Kapitel 21

Robert fror.

Es regnete, und wenn der Wind drehte, stäubten kalte Wassertropfen durch das offene Zellengitter. Robert zog die schweiß- und schmutzverkrustete Armeedecke über die Schultern hoch. Nein, Kurt würde nicht zahlen.

Nicht, weil er das Geld nicht hatte oder weil es ihn reute. Nein, nur, weil er ein eifersüchtiger Spießer war, der es sich nicht einmal vorstellen konnte, dem ganzen Dollarkram den Rücken zu kehren und auch mal mit einer anderen Frau zu bumsen. Und er mußte es wissen. Das konnte sogar der berühmte Blinde mit dem Krückstock sehen. Gina liebte Robert und nicht Kurt.

Er war ihr erster Mann, und er hatte Feuer im Pint. Weshalb sonst kam sie denn dauernd angeschissen. Er hätte sie gern hiergehabt. Sich an sie gerollt und sich an ihr gewärmt. Sie war nie richtig erwachsen geworden. Er liebte sie auch.

Was für ein Idiot war er doch.

Gina gab ihm Geld, und er schlug sie dafür. Nur weil er ein schlechtes Gewissen wegen Jacqueline hatte. Dabei war es Kurts Geld. Absoluter Schwachsinn. Zehntausend, die könnte er jetzt schon mal ganz gut brauchen.

Vincent würde ihn vermissen.

Wenigstens jemand. Robert schlief ein.

»Buen dia, buen dia«, Toni rasselte mit den Schlüsseln über das Gitter wie über eine Harfe. Sperrte auf und schwenkte ein blaues Telegramm in der Luft. »Bien amigos, tu. Äh?!« Er freute sich wie ein Kind. »Muy ricos? Mucho dinero? Muy bien amigos!« Lachte und schüttelte die Decke aus.

Robert war frei.

Alles war halb so schlimm. Kein Mord, kein Totschlag, Robert hatte irgendeinen besoffenen Heinz zusammengeschlagen, der Advokat hatte einen Zeugen aufgetan, der gesehen hatte, daß Heinz angefangen hatte. Vorbestraft war er auch, und Geld hatte er keins. Heinz mußte von der Insel, der Advokat hatte seine Peseten, Zwistigkeiten unter Ausländern waren nicht so wichtig.

Die Sonne schien wieder, auf der Straße glitzerte noch die Feuchtigkeit. Robert ging in die nächste Bar, bestellte sich etwas zu essen und ein Bier. Kurt hatte tatsächlich gezahlt. Ziemlich viel vermutlich. Im Telegramm stand, daß er und Gina demnächst kommen würden, daß sie ihn liebten und daß auf der Post eine telegrafische Geldanweisung auf ihn wartete. Noch mal zwanzigtausend Peseten.

Robert kaufte ein, fuhr zu Kurts Haus, räumte auf, putzte, ölte die Holzbalken und Türen neu ein und schloß den Kühlschrank an. Er war gerührt. Hatte ein schlechtes Gewissen, weil er Kurt nicht getraut hatte. Und fühlte sich auf nicht klar definierbare Weise abhängig. Wollte Gabi etwas Geld geben, sie sah ihn nur verständnislos an. Also doch Jacqueline. Sie wollte kein Geld. Hatte ganz gut verkauft und außerdem etwas von zu Hause bekommen. Lebte jetzt mit einem Argentinier zusammen, von dem behauptet wurde, daß er Dealer war, und der nicht wissen durfte, daß Jacqueline Robert geholfen hatte. Vielleicht würde sie heiraten. Warum nicht.

Robert blieb die drei Wochen bis zur Ankunft von Kurt und Gina trocken, ging kaum aus, malte wieder. Verzerrt düstere Folter- und Kerkerszenen in einer hauchfeinen Stricheltechnik. Verspielte Filigranarabesken, die auf den ersten Blick fast romantisch wirkten und erst beim näheren Hinsehen die Grausigkeit des Motivs erkennen ließen. Er hatte abgenommen, und seine Haut hatte einen ungesunden Gelbton. Er sah selbst aus wie eine der gemarterten Figuren auf seinen Bildern.

Gina erschrak, als sie ihn sah, Kurt umarmte ihn wie einen lange vermißten Bruder. »Ich bin froh, daß du dich an mich gewandt hast, ich bin immer für dich da.«

Sie fuhren zusammen zum Haus, und Gina kochte gleich, Robert mußte aufgepäppelt werden. Robert trank Wasser zum Essen, und Kurt erklärte ihm stolz seinen tollen Plan. Das Fernsehen drehte einen Halbstundenfilm über ihn, in München waren sie schon fertig, die Redakteurin wollte mit dem Team für ein paar Tage herkommen, um auch hier zu drehen. Und weil das ja eine schöne PR-Gelegenheit war, hatte Kurt gleich noch ein paar Leute dazu eingeladen. Seine Galeristen, einen Kunstbuchverleger, einen jungen Kulturreferenten und eine Journalistin, die ihm einen Farbbericht in einer großen Zeitschrift versprochen hatte. Billige Chartertickets und die Bungalows von Kurti, Mann, das Geld würde zehnfach wieder reinkommen. Und der Clou, Kurt machte das alles gar nicht für sich selber, das hatte er nicht mehr nötig. Nein, er würde ihnen Robert verkaufen.

