Kapitel 13

Ich nehme an, der Bubi hatte bisher in seinem Leben nicht viele Frauen zu sehen bekommen. Das erklärt wohl auch seine Fehleinschätzung meiner Schönheit. Ich stand jedenfalls über zwei Stunden am Straßenrand, bevor endlich einer hielt. Es war ein Möbelwagen, und er wollte weiter nach Stuttgart. Die beiden Fahrer brauchten eine Zeitlang, um hinter meinem etwas ramponierten Äußeren die innere Schönheit zu entdecken, aber dann unterhielten sie sich nur noch über eines: wie sie ihrem Chef klarmachen konnten, daß sie eine Panne hatten, und wie sie mit meiner Hilfe in München einen draufmachen konnten. In Schwabing, wo es ja bekanntermaßen so heiß zugeht.

Ich war froh, als wir endlich in der Stadt waren und ich aussteigen konnte. Es wurde schon dunkel, und am Himmel kündigte sich das übliche Abendgewitter an. Ich ging zu Fuß nach Hause, und als ich bei der kleinen Galerie im Nachbarhaus vorbeikam und drinnen noch Licht sah, ging ich hinein. Der Typ, dem sie gehört, ist sehr dick, und kein Mensch weiß, wie er das werden konnte, denn ich habe außer bei Vernissagen nie Leute in dem Geschäft gesehen. Er kam auch gleich glückstrahlend auf mich zu, stutzte etwas, als er meinen Aufzug sah, sah aber dann weltmännisch darüber hinweg. Wer in eine Galerie kommt, will Bilder kaufen; wer Bilder kaufen will, hat Geld, und wer Geld hat, kann sich jeden Aufzug leisten. »Möchten Sie sich umsehen? Wir haben hier …«

»Ich habe einen Hundertwasser. 67, Original, 40 mal 80. Ich will ihn verkaufen.«

Er sah an mir vorbei zur Tür. »Im Auto?«

»In meiner Wohnung.«

Er sperrte seinen Laden ab und kam mit. Ich bekam einen kostenlosen Vortrag über die Kunst unserer Zeit, ihre Möglichkeiten und ihre Zukunft, und im Treppenhaus noch einen Zusatz über Preise und Unkosten eines armen Galeristen. Als er das Bild sah, bekam er einen gierigen Gesichtsausdruck, und faselte gleich etwas von der fallenden Tendenz bei den Modernen. Er bot mir lächerliche fünftausend, aber ich akzeptierte unter der Bedingung, fünfhundert gleich zu bekommen, bar. Er hechelte wie ein junger Hund, bat mich inständig, das Bild nicht vorher zu verkaufen, rannte weg und kam nach zehn Minuten mit fünf Hundert-Mark-Scheinen und einem Scheck über 4500 zurück.

Als er endlich weg war, klebte ich ein altes Poster über die kahle Stelle an der Wand, setzte mich in den Sessel und rauchte eine Zigarette. Ich wartete, und diesmal war ich sicher, nicht umsonst zu warten. Um acht aß ich ein Käsebrot und zwei Tomaten und trank meinen letzten Iphöfer Kronsberg dazu. Ein paarmal läutete das Telefon, aber ich ging nicht ran. Sie würden an der Tür läuten.

Ich hatte recht. Sie kamen um zehn nach neun. Gerstl und Hofstetter. Sie kamen gar nicht erst lang herein, sondern sagten nur etwas steif: »Wir müssen Sie leider bitten, mitzukommen.«

Im Büro von Gerstl waren sie etwas weniger steif. Hofstetter brühte Nescafé, und Gerstl hatte sogar eine Flasche Korn im Schreibtisch. »Privat«, sagte er, grinste leicht dabei und goß zwei Gläser voll. »Hofstetter bekommt nichts. Der muß mitschreiben.«

Ich hatte in meinen Krimis schon ähnliche Büros beschrieben und fühlte mich eigentlich ganz zu Hause. Die Angst war vorbei, und auch die Unsicherheit. Ich hatte durch mein Nichts-Tun etwas getan, mit dem ich fertig werden mußte, und das beschäftigte mich mehr als alles, was mir hier nun bevorstand.

»Wir wollen es kurz machen«, sagte Gerstl nach dem üblichen Einleitungsgeschwätz. »Das hier ist noch keine offizielle Vernehmung, sondern nur eine Art freundschaftliche Unterhaltung.« Grinsen. »Es geht um Ihre Freunde. Lehl ist tot. Und Jaschik haben wir auch gefunden. Das können Sie sich sicher denken. Wir wollten ihn vernehmen, aber da er nicht aufmachte, haben wir sicherheitshalber eine Fahndungsmeldung rausgegeben. Am Grenzübergang Griesen haben sie seinen Wagen angehalten. Nur saß nicht der Jaschik drin, sondern ein gewisser Vitus Datzmann. Er hatte eine alte Arzttasche mit fast hundert-siebentausend Mark bei sich. Sagen tut er nicht viel. Morgen überweisen wir ihn in die Psychiatrische … Und damit hätten wir drei.«

Er machte eine Pause; ich sah zu Hofstetter, der an einem kleineren Tisch saß und stenografierte.

