Im August fand die house-warming-party statt.
Das Haus war natürlich noch nicht fertig (so wie Kurt es geplant hatte, würde es eine Lebensversorgung für die Baufirma, den Installateur und den Schreiner werden), aber man konnte schon drin wohnen. Ein Generator (geräuschisoliert) erzeugte Licht und betrieb die Wasserpumpe, den Kühlschrank und den Plattenspieler. Schneeweißer Rauhputz, dunkel gebeizte spanische Möbel, Bastteppiche und Perlenvorhänge. Das Atelier in einer Art Türmchen, karg wie eine Mönchszelle. Kurts Bilder und eine kleine Lichtmaschine aus farbigem Glas. Weißwein, Rotwein, Gin, Tonic, Rum und Cognac und ein Tisch, der sich unter verschiedenen Salaten, Pasteten, eingelegtem Ziegenfleisch und gebratenen Wachteln, Brot, Käse und und und nur so bog. Lampions (wo immer Kurt die aufgetrieben hatte) an den Terrassenbalken. Ein Kühler mit Eiswürfeln für die Longdrinks.
Robert hatte so etwas noch nicht einmal in Deutschland erlebt und empfand widerwillige Bewunderung. Es war protzig, aber es wirkte nicht so. Es sah alles selbstverständlich, geschmackvoll und großzügig aus. Und er beobachtete die Faszination, die all diese Üppigkeit auf die anderen ausübte, auf die, die ausgestiegen waren, die genug hatten vom Konsumterror und der ewigen Jagd nach dem Dollar. Und sie alle hatten sich schön gemacht. Bunt, aber schön. Lange Kleider, weiße Hosen, bestickte Hemden, silberne Ketten, schillernde Seidentücher. Sogar Rita hatte sich gewaschen und duftete nach Patschuli. Sie trug einen weiten Rüschenrock, und Robert fiel zum ersten Mal auf, daß sie eine schmale Taille hatte. Auch ihr Haar wirkte dunkler, sie sah fast spanisch aus. Die anderen Leute kannte Robert zum größten Teil nicht, obwohl er ihre Gesichter schon oft gesehen hatte. Ein Arzt, ein Zahnarzt, ein Regisseur, ein Immobilienmakler, ein Staatsanwalt, ein Architekt. Deutsche, Schweizer. Kurt war clever, Kurt machte es richtig. Er hatte überall nur kleine Summen angezahlt und große Aufträge erteilt. Das nächste Mal würde er mit Schwarzgeld herkommen, für einen Maler war das einfach.
Robert saß in einer Ecke auf der Terrassenmauer, den Rücken zum märchenhaft schönen Blick über die Insel, das Meer und den Hafen. Es war wie im Kino. Die Leute mit Geld und Häusern trugen Jeans und drängten sich wie Bettler am kalten Büfett, die hungrigen Paradiesvögel flatterten etwas verloren durch das Gemenge, bis sie sich in der Ecke beim Grillfeuer zusammenfanden.
Kurt und Gina waren die perfekten Gastgeber, freundlich, liebevoll besorgt. Roberts Glas war immer voll, obwohl er dauernd trank und sich kaum bewegte.
Kurt war glücklich.
Alle hatten ihm gesagt, daß so etwas in so kurzer Zeit in Spanien nicht möglich sei. Aber er hatte es geschafft. Aus dem Boden gestampft. Er unterhielt sich mit Jens, dem Dänen, der die Galerie betrieb. Versprach ihm eine Ausstellung, Presse, Kataloge, Werbung. Einer von der Zeitung, der Architekt, der einige der Häuser hier entworfen hatte, und Club-Kurti, ein Mann von etwa sechzig mit Bauch und Glatze; angeblich ein sogenannter Bauträger, der mit der Konkursmasse hier ein Ferienparadies für reiche Leute aufgebaut hatte. Bungalows mit Meerblick, Telefon, Swimmingpool, Tennisplatz und eigenen Surf-, Tauch- und Segellehrern.
Ja, die Ökologie, das war schon ein Problem, woher mit dem Wasser und wohin mit der Scheiße. Haha. Aber heute ist heute, und vielleicht könnte man von den Israelis dieses System zur Süßwassergewinnung aus Meerwasser übernehmen. Eines Tages. Na ja. Was hier noch fehlte, das war Kultur. Kino, Musikabende, Vorlesungen, Ausstellungen mit richtigen Künstlern. Wenn Kurt ein Wandbild für die Eingangshalle machen könnte oder vielleicht ein Litho für Stammkunden. Kurt hatte einen Namen. Und er hatte jetzt ein Haus hier, also hatte er auch eine gewisse Verantwortung. Über den Preis konnte man reden.
Kurt hatte innerhalb von weniger als einer Stunde die Kosten für die Party wieder drin und dazu noch die Aussicht, daß man in Madrid oder Barcelona auf ihn aufmerksam würde.
Robert spürte plötzlich, daß jemand neben ihm saß. Sie berührte ihn nicht, aber er erkannte den keuschen Duft von Kölnisch Wasser.
»Ich liebe dich«, sagte Gina leise, und Robert stand auf, ohne sie anzusehen, und kletterte mit ihr über die Mauer, hinaus in den Pinienwald.
