Kapitel 19

Umkehren würde er nicht. Nicht ums Verrecken. Es war ihr erster richtiger Streit. Aber, er konnte doch nichts dafür, wenn sie alles falsch verstand. Wenn sie so spießig war, daß sie sich seiner schämte. Sie war doch geschieden, sie war frei, sie war erwachsen. Und er war weder bucklig noch schielte er. Jünger war er, na und. Millionen Männer in ihrem Alter heirateten jüngere Frauen und waren auch noch stolz darauf. Aber, da machte er nicht mit. Wenn sie ihn zum Schlafburschen degradieren wollte, dann stieg er aus. Aber sofort. Er schnitt eine Kurve und übersah einen winkenden Gast absichtlich. Dabei war sie doch die Hilflose. Sie war ja ohne ihn unfähig, ihren Namen zu schreiben. Er hielt mit einer Vollbremsung an einem Stand, an dem er eigentlich nichts zu suchen hatte, und erwartete voller Vorfreude die Beschimpfungen der anderen Fahrer. Er brauchte dringend ein Ventil für seine Wut.

»Hey, da kommt noch einer vom Kröll«, rief ein Fahrer, den er nicht kannte. Schwer, kahlköpfig, um die Sechzig. Dann erst sah er Max und Sigi. Sie standen alle bei der Rufsäule und warteten, bis er den Wagen abgestellt hatte und zu ihnen kam. Franze war überfallen worden. Lag im Krankenhaus, schwere Gehirnerschütterung.

»Einer von diesen Schleimscheißern. Lederjacke und Messer.«

»Ausländer, das könnte ich schwören.«

»Der Franze ist ein Stier. Da braucht's schon mehr als so einen Kanaken.«

»Dann waren es zwei.«

»Die haben doch heute Revolver dabei.«

»Der Franze hat eine Gaspistole unter dem Sitz und einen Knüppel.«

»Mann, gegen ein Schießeisen!«

»Die Polizei hat natürlich wieder mal keine Ahnung.«

»Das ist der dritte Überfall allein in der Woche.«

»Oder so ein Rocker.«

»Wenn mich einer anmacht, schlag ich sofort zu.«

»Ich hab eine abgesägte Schrotflinte. Die voll in die Fresse, und der überfällt so schnell keinen mehr.«

»Der Rosl hat mal einer 'ne Flasche mit Salzsäure unter die Nase gehalten.«

»Drum!«

Lachen.

Manfred nahm einen Anruf entgegen, sie ließen ihn fahren, obwohl er der letzte in der Reihe war. Sie geilten sich lieber ohne ihn auf. Wußten, daß er nicht ihrer Meinung war und ihre widerlichen Witze beschissen fand. Er fuhr ein junges Paar zur Oper und ein altes Mütterchen zum Bahnhof. Zwei Manager zum Arabellahaus und zwei Hermaphroditen nach Schwabing. Brachte einen alten Knacker zur Goethestraße und vier ledergenietete Muskelpakete zum Gärtnerplatz. Die Nacht fing erst an.

Als die Theater aus waren, hatte er Glück. Ein Ehepaar nach Solln raus und gleichzeitig einen Auftrag für den nächsten Morgen zum Flugplatz. Gestern hätte er so etwas noch nicht angenommen. Das Frühstück mit Charlotte war ihm heilig. Aber jetzt überlegte er, wo er statt dessen übernachten konnte, er wollte sie nicht mehr sehen, nie wieder. Sollte sie doch ihren Kram allein machen. Die würde schon sehen, wo sie blieb. Hielt sich plötzlich für den dicken Macker. Buchhändlerin, was war das denn schon groß! Noch nicht mal gelernte Sortimenterin. Lachhaft. Er hatte immerhin studiert.

Er fuhr die Stadelheimer entlang, der graue Klotz wirkte in der Dunkelheit wie ein abstruses Puzzle. Nur die Umrisse waren zu erkennen hinter den angestrahlten Mauern, die kalkweiß erleuchteten Zellenfenster wie losgelöste Phosphorquadrate im Himmel. Ein Ford Transit kam ihm entgegen. Gleich hinter dem Friedhof sah er das Taxi.

Beide Türen standen halb auf, das Standlicht brannte. Es sah aus, als wäre der Fahrer mal kurz in die Büsche gesprungen. Aber warum Standlicht, und wozu beide Türen? Manfred fuhr weiter. Kribbeln im Nacken, Angst. Wenn da irgend etwas passiert war, würde sich der Transitfahrer an das Taxi mit dem leuchtend gelben Frei-Schild erinnern. Die Zentrale wußte, wo er war. Er wendete und fuhr zurück. Das Taxi stand immer noch an der gleichen Stelle, beide Türen halb offen. Manfred blendete auf, konnte aber noch immer nichts erkennen. Er nahm die lange Stablampe unter dem Sitz hervor, hielt sie wie einen Knüppel. Bewegte sie außerhalb des Lichts.

Der Mann lag hinter dem rechten Hinterreifen. Lang ausgestreckt mit gespreizten Armen auf dem Rücken. Erde und Schotter zwischen den verkrallten Fingern. Weißer Schafwollpullover, schwarze Cordjeans und schwarze Cowboystiefel. Mit weißen Nähten. Daran erkannte er ihn. Ahmed! Das Gesicht war nur noch eine blutige Masse.

Manfred wußte nicht, wie lange er in diese rote Breimasse hineingeleuchtet hatte. Ein Goldzahn. Er taumelte ein paar Schritte weiter, übergab sich. Ging dann erst zu seinem Wagen, um über Funk die Kollegen und die Polizei zu rufen.

Wartete stumpf und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Die Taxis waren schneller als die Funkstreife. Dann kamen auch die Kripo und ein paar Wachleute aus dem Gefängnis. Aus dem dunklen Nichts quollen Neugierige und Besserwisser. Die Kollegen nahmen Manfred in die Mitte, schützten ihn, hüteten ihn, einer hatte einen Flachmann dabei. Ein Gefühl der Wärme und Zusammengehörigkeit inmitten von all dem angestrahlten Grauen.

Die Uniformierten, die die Neugierigen zurückdrängten, waren freundlich. Sie teilten den Haß der Taxifahrer. Der Kommissar von der Kripo war viel jünger als die im Fernsehen. Kaum dreißig. Grauer Flanell. Goldrandbrille. Eine Eiterpustel neben der Nase. Er wollte von Manfred wissen, wie und wann genau er den Toten gefunden hatte. »Kannten Sie ihn? War er ein Freund von Ihnen? Oder nur ein Kollege. Sie kennen seinen Namen. Sie fahren für die selbe Firma. Hatten Sie privat Kontakt mit ihm.« Es klang fast, als würde er Manfred verdächtigen. Die anderen Fahrer grummelten und grollten und schoben sich vor Manfred. Manfred verhedderte sich in seiner Aussage. Fürchtete sich, seine Feigheit zuzugeben, dachte an den Transitfahrer, den sie natürlich spätestens morgen früh finden würden.

Sie knipsten die Scheinwerfer aus und packten die Fotoapparate ein. Gipsabdrücke von den Reifenspuren. Legten die Leiche in einen Sarg, der aussah wie eine längliche Puddingform. Rotierende Blaulichter. Der Polizeiarzt schien noch jünger als der Kommissar. Ahmed war aus nächster Nähe erschossen worden. Direkt ins Gesicht.