Der freie Maler, der Unabhängige, der Aussteiger in seiner südlichen Einöde. Kurt machte die Cognacflasche auf. »Verstehst du, was das bedeutet, Robert! PR, kapiert? Das ist heute doch alles, ohne Klappern und Rasseln kannst du doch das größte Genie aller Zeiten sein, keine Sau nimmt Notiz von dir.«

Robert verkrampfte sich vor Gier nach einem Cognac. Riß die dritte Zigarettenschachtel auf, deutete auf die Holzkoffer, in denen Kurt seine Bilder mitgebracht hatte. »Hast du was Neues dabei?« Kurt zögerte unmerklich, machte die Koffer dann aber doch auf und stellte die Bilder heraus. Sah Robert von der Seite her an, wartete auf einen Kommentar.

Robert wußte nicht, was er sagen sollte.

Kurt malte wieder wie vor zehn Jahren, aber was damals spontan und direkt gewesen war, wirkte heute gekünstelt und überperfektioniert. Handwerkliche Glätte überdeckte die Emotion. »Das hat viel mit dir zu tun«, sagte Robert vorsichtig, um nicht lügen zu müssen, und merkte an Ginas Gesicht, daß er den Punkt unter der Gürtellinie voll getroffen hatte. Er zog hastig das einzige Bild hervor, das anders war. Ein Selbstporträt. Eine Staffelei mit einer Leinwand darauf, auf der Leinwand wieder eine Staffelei mit einer Leinwand. Harte, grün und violette Schlagschatten, roter Hintergrund. Im Mittelpunkt klein als Gemälde im Gemälde das Gesicht von Kurt. Fotografisch genau mit Falten und Ringen unter den Augen. Blauschwarz. Rot und brennend nur die Pupillen. Kurt sah darauf älter aus, als er war. Irgendwie gemein und böse und doch gleichzeitig ängstlich und unsicher. Das Bild war von einer fast selbstzerstörerischen Ehrlichkeit. Aber es war ein hervorragendes Bild.

»Das ist unglaublich gut«, sagte Robert und meinte es so. »Das ist mit das Beste, das du je gemacht hast.«

Kurt riß ihm das Bild aus der Hand und drehte es zur Wand.

»Das ist Scheiße!«

»Ein Sammler in London hat ihm einen Haufen Geld dafür geboten«, Gina setzte sich dicht neben Kurt und schmiegte sich an ihn, »und ein Museum in Mailand wollte es unbedingt haben, aber Kurt gibt es nicht her.« Kurt entspannte sich etwas und lachte.

»Dafür bin ich noch zu jung«, er küßte sie, »eines Tages wirst du es erben, und dann kannst du damit machen, was du willst.«

»Blödmann«, Gina begann Kurt den Rücken zu massieren, Kurt grunzte zufrieden, Robert fühlte sich überflüssig. Aber als er aufstehen wollte, hielten sie ihn zurück. »Nein, du darfst jetzt nicht gehen. Ich mach uns einen Kaffee.«

»Wir müssen doch die Party planen«, Kurt drückte Robert ein volles Glas in die Hand, und Robert merkte erst, als er schluckte, daß es Cognac war. Er hustete, schüttelte sich, trank weiter.

»Was für eine Party?«

»Na, für alle die wichtigen Kunstfreaks. Wir machen eine Ausstellung. Platz genug ist da und Licht und weiße Wände. Deine Bilder und ein paar von mir. Ein richtiges Fest, verstehst du, so wie früher. Du hast ja keine Ahnung, wie das heute bei Vernissagen zugeht. Steif und gezwungen. Zum Einschlafen langweilig.«

»Nein, davon hab ich keine Ahnung.« Robert schenkte sich nach.

Gina brachte den Kaffee, aber außer ihr wollte ihn keiner trinken. »Musik wäre schön, live mit allem Drum und Dran. Oder Kostüme. Irgendwas Verrücktes.«

»Robert, laß dir was einfallen.«

»Nur Ausländer, meint ihr?«

»Nein, wenn du ein paar Spanier kennst, klar, lad sie ein, international, ist doch logisch. Vielleicht kann uns einer eine große Paella kochen, das wär doch mal was anderes.«

»In Spanien ist Paella nicht so wahnsinnig originell.«

»Komm, du weißt doch, was ich meine, wir beeindrucken die, wir zeigen denen mal, was eine echte alternative Künstlerfete ist. Leben, verstehst du? Leben! Die wissen doch schon gar nicht mehr, was das ist.« Kurt versank in nostalgischen Erinnerungen an die heißen Schwabinger Sommer der sechziger und siebziger Jahre und ließ sich von Robert immer wieder bestätigen, wie schön das gewesen war und daß sie genau so etwas machen würden.