Kapitel 13

Robert kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an. Er klammerte sich an der Bartheke fest und hatte Mühe, den Cognac nicht zu verschütten. Trank ihn aus und schwankte hinaus an die Reling. Ein Brecher schwappte über Bord und durchnäßte ihn. Er holte tief Luft und fühlte sich etwas besser. Fixierte den Horizont. Auf und ab. Wellen, Täler, das kleine Schiff stieg, senkte sich, hob sich wieder. Ein fast glühendes Blau, soweit man sehen konnte. Durch einen weißen Dunststreifen in zwei Schattierungen geteilt. Eine Felseninsel, das Schiff änderte den Kurs, die See wurde ruhiger.

Vigoleis Thelen, die Insel des zweiten Gesichts. Robert hatte das Buch vor Jahren gelesen und sich plötzlich wieder daran erinnert. Spanien, Insel im Mittelmeer. Das überirdisch klare Licht, das die Maler faszinierte. Vino, Gastfreundschaft und Gitarrenklänge. Er verkaufte den 2 CV für knapp zweitausend Mark und reduzierte sein Gepäck auf das Allernötigste. Nahm den Bus nach Barcelona. Vermutete, daß sie ihm den Paß absichtlich gelassen hatten. Damit er nicht zur Polizei gehen mußte. Damit er verschwinden konnte. Gaunerpsychologie. Robert hatte genug von Städten und Menschenansammlungen und suchte sich die kleinste Insel auf der Landkarte aus.

Sie war wirklich verdammt klein.

Flach wie eine Schuhsohle mit einem grünen Buckel am Ende. Braune Felsen und eine weiße Hafenmole. Beton, Lastkräne, Ausflugsboote mit kurzhosigen Touristen und Berge von Coca-Cola-Kisten. Ganz Natur und Idylle. Robert schleppte sein Gepäck an Land. Fragte den marinero, der die Laufplanke festhielt, wann das Boot wieder zurückführe. Der lachte zahnlos und winkte einem Taxifahrer.

Eine schnurgerade Asphaltstraße, direkt vor ihnen ein dickbäuchiger Bus, dessen Dieselwolken durch die offenen Fenster ins Taxi quollen. Telefonmasten und Lagerhäuser im flachen Stein. Grüne Weinfelder, hellgelber Weizen, dunkelgrüne Feigenbäume, von Hunderten von Jahren zu Schattendächern gebeugt. Schafe, Ziegen, eine alte Bäuerin in schwarzer Tracht. Weiße Würfelhäuschen, eine Windmühle. Roberts Abneigung verwandelte sich in Interesse, Neugier, Sympathie. Als das Taxi vor der kleinen Pension hielt, wußte er, daß er zu Hause angekommen war.

Das Zimmer war ebenerdig und winzig, und die einzige Aussicht war ein staubiger Eukalyptusbaum. Dusche und Klo waren auf dem Flur draußen. Die Kneipe gegenüber. Ein paar junge Leute auf der Mauer. Lange Haare, Pluderhosen, Fleckenjeans. Wein und Hasch und eine Gitarre. Robert setzte sich hin, sie sahen kaum auf. Später kamen noch eine Flöte und eine Mundharmonika dazu. Die Flöte hieß Ali und trug ein indisches Hemd, die Mundharmonika hieß Helen und war sehr hübsch. Robert holte eine Runde und fragte, wo man hier wohnen konnte. Nun ja, man mußte ein Haus finden. Noch eine Runde. Das war gar nicht so einfach. Zwei Bier, eine Cola und ein Hierbas. Und verdammt teuer. Ein Cognac, drei Wein. Die Bodega hat noch offen, wenn du eine Karaffe Wein kaufst, gehen wir zu uns und kochen Spaghetti.

Das Haus, in dem sie wohnten, lag nicht weit vom Dorf. Uralt und teilweise verfallen, aus braunen Natursteinen, verwinkelt, flach geduckt hinter einem mannshohen Kaktusgarten. Vom Kerzenlicht verrußte Wände, Matratzen auf dem gestampften Lehmboden, mexikanische Decken. Ali und die Gitarre hatten einen Job, sie spielten bei einer Touristenparty mit Paella und Sangria auf. Es gab noch einen Chris aus England, einen Pablo aus Argentinien und eine Susie aus der Schweiz. Robert verstand nicht ganz, wovon sie eigentlich lebten, er nahm nur wahr, daß Helen allein in ihrem Anbau lebte und daß er bei ihr bleiben konnte und daß sie noch ein Extrakrümelchen Grass für nachher hatte.

Sie aßen die Spaghetti und tranken den Wein dazu, rauchten ein paar Joints und erzählten sich was. Pablo wußte vielleicht ein kleines Haus für Robert, weiter weg, er würde ein Fahrrad brauchen. Zwei Räume mit Zisterne und offenem Kamin. Aus dem Haus konnte man was machen. Viertausend Peseten Miete, das waren etwa hundert Mark. Der Bauer, dem es gehörte, war in Ordnung, wenn Robert sich ein Oberlicht in die Decke machen wollte, hatte er sicher nichts dagegen. Sonst war es zu dunkel zum Malen. Pablo malte auch. Es gab sogar eine Galerie auf der Insel, und zwei Lithopressen, die man mal benutzen konnte. Die Hausbesitzer aus Düsseldorf oder Zürich, die mit Geld, die kauften schon mal ganz gern was für ihre Villen mit Meeresblick. Und andere Jobs halt. Häuser weißeln, Holzarbeiten, putzen, je mehr einer konnte, desto einfacher war es. Viel braucht man ja nicht. Deswegen sind wir schließlich hier und nicht in Frankfurt. Sie wurden albern, kicherten. Susie und Chris schmusten ein bißchen.

