Kapitel 1

Der Gedanke kam mir nicht zum erstenmal.

Auch die Waffe stand schon lange fest.

Dieses komische Ding aus poliertem Hartholz, das aussah wie eine Gymnastikkeule mit besonders dickem Kopf und spitzen Dornen dran, so eine Art zierlicher Morgenstern. Angeblich hatte er es von einem alten Indio bekommen, in Peru oder sonstwo da unten, wo er früher mal seine engagierten und auf allen Festivals ausgezeichneten Dokumentarfilme gedreht hatte.

Es hing rechts über dem Bett, ich mußte nur den Arm ein bißchen ausstrecken und es vom Nagel nehmen. Ich hatte es schon einmal in der Hand gehabt. Gleich zu Anfang, als wir uns gerade kennengelernt hatten. Als ich ihn noch bewunderte. Als mich seine Geschichten von den entrechteten Indios noch zum Heulen brachten.

Er wollte nicht, daß ich das Ding anfaßte. Er wurde richtig hysterisch und riß es mir fast aus der Hand, um es vorsichtig wieder zurückzuhängen. Vielleicht waren die Dornen vergiftet. Konnte gut sein. Curare oder so was. Aber auch so. Das Ding war so schwer, daß es mit nur ein bißchen Schwung leicht einen Schädel einschlagen konnte.

Vor allem seinen Schädel. Der kaum noch Haare zum Abfedern draufhatte. Ich strich ihm mit der rechten Hand über den Rücken und weiter hoch über die Speckfalten am Hals und den feuchten Haarkranz. Er stöhnte und bewegte sich heftiger. Er wog gut hundert Kilo, aber seine Hüftknochen standen spitz vor und drückten gemein. Sicher würde ich da blaue Flecken bekommen. Ich drehte mich etwas unter ihm weg und vergaß die Indianerkeule. Wieder und wieder.

»Vielleicht könntest du hier nachher ein bißchen saubermachen«, sagte er, als er zum Bad hinüberschlurfte und dabei über ein altes Handtuch stolperte. Sein altes Handtuch wohlgemerkt. Und seine Wohnung. Alles seins, ich inklusive.

Ich stand auf und zog mich an. Ich hatte keine Lust, nach ihm das verferkelte Bad zu benutzen. »Um wieviel Uhr ist die Vorführung?«, fragte ich durch die offene Tür. Er antwortete, aber das Rauschen der Dusche übertönte alles. Ich wiederholte meine Frage lauter.

»Ich geh allein hin«, brüllte er zurück, »besser, wenn du nicht dabei bist. Ich ruf dich nachher an.« Dampfwolken vernebelten den Blick auf seinen rosigen Alabasterleib. Ich ging und knallte die Wohnungstür hinter mir zu. Er grölte einen alten Beatle-Song, ich konnte ihn bis hinaus ins Treppenhaus hören. Wahrscheinlich hatte die Indianerkeule unten dran einen Stempel »Made in Taiwan«.

Natürlich hatte ich einen Strafzettel unter dem Scheibenwischer, und natürlich sprang der Motor nicht an. Nudel-nudel-nudel. Die Batterie war alt, und es hatte geregnet, und Montag war es auch noch. Ich hatte gute Lust, die alte Rostkarre einfach stehenzulassen und ein Taxi zu nehmen. Aber ich fühlte mich stinkig und verknautscht.

Unzumutbar für die normale frisch gewaschene Morgenmenschheit. Die Kühlerhaube klemmte und löste sich dann mit einem Ruck. K. O. nach Punkten. Einmal hatte mich ein Taxifahrer wiedererkannt. »Sind Sie nicht die Elsie?« So hieß die blöde Tussi, die ich da in einer Serie spielte. Ich wehrte entschieden ab. Der Kerl sah mich noch mal von der Seite her an, schüttelte den Kopf. »Nee, stimmt, die ist ja viel hübscher.« Soviel zu Takt und Höflichkeit beim öffentlichen Transportgewerbe. Ich sprühte dieses Zeug auf die Kontaktkabel und leistete so meinen Beitrag zum Ruin des Ozongürtels. Mir war ziemlich übel, als ich mich wieder hinter das Steuer quetschte und die Mühle anließ. Gurgel-gurgel-keuch. Endlich. Ich gab Vollgas und schoß aus meiner Parklücke raus. Um ein Haar direkt unter den Müllwagen.

