Kapitel 23

Kurt brüllte.

»Haut endlich ab! Ich will euch nicht länger sehen! Ich kann euer Geschwätz nicht mehr ertragen! Schmarotzer, Widerlinge, Trittbrettfahrer, Arschlöcher!«

Robert und Gina kamen auf die Terrasse und schauten ins Haus wie auf ein Bühnenbild. Kurt stand an der Bar und schenkte sich Whisky warm und pur ein. Die anderen waren in der Ecke bei den Sesseln, tranken Wein, starrten Kurt verdutzt an. Eins der Kinder weinte. Kurt brüllte weiter, er war betrunken. Robert ging hinein, versuchte ihn zu beruhigen. Kurt ging auf ihn los. »Verpiß dich! Scheißfreund! Vögel meine Frau, aber nicht in meinem Haus!« Dann ging er wieder auf die anderen los, aber die tuschelten schon und packten ihre Sachen. Quetschten sich in ihre Leihautos und preschten davon, als wäre der Leibhaftige hinter ihnen her.

Kurt lachte und grölte. »Feiglinge! Konsumfetzen, greisliche …«, bemerkte Robert, der immer noch auf der Terrasse stand. Sah ihn an, hatte plötzlich Tränen in den Augen. »Scheiße, was?« Robert schwieg, die Scheinwerferlichter der Autos verschwanden hinter den Kurven der Serpentinenstraße. Ließen die Bäume grün aufleuchten und rissen für Sekunden weiße Bungalows aus der Dunkelheit. Robert schaltete die Außenbeleuchtung aus und ging auf Kurt zu. Kurt wich vor ihm zurück. Bleich, Schweißtropfen auf der Stirn. »Nein«, murmelte er, »bitte …«, stolperte über einen Sessel, fiel hinein und blieb hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken mit zappelnden Beinen drin liegen. »Es tut mir leid. Robert, bitte, das hab ich doch nicht so gemeint!« Er hob abwehrend die Hände, ließ sie wieder sinken, als er sah, daß Robert an ihm vorbei zur Bar ging. Wein, Cognac und Whisky gab es nicht mehr, das einzige war eine fast volle Flasche Mahon-Gin. Robert goß sich ein Glas voll, Kurt schaute zu ihm hoch und hielt ihm dann vorsichtig sein Glas hin. Robert füllte es. Kurt nahm seine Beine von der Sessellehne. »Wir sind doch noch Freunde, oder?«

»Sicher, warum nicht.« Der warme Gin schmeckte grauenhaft nach all dem anderen Zeug, Robert merkte, daß er nahe dran war, wirklich betrunken zu werden. Mußte aufpassen. Ruhig bleiben, ganz ruhig. »Klar sind wir Freunde.«

»Genau. Wie Brüder. Zwillingsbrüder sozusagen«, Kurt trank auch und hatte Mühe, klar zu sprechen. »Und es macht mir auch nichts aus, wenn du mit meiner Frau schläfst, es macht mir wirklich nichts aus. Lieber du als jeder andere. Du bist mein Bruder.«

»Und Gina ist deine Frau.«

»Und Gina ist meine Frau. Richtig.« Kurt machte Anstalten, sich aus dem Sessel zu stemmen, rutschte mit der Hand von der Lehne und verschüttete einen Teil von seinem Gin. Sank zurück und starrte plötzlich auf die Tür. »Komm her.« Robert drehte sich um. In der Tür stand Gina. Sie hatte sich umgezogen, trug einfache Jeans und ein T-Shirt.

»Ich gehe.«

»Du sollst herkommen, verdammt noch mal!«

»Nein.« Sehr leise, ruhig. Ihr Gesicht war frisch geschminkt und sah aus wie eine Maske. »Nein.« Robert ging langsam auf sie zu und streckte eine Hand nach ihr aus.

»Komm.«

»Faß mich nicht an!« Sie schrie. »Ihr kotzt mich an! Alle beide kotzt ihr mich an! Mit eurer verlogenen Freundschaft und dem ganzen Scheiß!« Sie wandte sich um und rannte hinaus.

»Dann hau doch ab, du blöde Schnalle!« Kurt warf sein Glas hinter ihr her, es prallte gegen den Türstock, zersprang und fiel in einem glitzernden Tropfenregen auf den Boden. Robert machte eine Bewegung zur Tür hin. Kurt war mit erstaunlicher Behendigkeit aus dem Sessel draußen und bei ihm. Packte ihn am Arm. »Du bleibst da!« Draußen sprang das Moped an und tuckerte davon. »Ich gehe!« Kurt äffte Ginas Stimme nach und ging zur Bar. »Die wird schon sehen, wo sie bleibt, ohne einen Penny in der Tasche, die kommt schneller zurückgekrochen, als du dein Glas austrinken kannst.« Er merkte, daß er kein Glas mehr hatte, und trank aus der Flasche. Behielt sie in der Hand, setzte sie wieder an den Mund, sabberte. Robert wollte ihm die Flasche wegnehmen.