Eine kleine Lichtung, weicher Sand von einem Teppich aus Piniennadeln bedeckt, Mondlicht und der Duft von Rosmarin; und natürlich mußte gerade jetzt drüben in Kurts Haus jemand Leonard Cohen auflegen. Sie sagten nichts und sahen sich immer noch nicht an. Bauten ein Lager aus ihren Kleidern und legten sich nebeneinander. Neben Robert wirkte Ginas Haut immer noch hell mit kalkweißen Bikinistreifen dazwischen. Sie sahen sich an, als wären sie sich eben erst begegnet, berührten sich, küßten sich. Waren zusammen. Vertraute Fremde. Vergaßen die Welt und die Vorsicht und liebten sich.
Sie konnten sich nicht voneinander lösen. Die Jahre, die sie getrennt hatten, schmolzen zusammen, die Erfahrungen, die sie in der Zeit gemacht hatten, gehörten nur ihnen.
Ein besoffener und bekiffter Partygast stolperte auf der Suche nach einem Platz zum Pinkeln über sie, entschuldigte sich wortreich, rumste gegen einen Baum, fiel hin und schlief ein. Es war sehr ruhig, nur die Vögel zwitscherten, und vom Haus her dröhnte Tom Jones Lipps and Tscherries. Sie standen auf, zogen sich an und klopften Sand und Piniennadeln von ihren Kleidern. Standen nah beieinander und sahen sich an. Ovale mit dunklen Augen. Und Robert sagte, was er ihr noch nie gesagt hatte. Ich liebe dich.
Viele waren nicht mehr übrig. Ein paar pennten auf den Bänken, zwei Paare tanzten noch, als würden sie im Stehen schlafen, und eine kleine Gruppe hockte im Haus und quatschte über Steuern, Preise, Bautechniken und indische Gurus. Robert fand noch zwei kalte und verbrannte Lammstücke auf dem Grill, Gina holte einen Teller mit Salatresten und Wein. Kurt setzte sich zu ihnen. Er wirkte nüchtern und frisch. Übernahm auch das Einschenken.
»Versteh mich nicht falsch«, begann er, »wir sind Freunde, aber das hat nichts damit zu tun.« Robert kaute an seinem Lammknochen, Gina schob ihm eine Gabel mit Thunfischsalat in den Mund. »Ich mag deine Bilder wirklich, und ich möchte ein paar kaufen.« Robert stellte das Glas ab und warf den Knochen in den Wald. Steckte sich eine Zigarette an. Gina wollte auch eine, Kurt nahm sie ihr aus der Hand, zog. »Eigentlich habe ich mir ja das Rauchen abgewöhnt.« Gab die Zigarette zurück. »Für mich und für das neue Kulturzentrum.« Einer der Lampions fing Feuer, Kurt stand auf und löschte ihn. Blies die wenigen anderen aus, die noch brannten. Stellte den Generator ab. Abbey Road starb. Der Himmel färbte sich zitronengelb, rosa und dann türkisblau. Hellviolette Wolkenstreifen. Tieforange stieg der Sonnenbubbel aus dem Wasser, als würde er extra für diese eine Postkarte vom Fremdenverkehrsbüro hochgezogen.
Sie saßen nebeneinander auf der Mauer, und Kurt wollte seine Bilder kaufen.
Nicht nur, weil er Geld hatte und weil er ihm helfen wollte. »Ich hab mal gesagt, daß du wie ein bourgeoiser Nihilist malst, das ist nicht wahr, du bist ein Fatalist aus dem 19. Jahrhundert. Aber das war Buffet auch. Und du kannst malen, verdammt noch mal, ich mein das so. Und eines Tages werden sie dich tonnenweise aufkaufen, und ich will dabeisein. Kapierst du das? Es ist nichts anderes als gesunder Geschäftssinn, langfristige Finanzplanung und nackte Geldgier.«
Kurt war besoffen, auch wenn man es ihm nicht ansah. Robert wußte nicht, wie er reagieren sollte. Gina lehnte an seiner Schulter und schlief friedlich. Sie hatten gestöhnt und geschrien, als wären sie allein auf der Welt. Alle mußten es gehört haben.
»Ich liebe sie«, sagte er leise. Kurt nahm ihm die Zigarette aus der Hand.
»Du kannst malen, aber sonst kannst du nichts. Ich werde dich sponsern. Ich werde es dir beibringen. Alles. Ich hab mir den Mist angesehen, den die sogenannten Maler hier auf der Insel absondern. Hat nichts mit der Insel zu tun, nichts mit dem Licht, nichts mit der Natur und den Menschen hier. Weißt du, warum ich dieses idiotische Haus angefangen hab? Weil ich hier nicht malen kann. Weil es mich überwältigt und vergewaltigt. Weil ich im Moment nicht viel mehr sein kann als ein Schwamm.« Er trat die Zigarette aus und trank aus der Flasche. »Die glühenden Felsen, oder die Frau am Brunnen, was verlangst du dafür. Ich zahl dir tausend. Okay?«
Robert überlegte, ob Kurt Mark oder Peseten meinte, und wie er ihn ins Bett bringen konnte und Gina mit zu sich heim.