Kapitel 24

Es war viel aufregender, als sie es sich vorgestellt hatte. Alle waren da – Gert und Ilse, die Jungs vom Bowlingclub, Nachbarn, mit denen sie bisher kaum ein Wort gewechselt hatte. Sie kümmerten sich um sie, trösteten sie, halfen ihr. Gert hatte das Regal repariert und ihr einen neuen Fernseher besorgt, Ilse und die Nachbarn hatten das Haus aufgeräumt und Blumen aufgestellt, einer vom Bowlingclub hatte das Kellerfenster neu verglast; sie hatten Schnittchen gemacht und mixten die Drinks. Drei Reporter waren da. Einer von einer Illustrierten, zwei von Tageszeitungen. Vom Fernsehen sollte auch jemand kommen, nur Regionalprogramm zwar, aber immerhin … Sie trug ein langes Hauskleid aus dunkelgrünem Wollstoff, das ihr, das wußte sie, unheimlich gut stand. Es ließ ihr Gesicht noch blasser erscheinen und ihr Haar noch blonder. Sie hatte sich nur ganz leicht geschminkt und auf die Lidschatten verzichtet, weil sie doch immer wieder weinen mußte. Es war wie auf einer großen Party, und sie war der Mittelpunkt. Sie hatte ja nicht geahnt, wie beliebt sie war.

»Was werden Sie denn nun anfangen?« fragte ein Reporter, nachdem sie die ganze Geschichte zum x-tenmal erzählt hatte. »So ganz allein?«

Sie hob nur hilflos die Schultern und meinte dann tapfer: »Irgendwie wird es schon weitergehen, nicht? Es geht ja immer irgendwie weiter.«

»Haben Sie einen Beruf?«

»Fremdsprachensekretärin. Aber heute, bei der Arbeitslosigkeit … Ich werde eben irgend etwas annehmen, wenn ich etwas finde.«

Der Illustriertenreporter hüstelte. Sie hatte mit ihm einen Exklusivvertrag abgeschlossen und ihm die Persönlichkeitsrechte übertragen. 15 000 Mark dafür, daß sie den anderen Reportern nur das erzählte, was ohnehin im Polizeibericht stehen würde.

»Hat denn Ihr Mann keine Lebensversicherung abgeschlossen?«

»Ach …« Sie hob die Hände, wobei sie den abgebrochenen Fingernagel verbarg. Ihre Hände wirkten viel schmaler, wenn die Nägel lang waren, aber wegen diesem einen blöden Nagel hatte sie alle kurz feilen müssen, relativ kurz. »Ich habe mich noch gar nicht um all die Papiere kümmern können. Eine kleine hatte er sicher, aber wissen Sie, das Haus ist ja stark belastet.«

Mitfühlendes Gemurmel.

150 000 waren es; er mußte ohne ihr Wissen noch einmal erhöht haben. Horst mit seinem Sicherheitsdenken. Bei Unfall das Doppelte. Und Mord war doch wohl auch eine Art Unfall. Und wenn sie das Haus verkaufte und die Hypotheken abzog, dann blieben ihr noch mal 80 000. Sie konnte in die Stadt ziehen, eine schicke Wohnung mieten oder sogar kaufen, und vielleicht eine Boutique aufmachen, so was in der Art, das hatte ihr schon immer gefallen … Sie merkte zu ihrem Schrecken, daß sie lächelte, und schneuzte sich hastig, um es zu verbergen.

Einer der Reporter hatte etwas gefragt, sie hatte es nicht verstanden, sah ihn verwirrt an. Ilse hatte Gott sei Dank die richtige Idee: »Bitte, meine Herren, ich glaube, es ist wirklich besser, wenn Sie jetzt gehen; Sie merken doch, daß es ihr zuviel wird.«

Sie murrten ein bißchen, standen aber auf. Schossen noch ein paar Fotos von ihr. Sie versuchte, so unauffällig wie möglich, den Kopf immer zu dem zu drehen, der gerade fotografierte. Ihr Profil kam auf Fotos scheußlich raus.

Der Illustriertenreporter hatte einen komischen Ausdruck im Gesicht. Der dachte wohl, er könnte sich alles erlauben für 15 000 Mark. Sie hätte vielleicht mehr verlangen sollen. Es war immerhin eine Superstory … Endlich war er auch weg.

Ilse setzte sich neben sie und legte ihr den Arm um die Schultern, Gert brachte ihr einen Whisky. Sie trank einen Schluck und lehnte sich gegen Ilse.

»Ich danke euch«, sagte sie erschöpft.