Der Ring war ziemlich frei um die Tageszeit. Zu spät für die Frühaufsteher und zu früh für die Touristen. Ich hätte ja auch viel lieber in Schwabing gewohnt, aber da eine bezahlbare Wohnung zu finden, war mir in all den Jahren nicht geglückt. Er natürlich, Heiko Krest, der große Regisseur und Liebhaber, hockte schon seit den siebziger Jahren, als er seine große Zeit hatte, in einer absoluten Traumwohnung am alten Friedhof in der Adalbertstraße und füllte fünf Zimmer Altbau mit seinem Chaos. Mir unbegreiflich, wie jemand in so einem Schlammloch überleben kann.

Meine Bude hatte drei Zimmer sozial, fast schon in Moosach draußen. Aber nicht teuer und ganz witzig aufgeteilt. Parkplätze gab’s auch jede Menge. Ich stellte die Ente auf den Hinterhof neben die Mülltonnen und stieg in den dritten Stock rauf. Durchgetretenes Linoleum und piß gelbe Ölfarbe an den Wänden. Kinderwagen vor jeder zweiten Wohnung. Ich war oben, schloß auf und war drin. Daheim.

Breite Fensterwände, durch die ungehindert die Sonne hereinschien, ein Balkon über den Dächern der Reihenhäuser und Vorgärtchen, heller Teppichboden, Bücherregale bis unter die Decke und bunte Poster. Klare Farben, klare Linien, Platz. Das dritte Zimmer war eigentlich nur ein halbes und gehörte mit zur Küche. Ich liebte es besonders, es erinnerte mich an diese Single-Filme aus Hollywood, da haben die auch immer diese tollen Küchenbars. Ich ging ins Bad und stopfte meine Kleidung in den Wäschekorb, bevor ich mich unter die Dusche stellte. Kochendheiß.

Irgendwas stimmte nicht. Das war mir auch klar. Mit mir und meinem Leben. Ich verbrühte mich und empfand das als gerechte Strafe. Wieso hatte ich ihm nicht die Keule über den Schädel geknallt?! Ich wäre jetzt zwar im Knast, aber sicher würde ich mich nicht so beschissen fühlen. Wenn man denkt, daß ich anfangs tatsächlich bei ihm auch mal geputzt hatte. Ich durfte gar nicht dran denken. Wieso ging ich auch immer und immer wieder mit ihm rauf, verdammt noch mal. Aus dem aufregenden Revolutionär war längst ein übergewichtiger Serienmacher geworden. War’s das? Die übliche Kiste zwischen Regisseur und Schauspielerin? O nein, bitte das doch nicht! Schließlich hatte ich ihn ja mal wirklich gemocht. Ehrlich. Und irgendwie … nein. Schluß. Ein für allemal. Sollte er sich doch eine Putzfrau nehmen.

Ich überlegte lang, was ich anziehen sollte. Ich bin nicht die Art Frau, hinter der auf der Straße die Männer herpfeifen, war ich nie. Aber mit ein bißchen Make-up und den richtigen Klamotten kann ich allerhand vortäuschen. Den Pagenanzug mit Westchen aus blauem Samt? Oder lieber romantisch mit weitem Rock und Blümchenbluse? Dafür war es eindeutig zu kalt, aber es machte mich auch eindeutig jünger und weicher. Heute war Strategie angesagt. Heiko hatte irgend etwas vor, wenn er mich bei der Vorführung nicht dabeihaben wollte. Ich Tönte die Haare locker, betonte nur Augen und Mund und nahm für den Notfall eine Jacke über dem Arm mit.

Im Hof traf ich die Frau Schmiedinger, unsere Hausmeisterin. »Mei, schaun Sie heut wieder schön aus!«, begrüßte sie mich voller Bewunderung. »Habens heute Aufnahme?« Sie kannte sich inzwischen in den gängigen Termini bestens aus, und ich versorgte sie auch immer mit Neuigkeiten aus der Flimmerwelt. Ich war der Star in unserem Viertel. »Unsere« Schauspielerin, per du mit Derrick und Schimanski. Wenn ich irgendwo mitspielte, waren hier überall die Fernseher an. So aufgemuntert setzte ich mich ins Auto, und diesmal sprang der Motor sofort an.

Auf dem Weg nach Thalkirchen merkte ich, daß ich noch nicht gefrühstückt hatte. Also noch einen Abstecher über Schwabing ins Passagencafé. Ein kurzer Rundblick genügte, niemand hier, den ich kannte. Ich setzte mich an einen Ecktisch ganz hinten im Erker und bestellte mir einen doppelten Espresso und ein Croissant. Danach fühlte ich mich reif für einen Pikkolo mit Orangensaft. Etwas Zeit hatte ich noch.

