Kapitel 17

»Siehst du, das ist der Unterschied. Zu Francos Zeiten hätte es hier von Guardias und Lackhüten gewimmelt.« Kurt hatte einen Teerfleck auf seinem weißen Leinenhintern, er würde durchdrehen, wenn er ihn entdeckte.

»Woher weißt du, daß das nicht trotzdem alles Polizisten sind. Der Dicke da drüben mit dem Ringelhemd, oder der in der Badehose mit der Aktentasche unterm Arm.«

Kurt hörte nicht zu. Zwei Männer zerrten eine sperrige Kiste von der Fähre und schrappten leicht an das Auto. Er warf sich dazwischen. Gina war enttäuscht. Sie konnte Robert nirgends entdecken und war doch so sicher gewesen, daß er sie abholen würde. Vielleicht war er bei der ersten Fähre gewesen, dem direkten Anschluß. Aber auf der hatten sie keinen Platz für das Auto bekommen, obwohl es ihnen zugesichert gewesen war. Kurt hatte weder für die Burg, die weißen Häuser auf dem Hügel, die malerische Altstadt Augen gehabt noch für das quirlige Leben der bunten Paradiesvögel am Hafen. Er fand alles nur heiß und laut und bestand darauf, in einem Lokal zu essen, von dem aus er den BMW im Auge behalten konnte. Die Kneipe sah schon nach dem typischen Touristennepp aus, und die Paella war fettig, schwer und teuer. Gina schmeckte sie trotzdem. Sie war wild entschlossen, alles zu probieren, was sie noch nicht kannte, und alles schön zu finden.

Der Typ neben dem Gabelstapler sah aus wie Robert. Gleiche Größe, gleiche Haltung. Es war Robert. Schwarzbraun unter dem weißen T-Shirt, üppig wuchernder Schnauzbart und von der Sonne fast blond gebleichte Haare. Schlanker. Mit muskulösen Oberschenkeln unter fransig abgeschnittenen Hosen. Sie schrie und winkte, er hob die Hand und kam einen Schritt nach vorn.

Gina quetschte sich durch die anderen Passagiere hindurch, rannte zu ihm hin und warf sich in seine Arme. Küßte ihn, preßte sich an ihn und roch den wilden Duft von Schweiß und Salzwasser. Und Bier. Er schob sie von sich, grinste. »Nur kein Überschwang, immer schön cool bleiben.« Hielt sie immer noch am Ellbogen fest, zog sie zurück, als der Gabelstapler in Bewegung gesetzt wurde.

Zusammen beobachteten sie das Theater, das Kurt aufführte, um seinen BMW von dem Schiff zu bekommen. Zwei Holzplanken. Viel zu steil, der arme Auspuff. Das Schiff schwankte in der Dünung, die Spanier schrien ihm Kommandos zu. Als der Wagen endlich unbeschädigt unten war, hatte Kurt dunkle Flecken unter den Achseln. Fuhr das Auto sorgsam aus dem Gewühl heraus und kam erst dann zu Robert und Gina. Umarmte Robert, schlug ihm auf den Rücken. »Mann, du siehst aus wie der letzte authentische Fischer!« Robert schlug zurück.

»Und du wie Playboy himself an holidays.« Dann sagte er ihnen, daß er mit dem Fahrrad da war, und ob man es noch auf den Dachträger schnallen oder in den Kofferraum hängen könnte. Kurts Gesicht sagte alles. Er konnte sie schon förmlich sehen, die blutig weißen Schrammen und Kratzer in seinem mitternachtsblauen Hochglanzlack. Aber er schwieg. Zog sein versautes Leinenjackett aus und packte mit zu. Half Robert, das Rad auf den Dachträger zu wuchten, zog selbst die Spinne nach und kontrollierte, ob alle Haken fest saßen. Legte ein Handtuch unter das Vorderrad, das sich möglicherweise trotz aller Vorsicht beim Fahren doch bewegen konnte. Er verlor keine Bemerkung über die Insel, die Landschaft, das Wetter, den Verkehr, die unglaublich schlechte Straße zu Roberts Haus, für die der BMW viel zu tief gebaut war. Fuhr umsichtig und langsam und machte sogar ein paar Witze über ihre Reise und wie sehr Gina unter ihm gelitten hatte.

Gina saß neben Kurt, und Robert hinten, zwischen Koffer und anderes Gepäck eingeklemmt. Er beugte sich vor, um Kurt den Weg zu erklären, und hielt sich in den Kurven am rechten Vordersitz fest. Spürte den Druck von Ginas Schulter an seinen Fingerknöcheln. Ertappte sich bei dem Wunsch, seine schmutzigen Fingernägel in die blümchenbedruckte Seide zu krallen.

Lehnte sich zurück.

