Kapitel 4

Die Sekretärin, Fräulein Helga, brachte ihm die eingegangene Post und ein Glas Tee.

Horst grinste. »Sie brauchen wohl wieder mal eine Zulage für die Kaffeekasse?«

»Tee ist besser für den Kreislauf.« Sie stellte das Glas auf seinen Tisch. Sie war Mitte zwanzig, etwas rundlich und glühende Anhängerin der gesunden Lebensweise. Natürlich war auch der Tee frisch aufgebrüht und stammte nicht etwa von einem Teebeutel. Sie ging zur Tür. »Dr. Weller hat für 10 Uhr eine Sitzung anberaumt; er bittet Sie zu kommen.«

Er lachte. »Ich fürchte, dann brauch ich doch etwas Stärkeres als Tee.«

Sie ging hinaus, ohne zu antworten. Humor war nicht ihre starke Seite, und auch ihre etwas geschraubte Ausdrucksweise hatte er bisher vergeblich zu ändern versucht. Er würde sich an sie gewöhnen müssen, so wie sie war. Die Sekretärinnen wurden von Schröder, dem Personalchef, ausgesucht und zugeteilt – es sei denn, man hatte bereits ein Büro in den obersten Etagen … Horst begann den viel zu heißen Tee zu schlürfen.

Als er vor einem halben Jahr in dieses Büro gezogen war, hatte er sich gefreut wie ein kleiner Junge nach einem gewonnenen Fußballspiel. Es hatte Teppichboden und eine Sitzecke, und er hatte sich die Grafik an den Wänden selber aussuchen dürfen. Es irritierte ihn etwas, daß von dieser Freude nicht mehr viel zu spüren war. Aber vermutlich war das ein gutes Zeichen. Er wollte weiterkommen. Ein Ziel, das er bereits erreicht hatte, interessierte ihn nicht mehr. Seine Mutter hatte immer schon gesagt, daß er ehrgeizig sei und es einmal zu etwas bringen werde, schon als er noch auf die Schule ging. Dabei hatte er nie so sonderlich gute Noten gehabt. Außer in Deutsch und Zeichnen.

Er sah auf die Uhr und zog die Mappe mit den Inseratentwürfen für den neuen Taschenrechner zu sich heran. Ob Weller darüber mit ihnen reden wollte? Das wäre unangenehm, denn für die Serie war er verantwortlich, und jetzt, als er sich die Andrucke noch einmal ansah, hatte er nicht gerade eben das Gefühl, etwas Weltbewegendes entwickelt zu haben. Vielleicht konnte man ja noch etwas daran ändern – am Text zum Beispiel … Er brütete vor sich hin. Er trank den Tee aus und steckte sich eine Zigarette an, obwohl er sonst so gut wie nie rauchte. Er lehnte sich zurück und stierte auf die Inserate.

Sah das etwa so aus, als sei er nervös? Er drückte die kaum angerauchte Zigarette aus. Seine Hände waren vollkommen trocken und zitterten nicht. Weller mochte ihn, das hatte er mehr als einmal durchblicken lassen. Er mochte ihn mehr als diese Fischer von der Insertion, obwohl sie im Gegensatz zu ihm promoviert hatte. Wahrscheinlich, weil sie eine Frau war. Weller hatte Probleme mit Frauen, nicht zuletzt mit seiner eigenen. Na schön, zugegeben, die war ein ziemlicher Drachen, und mit der Fischer kam keiner im Haus aus, aber Weller war natürlich auch nicht eben der geborene Diplomat. Horst legte die Inseratmappe wieder weg und versuchte, sich eine Strategie für die folgende Besprechung zurechtzulegen.

Zwei Minuten vor zehn stand er auf, zog seine Krawatte zurecht und machte sich auf den Weg. Die Fischer fuhr im selben Fahrstuhl. Wie immer war sie wie aus dem Ei gepellt und nach der letzten Mode angezogen. Ein leichter Duft von Chanel Nr. 5 umgab sie. Sie sah knapp an seiner Schulter vorbei auf die Fahrstuhlwand. Erst als der Lift hielt und sie ausstiegen, begannen sie beide gleichzeitig zu reden. »Es geht vermutlich um die neue Insertionsreihe«, und »Hoffentlich erwartet er nicht schon Vorschläge für den Messestand von uns.«

Als sie in den kleinen Konferenzraum kamen, waren die anderen schon da. Weller war mit einer Aufstellung der Buchhaltung beschäftigt, sah kurz auf, als sie hereinkamen und sich so weit voneinander entfernt wie nur möglich auf die noch freien Stühle setzten, und vertiefte sich wieder in seine Papiere. Endlich schob er sie zusammen und wandte sich direkt an Horst.

»Nur ganz kurz, mein lieber Herr Selbeck: Die neue Inseratserie ist hervorragend. Wirklich, genau das, was wir uns vorgestellt haben. Nicht zu anbiedernd und nicht zu trocken. Glückwunsch.«

Er wandte sich jetzt den anderen zu; Horst hörte kaum, was er sagte. Irgend etwas von Wünschen der Direktion, Jubiläum und Festschrift. Im Augenwinkel sah er das verkniffene Gesicht der Fischer, aber auch darauf achtete er kaum. Er spürte Erleichterung, Freude, Stolz.

Er fühlte sich großartig.