Robert sah eine alte spanische Gitarre mit gerissenen Saiten an einer Wand hängen, nahm sie herunter und spielte ein bißchen auf den restlichen drei Saiten. »Du kannst sie für sechstausend kaufen«, sagte Susie, und einen mit einem alten Fahrrad kannte sie auch. Robert zahlte zweitausend und lehnte seinen Kopf gegen Helens Busen.

Es wurde schon hell, als sie endlich allein waren.

Sie hatte ein rundes Herzgesicht mit einem spitzen Kinn, hellrote Kräusellocken, und der ganze Körper war braun von Sonne und Sommersprossen. Weicher Silberflaum auf den Armen und Beinen. Sie roch nach Moschus. Sie war nackt, noch bevor er seine verschwitzten Jeans runter hatte, und zog ihn ungeduldig zu sich herunter. Er war müde, aber gleichzeitig überwach und geil, er hatte seit Monaten mit keiner Frau geschlafen und wollte nicht gleich wie ein Eber drübergehen. Er küßte sie, streichelte sie, knabberte an ihrem Ohr herum. Sie packte ihn grob und warf sich auf ihn, als wäre sie der Mann und er die Frau. Verwirrt blieb er auf dem Rücken liegen und ließ sie die ganze Arbeit machen. Sie war ein muskulöses Energiebündel von einem unermüdlichen Bewegungsdrang. Ihre Brüste wippten, daß die Schweißtropfen flogen. Er hielt es nicht mehr aus, packte ihre Arschbacken, drehte sie herum, bog sie zu einem Paketchen und vergewaltigte sie.

Sie lächelte.

»Hey«, flüsterte er, »du bist ja gar kein Pavian. Du bist ja ein kleiner Masochist. Das trifft sich gut.« Er nahm sie in den Arm, küßte sie, hielt sie fest und zog das Laken hoch.

Er wachte davon auf, daß zwei Fliegen es ausgerechnet auf seiner Nase miteinander trieben. Es war stickig heiß, Sonnenstreifen glühten durch ein winziges Fenster ohne Glas und entkleideten die Romantik der letzten Nacht zu schäbiger Kahlheit. Das Laken war verrutscht, und das Mädchen neben ihm klebte an seinem Körper, als wären sie für alle Ewigkeit miteinander verschweißt. Robert hatte Mühe, sich an ihren Namen zu erinnern. Helen. Sie schlief mit leicht geöffnetem Mund. Lautlos wie ein kleines Kind. Sie schien nicht einmal zu atmen. Robert fühlte Panik aufsteigen und machte sich vorsichtig von ihr los. Sie bewegte sich nicht. Starr. Kalter Schweiß. Sie hatte keinen Puls und keinen Herzschlag. Er schlug sie.

Sie knurrte unwillig und drehte sich auf die andere Seite. Ihre Fußsohlen waren schwarz.

Robert brauchte dringend ein Glas Wein, Whisky oder Arsen und eine Zigarette. Er stand auf, tappte zwischen vollen Aschenbechern und schmutzigem Geschirr herum, bis er seine Hosen fand. Zog sich an. Eine Tasse mit einem abgestandenen Teerest, eine bröselige Zigarette. Kein Streichholz. Wut. Tränen. Er hörte Stimmen auf der anderen Seite vom Haus und ging hinüber.

Unter einem Dach aus trockenen Pinienzweigen saßen die anderen beim Frühstück. Ali und Chris, Pablo und Susie. Pulverkaffee, altes Brot und Ziegenkäse. Chris gab ihm ein Glas Zisternenwasser mit der Bemerkung, daß er als Newcomer vermutlich Durchfall davon bekommen würde, und Susie suchte für ihn nach Zigaretten und Streichhölzern. Fand weder noch. Robert nahm seine Gitarre und ließ sich den Weg ins Dorf erklären.

Felsen, Mauern, Sonne.

Ein Arbeiter auf einem Moped überholte ihn, und zwei Radfahrer mit Freizeitshorts und schwarz gerösteter Haut. Benzingestank und eine Wolke von Delial. Ihm wurde schlecht, und er hockte sich unter einen Feigenbaum am Straßenrand. Eine Ziege mit dickem Bauch und zusammengebundenen Beinen glotzte ihn schwermütig an. Mümmelte. Irgendwo schlug eine Kirchenglocke, blechern wie ein Sterbeglöckchen. Glasblauer Himmel. Ein staubiggrauer Unkrautstreifen an der Mauer, rot oder ocker die klobigen Steine, Maserungen und eine Vielfalt von Grüns. Das satte Dunkel der Feigen, das matte Hell der Mandeln, das silbrige Filigran der Oliven, ein berstend violetter Bougainvillea vor einer weißen Hauswand und weit weg auf dem Hügel das dunstige Blaugrün der Pinienwälder.

Robert stand auf und ging weiter.