Kapitel 16

Sie hieß Rita.

Aber sie nannte sich Gigi. Robert überlegte, wie er sie loswerden konnte. Sie lag neben der Matratze auf dem nackten Fußboden, weil es da angeblich kühler war. Anfang zwanzig, dunkelblond, kurzsichtig und Arsch und Schenkel wie ein Brauereipferd. Sie hatte einen eiternden Abszeß am Knie und Mitesser im Gesicht. Seit Francos Tod hatte sie sich nicht mehr gewaschen, und ihre Haut war von Sonne und Salzwasser zu dunklem Ziegenleder gegerbt. Ihre Joints waren dick wie Blockflöten und ihre Augen unter dunklen langen Wimpern durchsichtig türkis. Zuerst hatte er sich in die Augen verliebt. Manchmal bei Kerzenlicht oder wenn sie sich liebten, sahen sie fast violett aus. Ihr Vater war ein stinkreicher Bankier in Madrid mit Ländereien und Latifundien zuhauf. Sie war zwischen Damast und schimmerndem Mahagoni aufgewachsen, unter Velazquez, El Greco und Zurbaran oder zumindestens Dali, Juan Gris und Ribiera. Goldene Lüster, Domestiken und ein erzstrenges Klosterinternat. Auch einen Verlobten gab es schon, gute Familie. Musik- und Sprachenunterricht.

Alles so schön vorausgeplant.

Und alles im Eimer.

Die ganze Clique, mit der sie hergekommen war, stammte aus diesen Kreisen. Francos Tod hatte wie ein loser Sektkorken auf sie alle gewirkt. Knall, flusch, frei. Aufgestaute Jahrhunderte. Sie machten alles, was verboten war, und sie machten es bis zum Exzeß. Geld war da und Zeit en masse. Vino, Haschisch, Koks und Drogen, bumsen, vögeln, rammeln, ficken. Kreuz und quer, und ein unrasierter ausländischer Gammelmaler, der nicht mal genug Peseten für die Leinwand hatte, war der exotische I-Punkt zur endgültigen Emanzipation.

Sie war noch Jungfrau.

Als Robert das merkte, hörte er auf und begann mit ihr zu reden. Er verstand sie, und er mochte sie, und er versuchte ihr zu helfen. Sie trennte sich von den anderen und blieb bei ihm. Nach Tagen schliefen sie auch zusammen, und sie war im Bett wie ein betäubtes Nilpferd.

Robert mochte sie trotzdem. Er mochte sie wirklich.

Aber jetzt kamen Gina und Kurt her, und er mußte sie loswerden. Er mußte das Haus putzen, er mußte einkaufen, er mußte den Reifen an seinem Fahrrad flicken. Er mußte ein Haus für sie finden, und er mußte sich dringend rasieren.

Rita wachte auf und sah ihn an.

Türkis und Kristall. »Bad vibrations, hm?«

Er brauchte nichts weiter zu sagen. Seine albernen Erklärungen vom Vetter aus Alemania und seiner novia hörte sie gar nicht erst an. Sie stand nur auf, wickelte ihren Sarong um sich herum und ließ ihm fünftausend Peseten zurück. Küßte ihn. Du weißt, wo du mich finden kannst, wenn du wieder frei bist.

Frei!

Robert putzte und fegte wie ein Irrer. Legte die Decken auf die saubere Seite und setzte frische Kerzen in die Glashalter. Frei, haha, er wußte nicht einmal, für wen er das alles tat. Für Gina, verehelichte Homberg, oder für Kurt, seinen erfolgreichen Freund. Er kaufte Brot und Käse, Tomaten und Spaghetti, Schinken, Öl und Wein. Wusch sich die Haare, goß sich drei Eimer Wasser über den Buckel und rasierte sich. Fand noch ein sauberes T-Shirt und schnitt kurzentschlossen die bekleckerten Beine von einem Paar Jeans ab. Flickte sein Rad und fuhr zum Hafen.

