nur mit Max, ich wußte es selber nicht. Die anderen schienen etwas Ähnliches zu fühlen, denn draußen auf der Straße standen wir herum wie verlorene Kinder, die Angst haben, allein nach Hause zu gehen.

»Ein Bier noch«, sagte Max.

Die anderen nickten erleichtert. Wir gingen zu Ede. Fader Ede ist noch eine der ganz wenigen Kneipen, die bis drei Uhr offen haben und für ein Bier nicht deinen halben Wochenlohn kassieren.

Die Luft war zum Schneiden dick. An der Bar hingen die üblichen übriggebliebenen Gestalten herum, aber der große Letzte-Drink-Pulk war noch nicht da. Ede kaute phlegmatisch an einem hartgekochten Ei herum und sah uns mit dem gepeinigten Blick eines dicken Mannes entgegen, der fünffache Arbeit auf sich zukommen sieht. Als er Ferdi entdeckte, schluckte er den Rest herunter und holte den Würfelbecher.

»Ein Zock?«

Ferdi nickte und bestellte fünf Bier. Ede, Ferdi und Dschako spielten Lügenchicago, aber es kam keine richtige Stimmung auf. Es war alles so alltäglich, so normal und trüb. Die Szene in dem kleinen Keller mit dem flackernden Kerzenlicht und dem Geldhaufen schien aus einem Film zu stammen. Oder aus einem Traum. Die Faszination war erloschen. Vielleicht war es ja das gewesen – das Gefühl, an etwas teilzuhaben, das anders war, lebendiger, echter. Und Max natürlich. Der Boss. Das Hirn des Ganzen, der düstere Held … Er stand neben mir, eine Hand auf meinem Rücken, den Daumen in meinen Jeansgürtel gehakt, und probierte es mit Minimassage an meiner Wirbelsäule. Nicht ganz erfolglos, wie ich zugeben mußte.

Vorn, an der Theke, jaulte Dschako auf; offensichtlich hatte er verloren und mußte eine Runde Korn zahlen. Er wollte auch keine Revanche, er wollte heim. Wie die siamesischen Fünflinge trotteten wir hinaus und zu Ferdis VW. Sie brachten mich bis zum Habsburger Platz, und ich erwartete, daß sie auch mit in meine Wohnung kommen würden, aber nicht einmal Max machte Anstalten dazu. Er und Ferdi stiegen aus, um mich aus dem Auto zu lassen, und sahen mir nach, als ich etwas verloren über den Grünstreifen zu meiner Haustür ging. Ich hatte sie fast erreicht, als mich Ferdis Stimme aufhielt.

»Dora!«

Ich blieb stehen und drehte mich um. Max saß schon wieder im Wagen, Ferdi stand neben der offenen Tür.

»Du hast doch sicher ein Lexikon?« Er setzte sich hinter das Steuer und kurbelte das Fenster herunter. »Dann schau doch mal unter Daktyloskopie nach!« Er gab Gas und raste davon.

Meine erste Reaktion war Ärger. Nicht einmal Ferdi konnte doch so dämlich sein anzunehmen, daß ich als Krimiautorin nicht wüßte, was Daktyloskopie ist. Erst als ich im Bett lag, ging mir auf, was er gemeint hatte: Ich war in dem Kellerversteck gewesen. Ich hatte einiges dort angefaßt und Fingerabdrücke hinterlassen.

Ich versuchte mich zu erinnern, was ich alles an glatten Flächen angefaßt hatte, aber dabei kam nicht viel heraus. Es war auch unwichtig. Die Technik ist heute weit genug, um auch an rauhen Flächen Abdruckfragmente festzustellen, und außerdem gibt es Banken, die ihre großen Geldscheine mit einem Präparat besprühen, das an jedem Finger, der es berührt hatte, durch infrarotes Licht sichtbar gemacht werden konnte. Tausender zum Beispiel … Ich starrte meine Hände an.