Robert war aus dem Schneider.
In der Nacht, oder dem Rest, der noch davon blieb, schliefen sie zusammen auf dem großen Doppelbett, dem letzten bequemen Platz, der in dem Haus noch übrig war. Trunken von Wein, Hitze und Diskussionen bis in den frühen Nachmittag hinein. Friedlich zu dritt, Gina in der Mitte, wie in alten Zeiten. Als sie aufwachten, hatten sich die meisten Gäste schon verdrückt, die anderen gingen, als sie merkten, daß es kein Frühstück gab, daß Kurt, Gina und Robert zuerst aufräumten.
Erst dann machten sie schwarzen Kaffee, rösteten, das Brot von gestern und holten eine Flasche Champagner. Fuhren zusammen zu Roberts Haus, und Kurt kaufte fast alles, was Robert da hatte. Drei Aquarelle, zwei Öl, acht Radierungen und eine Mappe mit Zeichnungen und Skizzen. Fast vierhunderttausend Peseten. Genug Geld für Robert, um ein Jahr sorgenfrei zu leben, sich ein altes Moped zu kaufen und sich ein Oberlicht ins Dach zu bauen. Zuerst wollte er nicht. Konnte sich von einigen Arbeiten nicht so recht trennen und mißtraute Kurts Begeisterungsausbrüchen. Ärgerte sich, als er erkannte, daß der eigentliche Grund für sein Zögern das klischeeschlechte Gewissen war, das man hat, wenn man mit der Frau seines besten Freundes schläft. Lang hielt es nicht an. Kurt machte eine Anzahlung, indem er fünf Euroschecks einlöste, versprach, den Rest überweisen zu lassen. Zuerst einmal auf sein eigenes Konto in Spanien, da brauchte er dringend Devisen und Bewegung, und Bilderkäufe konnte er vermutlich von der Steuer absetzen.
»Ist doch klar«, sagte Kurt, »schau, ich will dir helfen. Weil es der pure Zufall ist, wenn ich heute einen Namen und Geld habe und du nicht. Ich hab doch nie was wirklich Neues gemacht. Nachempfunden, oder knapp vorausgerochen. Du kannst ja über Beuys denken, was du willst, aber der hat das alles doch mal aufgebrochen. Und wenn die Millionen für einen Fettkloß zahlen, dann ist das doch mehr Ausdruck unserer Zeit als meine albernen Lichtmaschinen.« Er wurde sentimental und machte eine Karaffe mit billigem Landwein auf. »Wir kleben doch beide noch an den Expressionisten, weiter sind wir im Grunde nie gekommen, und wenn, dann nicht aus eigenem Antrieb. Nein, du auch nicht, du hast nur den Vorteil, daß du dir selber treu geblieben bist. Du hast immer nur dich selber gepinselt. Weißt du, irgendwo beneide ich dich.« Er sah Robert groß und blauäugig an. Erwartete offensichtlich eine Antwort. Robert fühlte sich ertappt. Er hatte die ganze Zeit nur daran gedacht, wie er Gina für ein paar Stunden von Kurt loseisen konnte. Bekam schon bei dem Gedanken allein einen hoch.
»Ich doch auch«, sagte er, »verdammt, wenn schon Mittelmaß, dann doch wenigstens mit Erfolg. Oder glaubst du im Ernst, ich halt mich für ein Genie? Nüchtern jedenfalls nicht. Und besoffen bin ich ja so gut wie nie.« Er nahm Kurt das Glas aus der Hand, trank einen Schluck, verschüttete den Rest, weil Kurt ihn plötzlich heftig umarmte. Ihn küßte. Little Robert dachte gar nicht daran, zu schrumpfen. Robert war irritiert, Kurt hatte Tränen in den Augen.
Alles klar, wir sind Freunde.
Kurt hatte eine Verabredung mit Jens um neun und eine mit irgendeinem Günther danach zum Essen. Doch ja, Robert würde sich um Gina kümmern, sie konnten von hier aus auch zu Fuß ins Dorf laufen, oder er nahm sie auf dem Fahrrad mit. Wenn er nur keinen Platten hatte, haha. Bis später dann.
Robert und Gina warteten nicht einmal ab, bis das Geräusch des BMW-Motors verklungen war. Fielen übereinander her und liebten sich und brauchten keine Worte mehr.
In den nächsten Tagen trafen sie sich, wann immer es möglich war. Tags, nachts, am frühen Morgen. Wenn sie mit Kurt und anderen Leuten zusammen waren, berührten sie sich unter dem Tisch und küßten sich hinter den Toiletten.
Kurt sah nichts und sagte nichts.
Er war voll in action.