Kurt schlug zu. Knallte den Flaschenboden gegen Roberts Handgelenk. »Nimm deine Pfoten von meiner Flasche, du stinkiger Parasit!«

Robert schwieg. Hielt die Luft an. Rieb sein Handgelenk. Den ersten Schmerz hatte er kaum gespürt, das pelzig taube Gefühl, das sich jetzt ausbreitete, versetzte ihn in Panik. Er drehte das Gelenk. Schmerz. Krümmte die einzelnen Finger, Schmerzstiche bis hinauf in den Ellbogen. Der Knöchel rötete sich und schwoll leicht an.

Kurt beobachtete ihn. Lächelte versonnen. »Ach, richtig, du bist ja Linkshänder. Das hatte ich vergessen. Man denkt gar nicht dran, aber angeblich sind vierzig Prozent der Weltbevölkerung Linkshänder. Tut mir leid, ehrlich. Aber gebrochen ist es ja wohl nicht. Tut es sehr weh?« Robert antwortete nicht. Kurt sah sich nach Roberts Glas um und schenkte es voll. »Hat ja vielleicht auch was Gutes. Ich mein, es zwingt dich jetzt, großzügiger zu malen, verstehst du. Was immer die anderen sagen, ich finde deine fisseligen Stricheleien richtig ekelerregend. Weißt du, was das für mich ist? Beschäftigungstherapie für den Kopf. Kein Bauch, kein Gefühl.« Kurt stieß sich von der Bartheke ab und stapfte mit langen Schritten in die Ecke, in der neben Roberts Mappe noch seine Blätter auf dem Boden lagen. »Da! Schau dir das doch mal an! Grau in grau in grau. Das hat doch nichts mehr mit Malerei zu tun! Darf ich ja wohl sagen als Freund, oder. So eine verquälte Kopfscheiße will sich doch keine Sau ins Zimmer hängen!« Kurt hatte plötzlich einen breiten roten Glasschreiber in der Hand. Seine Stimme war sanft und klar. »Laß dir das sagen von deinem Bruder.«

Robert stand unbeweglich da, das Glas in der rechten Hand. Trank einen Schluck. Glaubte nicht daran, daß Kurt es wirklich tun würde.

Die Bewegung war so schnell, daß Robert als erstes nur das häßliche Quieken wahrnahm, mit dem der Filzschreiber über das Papier fetzte. Ein breiter roter Strich wie eine offene Wunde. Quiek – quiek – quiek. Schattierungen über das ganze Blatt. Kurt sah nicht auf, kolorierte schon wie besessen das zweite Bild.

Robert ließ das Glas fallen und stürzte sich auf ihn. Riß ihn zurück, schlug ihn. Brüllte. Kurt fuhr mit unerwarteter Kraft auf ihn los. Schlug, boxte, trat. Robert stolperte, fiel, Kurt war über ihm, hackte mit dem Stift nach seinen Augen.

Rot.

Blut.

Robert war nah daran, die Besinnung zu verlieren, rollte sich im letzten Moment weg. Sah Kurt breitbeinig über sich stehen, den roten Stift lose wie ein Messer in der Hand. »Ich darf das, verstehst du. Es sind meine Bilder. Ich habe sie gekauft und bezahlt, und ich kann alles damit machen, was ich will. Alles.« Kurt wandte sich ab, beugte sich über die anderen Blätter, nahm das erste hoch, als wollte er es von nahem ansehen.

Zerriß es.

Einmal. Zweimal. Warf die Fetzen weg, nahm das nächste Blatt hoch. Ritsch. Pffft. Robert sprang auf und warf sich auf ihn. Schlug mit der Handkante zu und schlug die Faust voll in die sich ihm verwundert zuwendende Fresse. Noch einmal. Immer wieder. Der Schmerz brannte bis in die Schulter hinauf, Robert spürte ihn nicht.

Kurt stand da, ein verblödetes Grinsen im Gesicht, die zerrissenen Teile von Roberts Zeichnung in beiden Händen. Weiß gezackte Ränder wie wuchernde Narben. Robert schlug wieder zu.

Kurt schwankte. Wollte zurücktreten, fiel. Krachen. Der Tisch kippte um, schmutzige Gläser und übervolle Aschenbecher klirrten auf den Boden.

Stille.

Nur das Zirpen der Zikaden im Wald draußen.

Kurt lag auf dem Rücken. Bewegte sich nicht.

Das Blut, das aus seiner Nase quoll, war fast schwarz und sah unnatürlich aus neben den feuerroten Wunden, die der Filzschreiber in die Bilder geschlagen hatte.