Sie kamen nach anderthalb Stunden. Zu dritt und in Uniform. Der Jefe, der Capo und Toni. Sie brachten Maria mit, die völlig verschüchtert im Auto sitzen blieb, bis Pepe, ihr Bruder, auf seinem Motorrad angefahren kam. Irgend jemand hatte ihm Bescheid gesagt; er war ein weißhaariger Bulle von einem Mann, der sich schweigend vor Maria stellte und abwartete. Toni und der Capo folgten dem Jefe wie zwei Rockzipfel. Gingen mit ihm auf die Terrasse, blieben hinter ihm stehen, sahen wie er auf die stinkenden Partyüberreste und auf das luxuriöse Haus. Begrüßten knapp Schultz und Gina und übersahen Robert.
Robert war nicht mehr der versoffene artista, den sie in die Zelle gesperrt und verprügelt hatten, Robert war plötzlich einer von den ricos, den reichen Ausländern, die das Geld auf die Insel bringen. Das Haus hatte noch keiner betreten. Sie warteten. Drehten sich um, als der weiße Cruz-Roja-Kombi ankam und Don José mit seiner Arzttasche und zwei Krankenträgern mit Bahre ausstieg. Dann erst gingen sie hinein. Als erste der Jefe und Don José. Robert folgte ihnen wie im Sog. Die anderen warteten an der Tür.
Don José kniete neben Kurt auf den Boden, bestätigte mit einer Kopfbewegung, daß er tot war, und machte sich an die Untersuchung. Steckte sich eine Zigarette dazu an. Der Jefe wollte dazugehen, blieb stehen, verzog angewidert das Gesicht. Ausländer! Toni kicherte unterdrückt und zwinkerte Robert zu. Der Capo knurrte etwas, Toni erstarrte. Robert bemerkte davon nichts. Für einen Moment vergaß er sogar Kurt und den Arzt. Er hatte etwas anderes entdeckt, das ihm die ganze Zeit vorher nicht aufgefallen war. Seine Bilder. Auf dem Boden verstreut, zerrissen, zerfetzt, zerstört. Er ging hin und wollte sich bücken, als er zurückgerissen wurde. Der Jefe. »Que no toques nada.« Nichts berühren. Er ließ ihn wieder los. Roberts Handgelenk schmerzte. Er ging zu den anderen hinaus.
Birgit Krannhals war mit dem Kameramann gekommen, sie wurden sofort wieder verscheucht, Kuhse, Wendrich und Lili Presch hatten es offenbar auch schon erfahren. Lili fotografierte mit einer Minox. Der Capo riß sie ihr aus der Hand und steckte sie ein. Sie wetterte auf deutsch, englisch und französisch auf ihn ein, er reagierte nicht. Schultz kam mit Club-Kurti zurück. Kurti beruhigte, organisierte, übersetzte. Ja, später durften sie auch fotografieren, auch filmen, die Kamera bekam sie auch zurück. Sie sollten bitte zurücktreten, sie behinderten die Untersuchung. Jemand lachte. Ein anderer ließ die sonnenwarme Orangensaftflasche kreisen.
Toni holte eine supermoderne Polaroidkamera für den Jefe aus dem Auto. Er stellte sie ein und setzte den Blitz auf. Kurt. Sssst. Das Zimmer. Sssst. Das Haus. Sssst. Die Terrasse. Sssst: Die Spuren. Sssst. Er verknipste drei Kassetten.
Das Klima. Die Leiche mußte weg. Erst ins Hospital, in einen Zinksarg, dann aufs Festland für die autopsia. Don José wollte sich die Hände waschen, Gina zeigte ihm das Bad. Die Todeszeit konnte er nur schätzen, so etwa zwischen ein und zwei Uhr nachts. Es sah so aus, als wäre dem Toten der Schädel eingeschlagen worden. Die blutige Ginflasche hatten sie gefunden, fotografiert und in eine Plastiktüte gesteckt. Genaue Laboruntersuchungen waren auf der Insel nicht möglich. Bis die Kriminalpolizei verständigt war und kommen konnte, konnten zwei Tage vergehen. Nein, bei der Hitze konnten sie nicht warten. Es gab ja noch andere Gäste hier. Sie bekamen die Erlaubnis, aufzuräumen und zu putzen. Kurti flitzte hin und her, vermittelte und dolmetschte. Ja, da war gestern eine fiesta gewesen. Nein, sie waren alle schon viel früher heimgefahren. Sie hatten alle Alibis. Sicher, es war laut hergegangen, aber Streit hatte es nicht gegeben. Gäste alles Touristen. Gina hatte bei Martin und Beate Schultz übernachtet, Robert, du warst doch auch schon längst weg?!
Einbrecher vermutlich. Die Zellen der Insel waren voll mit Fixern und Dealern, die sie erwischt hatten. Nur die Pässe. Sie wollten die Pässe von Gina und Robert. Nur so. Zur Sicherheit. Von einer Insel kommt sowieso keiner ungesehen runter.