Er fuhr langsam, um nicht durchgeschwitzt anzukommen. Das letzte Stück war kein Problem, da ging es bergab. Überlegte noch einmal, ob er an alles gedacht hatte. Kurt kam sicher mit dem Auto. Sie konnten bei der tienda vorbeifahren und den Champagner vom Eis holen. Zwei Häuser konnte er ihnen anbieten. Er wußte, daß Kurt einen Haufen Geld verdiente, aber nicht, wieviel. Das eine hatte mehr Komfort, war aber nur vier Wochen frei, das andere hatte die volle Romantik, war teurer und unter Umständen das ganze Jahr über zu mieten.

Robert wußte nicht, ob er Kurt und Gina wirklich für immer hier haben wollte. Ein Bauer grüßte ihn, der Schreiner, der Wassermann. Zwei Hippies und ein Freak, mit dem er sonst immer Schach spielte, der Bäcker und ein kleines Mädchen. Robert war hier zu Hause.

Er versuchte, sich Kurt auf der Insel vorzustellen, es gelang ihm nicht. Plötzlich wußte er nicht einmal, wie Gina ausgesehen hatte. Punkt, Punkt, Komma, Strich.

Aus.

Er schloß sein Rad ab und rannte zur Mole vor. Das Boot legte gerade an. Rotgesichtige Touristen, Kofferberge, Pappkisten. Robert sprang hoch, an der Reling ein dick gepackter Rahmen von bleichen Gesichtsovalen. Ein paar junge Leute mit Rucksack. Weder Kurt noch Gina.

Es gab nur zwei Anschlußfähren am Tag, die Autos mitnehmen konnten. Robert hatte viel Zeit.

Er setzte sich in ein Café am Hafen und holte sich ein Mineralwasser und ein Tomatenbocadillo an der Theke. Er wollte nüchtern sein, wenn sie kamen. Er schwätzte mit ein paar Leuten, die er kannte, über das Wetter, die Preise und das Leben schlechthin. Einer der Fischer lud ihn zu einem Cognac ein, es wäre unhöflich gewesen, abzulehnen. Die nächste Runde übernahm Robert, andere kamen dazu, einer berichtete von einem Mero, den er gefangen hatte, und der, wenn man ihm glauben wollte, so groß war wie ein Stier. Sie lachten, tranken, einer stellte Tapas mit Oliven auf den Tisch. Es war heiß, Robert ging zu Bier über.

Um vier Uhr war sein frisches T-Shirt durchgeschwitzt, und die abgeschnittene Hose hatte Flecken. Betrunken fühlte er sich nicht. Im Gegenteil, wohl und entspannt. Er hatte den totalen Durchblick. Kurt und Gina kamen aus der Großstadt, aus einem vollklimatisierten Leben. Sie waren an Telefon, Fernsehen, elektrisches Licht und volle Badewannen gewöhnt. Sie würden es schmutzig und primitiv hier finden, pittoresk im besten Fall. Sie würden naserümpfend auf seine Freunde und sein Leben hier herabsehen. Sagen würden sie es natürlich nicht, er würde es trotzdem merken. Er kannte ,sie beide lange genug. Vor allem Kurt.

Er ging zur Anlegemole hinüber und sah alles mit Kurts Augen. Die grellen Touristenboote, die abgeblätterte Veteranoreklame, die Plastiktüten im Wasser. Die Kargheit der Landschaft, die ihre Schönheit nur dem erschloß, der sehen konnte. Und Kurt war blind.

Das Schiff tuckerte um den Leuchtturm herum und kam näher. Der Himmel hatte sich weiß verschleiert, es war feucht und drückend schwül.

Er sah sie sofort. Sie standen vorn im Bug neben einem nachtblauen BMW und schienen ihn nicht zu erkennen. Kurt in einem weißen Leinenanzug, ganz der große Gatsby, und Gina im geblümten Sommerkleidchen wie für eine illustre Barbecueparty rausgeputzt.

Robert winkte nicht. Stand neben einem Gabelstapler und wartete.