Ich kannte Heiko Krest jetzt seit vier Jahren, und ich hatte fast in allen seinen Filmen mitgespielt. Keine großen Kinofilme: Fernsehspiele oder kleine Serien. Nichts Besonderes, und ich hatte auch noch nie eine richtig große Hauptrolle bekommen. Sie hatten mich so ziemlich auf einen bestimmten Typ festgelegt. Versorgte Graumaus. Oder ich hatte mich auch festlegen lassen. Ich sah unauffällig aus, schmal, mittelgroß. Als er mich zum erstenmal sah, war Heiko von meinen Augen fasziniert gewesen. Sagte er jedenfalls. Schaumschläger. Ich hatte schon ein paarmal überlegt, zum Theater zurückzugehen, hatte aber nie so richtig den Absprung geschafft. Und jetzt diese dicke, fette neue Serie. Sechzig Minuten, Abendprogramm, beste Sendezeit.

Es sollte so eine Art humorvolle Krimiserie um einen Zeitungsreporter werden. Das Lokalblatt in einer Kleinstadt, der Reporter immer auf der Jagd nach Sensationen, und ich war eine krimibegeisterte Buchhändlerin, die ihm dabei immer dazwischenfunkte. Eine richtige echte Hauptrolle. Also zumindestens die größte weibliche Rolle. Und eine Serie. Berühmt auf einen Schlag und auf Jahre hinaus keine Mietsorgen mehr. Andererseits legte man sich fest und hatte für nichts anderes mehr Raum. Ich zahlte und stand auf. Heute würde der Anruf aus Hollywood wohl nicht kommen.

Die BCD-Film gehört zu den Großen der Branche. Nicht zu den Allergrößten, aber schon zu den Top Ten. Ralf Balonders hatte in den fünfziger Jahren ein Vermögen mit Heimatschnulzen gemacht und hatte auch jetzt, mit über siebzig, die Nase noch immer ein Stückchen vor den anderen. Er residierte stilvoll in einer alten Villa an der Isar, die er modernisiert und durch Anbauten erweitert hatte. Ich parkte meine Ente zwischen einem BMW und einem Ranch Rover und sah mich nach Heikos Volvo um.

Er war schon da.

Ich blieb sitzen und wünschte mir, ich hätte nie mit dem Rauchen aufgehört. Ich war nicht nur etwas nervös. Ich hatte Angst. Regelrechte Panik: Heiko war noch nie ein zärtlicher Gentleman gewesen, Höflichkeit hielt er für reaktionär. Progressiv war, wenn ich das Essen zahlte und ihm noch meinen letzten Euroscheck ausstellte. Aber in der letzten Zeit hatte er die Sau total rausgelassen. Vor allem gestern abend. Oder die ganze Nacht über. O Gott, da wurden Mädchenträume wahr! Und dann heute morgen noch einen drauf. Vielleicht könntest du hier nachher ein bißchen saubermachen! Noch was, bitte? Und wieso wollte er mich heute nicht dabeihaben. Das war keine richtige Vorführung auf großer Leinwand, da trafen sich nur ein paar Leute beim Produzenten, um sich die Kassette von Heikos letztem Film anzusehen, in dem ich einen ziemlich wichtigen Part habe. So eine Art Psychokrimi.

Ich stieg aus und ging zum Haupthaus hinüber. Das Mädchen am Empfang kannte mich. »Die sind schon seit einer halben Stunde da.«

»Wer denn alles?«

»Heiko Krest natürlich, Dr. Merkel, Grünbek, Balonders selbst und Lutz Lippert.«

Ich lächelte verkrampft und rannte zurück auf den Flur. Riegelte mich im Klo ein und hockte mich hin. Du liebe Zeit, die ganzen Macker waren da. Balonders selbst, und Merkel vom Sender. Lutz Lippert war der Drehbuchautor, der war eigentlich ganz nett. Aber wes Brot ich eß, des Lied ich sing. Wenn ich jetzt eine Zigarette dabei gehabt hätte, wäre ich rückfällig geworden. Wieso schauten die sich den Film an, verdammt! Ich dachte, alles wäre längst paletti. Ich atmete tief durch und wollte eben wieder rausgehen, hatte schon die Hand auf der Klinke, da hörte ich sie. Türenklappen, Schritte, Stimmen, Lachen. Sie blieben in der Garderobe stehen, direkt vor meiner Klotür. Sie hatten den Film nicht mal zu Ende angesehen.