»Einer fehlt uns noch. Aber seinen Namen haben wir schon: Maximilian Lechenmayr, 28 Jahre, Gelegenheitsarbeiter, nicht vorbestraft.«

Ein paar Worte, und Max war in seiner Schublade. Aber sie hatten ihn noch nicht. Wenn er von den herumfliegenden Geldscheinen noch ein paar erwischt hatte, dann schaffte er es vielleicht doch noch bis Spanien. Denn meine Autonummer hatten sie offenbar nicht durchgegeben … Noch nicht.

Gerstl zog eine Zigarre aus der Tasche, holte einen Zigarrenabschneider aus dem Schubfach und schien sich nur für eins zu interessieren. Diese Zigarre. Ohne aufzusehen, sprach er weiter. »Ja, der Jaschik … Sehr schön hat er nicht ausgesehen. Eher im Gegenteil. Aber, das wissen Sie ja.«

»Woher soll ich das wissen?«

»Weil Sie in seiner Wohnung waren. Kurz bevor wir hin sind. Durch Glastüren kann man nicht nur von einer Seite schauen.«

Ich starrte ihn an. Er freute sich, obwohl er immer noch mit seiner Zigarre beschäftigt war und so tat, als wäre sie allein der Grund seiner guten Laune.

»Haben Sie mich hergeholt, um mir diese Geschichte zu erzählen«, sagte ich, »oder wollen Sie meine auch hören?«

Er paffte eine Wolke in die Luft und lehnte sich zurück. Hofstetter sah nicht auf, sein Bleistift schwebte über dem Stenoblock. Ich schob mein leeres Kornglas über den Tisch; Gerstl mußte sich vorbeugen, um es wieder zu füllen. Dann zündete ich mir eine Zigarette an und erzählte die Story, die ich mir inzwischen zurechtgelegt hatte.

Im großen und ganzen entsprach sie der Wahrheit. Ich ließ nur aus, daß ich bei dem ersten Überfall den grünen Peugeot gesehen hatte; ich sagte auch nichts von meiner Beteiligung am zweiten Überfall – glücklicherweise hatte offenbar niemand beobachtet, daß Max im Wagen geblieben, also, nach Dschakos Tod, ein Räuber zuviel beteiligt gewesen war. Ich bestritt, jemals etwas von der Beute gesehen zu haben, vor dem Zusammentreffen auf Bubis Hof. Ich gab zu, Max recht gut zu kennen, die anderen aber nur ein paarmal gesehen und erst nach und nach Zusammenhänge geahnt zu haben. Ich sagte aus, daß Max mein Auto gestohlen, ich aber keine Ahnung hätte, wohin er fliehen wollte. Und das stimmte sogar.

Gerstl glaubte mir kein Wort. Er ließ Hofstetter das Protokoll abtippen und wartete, bis ich unterschrieben hatte. Dann brachte er mich zur Tür.

»Ich weiß, daß Sie mit drinhängen«, sagte er. »Den Lechenmayr kriegen wir noch, und der Datzmann wird reden. Irgendwann.« Er hielt mir höflich die Tür auf. »Schlafen Sie gut!«

Ich nahm mir ein Taxi zum Habsburger Platz – Geld hatte ich ja. Die Wohnung kam mir dunkel und unheimlich vor, sogar nachdem ich überall Licht gemacht und alle Spuren, die auf Max hinwiesen, weggeräumt hatte. Auf dem Stuhl fand ich den noch ungeöffneten Brief. Er war von meinem Verleger, nicht sehr lang, aber unmißverständlich.

Es ging auf zwölf. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und entwarf eine Anzeige, die ich morgen in der Zeitung aufgeben wollte, um zwei Brücken und einen Empire-Sekretär zum Kauf anzubieten. Dann schubste ich die weißen Papierstapel zusammen und spannte ein neues Blatt in die Maschine.

Wenn sie Max kriegen … Vielleicht irrte sich Gerstl. Vielleicht hielt Max den Mund. Es war keineswegs sicher, aber doch vorstellbar … Laß die Karre irgendwo stehen, Max, dachte ich. Am besten am Grund eines Baggersees oder so. Geh zu Fuß, fahr per Anhalter – mit der Karre kommst du nie über die Grenze … Und Vitus? Nun, wieviel oder wenig Gewicht eine Aussage von Vitus haben würde, das hing einstweilen vom psychiatrischen Befund ab.

Ich gab mir einen Ruck. Wie auch immer – ich konnte nichts tun. Ich mußte abwarten. Nichts tun. Nichts-Tun … Der weiße Bogen in der Maschine sah mich an. Ich sah den Bogen an. Doch, ich konnte etwas tun; auch mein Verleger war der Ansicht, wie er mir gerade mitgeteilt hatte.

Ich sah aus dem Fenster. In der Friedrichstraße bildeten die Autos eine lange Lichterkette. Ich ließ die Autos Autos sein und begann zu schreiben:

So groß war der Hund gar nicht, aber offenbar recht kräftig, denn er zerrte die alte Frau mit beeindruckender Lässigkeit hinter sich her über die Kreuzung