Robert spürte, daß ihn jemand in die Seite stieß. Schultz. »Ich habe angerufen. Der Konsul ist verreist, er kommt, sobald er kann. Sein Sekretär hat mir die Adresse von einem wirklich guten Anwalt gegeben. Ich konnte ihn nicht erreichen, aber ich versuche es wieder. Kopf hoch. Ihre Bilder sind großartig.« Es klang fast so, als würde er Robert zur Ermordung von Kurt gratulieren. Als wäre das Ganze nur ein kleines dummes Mißverständnis, das man eben aus dem Weg räumen mußte, bevor man zum geschäftlichen Teil des Tages kommen konnte. Beate kümmerte sich um Gina, die wieder in ihre Lethargie zurückgefallen war. Maria wollte hier nicht mehr putzen. Pepe hatte es ihr verboten. Sie hatte nichts gesehen, nichts gehört, wußte nichts. Wenn man sie nicht mehr brauchte, konnte sie ja wohl gehen. Pepe ließ den Motor an, schaute zurück, als Maria auf den Sozius stieg. Sah Robert. Machte ihn verantwortlich für das ganze Unglück, das die Ausländer über seine schöne Insel gebracht hatten.
Pepe fuhr ab, auch der Krankenwagen mit Kurts Leiche. Gina rannte hinterher, Beate und Birgit hielten sie auf. Britta. Robert dachte plötzlich an Britta und daran, daß er selber so etwas wie ein Alibi hatte. Es war sinnlos, mit dem Jefe zu reden, für den war er immer noch nicht vorhanden. Robert ging zu Kurti und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Kurti umarmte ihn. »So eine verdammte Scheiße, was?!«
»Kurt war mein bester Freund.«
»Ich weiß, Robert, ich weiß. Wenn ich was für dich tun kann …«
»Brauchst du nicht, ich hab' ein Alibi. Kennst du Britta?«
»Welche Britta?« Jetzt war ihm Kurtis ungeteilte Aufmerksamkeit sicher.
»Weiß ich nicht genau. So ein kleiner Haschischpummel. Die Eltern haben ein Haus auf dem Cap.«
»Ach, Bade-Britta. Pappi hat eine Fabrik für Badezimmereinrichtungen. Und bei der warst du heute nacht?!«
»Ich find' sie niedlich.« Robert senkte die Stimme, Kurti bekam sofort seinen Verschwörerblick.
»Und ich dachte, du und Gina …?«
»Wir sind Freunde, weiter nichts. Mann, wir kennen uns schon vom Sandkasten her.«
»Klar.« Kurti hatte alles verstanden. Und er würde es weitererzählen. Kurti war die Buschtrommel. Das absolut verläßliche elektronische Pressegehirn der Insel.
Sie wollten Robert trotzdem mitnehmen. Gina hatte ihren Paß abgegeben, fügsam sogar noch den Personalausweis dazugelegt, obwohl Schultz sie gewarnt hatte. Kurt war ihr Mann, sie hatte ihn geliebt, sie hatte ihn verloren. Sie war unschuldig, Außer, daß sie nicht dagewesen war. Sie hätte bei ihm bleiben müssen. Sie hätte ihn nicht mitten in der Nacht verlassen dürfen.
Kurti übersetzte nicht, die Polizei war sowieso nicht interessiert. Sie taten nur ihre Pflicht. Den Rest konnte der comisario übernehmen. Statt dessen bot Kurti dem Jefe an, Robert mitsamt seinem Fahrrad in seinem Rover runterzubringen. Das war okay. Er war Club-Kurti, er hatte das größte Hotel am Platze.
Robert saß neben Kurti im Rover und sprang unkontrolliert auf und nieder, als Kurti den kaum gefederten Rover über die löchrigen Straßen und Wege jagte. Hörte sich sein Geschwätz an und schwieg.
Kurt war tot.
»Dieser Schultz hat mir gesagt, daß du absolut Spitze bist. Im Kommen. Der Tip. Hör mal, wenn du Geld brauchst, dann finden wir eine Lösung. Klar?«
Und er hatte ihn getötet.
Mit einer Ginflasche den Schädel eingeschlagen.
»Die kümmern sich doch nicht um so Ausländerscheiße. Die haben doch eine panische Angst vor schlechter Presse. Leben doch vom Tourismus. Haben sich doch alle neue Autos und neue Häuser gekauft von unserem Geld. Die haben doch vor paar Jahren noch nach Seeigeln gefischt, und jetzt sind sie Millionäre. Nicht Peseten, Mann. De-Mark. Dollar. Mehrfach !«
Tot.
Kurt war tot. Das endgültige Nieder. Ein paar Pressefotos und ‑artikel, Skizzen und Acrylschinken. Sonst nichts. Ende. Aus.
Gina.
Kurti war schlau genug, das Polizeiauto nicht zu überholen. Parkte ein Stück dahinter auf dem Feld. Der Jefe blieb sitzen. Capo und Toni stiegen aus und kamen mit in Roberts Haus. Sahen sich um. Robert kramte nach seinem Paß. Kurti bot Wein an, der abgelehnt wurde. Riß Robert endlich den Paß aus der Hand und gab ihn dem Capo. Nein, Personalausweis hat er keinen. Sie glaubten es nicht. Gingen trotzdem. Es war heiß.
Und die Insel war klein.