Sie hatte den Körper eines jungen Mädchens.
Lange schmale Beine, ein runder Knabenarsch und Brüste wie Apfelhälften. Gleichmäßig dunkel gebräunt, das lange Haar von der Sonne ausgebleicht. Sie lief vor ihm in das Wasser, Lichtreflexe im kristallklaren Türkis. Drehte sich zu ihm um und lachte. Er rannte hinter ihr her, packte sie, balgte mit ihr herum, küßte sie. Hob sie hoch, trug sie an den Strand zurück und liebte sie im heißen Sand.
Robert wachte schweißgebadet auf und wußte im ersten Moment nicht, wo er war. Düstere Hitze. Der Gestank von billigem Gin und kaltem Zigarettenrauch. Sandkörner auf dem verkrumpelten Laken und etwas Pelziges in seiner Kniekehle. Vincent, der Kater. Schnurrte erfreut, als Robert sich bewegte und knabberte liebevoll an seiner Wade. Robert gab ihm einen Fußtritt, was Vincent jubelnd als Aufforderung zum Spiel verstand. Robert trat ihn so heftig, daß er durch das Zimmer flog. War endgültig wach, und der Ständer war auch weg. Robert hatte Durst. Das Vichy neben seiner Matratze war lauwarm und schmeckte widerlich. Vincent hockte beleidigt in einer Ecke und beobachtete ihn. Das im Kampf mit einem anderen Kater zerbissene Ohr warf einen grotesken Schatten auf die weiß gekalkte Wand. Robert bewegte sich nicht. Hatte Mühe, die verklebten Augen offenzuhalten. Staubwolken auf dem Boden, schmutziges Geschirr und ein zusammengeknülltes Handtuch. Trübe Gläser, leere Flaschen, übervolle Aschenbecher. Robert beugte sich halb aus dem Bett, kramte eine letzte Zigarette aus der Celtaspackung und goß sich einen Rest Mahon-Gin auf das Vichy. Hustete, ließ sich auf die Matratze zurückfallen.
Vincent griff zur letzten Waffe, Robert dazu zu bringen, daß er sich mit ihm beschäftigte. Er machte sich mit Krallen und Zähnen über die Farbtuben her. Robert sah nicht hin. Er hörte das metallene Knirschen und Schmatzen und das triumphierende Grrr, es war ihm egal. Alles war egal und unwichtig.
Gina, verdammt noch mal.
Als er sie kennengelernt hatte, war sie siebzehn und dürr wie ein Zahnstocher. Und er war einundzwanzig und liebte sie. Und heute war er beknackte zweiunddreißig und liebte, sie immer noch. Lag in einer verwanzten Dreckbude im heißen Spanien und träumte von ihr als Wichsvorlage, und sein Kater zerstörte soeben sein Lebenswerk. Vincent, der Einohrige. Recht hatte er. Robert mußte kichern und bekam einen Hustenanfall. Stand auf, ging in den Hof und holte sich einen Eimer Wasser aus dem Brunnen. Eiskalt. Noch einen. So ein Schwachsinn. Nach zehn Jahren noch von Gina zu träumen. Träumen, haha. Wo es auf der Insel willige Weiber in allen Größen zuhauf gab. Er rasierte sich und zog ein sauberes T-Shirt zu seinen speckigen Jeans an. Zählte seine Peseten. 800, mehr als genug.
Die Abendsonne glühte über rot ausgedörrten Feldern und blendete ihn. Das Fahrrad quietschte wie ein asthmatischer Bergsteiger. Oder waren das seine Lungen? Sollte vielleicht weniger rauchen. Was denn sonst als Tabak und Rum, das war wenigstens noch billig hier. Er schnaufte bei der Steigung vor dem Dorf. Schwitzte. Fühlte sich wie neunzig. Entweder Boutiquen-Gabi oder die blonde Helga aus Düsseldorf oder Jacqueline. Die standen doch schon Schlange nach ihm. Gabi würde ihn unter Garantie anpumpen, Helga hatte selber Mäuse und fuhr vor allem bald weg. War nur leider über vierzig. Und bei Jacqueline war man nie sicher, wer der Vorgänger gewesen war. So ein penicillinresistenter Marokkotripper war nun wirklich das Allerletzte, was er noch zu seinem Glück brauchte. Lieber so eine von diesen hungrigen Neckermannzuschen, die das ganze Jahr nichts anderes machten, als das Alpenveilchen im Büro vom Chef zu gießen, und sich dann für drei Wochen mit jedem Kellner ins Bett knallten. Ein Hauch von Romantik und eine Rolex als Andenken. Manolo und Juanito, Miguel, Pepe, Paco und Antonio, am Ende der Saison konnten sie alle kaum noch laufen. Schwarze Haare hatte er selber. Er schaffte die Steigung nicht. Stieg ab und pinkelte gegen die niedrige Natursteinmauer, als wäre das der einzige Grund, abzusteigen. Schob die letzten dreihundert Meter bis zu dem kleinen Bauernhaus am Straßenrand, in dem die Post war. Lehnte sein Rad an die Wand und stellte sich in der Reihe an.
Gimmelmann, Forster, Dupont, Haidenrath, Mueller, Crommelin und Mayans. Klein. Robert Klein. Es geschehen noch Zeichen und Wunder, ein Brief für ihn. Großes Kuvert, teures Papier, Schreibmaschine. Absender Galerie. Er riß das Kuvert gleich vor der Post auf. Brockmann, die beste Galerie in München. Und denen hatte er nicht mal geschrieben, die wandten sich von selbst an ihn. Seine Finger zitterten leicht.
Ein doppelt gefalteter Prospekt auf Kunstdruckpapier. Glanzkaschiert, Vierfarbendruck. Eine Häuserschlucht in Blau, am Ende ein nacktes Mädchen. Gina mit kurzem Haar. VERNISSAGE. Wir laden Sie herzlich ein. Und darüber handbreit in Versalien: KURT HOMBERG.
Robert fuhr in die nächste Kneipe und bestellte sich einen Killer. Palo con Ginebra. Soff zwei davon und machte dann mit Gin pur weiter. Zerschmiß etliche Gläser, beschimpfte die Weiber und bedrohte sowohl die Kellner als auch die Rentnertouristen mit Kastration, Folter und Mord.
Einzelausstellung bei Brockmann.
Kurt Homberg.
Sein bester Freund.
Ginas Mann.