Gina fand alles traumhaft schön und romantisch. Kurt ließ das Auto in der prallen Sonne stehen und deckte nur die Reifen mit alten Lappen ab. Sie sahen sich um, schleppten zwei Koffer ins Haus und zogen sich um. Packten halb aufgeweichte Fressalien aus und machten sich kommentarlos über den starken Landwein her. Den Champagner hatten sie vergessen. Aber sie hatten ja viel Zeit. Zwei Monate, vielleicht sogar drei. Arbeitsurlaub. In Deutschland gab es doch schon seit Jahren keinen richtigen Sommer mehr. Nein, es machte ihnen überhaupt nichts aus, für ein paar Nächte in Roberts Haus auf dem Fußboden zu schlafen. Luftmatratzen hatten sie dabei und Schlafsäcke auch. Alles andere würde sich finden. Schön, dich wiederzusehen.

Und sie taten alles, um es glaubhaft zu machen. Kurt, in karierten Ami-Untershorts und T-Shirt, holte Wasser aus der Zisterne und zwei Kartons Dosenbier aus dem Auto. Vielleicht können wir die irgendwo kühlen lassen. Gina ließ sich erklären, wie der Butanherd funktionierte, und fing an zu kochen, als wäre sie hier aufgewachsen. Sie aßen (Spaghetti mit Thunfischsoße, Tomatensalat, Käse und Brot), tranken und redeten. Wie es in München war und wie hier. Unverbindlich, freundlich, bescheiden. Großartig, daß du es geschafft hast. – Ich wünschte, ich wäre auch so mutig, auszusteigen und hier zu leben. – Meine Finca statt Villa Massimo, ich fühle mich ja richtig geschmeichelt! – Das hier ist der Ursprung. Die Wiege.

Sie waren wieder Freunde wie früher. Und Gina liebte sie beide, und sie beide liebten Gina. Spät am Abend kamen Ali, Helen, Chris, Pablo und Susie vorbei, hier irgendwo war eine Fullmoon-Fete. Sie blieben, tranken mit und ließen ihre Joints kreisen. Kurt und Gina sprachen gut Englisch und ein bißchen Französisch, Italienisch und Gina sogar ein paar Brocken Spanisch. Robert holte die Gitarre heraus und Kurt einen Kassettenrecorder mit jeder Menge Bänder. Rita und ihre Clique kamen von dem anderen Fest, weil sie die Musik gehört hatten, brachten zwei geklaute Karaffen Wein mit. Und brockenweise grünen Afghan. Die Mücken trieben sie ins Haus hinein, sie zündeten die Kerzen und die Petroleumlampen an und lagerten auf dem Fußboden. Ali und Chris machten Trommeln aus Töpfen und Pfannen, Helen schlief ein, Susie küßte Kurt, Pablo und Gina kochten eine Art Suppe. Amigos de Roberto. Kurt und Gina waren akzeptiert.

Robert war sicher, daß das alles nicht lange halten konnte.

Er hatte Kurt unterschätzt.

Am nächsten Morgen fuhr er mit Helen ins Dorf und kaufte ein. Gina und Susie räumten auf/die anderen schliefen noch. Kurt kam zurück. Sie hatten Schinken und Eier, Kaffee und Filter, eine Plastikwanne mit Eisbalken und Champagner, frisches Brot und Wassermelonen. Sie machten Frühstück und Musik, und Robert war Fremder im eigenen Haus.

Zwei Wochen später hatte Kurt selbst ein Haus.

Nicht gemietet, gekauft. Er hatte Leute kennengelernt, die Robert nicht einmal dem Namen nach kannte, darunter auch einen Grundstücksmakler aus Düsseldorf. Kurt wollte nichts mieten, er wollte sich hier niederlassen, er wollte hierbleiben. Und eine gute Geldanlage war es außerdem, hier würde der große Boom erst noch kommen. Zeit und Raum, das waren die letzten großen Luxusgüter unserer Zeit. Er hatte die Auswahl zwischen einer alten Finca, in die man noch einiges hätte reinstecken müssen, zwei Terrenos mit fertiger Baugenehmigung und einem Bungalow im Pinienwald am Hang. Blick aufs Meer. Zwei Terrassen, offener Kamin, drei Schlafzimmer, voll eingerichtete Küche, Bad, Brunnen und Zisterne. Und viertausend Quadratmeter Grund. Notverkauf. Für das Geld bekommst du doch in München nicht mal eine klapprige Garage.

»Nicht mal eine Großgarage unter dem Stachus«, meinte Robert, aber Kurt war schon wieder unterwegs. Er machte den notariellen Kaufvertrag, die Anzahlung und die Escritura ohne Roberts Hilfe. Er kaufte einen Durchlauferhitzer und einen Kühlschrank und ein paar alte spanische Möbel. War schon per du mit dem Schreiner und bekam in für Inselverhältnisse Überschallgeschwindigkeit Einbauschränke, Tische und Türen.

Auch Gina sah Robert selten in den zwei Wochen. Sie kaufte und plante und begeisterte sich. Ein Arbeitsstudio auf dem Dach und ein Gästehäuschen im Garten. Die Zisterne mußte vergrößert werden, dann konnte man einen richtig tropischen Garten anlegen. Und ein Generator für Stromerzeugung. Die Leitung war schon geplant, aber sonst konnte man sich auch noch Windenergie oder Solar überlegen.

Robert ließ sein Haus wieder vergammeln und malte. Rita kam nicht vorbei, sie mußte bei Kurt und Gina dolmetschen.