Merkel: »Großartiger Film. Kompliment.«

Heiko: »Danke.«

Merkel: »Aber diese … na diese Rolle in unserer neuen Serie, die sollten wir doch jünger besetzen, denke ich.«

Grünbek: »Ja, jetzt glaube ich auch, daß Sie recht haben.«

Lutz Lippert: »Ja, aber sie ist Buchhändlerin, da kann sie schlecht achtzehn sein. Sie ist mit Ende Zwanzig angelegt.«

Merkel: »Sie könnte ja Lehrling sein.«

Heiko: »Genau. Das ist eine frische Idee.«

Daher der Name Seifenoper. Ich hielt es nicht mehr aus und riß die Tür auf. Etwas zu spät leider. Grünbek und Heiko waren schon wieder im Büro verschwunden, nur noch Lutz und Merkel waren im Flur. Lutz sah verlegen weg, Merkel erkannte mich nach kurzem Stutzen und kam mit ausgestreckten Armen auf mich zu. »Meine Liebe! Wie schön, Sie zu sehen. Ich habe mir gerade Ihren letzten Film angesehen. Wirklich beeindruckend.« Er rannte an mir vorbei. Die ausgestreckten Arme vor sich hinhaltend wie Speere. Meine Liebe, er hatte sich eben eine Stunde Film mit mir reingefegt und mir mit einem knappen Satz die Karriere verhunzt, aber meinen Namen, den hatte er vergessen. Tja. Jünger. Ich war vierunddreißig! »Heh, Lutz!« er versuchte, sich auch schnell davonzumachen. Blieb zögernd stehen.

»Tut mir leid.«

»Aber du hast mir doch gesagt, die Rolle wär mir genau auf den Leib geschrieben. Genau mein Typ. Ende Zwanzig, Anfang Dreißig, bißchen intellektuell angehaucht …«

»Ja, schon«, er wand sich vor Verlegenheit, »aber jetzt haben die sich die Kassette angesehen …«

»In dem Film spiele ich doch eine total kaputte Henne. Ich meine, das ist doch die Rolle!«

»Mir mußt du das doch nicht sagen. Dieser Merkel hatte die Idee, daß die Figur mehr hergibt, wenn sie jünger und naiver ist …« Er brach ab und fummelte sich eine Zigarette zwischen die nikotingelben Finger. Seine Schuld war es nicht. Er hatte bisher nur Hörspiele geschrieben, zwei, drei kleine Features, das hier war sein erster großer Drehbuchauftrag. Ich wollte gerade was Verständnisvolles von mir geben, als hinter uns die Tür aufging.

Hereinkam ein androgynes Etwas mit abstehenden grünen Haaren und einem schwarzen Gummikleid um den magersüchtigen Body gespannt. Sie blinzelte kurzsichtig, erst gegen mich, dann gegen Lutz. Riß die Augen zu etwas auf, was wohl als Charme gelten sollte, und bleckte violette Wulstlippen zu einem Leichengrinsen. »Hallo«, Piepsestimmchen, »ich suche Heiko Krest. Ich bin hier mit ihm verabredet. Mein Name ist Candida Griebel.« Das sprach sie aus wie Marilyn Monroe. Mindestens. Kleine Pause.

Ich grinste und sah zu Lutz rüber. Dem troff der Geifer auf den Teppich. Viel fehlte nicht, und er hätte sie rübergetragen in die Anmeldung. Ich hörte auf zu grinsen. Ich verstand. Alles klar. Das war sie. Die neue Besetzung. Die junge, die frische. Die Verbindungstür zur Anmeldung fiel zu, ich war allein mit den Mänteln und der Klotür. Plötzlich hatte ich es eilig. Ich habe schließlich auch meinen Stolz, und hier erwischt zu werden wie die Zeitung vom letzten Jahr, das wäre nun wirklich das letzte gewesen. Ich lief zu meinem Auto. Als ich den Schlüssel ins Zündschloß schieben wollte, zitterte ich so, daß ich nicht traf. Ich schloß die Augen und überlegte, ob ich im Ernstfall fähig wäre, einen Mord zu begehen. Jemanden umzubringen. Einen anderen Menschen zu töten.

Ich wünschte, ich hätte die Frage wirklich mit einem klaren Nein beantworten können.