Reorganisierte die Galerie, sammelte Gelder für den neuen Kulturclub, mietete einen Raum und beschaffte eine Videoanlage. Plante Anbauten an sein Haus und legte mit gekauftem Wasser einen tropischen Garten an. Kannte nach knapp vier Monaten mehr Leute auf der Insel, als Robert in all den Jahren überhaupt gesehen hatte. War ständig unterwegs.
Robert und Gina bemühten sich, diskret zu sein. Eine Insel ist wie ein Dorf, jeder weiß alles über jeden. Sie wollten Kurt nicht weh tun. Anfang September bekam er das Telegramm.
Das ZDF wollte ihn in einer Kultursendung haben, eine TV-Talkshow fragte an, sein Galerist wollte das Ganze mit einer großen Herbstausstellung ergänzen.
Kurt mußte nach Deutschland.
Es war klar, daß Gina mit ihm fliegen würde. Er brauchte sie, er konnte nicht leben ohne sie. Aber da war das neue Haus und der neue Außenkamin und die große Zisterne und das Gästehaus. Diese Spanier konnte man nicht ohne Aufsicht lassen.
Gina würde nachkommen.
Spätestens zur Fernsehsendung.
Robert und Gina brachten ihn zum Hafen. Den BMW nahm er mit, der war sowieso durchgerostet, er würde ihn verkaufen und mit einem Rover zurückkommen. Brauchst du irgend etwas, Robert. Gina, ich liebe dich.
Die Insel war wieder leer.
Das Wasser war noch warm, die Erde vertrocknet und die Bäume gelb. Gina probierte eine halbreife Olive vom Baum und spuckte sie würgend wieder aus. Sie lagen am Strand, aßen Feigen und dunkle Trauben und jagten sich in der Brandung. Gina hatte abgenommen, war dunkelbraun und sah wieder aus wie mit siebzehn. Gebleichtes Haar. Robert küßte ihr die Salzwassertropfen von der Haut.
Liebe.
Glück.
Der erste Herbststurm kühlte das Meer spürbar ab. In den Pensionen wohnten nur noch ein paar alte Rentner, die großen Hotels schlossen bereits. Vor den Straßencafés wurden die Markisen eingezogen, die Kinder mußten wieder in die Schule gehen. Standen morgens beim Bäcker Schlange, um ihre aufgeschnittenen, mit Ölsardinen belegten Schulbrote in Empfang zu nehmen. Das Öl für die Armen, die Sardinen für die Reichen. Zuckergebäck für die ganz Privilegierten. Neue Hosen und Röcke und Blusen und bunte Schulmappen aus Nylon. Die Residentes und Überwinterer schlossen sich wieder zusammen, luden sich gegenseitig ein und soffen gemeinsame Runden. Die Barkeeper, Kellner und Sommerarbeiter hatten Zeit und die Taschen voller Geld. Ficki, ficki und Tod allen Ausländern. Vier Monate Liebedienern vor dem Westerwald und Warum-ist-es-am-Rhein-so-schön hatten die Aggressionen hochgestaut, und wer kann schon zwei Cognacs gleichzeitig trinken. Nix Wiener Schnitzel und alles fihl ßu teuer.
Nachts in der Bar von Toni Petit grapschte einer Gina an. Juanito war klein, mager und hühnerbrüstig. Im Sommer hatte er einen Strandkiosk, und im Winter ackerte er auf seinen Feldern oder beim Bau. Schwarze Haare, Glutaugen und schmale Hüften. Er kannte die Weiber, sie waren doch jedes Jahr gleich. »Pago bien«, sagte er, und Robert schlug zu.
Sie fielen alle über ihn her. Der Wirt, weil er nicht zusehen konnte, daß ein Zweimeterschrank sich an einem Zwerg vergriff, noch dazu in seiner Bar, ein Murciano, dem das Messer schon seit Wochen locker saß, ein paar Freunde aus Spaß an einer Keilerei. Und ein Andalusier, der eben erst angekommen war, weil er Arbeit suchte und es nicht anders kannte. Er schlug einen Flaschenhals ab und ging mit gezacktem Rand auf Robert los.
Robert lag schon am Boden.
Trat zu. Überlebte.
Keine Polizei. Sie schafften ihn heim, entschuldigten sich bei ihm und brachten ihm Brot und Schafskäse und eigenen Wein. Tortilla mit wildem Spargel und Fischsuppe mit Langostinos drin. Kümmerten sich um ihn, strichen sein Haus und reparierten die Terrassenmauer. Gina übersahen sie, als wäre sie nicht vorhanden.
Sie mußte nach dem neuen Haus sehen, es wurde wieder daran gearbeitet.
»Ja, geh nur, ich bin voll okay!«
Robert mußte sie fast aus dem Haus werfen, sie kam trotzdem noch zweimal, um ihm saubere Wäsche und eine Aladdinlampe zu bringen. Robert gab ihr sein Moped. Endlich verschwand sie.
Er war erleichtert.